LIBUSSA

Tief im Böhmer Walde, wovon jetzt nur ein Schatten übrig ist, wohnte vor Zeiten, da er sich noch weit und breit ins Land erstreckte, ein geistiges Völklein, lichtscheu und luftig, auch unkörperlich, feiner genaturt als die aus fettem Ton geformte Menschheit und darum unempfindbar dem grobem Gefühlssinn, aber dem verfeinerten halbsichtbar bei Mondenlicht und wohlbekannt den Dichtern unter dem Namen der Dryaden und den alten Barden unter dem Namen der Elfen. Seit undenklichen Zeiten hatten sie hier ihr Wesen ungestört, bis der Wald plötzlich von lautem Kriegsgetümmel ertönte. Herzog Czech von Ungerland brach mit seinen slawischen Horden über die Gebirge herein, sich in diesen unwirtbaren Gegenden einen neuen Wohnplatz zu suchen. Die schönen Bewohnerinnen der bejahrten Eichen, der Felsen, Klüfte und Grotten, auch des Schilfs in Teichen und Sümpfen, flohen vor dem Geräusche der Waffen und dem Wiehern der Streitrosse. Selbst dem gewaltsamen Erlenkönig war des Lärms zuviel, und er verlegte seine Hofstatt in entlegenere Wüsteneien. Nur eine der Elfen konnte sich nicht entschließen, von ihrer Lieblingseiche zu scheiden, und als der Wald da und dort umgehauen wurde, um das Land urbar zu machen, hatte sie allein den Mut, ihren Baum gegen die Gewalt der neuen Ankömmlinge zu verteidigen, und wählte den emporragenden Wipfel zu ihrem Aufenthalte.

Unter dem Hofgesinde des Herzogs befand sich ein junger Knappe, Krokus genannt, voll Mut und Jugendfeuer, rüstig und wohlgebaut, auch von edler Bildung, dem die Hut der Leibrosse seines Herrn anbefohlen war, die er zuweilen weit in den Wald auf die Weide trieb. Oft rastete er unter der Eiche, welche die Elfe bewohnte. Sie bemerkte den Fremdling mit Wohlgefallen, und wenn er zur Nachtzeit unten an der Wurzel schlummerte, flüsterte sie ihm angenehme Träume ins Ohr, verkündete ihm in bedeutsamen Bildern die Begegnisse des künftigen Tages; oder wenn sich irgendein Pferd in die Wildnis verlaufen hatte und der Hüter die Spur verloren hatte, es aufzusuchen, und mit Kummer einschlief, sah er im Traume die Merkzeichen des verborgenen Pfades, der zu dem Orte führte, wo der verirrte Gaul weidete.

