3. Rattenberg und Brixlegg.

Von Wörgl aufwärts erweitert sich das Thal etwas, um sich nach den kleinen Orten Kundl und Rathfeld desto enger zusammen zu schließen, wo das Städtchen Rattenberg am Fuße des Zimmermannsberges (im Volksmunde Zimmermoosberg genannt) sich so hart an die vorgestreckten Felsenbühel desselben andrückt, als fürchte es, in das Strombett des Inns hinabgestoßen zu werden, das, nur durch einen Steindamm gestützt, zur andern Seite in schroffer Tiefe sich aufthut. Ueber dem Städtchen unmittelbar ragt ein alter Thurm hervor, das letzte Ueberbleibsel eines alten Schlosses, das als mächtige Festung Fluß und Thal beherrscht hatte. Es bestand aus zwei Theilen, dem eigentlichen Schlosse und dem sogenannten Hochschlosse, dessen Trümmerkranz, schwer zugänglich, noch von der obersten Zinne des Zimmermannsberges herunter dräut und römischen Ursprunges sein soll. Im spanischen Erbfolgekrieg, als Kurfürst Max Emanuel von Bayern in Tirol einfiel, wurde die Festung von dem österreichischen Kommandanten feiger Weise übergeben, sofort aber von dem aus dem nahen Ziller- und Brandenbergerthal herbei geeilten Landsturm wieder genommen. Die Bauern hatten den auf Recognition ausgerittenen bayerischen Anführer abgefangen und während die Einen die Thore der Stadt mit ihren Aexten einschlugen, zwangen die Andern den Befehlshaber, einen Befehl zur Uebergabe der Festung auszustellen, der auch befolgt wurde. Unter Kaiser Joseph II. wurde das Schloß mit vielen andern sich selbst, der Zeit und der Witterung überlassen, die denn auch das Zerstörungswerk so gründlich und rasch zu vollziehen wußten, daß außer dem erwähnten Thurme von den ansehnlichen Gebäuden nichts mehr übrig blieb.

Auch eine andere geschichtliche Erinnerung knüpft sich an diese Stelle und hat, aufgefrischt durch Herman Schmids Roman "Der Kanzler von Tirol" schon Manchen veranlaßt, den Hügel hinanzusteigen, um auf dem Platze zu stehn, auf welchem am 17. Juli 1651 das Haupt eines edlen Mannes, des tirolischen Kanzlers Wilhelm Biener, schuldlos unter dem Schwerte des Henkers fiel. Der allseitig mit großem Beifall aufgenommene Roman Herman Schmids hat neben andern jedenfalls den Vorzug, daß er auf strenger geschichtlicher Grundlage beruht, welche sich bis in die kleinsten Details erstreckt. Das merkwürdige Schicksal Bieners hatte schon vorher das Interesse Anderer auf sich gezogen, worunter besonders der Innsbrucker Professor Dr. Pfaundler auf Grund der Akten und Archivalien eine Abhandlung schrieb, die er veröffentlichen wollte; - die Censur, welche die "Drucklegung" nicht gestattete, machte es ihm unmöglich, aber er theilte Herman Schmid die Abhandlung mit, welche sonst wohl in die Kategorie der "verlorenen Handschriften" zu zählen gewesen wäre. - Bekanntlich war Biener der Kanzler und Minister der Erzherzogin Claudia, hatte sich aber durch energische Maßregeln, namentlich gegen den wälschen Adel, sowie überhaupt durch sein gerades Wesen und einen unseligen Hang zur Satire viele mächtige Feinde gemacht, die nach Claudia's Tode nicht zögerten, ihre Rache zu sättigen. Unter den vielen gegen ihn erhobenen Anschuldigungen, deren ernsthafte Aufstellung man heutzutage fast nicht für möglich hält, befand sich auch die, unter das Bildniß seiner Gönnerin, der Herzogin Claudia, einen bekannten Spottvers geschrieben zu haben. Man lockte ihn von seinem Wohnsitze Büchsenhausen bei Innsbruck hinweg, um daselbst Haussuchung zu halten, man erbrach das Asyl im Kloster Mitten, in das er sich begeben hatte, schleppte ihn nach Rattenberg und ließ ihn durch ein aus erbitterten Feinden zusammengesetztes Gericht zum Tode verurtheilen. Biener war seiner Zeit der Lehrer des Herzogs Leopold und seines Bruders Franz Sigismund gewesen - desselben, dessen tragisches Schicksal ebenfalls von Herman Schmid in der Erzählung "Der Schütze von Pertisau" behandelt wurde. - Der Letztere nahm sich Bieners mit vollster Wärme an und erwirkte dessen Begnadigung: die Gegner aber wußten es einzurichten, daß der Kurier unterwegs in Mühlau sich beim Wein verweilte und in Rattenberg, wo am Morgen das Todesurtheil vollzogen worden war, erst Abends eintraf.

