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Verbascum Thapsus. Königskerze. Zu den prächtigsten Blumen, welche im Hochsommer erscheinen, gehört die Königskerze. Schon in ihrem Namen liegt Auszeichnendes. Denn auf öden Plätzen, wo sonst wenig anmutender Flor, ragen kerzengerade die mit grossen gelben Blüten versehenen Aehren der majestätischen königlichen Pflanze empor. Da sie geradeaus gegen Himmel weist, eine "Kerze ohne Licht", wie sie der Botaniker Trattinick nannte, heisst sie wohl auch Himmelbrand, im Altdeutschen himilbrando. Bedeutet doch "Brand", hergenommen von der emporlodernden Flamme, überhaupt etwas Prächtiges. Hildebrand und Hadubrand leiten sich davon her. Und, merkwürdig genug, spricht der Kärntner die Königskerze als "Hillebrandt" an. Zur Zeit, da man in Jeglichem, das da wächst und blüht, besondere "Krafft und Würckung" vermuthete, glaubte man den Himmelbrand als treffliches Mittel wider Brandwunden benützen zu können. Und innere Entzündungen sind es, gegen welche der "Wollkrautthee" [Wollkrauttee] noch heutigen Tages volkstümliche [volkstümliche] Anwendung findet. Nach Pfarrer Kneipp ist Königskerze eine wichtige Arznei und wird als Thee [Tee] oder Tinctur [Tinktur] gebraucht. Der Wollblumenthee gilt als Katarrh- und rheumatisches Mittel. Die in Milch gekochten Blätter werden als Ueberschläge auf schmerzhafte Hämorrhoidalknoten appliciert. Dr. Quinlon in Dublin hat gefunden, dass die Blätter und Blüten oder die ersteren allein, in Milch gekocht, nicht nur den Husten der Schwindsüchtigen erleichtern, sondern auch die schwächenden Durchfälle mildern. Das Oel aus den Blüten wird in den homöopathischen Apotheken als "Mulleïn Oel" geführt. Die Verbascumtinctur dient äusserlich wider Gesichtsneuralgieen, gegen - Bettnässen etc.

Kommt man früh Morgens, wenn die Kräuter noch im Thaue [Taue] baden, zur Stelle, da die Königskerze wächst, so bemerkt man rings um die Blütenähren abgefallene Blumenkronen auf dem Boden. Die Verbascumblüten sind von kurzer Dauer, sie sind ephemer, sagt der grundgelehrte Mann, aber ihn belehrt eines Besseren - das Blumenmärchen. Nachts im Mondenschein führen die Elfchen um die hohe Kerze ihren Ringeltanz auf. Nicht anders wie Männlein und Weiblein um den Maienbaum. Unbelauscht wissen die den Blumenkelchen entsprossenen Elfchen gar lustig und fröhlich zu sein. Da stossen sie denn gegen die Königskerze an oder schlagen gar nach derselben mit artigen Stäben. Es fallen die gelben Blüten nieder, dann kommt der Doctor Pfiffikus dazu, mit Brille und Notizbuch, und sagt: die Verbascumblüten sind kurzlebig, sie sind ephemer. Das ist der grosse Unterschied zwischen Stubenweisheit und Volksglauben. Und so der Himmelbrand Euch unter dem Namen "Unholdenkerze" vorkommt, werdet Ihr nun wissen, woher diese Ansprache. Denn die holdesten Elfchen sind unverdient "Unholden" geheissen. Unholdes hat aber die Königskerze gar nichts an sich. Sonst trüge sie die Muttes Gottes nicht gleich einem Szepter in den Händen, wovon der alte Segensspruch herrührt:

Unsere liebe Frau geht über Land,
Hat den Himmelbrand in der Hand.

