Grubenhund
Ein Grubenhund ist schon per definitionem ein Irrtum. Denn dabei handelt es sich - so Heinz Küpper in seinem Wörterbuch - um eine absichtlich törichte Leserzuschrift, die die Redaktion bedenkenlos ins Blatt setzt.
Erfinder des Grubenhundes ist ein gewisser Arthur Schütz. Am 17. November 1911 traf er sich mit einigen Ingenieuren im Wiener Grandhotel zum Mittagessen. Bald unterhielt man sich über die Berichterstattung der Neuen Freien Presse, die ein kleines Erdbeben ungeheuer aufgebauscht hatte. Plötzlich trieb es Arthur Schütz in das Schreibzimmer des Hotels, und er schrieb wie unter Zwang in einem Zug den haarsträubendsten technischen Unsinn, der ihm gerade einfiel. Den auf diese Weise entstandenen Leserbrief zum Erdbeben las er seinen Freunden vor, die sich vor Lachen bogen. Einer der Anwesenden meinte, einen derartigen Schwachsinn würde kein Blatt bringen, doch er hatte sich getäuscht. Schütz meinte, die Neue Freie Presse bringe alles, sofern nur der richtige pseudowissenschaftliche Ton getroffen werde und die Zuschrift von einem Absender mit passendem Hintergrund stamme. Und er hatte Recht.
Ein Schlüsselsatz des Leserbriefes lautete: "Völlig unerklärlich ist jedoch die Erscheinung, dass mein im Laboratorium schlafender Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab." Hätte der Redakteur wissen müssen, dass man als Hunde oder Grubenhunde (manchmal auch: Hunte) die flachen Rollwägen nennt, die im Bergbau den Abraum auf Schienen abtransportieren?
Als der Leserbrief unter dem Namen Dr. Erich Ritter von Winkler erschien, verdächtigten viele Karl Kraus als Autor. Doch der leugnete die Urheberschaft beharrlich. Dennoch wurde er immer wieder als der Schöpfer des Grubenhundes bezeichnet, auch unmittelbar nach seinem Tode - im Nachruf in der Reichspost. Daraufhin teilte Arthur Schütz in einer Leserzuschrift dem Blatt mit, dass er es war, der den namensgebenden Grubenhund verfasst hatte.
Doch die Reichspost sah es anders: "Zu dieser an äußere Hergänge erinnernden Reklamation ist zu sagen, dass der Grubenhund von 1911 erst durch die fürsorgliche Nachbehandlung in der Fackel zu dem geworden ist, was er seither ist: ein geflügeltes Wort und die allgemein gebräuchliche Bezeichnung für Unfälle einer Zeitung." Und es sei Karl Kraus gewesen, der schon 1908 unter dem Decknamen eines "Zivilingenieurs J. Berdach aus der Glockengasse" die Neue Freie Presse hereingelegt hatte - ebenfalls mit einer Leserzuschrift zu einem kleinen, unbedeutenden Erdbeben. In der Fackel gab er sich dann als Urheber zu erkennen und triumphierte: "Sie (die Neue Freie Presse) schweigt mich seit zehn Jahren tot; sie ignoriert mich als Satiriker und lässt mich nur als Geologen gelten."
Doch auch wenn der "Herr Ritter von Winkler" in gewisser Weise ein Sohn des "Zivilingenieurs Berdach aus der Glockengasse" war, so ändert dies nichts daran, dass der Grubenhund ohne Arthur Schütz nicht das Licht der Welt erblickt hätte.
Quelle: Lexikon der populären Irrtümer Österreichs,
Horst Friedrich Mayer, Wien - Frankfurt/Main 2001, S. 84
Horst Friedrich Mayer: "Die Entenmacher. Wenn Medien in die Falle
tappen", München 1998, S.23.