So sehr übrigens der Vorsprung des Zimmermannsberges mit dem ragenden Thurme dem am Fuße hingeschmiegten Städtchen zu Schutz und Schmuck gereicht, ist, wie schon erwähnt, die Annäherung doch eine so überaus enge, daß die Häuser der einen Seite genöthigt sind, sich buchstäblich an die Felsen anzuklammern und in sie hinein zu dringen, und daß der Berg viele Häuser vollständig in Schatten stellt. Dem Landgerichtsgebäude z. B. ist dadurch für die ganze Zeit vom 28. November bis 19. Januar die Sonne vollständig benommen.

Man braucht bei einem Gange durch das nur aus zwei Straßen bestehende Städtchen nicht erst die Versicherung von dessen hohem Alter zu hören - die hohen, schmalen, eigenthümlichen Häuser erzählen von selbst die Geschichte ihrer Erbauung und geben ein so anziehendes farbenreiches Bild, daß für einen Maler kaum irgendwo bessere Ausbeute gefunden werden könnte. Früher, ehe der Eisenbahnstollen durch das Gestein des Schloß- oder Stadtberges getrieben war und der ganze riesige Verkehr von Frachtfuhrwerken und andern Wägen seinen Zug durch die schmale Hauptstraße nehmen mußte, fehlte es auch nicht an den wechselvollsten Staffagen für derartige Gemälde - jetzt ist es stille geworden und ein Maler würde keine Schwierigkeit haben, seinen Feldstuhl überall nach Belieben aufzupflanzen.

Zu den Häusern führen häufig Stufen hinauf und münden vor der meist spitz gewölbten Thüre mit Steingesims auf einen kleinen mit Bänken besetzten Vorplatz, auf dem es sich Abends recht behaglich und gastlich sitzen mag; die übrigen Stockwerke steigen meist mit geschlossenen Fensterreihen in gerader Wand empor, welche oben platt abgeschnitten ist - der erste Anlauf dieser vor Jahrhunderten aus dem Orient heimgebrachten Bauform. Von den Wänden strecken sich nicht selten Dachrinnen vor, um aus weiten Drachenmäulern ihren Ueberfluß mitten in die Straße zu entladen. Das Innere der Häuser stimmt mit der freundlichen Außenseite nicht sehr überein - es ist winklig, verschoben, uneben, als wäre es ohne Plan, je nach dem Bedürfniß in den vorhandenen Raum eingeschoben und eingeklebt und ein großer Hausplatz, der früher der gemeinsame Aufenthalt der Familie zu sein pflegte, ist meist das einzige wirklich wohnliche Gelaß.

Rattenberg war früher auch ein sehr wohlhabender Ort; - zu dem schon erwähnten Fracht- und Reiseverkehr auf der Straße kam auf dem Inn der ebenfalls bereits erwähnte Zug des "Hufschlags" und der in frühern Zeiten vorhandene reiche Bergsegen der Umgegend. Rattenberg wetteiferte einst in dieser Hinsicht mit dem reichen Schwatz: die Gruben am Geierberg ertrugen im 15. Jahrhundert fast fünfzigtaufend Mark Silber in einem Jahre, während der jetzige Betrieb auf kärgliche fünf bis sechs Arbeiter herabgesunken ist.

Eine Merkwürdigkeit des Städtchens ist noch, daß daselbst die fromme Magd Nothburga, die bevorzugte Heilige Tirols, geboren sein soll, - sowie daß der bekannte Bauernanführer Speckbacher hier als österreichischer Major am

BILD!