Auch in der Fassung:

Unsere liebe Frau geht drei Mal über das Land,
Sie trägt den Himmelbrand in der Hand -

kommt der Segensspruch vor. Wenn Einer mit schlimmer Wunde behaftet ist, hat man ihn mit den Blüten des Himmelbrandes zu berühren und drei Mal den Spruch zu sagen. In der Rolle einer hilfreichen Marienblume tritt hier die Königskerze auf. Damit mag zusammenhängen, dass die Mädchen in Ostpreussen die Königskerze zur Orakelblume machen. Die Mädchen hängen einen grünen Himmelbrandstengel über das Bett. Je länger die Pflanze andauert, ohne zu welken, desto länger währt das Leben des betreffenden Mädchens. Auch tragen die Mädchen Himmelbrand oder Königskerze zur Weihe in die Kirche. Die schöne Blumenähre nimmt die Mitte ein im Büschel von 77 verschiedenen Kräutern, deren jedes zauberkräftig ist (Chevalier). Einen gar prächtigen Anblick gewährt die blühende Königskerze. Wie gleich Anfangs bemerkt, hat dies Anlass gegeben zu dem auszeichnenden Namen. Daher kommt es aber auch, dass im " Paradiesgärtlein" die Königskerze zum Vergleiche mit "grossen Herren" benutzt wird, Die Stelle lautet:

Darum wie dies Kräutlein bringt sein Blum'
Auf langen Stengeln schön ringsumb,
Also ziert Gott die grossen Herren
Und bringet sie zu hohen Ehren.

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Verbena officinalis. Eisenkraut. Schon bei den alten Griechen und Römern hatte dieses überall wild vorkommende Unkraut, das eigentlich nur durch die starren Zweige auffällt, ausserordentlichen Ruf. Es hiess nach dem Griechischen Hierobotane, d. i. heiliges Kraut. Verbena wurde als Symbol der heimatlichen Erde fremden Völkern entgegengetragen. Wie Plinius berichtet, wurde mit diesem Opferkraut der Tisch des Jupiter abgestäubt. Auch das Mittelalter kam der Verbena, die deutsch "Isenkraut" genannt wurde und den Mann, der sie trug, stich-, hieb- und schussfest machen sollte, mit besonderer Achtung entgegen. Damit Eisenkraut voll seine Wirkung thue, musste es unter Einhaltung bestimmter Vorsichten gegraben werden. Von Pfeiffer's alten deutschen Arzneibüchern widmet das zweite, aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammend, dem "chrout verbena" ein eigenes Capitel. Dasselbe lautet: "Ein chrout heizet verbena, daz ist für manich dinch nutze unde guot. Von demselben chrûte saget uns Macer, der best arcet, der ie wart, daz si habe grôze chraft an ir, swer si neme mit wurz mit alle unde bedecke si in der cewesen hant unde gêzuo dem siechen, daz er der wurz nicht inne werde, unde sprech zuo im : "wie versihestû dich ze leben unde wie gehabestû dich?"; sprichet der siech danne: "ich gehabe mich wol", zwâr, sô geniset er wol; sprichet er: "ich gehab mich übel", sô enchümt er nimmer ouf; spricht er: "ine mach mich nû niht baz gehaben" oder: "ich gehabt mich gerne baz, möht ich", so geniset er wol; er muoz aver michel arbeit lîden in dem legere. Der die selben wurz graben wil, der sol si umberîzen mit golde unde mit silber unde sprech dar obe einen pater noster unde credo in deum unde sprech: "ich gebiute dir, edeliu wurz verbena, in nomine patris et filii et spiritus sancti unde bi den zwein und sibenzech namen des almehtigen gotes unde bî den vier engelen Michahel, Gabriel, Raphahel, Antoniel, bî den vier evangelisten Johanne, Matheo, Luca, Marco, daz dû neheine tugende in dirre erde verlâzest, dune sîst immer in miner gewalt mit der chreft unde mit den tugenden unde Dich got beschaffen hat unde gezieret. Amen." Mit dieser Beschwörung und dem goldenen oder silbernen Werkzeug ist es noch nicht genug. "Des selben nachtes" - so fährt die mehr- als sechshundert Jahre alte Handschrift fort, die auch ein bemerkenswertes Sprachdenkmal bildet - "solt du lazen lîgen bî der wurz silber unde golt unz des morgens, ê diu sunne ouf gê, sô grab die wurzen, daz dû si mit dem îsen nime rüerest. So wasch si danne mit wine und wihe si danne an ant Marien tage der ereren unde gehalt si danne mit michelem flize. Diu selbe wurz ist guot den frowen, die ze chemenâten gênt: habent sie die selben bî in, in gewirret nimmer dahein twalmen unde habent guot rouwe."

