DIE HASELRUTE
Eines Nachmittags hatte sich das Christkind in sein Wiegenbett gelegt
und war eingeschlafen, da trat seine Mutter heran, sah es voll Freude
an und sprach 'hast du dich schlafen gelegt, mein Kind? schlaf sanft,
ich will derweil in den Wald gehen und eine Handvoll Erdbeeren für
dich holen; ich weiß wohl, du freust dich darüber, wenn du
aufgewacht bist.' Draußen im Wald fand sie einen Platz mit den schönsten
Erdbeeren, als sie sich aber herabbückt, um eine zu brechen, so springt
aus dem Gras eine Natter in die Höhe. Sie erschrickt, läßt
die Beere stehen und eilt hinweg. Die Natter schießt ihr nach, aber
die Mutter Gottes, das könnt ihr denken, weiß guten Rat, sie
versteckt sich hinter eine Haselstaude und bleibt da stehen, bis die Natter
sich wieder verkrochen hat. Sie sammelt dann die Beeren, und als sie sich
auf den Heimweg macht, spricht sie 'wie die Haselstaude diesmal mein Schutz
gewesen ist, so soll sie es auch in Zukunft andern Menschen sein.' Darum
ist seit den ältesten Zeiten ein grüner Haselzweig gegen Nattern,
Schlangen, und was sonst auf der Erde kriecht, der sicherste Schutz.
Quelle: Kinder- und Hausmärchen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm), 1812-15, Kinderlegenden - Nr. 10