28. März 1820 in ruhiger Zurückgezogenheit sein kampfreiches Leben beschloß. - Von Beiden wird später ausführlich die Rede sein. - Von Rattenberg führt die Straße südwestlich in einer angenehmen halben Stunde in das stattliche, mit allerlei metallurgischen Gewerkschaften ausgerüstete Dorf Brixlegg, hinter welchem der von dieser Seite ganz freundlich gestaltete Zimmermoosberg sich anmuthig erhebt, während eine Einsiedlerkapelle und ein paar Edelsitze - Lahnek und Graseck - zur Abrundung des lieblichen Bildes beitragen. Letzteres ist die Heimat des Bildgießers Kaspar Gras, welcher die schönen Innsbrucker Erzgestalten gegossen, ersteres war lange Zeit zerfallen und ist nun von einem Arbeiter zur Wohnung eingerichtet. - Der Blick von einer der zahlreichen Anhöhen ist wohl einer der schönsten im ganzen Unterinnthal, - dasselbe weitet sich dort nach beiden Seiten in reizender Wölbung aus; die reich besiedelten und fruchtbaren Mittelgebirge, welche einen Hauptreiz der unterinnthalischen Landschaft ausmachen, heben sich in angenehmer Steigung gegen die Zacken, Kämme und Eishäupter der sie überragenden Hochgebirge hinan. Zur linken Seite öffnet sich in geringer Entfernung der Bergeinschnitt, der ins Zillerthal führt und durch welchen der Ziller sein grünes Bergwasser gemächlich dem Inn entgegenträgt; - beinahe gegenüber bei dem Thurme von Jenbach steigt die Straße ins Achenthal hinauf und mitten durch den bebuschten Thalgrund zieht der Hauptstrom selbst in anmuthiger Windung heran.

Einer der schönsten Aussichtspunkte ist unstreitig die nahe gelegene Ruine von Matzen, einst unter dem Namen Masciacum eine feste Warte der Römer, dann längere Zeit im Besitze der Familie der Freunds- oder Frundsberge, welcher der berühmte Landsknechtsführer entstammte. Nach vielfachem Wechsel der Besitzer kam das Schloß an die Ritter von Pfeifersberg, deren jetziger Stammträger sich am Fuße desselben einen wohnlichen Ansitz gebaut und die alten Mauern dem natürlichen Verfalle überlassen hat - nicht ohne in pietätvoller Weise dafür zu sorgen, daß das Dach unterhalten und die unvermeidliche Zerstörung möglichst lange aufgehalten wird. In dieser Gestalt bildet Matzen nun wohl eine der schönsten Burgruinen, sowohl durch die Eigenthümlichkeit der Lage, vermöge deren man durch das Thor zu ebner Erde einzutreten glaubt, sich aber sofort im vierten Stock über dem abstürzenden Felsen befindet, als auch durch die noch halb ruinenhaft vorhandenen Gelasse. Das Schönste aber bleibt immerhin wohl die Aussicht.

In dem sich in schöner Biegung hinziehenden Thale ragen unmittelbar hintereinander zwei weitere Burgen empor, zunächst unter grünen Bäumen Schloß Lichtwer, in weiterer Entfernung die Ruine der Burg Kropfsberg. Lichtwer hieß wahrscheinlich früher Lichtwerder, weil es als Insel (Werder, Wörth) in einem See gelegen; - jetzt ist derselbe abgeflossen, das Schloß liegt auf festem Lande, ein altes aber der Alterthümlichkeit entkleidetes Gebäude, das die Gegend ziert, von dem aber nicht mehr zu erzählen ist, als daß dort Sterzinger geboren ist, der muthige Theatinermönch, der 1766 in München zuerst gegen den Hexenglauben zu predigen gewagt hatte.

Desto lohnender ist sowohl Ansicht als Besuch der Ruine Kropfsberg, welche mit ihren mächtigen drei Thürmen und dem schönen malerischen Trümmerwerk wohl eines Ganges lohnt, wäre sie auch nicht als die Stätte merkwürdig, an welcher 1417 der Friede zwischen Herzog Friedel mit der leeren Tasche und seinem Bruder Herzog Ernst dem Eisernen von Steiermark zu Stande kam, durch welchen nicht nur dem Ersteren der ruhige Besitz von Tirol gesichert, sondern auch das Land vor dem Unglück eines Bruderkrieges bewahrt wurde. Bekanntlich hatte Friedrich, der mit seinen Landesbischöfen in Widerstreit lag, dem argen Papst Johann XXIII., um ihn für sich zu gewinnen, seinen Schutz zugesagt und ihm auch zur Flucht aus Constanz verholfen. Darüber kam er in Acht und Haft und Kaiser Sigismund streckte die Hand aus nach Tirol. Der Adel rief daher Herzog Ernst ins Land, der auch bereitwilligst folgte: da, im entscheidenden Augenblick gelang es Friede!, dem Kerker zu entfliehen und sich in die Eiszuflucht der Rofnerhöfe des Oetzthals zu verbergen, dann aber zu Landeck durch ein Schauspiel die treuen Bauern für sich zu gewinnen.

Es ist da überall romantischer Boden - kein Wunder, wenn die Dichter sich hier mit Vorliebe ihre Stoffe holen, wie abermals Herman Schmid in seinem Romane "Friedel und Oswald" gethan. Seiner lieblichen Lage wegen ist auch das nicht sehr fern, unmittelbar an der Straße liegende Schloß Thurneck zu erwähnen - zwar nicht gerade wegen seines romantischen Ansehens, denn es ist ein vorwiegend modernes Gebäude: man müßte nur die Romantik darin finden, daß es in ein Frauenkloster mit Erziehungsanstalt umgewandelt ist.