Schon in diesem aus Bayern stammenden Arzneibuch wird unter den vielen Wunderwirkungen des Eisenkrautes angeführt:

"Swelchem Kindelin man sie umbe pindet, daz erchümt (erschreckt) nicht unde hat guot ruowe unde enmach ez nieman versprechen."

Damit aber seien die Kräfte der Verbena noch nicht erschöpft. "Swelch mensch niht slâfen mach und in dem slâfe unruowe hât, hât ez verbenam bî im, iz hât als palde guote ruowe. Swer die verbenam bî im hât, swen er dâ mit rüeret, der muoz im holt sîn. Swer die verbenam bei im hât, der gedarf nimmer dehein zouber gefurten. Swer verre rîten sol, der binde verbenam unde artimesiam (Vgl. Artemisia) dem ross umbe den schopp, zwâr, ez erlît nimmer, ez enwirt ouch nimmer ze raeche. Swen der alp tringet, rouchet er sich mit der verbena, ime enwirret als pald niht. Swer die verbenam bî im hat, der enwirt des weges nimmer müede unde enwirt nimmer irre. Verbena diu machet den menschen liep unde genneme unde zallen zîten frômuot. Macer der wil daz festen im sîme buoche, daz verbena als manige tugende hap als manich zwî an ir wahret."

Betreffend die besondere Vorsicht, die beim Graben der Verbena gebraucht werden soll, ist auch an den alten Spruch zu erinnern:

Verbeen hilft dir sehr,
Dass dir die Frawen werden hold,
Doch brauch kein eisen,
Grabs mit goldt.

Der Brauch der Verbena ist noch lebendig. Gegen schmerzhaftes Zahnen und gegen das Verschreien wird Kindern Eisenkraut in einem Säckchen um den Hals gehängt. In Morleys Werke über die Skrofeln wird empfohlen, die Wurzel der Verbena mit einer Elle weissen Atlasbandes um den Hals zu tragen. Doctor [Doktor] Paris ist in der geschichtlichen Einleitung zu seiner Pharmakologie eine ausreichende Erklärung für den Verbena-Wunderglauben geglückt. Hiernach bezeichnete der Ausdruck verbena (gleichsam herbena) alle Kräuter, welche man ihrer Verwendung bei den Opfern wegen für heilig hielt. Da aber vorzüglich ein Kraut für diese Gebräuche verwendet wurde, so bezeichnete das Wort verbena nach und nach das eine besondere Kraut, das Eisenkraut, das seinen grossen Ruf bis in unsere aufgeklärten Tage zu erhalten wusste.

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Veronica bellidioides. Bellisartiger Ehrenpreis. Beschreikräutl in Niederösterreich. Wird gegen Verschreien oder Verhexen des Viehes in Anwendung gebracht.

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Viscum album. Leimmistel. Die seit Alters zauberberühmte Schmarotzerpflanze dient auch wider Kinderbehexung.

Mit deutlichem mythischem Bezug ist die Mistel das Grün der englischen Weihnachtsstube. Fernab vom modernen englischen Salon, in Wales, wird die Mistel am Weihnachtsabend unter das Dach gehängt. Die Bursche führen die Mädchen darunter und wünschen ihnen, gewiss nicht ohne herzhaften Kuss und Umarmung, glückliche Christnacht und glückliches Neujahr. In Frankreich, das gegenwärtig dem von Misteln fast ganz entblössten England zum guten Theil den Weihnachtsvorrath liefert, spielt der merkwürdige Strauch seine Hauptrolle zu Neujahr. Da werden seine Zweige mit dem Rufe : "Au gui (Mistel) l'an neuf" oder "Aguilanneuf" ausgeboten und verkauft. Plinius sagt im 16. Buche seiner Naturgeschichte über die zauberberühmte Mistel: "Die Druiden halten nichts für heiliger als die Mistel und den Baum, auf welchem sie wächst, namentlich wenn es eine Eiche ist. Sie wählen an sich schon die Eichenhaine und verrichten ohne deren Laub kein Opfer. . . Ja, sie glauben, Alles, was an den Eichen wächst, sei vom Himmel gesandt, und sehen dies als einen Beweis an, dass die Gottheit selbst sich diesen Baum erwählt habe. Die Mistel ist aber nur sehr selten; hat man sie gefunden, so wird mit grosser Feierlichkeit dahin gezogen, und vor Allem am 6. Tage nach dem Neumonde. . . Sie nennen diesen Tag mit einem eigenen Worte den allheilenden, bereiten Opfer und Mahlzeiten unter dem Baume und führen zwei weisse Stiere herbei, deren Hörner dann zum ersten Male umbunden werden. Der Priester im weissen Kleide besteigt hierauf den Baum und schneidet mit einer goldenen Sichel die Mistel ab, die in einem weissen Tuche aufgefangen wird. Sodann opfern sie Thiere und bitten die Gottheit, sie wolle ihr Geschenk denen, welchen sie es gegeben hat, segnen. Sie glauben, ein von diesem Gewächs bereiteter Trunk mache ein jedes unfruchtbare Thier fruchtbar; auch sei es ein Hilfsmittel wider alle Gifte. Soviel Verehrung bezeugen oft ganze Völker den gewöhnlichsten Dingen."

