Gruß

Gruss zu Wanderungen aus Tirol, Mathias Schmid

Kommst du, den Wanderer auf halben Wegen
Zu grüßen, grüner felsgeborner Inn?
Blickt Ihr ihm fragend schon von fern entgegen,
Du, graue Burg, auf Bergeshaupt gelegen,
Der Thalesenge veste Hüterin?
Und Du mit Deinen Schrofen, starr und hohl,
Wildkaiser, alter Grenzwart von Tirol?

Wer Dich zuerst erblickt, der grüßt hinwider
Mit seines Herzens wärmstem Freudenlaut,
Wer schon Dich sah, den lockten Sehnsuchts-Lieder
Zu Dir zurück, in Deine Thäler nieder:
Ob er der Erde Herrlichstes geschaut,
Das Meer, Venedig und das Capitol -
Dein denkt er immer, schönes Tand Tirol!

Der Felsenstirne, der gewitterglatten,
Hast Du die Gletscherkronen aufgestreift:
Zum Gürtel schlingt sich der Kastanien Schatten,
Gestickt mit Saatengold und Grün der Matten,
Indeß zu Füßen Dir die Traube reift -
Was die Natur erschafft von Pol zu Pol,
vereinigt hast Du's, edles Tand Tirol!

Die Burgen, von Erinnerung durchschauert,
sie sehen ein verwandeltes Geschlecht:
Die Burgen, für die Ewigkeit gemauert,
Der Landmann hat sie kräftig überdauert
Und trägt den Stutzen selber im Gefecht:
Von Deinen Pässen wehet das Symbol
Der Völkerfreiheit, starkes Land Tirol!

So laß' die Wandrer gastlich zu Dir kommen -
In Deinen Hütten, rebengrün umlaubt,
In Deinen Städten sei'n sie aufgenommen,
Flicht ihnen Deiner Almen Wuchs, den frommen,
Die Raute, Speik und Edelweiß um's Haupt
Und schenk' den Scheidenden ein "Fahre wohl,
Auf Wiederseh'n!", Du treues Land Tirol!

Gruss zu Wanderungen aus Tirol, Mathias Schmid

Quelle: Wanderungen durch Tirol und Vorarlberg, Geschildert von Ludwig von Hörmann, Hermann von Schmid, Ludwig Steub, Karl von Seyffertitz, Ignaz Zingerle, Stuttgart 1880, S. 1 - 2.