Ehe wir von dem schönen heitern und wirthlichen Brixlegg scheiden, darf nicht übergangen werden, daß es die Heimat des jeweiligen Kanzlers Matthias Burglechner ist, der in seinem zwölfbändigen "Tirolischen Adler" eine ebenso, gründliche als getreue Geschichte seines Vaterlandes schuf, welche aber noch nicht veröffentlicht ward und nur in zwei handschriftlichen Exemplaren zu Wien und Innsbruck, vorhanden ist. - Auch Georg Mayer, der Schöpfer der bekannten großen Karte von Tirol und Verfasser des "Mann von Rinn", einer anziehenden Lebensbeschreibung Speckbachers nennt Brixlegg seine Heimat.

In neuerer Zeit bekam der Ort wiederum weitreichenden Ruf, weil er eine Bahnstation geworden und dadurch dem Fremdenbesuch bequem zugänglich gemacht ist und weil die Bewohner ebenfalls eine mit Anerkennung aufgenommene Passionsvorstellung ins Werk setzten.

Um Brixlegg reiht sich endlich auch noch ein Kranz von benachbarten Thälern, an welchen vorbeizugehen ein Unrecht wäre. Es sind diese das gleich hinter dem Orte einmündende Alpbachthal, die von letzterem nur durch einen Bergrücken geschiedene Wildschönau, auch Witschenau geheißen, und jenseits des Inns das Thal von Brandenberg.

Das Alpbachthal ist nicht eben von besonderer landschaftlicher Schönheit, der Boden ist nicht fruchtbar, desto entwickelter aber ist der Weidenbetrieb und die Alpwirthschaft. Der Segen der letztern ist in Fülle über das ganze, nicht sehr breite Thal ausgegossen und die grünen Weideplätze wuchern bis in den innersten Thalwinkel und an das Sonnenjochgebirge hinan. Daraus erklärt sich wohl auch, weßhalb mit Ausnahme des Kirchdorfs Mayerhof die meisten Höfe in reizender Unordnung an den Hangen hingestreut sind. Das Anziehendste des Thales aber sind die Bewohner desselben, ein wohlgebauter Menschenschlag, ächte Aelpler mit blonden Haaren und lichten frischgefärbten Gesichtern, der sich etwas stolz von andern Stämmen abschließt und nur unter sich im Thale heirathet. Eine vorwiegend religiös-kirchliche Neigung ist nicht zu verkennen und äußert sich in der besondern Feierlichkeit, mit welcher die Feiertage begangen werden. Außerdem sind sie einfach in ihrem Leben wie in ihren Bedürfnissen und halten ebenso streng wie auf der Fernhaltung fremder Elemente auf der Bewahrung des einmal Hergebrachten. Alle kleiden sich gleich, die Männer in kragenlose Joppen aus hellgrauem, fast weißlichem Loden ohne Knöpfe, aber mit Vorstößen von schwarzem Sammt. Dazu kommt ein rother, mit Goldborten besetzter Brustfteck, ein gestickter schwarzlederner Leibgurt, Ranzen genannt, - schwarzlederne kurze Beinkleider und blüthen-weiße Strümpfe vollenden den eben so gefälligen als kleidsamen und acht bäuerlichen Anzug. Die gelbweiße Lodenjoppe wird auch von den Mädchen getragen; etwas, das sie eben nicht vortheilhaft auszeichnet, sind ihre Strümpfe von drei bis vier Ellen Länge, welche sie ähnlich wie die amerikanischen Strümpfe mehrfach über einander stülpen, so daß die Waden lächerlich dick und von kübelartigem Ansehen sind. Aehnlich und doch wesentlich verschieden ist die angrenzende, fast nur durch einen Bergrücken getrennte Charakter des Thals auch vollkommen entspricht, indem dasselbe am Eingang und Beginn rauh und felsig, von vielen Bächen zerklüftet und schaurig zu durchwandern ist, während dann sich ein mattengrünes, reich bewaldetes, von einem starken Bache durchschnittenes Gelände öffnet und das romantisch Wilde ins anmuthig Schöne übergeht. Auch der hier heimische Menschenschlag ist andrer Art, von dunkler Gesichtsfarbe und dunklem Haar, wenn auch sonst nicht durch besondere Eigenthümlichkeiten ausgezeichnet.