Dem germanischen Vorstellungskreise war die Mistel besonders wert. Balder fiel durch einen Mistelzweig, den der tückische Loke durch den blinden Hödur nach ihm werfen liess. Es ist unter den Gelehrten ein hitziger Kampf darüber geführt worden, ob die Mistel der deutschen Vorzeit mit Viscum album identisch sei. 34) Auf Voluspa XXIX wurde Gewicht gelegt, wo die Mistel dünn und schön (fagr) genannt wird; das sollte auf unsere Mistel nicht passen. Aber von dem lebendigen Grün und den brüchigen Zweigen ganz abgesehen, hat das Isländische misteltheinni, das Angelsächsische misteltan für die Mistel, und das kommt mit dem Englischen misteltoe überein; es ist ein zusammengesetztes Wort, in dem der zweite Theil "Zweig" bedeutet. Wie Schouw ("Die Erde, die Pflanzen und der Mensch", Aus dem Dänischen, Leipzig 1851, S. 277) betont, hat sich im dänischen teen als Bezeichnung für den schmalen (Eisen-) Stab am Spinnrocken erhalten, und in Westgothland heisst die Mistel vispelten. Von den grossen Zweiflern ist namentlich eingewendet worden, dass Viscum album, wie es im Wiener Prater auf Pappeln, sonst auch auf Obstbäumen häufig wächst, überall in grosser Menge anzutreffen ist, dagegen auf der Eiche, wo wieder die europäische Riemenblume (Loranthus europaeus) als naheverwandtes Schmarotzergewächs heimisch ist, zu den grössten Seltenheiten gehört. Indess spricht gerade diese, schon von. Plinius bemerkte Thatsache [Tatsache] für die ausserordentliche Wertschätzung and Beachtung, welche die als Rarität auf Eichen vorkommende Leimmistel seither gefunden hat. Von mancher Seite ist mit apodictischem Eifer gesagt worden, dass Viscum album auf der Eiche überhaupt nicht wachse. Seit aber Tubeuf im Münchner botanischen Vereine (1889) ein unzweifelhaftes Belegstück des Viscum album auf der Eiche aus Nordfrankreich vorweisen konnte, muss die principielle Richtigkeit dieses Vorkommens zugegeben werden, und es haben die zwar spärlichen, aber von glaubwürdigen Autoren gemachten Angaben über diesen Gegenstand Anspruch auf Vertrauen.

34) Man vergleiche zur Geschichte dieser - nun hoffentlich gegenstandslosen - Streitfrage meinen Aufsatz im: Biologischen Centralblatt 1887, mein offenes Schreiben an Professor Kornhuber: "Zur Biologie der Mistel", Wien 1888, ferner meine Mittheilungen in: "Die Natur", 1891, S. 182.

