Winterliche Belustigungen.

Wenn wir an einem heitern Wintertage auf das Mittelgebirge wandern, so stürmt gewiß, kaum daß wir die Dorfgasse betreten haben, ein Rudel pausbackiger Buben mit krebsroten Nasen und Ohren auf uns ein und umdrängt uns mit dem fortwährenden Rufe:

"Geht's, setzt's m'r an' Kreuzer ins Kreisl,
Mei Dozen singt wie a Tannenmeisl."

Während wir lachend in den Sack nach Münze greifen, hat bereits einer der bäuerlichen Industrieritter mit der stumpfen Eisenspitze seines Kreisels ein kunstgerechtes Rund in den gefrorenen Boden geritzt; die anderen stehen mit ihren schnurumwundenen "Dozen" schußbereit herum und warten auf den klingenden Einsatz. Derselbe, gewöhnlich ein Kreuzer, wird genau in die Mitte des Kreises gegeben, wenn möglich auf eine harte Unterlage, etwa ein Steinplättchen, damit er leichter herausspringe. Es gilt nämlich, denselben mit dem Dozen nicht bloß zu treffen, sondern ihn außerhalb des Kreises "hinauszuspecken." Wem das zuerst gelingt, dem gehört das Geldstück.

Und nun kann's losgehen.

Wie das surrt und summt auf dem festgefrorenen Boden! Es ist eine Freude zu sehen, mit welcher Leidenschaft die Jungens diesem Sport obliegen. Man könnte da in der Tat psychologische und malerische Studien machen. Während der eine mit ausgespreizten Beinen dasteht und zielt und mißt, als hinge ein Königreich an seinem Wurf, haben der zweite und dritte mit katzenartiger Behendigkeit ihre herumduselnden Dozen wieder eingefangen und neuerdings mit der Schnur umwickelt, um so rasch als möglich wieder zu Wurf zu kommen. Da gibt es oft Stellungen und Gruppierungen, die der Festhaltung durch den Stift oder Pinsel wert waren, und es nimmt mich nur wunder, daß nicht längst Meister Defregger ein reizendes Genrebild: "Die Dozenhacker" geschaffen. Die Bauernjungen haben im "Dozenhacken" eine außerordentliche Geschicklichkeit, und wenn sie den Kreuzer nicht gleich das erstemal treffen, so ist daran nur die Hast schuld, mit der einer dem andern zuvorkommen will und sich zum ruhigen Zielen nicht Zeit nimmt. Eigentlich sollte das Geldstück zum mindesten unter drei Würfen hinausgespickt sein, widrigenfalls der Dozen demjenigen gehört, der das Geld gesetzt hat; heißt ja die alte Regel des "Dozen-Hackens:"

"Im dritten Streich
Dozen und Schnur Euch",

oder nach der sicher älteren Fassung:

Dreimal denk (link, verkehrt)
Dozen und Schnur Enk (Euch).

Das "Dozenhacken" ist oder war jedenfalls früher ein Wettspiel. Das Wort dürfte wohl mit dutzen, dotzen = stoßen, zusammenhängen, wenn es nicht vom althochdeutschen diozan, tosen abzuleiten ist.

Gehen wir die Dorfgasse aufwärts. Holla! Was für eine wilde Fahrt kommt uns da entgegen? Es sind rodelnde Buben und Mädeln, ein von Künstlern oft behandelter Vorwurf.

"Aus der Bahn,
Mei' Rodel hat Eisen an,"

schallt es schon von weitem. Wir haben auch nicht Zeit, stehend der sprachlichen Abstammung des Wortes Rodel, das seine romanische Herkunft (vom mittellateinischen rotula) kaum verleugnen kann, länger nachzuhängen, denn schon kommt der Warnruf energischer:

"Ausg'stellt
Oder niederg'schnellt,"

Wir treten also seitwärts und lassen die ländlichen Velozipedisten an uns vorbeisausen.

Das Rodeln oder Schlitteln, wie es in Kärnten und Steiermark heißt, ist ein Hauptvergnügen der Bauernkinder. Die Lenkung des meist höchst einfachen Fuhrwerks geschieht gewöhnlich mittels eines anderthalb Meter langen Steckens oder Prügels, den der Rodelnde unter dem Arme hält, als Steuer hinten nachschleifen läßt und mit Hand und Ellenbogen leitet.

Übrigens huldigt nicht bloß die bäuerliche Jugend dem Sport des Schlittelns. Auch die Erwachsenen treten den Heimweg von höher gelegenen Dörfern oder Wirtshäusern, die sie besuchten, gern mit Schlitten an. Das gewährt dann einen malerischen Anblick, wenn ein solcher Handschlitten voll jodelnder und jauchzender Burschen den Weg herabgesaust kommt. Auch der Heimweg vom Rorate wird häufig auf solchen Handschlitten, Granzgen genannt, bewerkstelligt. Vorne dran, zwischen den Kufen, sitzt mit vorgestemmten Beinen und den Oberkörper zurückgelehnt, ein baumstarker Bursche als Lenker, wenn nicht eine festsehnige Dirne diesen oft schwierigen Fuhrmannsposten übernimmt. Schon mehr städtischen Charakter trägt der im Unterinntal, Ziller- und Brixental beliebte Sport des "Gasselfahrens", richtiger "Goaßlfahrens." Es sind Wettfahrten, die durch die öffentlichen Blätter ausgeschrieben werden. Man unternimmt sie in leichten Rennschlitten, sogenannten "Goaßln" (Geißen), auf denen man rittlings sitzt.