Ein drittes, durch landschaftliche Schönheit ausgezeichnetes Thal bildet der auf dem andern (linken) Ufer liegende Brandenberg, zu welchem, wenn man die Innbrücke überschritten hat, zwischen zerstreuten Häusern und Orten, welche mit einander das Kramsach heißen, ein abwechslungsreicher angenehmer Weg an den Fuß des Berges führt. Hier thut der Wanderer wohl, wenn er vor dem Eintritt in die näher zusammenrückende Schlucht, sich noch einmal umwendet und dem Innthale einen Rückblick schenkt, den das im höchsten Grade malerische und umfassende Bild reichlich verdient. Das reiche wohlbebaute Thal mit dem mächtigen Flußbett, das zu den Füßen seiner Thurmruine hingeschmiegte Rattenberg, Brixlegg mit seinen rauchenden Schmelzöfen, die romantischen Schlotzruinen von Matzen und Kropfsberg fügen sich zu einem Gemälde zusammen, dessen Rahmen und Abschluß das gewaltige duftblaue Kaisergebirg bildet und das dem Beschauer für alle Zeit eingeprägt bleibt. Das Thal Brandenberg ist eine große Hochebene, einsam und erhaben, von Wäldern ausgezeichnetster Schönheit und einer thurmtief abstürzenden Felsenschlucht umrahmt, durch welche die Brandenberger Ache herausstürmt. Wer dieselbe aufwärts verfolgen will, gelangt über die Kaiserklause auf bayerisches Gebiet an den melancholischen Spitzingsee.

Die Tracht des Landvolks in allen bisher erwähnten Orten ist die im Unterinnthal überhaupt übliche, auch in den bayerischen Bergen heimische Bergtracht - bei den Männern Wadenstrümpfe, welche das Knie bloß lassen, kurze dunkle Lederhosen, breite Hosenträger und Gürtel über einer rothen Weste, kurze Jacke, großer runder Hut mit breiten Bändern - bei den Weibern ein auffallend großer Brustlatz, kurze schwarze Faltenröcke und ein höher spitzer Hut mit breit herabhängenden Bändern. Auch die Sitten ähneln denen der angrenzenden Bergbewohner - namentlich ist die Lust, sich mit einem Gegner im Kampfe zu messen, oder, um den wahren Namen zu gebrauchen, die Raufluft eine ziemlich allgemein verbreitete. Ludwig v. Hörmann, selbst ein Tiroler Landeskind, in seinen neuen trefflichen "Tiroler-Typen", weiß davon Wunderdinge zu erzählen und bezeichnet namentlich die Unterinnthaler als mit Vorliebe solchen Kraftübungen ergeben. Es gibt verschiedene Abstufungen dieser Volksgymnastik: das Hosenlupfen, das Haggeln, das Stieren, der Schub, bis zum eigentlichen förmlichen Ringkampf, dem Robeln, das auf förmliche Ausforderung vor Zeugen und einer Art von Umstand erfolgt, manchmal in Folge einer Wette, meist aber blos um die Ehre und um zu erproben, wer der Stärkere ist. Dieser Kampf hat seine bestimmten Regeln und Gesetze, nach welchen durchaus nicht "geschelmt" werden darf. Der Sieger heißt der Hagmair und ist überall, wo er erscheint, eine Art von Respektsperson. Ehe es zum wirklichen Angriff kommt, gehen die beiden Gegner wie Katzen lauernd um einander herum, sie necken sich und suchen einander durch "Finten und Faxen" irre zu machen, bis eine Blöße erspäht und Gelegenheit zu günstigem Ansprung gegeben ist. Defregger, der tirolische Knaus, hat in einem seiner berühmtesten Gemälde einen solchen Moment der höchsten Erregung, bis die Kämpfer "zusammenschießen", dargestellt. Der Sieger hat das Recht, dem Besiegten die Feder vom Hute zu nehmen und sie auf den seinigen zu stecken: dann ist er Hagmair, bis er von einem andern überwunden wird. Das Aufstecken der Hutfeder gilt auch an sich als Herausforderung; dann muß sie aufrecht und nur etwas vorgeneigt sein. In einem der Trutzlieder, die bei solcher Gelegenheit an der Tagesordnung sind, heißt es daher:

"Mei' Federl steht fest
Wie die nußbaumen' Aest,
Wer mei' Federl will hab'n
Muß'n Nußbaum ausgrab'n!"

Quelle: Wanderungen durch Tirol und Vorarlberg, Geschildert von Ludwig von Hörmann, Hermann von Schmid, Ludwig Steub, Karl von Seyffertitz, Ignaz Zingerle, Stuttgart 1880, S. 13- 18.