Und die Mistel, die im nordischen Mythos von den Druiden mit Gold von der Eiche geschnitten wird, die Balder um sein frohes Leben bringt, kann - bei ruhiger Erwägung der entscheidenden Momente - nur Viscum album, nicht aber Loranthus europaeus gewesen sein. Erstens kommt Loranthus europaeus nördlich der Alpen nur in Oesterreich, Mähren und Böhmen vor, im nördlichen und nordwestlichen Deutschland fehlt sie. Zweitens ist die Riemenblume oder eigentliche Eichenmistel, wo sie auf der Eiche wächst, keine Seltenheit, und es wäre nicht zu begreifen, wie ihr so ausserordentlicher Rang von altersher hätte zutheil werden sollen. Im 13. Buche seiner Naturgeschichte sagt zudem Plinius: "Alexander Cornelius nennt den Baum, aus welchem das Schiff Argo gemacht sei, Eon; er sei der Eiche, welche die Mistel (Viscum) trägt, ähnlich und könne gleich der Mistel weder durch Wasser noch durch Feuer zerstört werden. So viel ich weiss, kennt ihn Niemand weiter." Aus dieser vagen Stelle ist natürlich nichts über die Natur der Eichenmistel zu gewinnen, ebenso wenig aus dem Satze des 11. Capitels im 16. Buche: "Auch soll auf Eichen die Mistel (Viscum) wachsen." Von Wichtigkeit aber ist der Anfang des 93. Capitels im 16. Buche, der also lautet: "Von der Mistel gibt es drei Arten. In Euboea nämlich nennt man die auf der Tanne und Lärche (in abiete ac larice) wachsende Stelis, die in Arkadien wachsende heisst Hyphear. Viscum aber heisst die auf der Eiche, der Steineiche, der wilden Pflaume, der Terebinthe, sonst aber auf keinem Baum wachsende Pflanze. Die am häufigsten auf der Eiche vorkommende heisst Hyphear Dryos." Was das Hyphear Arkadiens sei, lässt sich nicht sagen. Dagegen lassen sich die drei anderen von Plinius genannten Misteln mit botanisch genau unterschiedenen Arten identificieren, und zwar: Stelis = Viscum laxum, Viscum XVI, 93 = Viscum album, Hyphear Dryos = Loranthus europaeus.

Es ist somit unzweifelhaft, dass die Druidenmistel, die allbekannte Mistel des Vogelleims und der mistletoe der britischen Weihnachtsstube einerlei Art sind. Das germanische Julfest, an dessen Stelle das Christenthum Weihnachten eingesetzt hat, konnte ohne die Mistel nicht gefeiert werden. Festhalle und Festgericht waren mit Mistelzweigen geschmückt. Bedenkt man dies, so dürfen englische Weihnachten "deutscher" genannt werden, als die an die trauliche Tanne sich anschliessenden Bräuche. "Danreiss in die Stuben legen", was noch eher eine Ausschmückung der Feststube mit Tannenreisig als die Aufrichtung des geputzten "Christbaumes" ist, kommt in einer Predigt des berühmten Geiler von Kaysersberg (für Strassburg) erst im Jahre 1508 vor. Vom wirklichen, "mit Puppen und Zucker behängten" Tannenbaum erhalten wir durch Dannhauer im Jahre 1654 erste Kunde. Wie ich im ersten Capitel [Kapitel] meines Buches "Bei Mutter Grün" näher nachweise, erfolgte die allgemeine Zuziehung der Tanne zum Weihnachtsfeste in Deutschland erst nach den Freiheitskriegen im zweiten Zehnt unseres Jahrhunderts. Mannigfache Sagen knüpfen sich an unsere Mistel. Durch einen auf einer Hasel erwachsenen Mistelstrauch wurden zwei Männer im preussischen Samlande auf einen Schatz aufmerksam, der unter den Wurzeln begraben war. Sie mussten aber nach einem Jahre, an demselben Tage, da sie das Zaubergold gehoben hatten, sterben. Einmal kam zu armen Hirten, die am krainischen Triglavberge wohnten, ein alter Mann und bat um Zehrung und Obdach. Die Hirten gaben ihm Beides. Beim Weggehen gestand er, ein verfluchter Raubritter zu sein, der nun schon 300 Jahre ruhelos über die Erde wandeln müsse. Er wisse eine Mistel, die auf einer Eiche wachse, und diese Mistel sollten die Leute holen, um mit ihr einen Schatz in der Burg des Ritters zu heben. Sie thaten, wie ihnen befohlen, hoben eine Schatztruhe und wurden von da ab reiche Leute, die vergnügt und glücklich bis an ihr seliges Ende lebten. In diese Sage spielt schon der sympathische Hauch der christlichen Legendenwelt hinein. Die Eiche, auf der die wunderthätige Mistel wuchs, war durch ein Christusbild kenntlich. Die Mistelzweige kreuzen sich an dem lebenden Busche in auffallend regelmässiger Weise. Diese Eigentümlichkeit trug der Mistel das Epitheton "heiliges Kreuzholz" ein. Damit hängt zusammen, dass nach Märter 35) im Wienerwald vordem aus Mistelholz Rosenkränze geschnitzt wurden. Gerade in Oesterreich werden der Mistel von der Landbevölkerung noch heute besondere Kräfte zugerühmt. Ein Amulet [Amulett] mit drei Mal geweihtem Mistelblatt hilft den Kindern wider die Berufung und den bösen Blick. Es muss sechs Mal an jedem Neumonde erneuert werden. Die Zahl sechs und der Neumond kommen mit Bezug auf die Druidenmistel schon bei Plinius vor. In die Palmsonntags-Palmbuschen wird gerne auch ein Mistelzweig gethan. Ein Mistelzweig auf der Thürschwelle [Türschwelle] schützt vor der Trud (Alpdrücken). Im Kuhstalle erleichtert Mistelgrün der Kuh das Kalben und bannt die Hexe. Mistelzweige, die in der heiligen Nacht an die Obstbäume gebunden werden, schützen sie vor Raupen-, Hagel- und Blitzschaden. Es ist klar, dass diese Vorstellung zum Mistelzweig des germanischen Julfestes hinüberleitet. Ein Mistelzweig, insgeheim in's Schlafgemach verwahrt, bringt Eheleuten den mit schmerzlicher Sehnsucht erwarteten Kindersegen. Nach Wuttke ist die Mistel auch dem deutschen Volke noch lange keine entthronte Zauberfee. Die Pflanze muss, wenn sie wirken soll, im Zeichen des Löwen an den beiden Frauentagen gesammelt werden. Eine in Silber gefasste Mistelbeere dient den Kindern als Amulet [sic].

