WIE KINDER SCHLACHTENS MITEINANDER GESPIELT HABEN
I
In einer Stadt, Franecker genannt, gelegen in Westfriesland, da ist es
geschehen, daß junge Kinder, fünf- und sechsjährige, Mägdlein
und Knaben, miteinander spielten. Und sie ordneten ein Büblein an,
das solle der Metzger sein, ein anderes Büblein, das solle Koch sein,
und ein drittes Büblein, das solle eine Sau sein. Ein Mägdlein,
ordneten sie, solle Köchin sein, wieder ein anderes, das solle Unterköchin
sein; und die Unterköchin solle in einem Geschirrlein das Blut von
der Sau empfahen, daß man Würste könne machen. Der Metzger
geriet nun verabredetermaßen an das Büblein, das die Sau sollte
sein, riß es nieder und schnitt ihm mit einem Messerlein die Gurgel
auf, und die Unterköchin empfing das Blut in ihrem Geschirrlein.
Ein Ratsherr, der von ungefähr vorübergeht, sieht dies Elend:
er nimmt von Stund an den Metzger mit sich und führt ihn in des Obersten
Haus, welcher sogleich den ganzen Rat versammeln ließ. Sie saßen
all über diesen Handel und wußten nicht, wie sie ihm tun sollten,
denn sie sahen wohl, daß es kindlicherweise geschehen war. Einer
unter ihnen, ein alter weiser Mann, gab den Rat, der oberste Richter solle
einen schönen roten Apfel in eine Hand nehmen, in die andere einen
rheinischen Gulden, solle das Kind zu sich rufen und beide Hände
gleich gegen dasselbe ausstrecken: nehme es den Apfel, so soll' es ledig
erkannt werden, nehme es aber den Gulden, so solle man es töten.
Dem wird gefolgt, das Kind aber ergreift den Apfel lachend, wird also
aller Strafe ledig erkannt.
Schlachtung Schwein
© Hilke Plack-Schlögl, Baldringen, Deutschland, Sommer 2005
II
Einstmals hat ein Hausvater ein Schwein geschlachtet, das haben seine Kinder gesehen; als sie nun nachmittag miteinander spielen wollen, hat das eine Kind zum andern gesagt: »Du sollst das Schweinchen und ich der Metzger sein«; hat darauf ein bloß Messer genommen und es seinem Brüderchen in den Hals gestoßen. Die Mutter, welche oben in der Stube saß und ihr jüngstes Kindlein in einem Zuber badete, hörte das Schreien ihres anderen Kindes, lief alsbald hinunter, und als sie sah, was vorgegangen, zog sie das Messer dem Kind aus dem Hals und stieß es im Zorn dem andern Kind, welches der Metzger gewesen, ins Herz. Darauf lief sie alsbald nach der Stube und wollte sehen, was ihr Kind in dem Badezuber mache, aber es war unterdessen in dem Bad ertrunken; deswegen dann die Frau so voller Angst ward, daß sie in Verzweifelung geriet, sich von ihrem Gesinde nicht wollte trösten lassen, sondern sich selbst erhängte. Der Mann kam vom Felde, und als er dies alles gesehen, hat er sich so betrübt, daß er kurz darauf gestorben ist.
Quelle: Kinder- und Hausmärchen, Jacob Grimm,
Wilhelm Grimm (Brüder Grimm), 1812-1857; in der Ausgabe letzter Hand
(1856/57) nicht mehr enthaltene Märchen früher Auflagen.