Eine nicht selten in Tirol, Kärnten und Steiermark geübte Winterbelustigung der Dorfburschen und Männer ist das Eisschießen. Die Eisbahn ist entweder ein gefrorener Teich oder der beeiste Teil des Flußbettes, häufig auch nur der gefrorene ebene Boden. Das Spiel gleicht in Tirol fast ganz dem sogenannten "Watschelen", dem von den Italienern entlehnten Kugelspiel "giuocar alle boccie", nur daß statt der Kugeln die "Eisstöcke" eintreten. Diese sind schwere, aus festem Eichen- oder Buchenholz gedrehte und mit einem starken Eisenreif umspannte Scheiben im Durchmesser von beiläufig 30 cm, in die oben senkrecht ein Stiel als Handhabe eingesetzt ist. So ein Eisstock wiegt oft seine fünf bis sieben Kilogramm. Um sein Gewicht beliebig zu vergrößern, hat man sogenannte "Platten", runde, in der Mitte durchlöcherte Eisenscheiben, die man über den Stiel schiebt. Es sind dieselben, deren man sich im Sommer beim beliebten "Plattenwerfen" bedient. Das Schußziel bildet ein viereckiges Holzpflöckchen, die sogenannte "Tauben", in Tirol "Moasl" genannt, meistens aber zwei "Tauben", von denen die eine am unteren, die andere am oberen Ende der etwa fünf bis sechs Meter langen Eisbahn aufgestellt ist, um das Hin- und Herschießen zu ermöglichen.

Beim Spiel erfaßt nun der Bursche seinen Eisstock, schwingt ihn zielend und läßt ihn dann auf der glatten Bahn weitergleiten. Da man das Eisschießen stets zu zwei Partien spielt, so schaut man zuerst, wer "zusammenkommt." Die nach dem ersten Schuß dem Ziele näher liegenden Eisstöcke, beziehungsweise deren Besitzer, bilden die eine Partie, die "Engeren", die ferner liegenden die andere, die "Weiteren." Das Spiel selbst besteht im allgemeinen darin, daß jede Partei trachtet, mit ihren Eisstöcken der "Tauben" möglichst nahe zu kommen. Hiebei handelt es sich vor allem, daß der "Anspielende" gut "legt" oder "vorlegt", d. h. mit feinem Sisstocke vor das Ziel zu liegen kommt, um den Scheiben der Gegner den Weg zu verlegen. Der Letzteren Aufgabe ist es, dieses Hemmnis entweder zu umgehen oder dasselbe wegzuschießen. Oft wird durch den Schuß des letzten Eisschießers die "Tauben" weit hinausgeschleudert und so mit einemmal die Lage der verlierenden Partei in die der gewinnenden verwandelt. Ein Spiel dauert so lange, bis eine Partei drei Gänge gewonnen hat. Gelingt ihr dies, hintereinander ohne Unterbrechung, so ist die Gegenpartei "geschneidert"; hat sie jedoch erst einen gewonnen, und es gelingt den Gegnern nun, dreimal nacheinander zu siegen, so ist die erstere "nachhig'schneidert". Der Einsatz ist verschieden, gewöhnlich nur ein Kreuzer (zwei Heller). Im Unterinntal und Brixental findet oft eine verwickeltere Form dieses Spieles statt, indem nämlich eine Ortschaft die andere zum Wettkampfe herausfordert. Man nennt dies das "Moaren". 1) Solche Wettschießen gestalten sich oft förmlich zu kleinen Volksfesten, bei denen Jung und Alt als Zuschauer die Eisbahn belagert.

Mit den genannten Belustigungen ist natürlich der Kreis bäuerlichen Wintersportes weder bei der Jugend, noch bei den älteren Leuten erschöpft. Eichkätzchen- und Grätschen-Schießen ist dem Buben ebenso bekannt, wie dem älteren Bruder das heimliche Wildern. Geht es nicht an, so begnügt sich der kleine Sepp und sein nachbarlicher G'span (Kamerad), der Hans, Raben und "Zietelen" (Krammetsvögel) zu fangen. Man richtet für erstere sogenannte "Trappelen", Schlageisen auf, welche bei der Berührung zuschnappen und den schwarzen Gast einkasteln, den letzteren wird meist mit "Häuseln" (nicht zu verwechseln mit den "Schlaglen") nachgestellt.

1) Von Moar = Maier (vom lat. major); eigentlich um den "Vorzug" spielen, Vergl. Hagmair = der Sieger im Ringen, Hagmair-Kuh = die beste Stechkuh.

Quelle: Ludwig von Hörmann, Tiroler Volksleben, Stuttgart 1909. S. 465 - 469.