35) Verzeichnis der österr. Gewächse. Wien 1780.

Es konnte nicht fehlen, dass Viscum album auch in der volksthümlichen [volkstümlichen] Medicin [Medizin] Anwendung fand und von hier selbst in die alten Officinen und Droguerien überging. Frank in seinem "Kräuterlexikon" rühmt vom Viscum, dessen weissen Beeren er purgierende Kraft zuschreibt: "Es erweichet, zertheilet, ziehet Splitter aus, erweichet die harten und drüsigten Schwulsten, und heilet alte Geschwäre. Der Eichenmistel und vornehmlich der Haselmistel sind die besten, und pflegen wegen ihrer irdischen Theile die Säure wegzunehmen, die allzustarken Bewegungen des Geblütes zu hemmen, auch in der hinfallenden Krankheit gut zu thun." Aehnlich klingt die Anpreisung, die wir schon früher in Durante's "Herbario" (Venedig 1636) lesen:

Discutit, emollit Viscum, tum concoquit, atque
Extrahit, abscessus sanat, vetera ulcera mollit;
Scabritias unguis pellit, tenuatque lienem,
Huic caedum vertigo simul, morbusque caducus.

Bemerkenswert ist namentlich der Ruhm, welchen die Mistel als Mittel gegen die Fallsucht (Epilepsie) genoss, einer Krankheit, die in ihrem geheimnisvollen Zusammenhang mit dem Nervensystem früherer Zeiten als Ergebnis specificischer Behexung galt. Hoch oben, oft in schwindelnder Höhe aus dem Aste emporwachsend, sollte die Mistel den "Schwindel" vertreiben. Dieser primitiven Vorstellung verdankt wohl Viscum album seine sympathetische Anwendung gegen Fallsucht. Für Volksmedicin und gelahrte Heilkunde vieler Jahrhunderte wirkte eben der Edda (Hawamal, Ed. Simrock, 138) wundersame Mahnung mit, die im Princip [Prinzip] mit der Homöopathie übereinstimmt:

Dies rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,
Wohl dir, wenn du sie merkst:
Wo Oel getrunken wird, ruf die Erdkraft an;
Erde trinkt und wird nicht trunken.
Feuer hebt Krankheit, Eiche Verhärtung,
Aehre Vergiftung,
Der Hausgeist häuslichen Hader,
Mond mindert Tobsucht,
Hundsbiss heilt Hundshaar,
Rune Beredung,
Die Erde nehme Nass auf.

Quelle: Zauberpflanzen und Amulette, Dr. E. M. Kronfeld, Wien 1898, S. 72ff.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Gabriele U., Juni 2005.
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