Je weiter sich die neuen Anpflanzer ausbreiteten, desto näher rückten sie an die Wohnung der Elfe, und vermöge der Gabe ihrer Divination sah sie ein, wie bald die Axt ihren Lebensbaum bedrohen würde; darum beschloß sie, ihrem Gastfreunde diesen Kummer zu entdecken. An einem mondhellen Sommerabend trieb Krokus seine Herde später als gewöhnlich in die Verzäunung und eilte unter den hochgegipfelten Eichbaum zu seiner Lagerstatt. Sein Weg dahin krümmte sich um einen fischreichen Weiher, in dessen Silberwellen die güldne Mondsichel in Form eines leuchtenden Kegels sich spiegelte, und über diesen schimmernden Teil des Sees hinweg, am jenseitigen Gestade in der Gegend der Eiche, erblickte er eine weibliche Gestalt, die an dem kühlen Ufer zu lustwandeln schien. Diese Erscheinung befremdete den jungen Kriegsmann. Woher dies Mädchen, dachte er bei sich selbst, so allein in dieser Wüste, zur Zeit der nächtlichen Dämmerung? Aber das Abenteuer war doch von einer solchen Beschaffenheit, daß es für einen Jüngling mehr anlockend als abschreckend schien, die Sache zu untersuchen. Er verdoppelte seine Schritte, ohne die Gestalt, die seine Aufmerksamkeit beschäftigte, aus den Augen zu verlieren, und gelangte bald an den Ort, wo er sie zuerst wahrgenommen hatte, unter der Eiche. Jetzt kam's ihm vor, als sei's mehr Schatten als Körper, was er sah. Er stund verwundernd da, und es überlief ihm die Haut mit einem kalten Schauer. Aber er vernahm eine sanfte Stimme, die ihm diese Worte entgegenlispelte: "Tritt herzu, lieber Fremdling, und scheue dich nicht, ich bin keine Truggestalt, kein täuschender Schatten: ich bin die Elfe dieses Hains, die Bewohnerin der Eiche, unter deren dichtbelaubten Ästen du oft gerastet hast. Ich wiegte dich in süße, ergötzende Träume und verkündete dir deine Begegnisse, und wenn ein Mutterpferd oder ein Füllen von der Herde sich verirrt hatte, wies ich dir den Ort, wo es zu finden war. Vergilt diese Gunst durch einen Gegendienst, den ich von dir fordere: sei der Beschützer dieses Baumes, der dich vor Sonnenbrandund Regen so oft in Schutz genommen hat, und wehre der mörderischen Axt deiner Brüder, welche die Wälder verheeren, daß sie diesen ehrwürdigen Stamm nicht verletze.

Der junge Krieger, durch diese sanfte Rede wieder beherzt gemacht, antwortete also: "Göttin oder Sterbliche, wer du auch sein magst, heische von mir, was dich lüstet, so ich's vermag, will ich's enden. Aber ich bin ein geringer Mann aus meinem Volk, meines Herrn, des Herzogs, Knecht. So der zu mir spricht, heut oder morgen: Weide hie, weide da, wie soll ich deines Baums hüten in diesem fernen Walde? Doch so du gebeutst, will ich mich abtun des Fürstendienstes, im Schatten deines Eichbaumes wohnen und seiner hüten mein Leben lang." -"Tue also", sprach die Elfe, "es soll dich nicht gereuen." Hierauf verschwand sie, und es rauschte oben in dem Wipfel nicht anders, als ob sich ein lautes Abendlüftchen darin verfangen hätte und das Laub bewegte. Krokus stund noch eine Weile ganz entzückt über die himmlische Gestalt, die ihm erschienen war. So ein zartes weibliches Geschöpf von schlankem Wuchs und herrlichem Anstand war ihm unter den kurzstämmigen slavischen Dirnen nie vorgekommen. Endlich streckte er sich aufs weiche Moos, ob ihm gleich kein Schlaf in die Augen kam. Die Morgendämmerung überraschte ihn im Taumel süßer Empfindungen, die ihm so fremd und neu waren wie der erste Lichtstrahl den geöffneten Augen eines Blindgebornen. Er flog beim frühen Morgen zum Hoflager des Herzogs, begehrte seinen Abschied, packte seine Heergeräte zusammen und wandelte mit einem Kopf voll glühender Schwärmerei und seiner Bürde auf dem Rücken der Waldeinsiedelei zu.

Indessen hatte in seiner Abwesenheit ein Kunstmeister im Volke, seinem Gewerbe nach ein Müller, den gesunden, geraden Stamm der Eiche zu einem Wellbaum sich ausersehen und ging mit seinen Mühlknappen hin, sie zu fällen. Die zagende Elfe erseufzte, als die gefräßige Schrotsäge anhub, mit stählernem Gebiß die Grundfeste ihrer Wohnung zu benagen. Sie schaute von der Höhe des Gipfels ängstlich nach ihrem getreuen Champion umher, doch ihr Scharfblick vermochte ihn nirgends zu entdecken, und die Bestürzung machte die ihrem Geschlecht verliehene Gabe der Vorherverkündigung diesmal so unwirksam, daß sie ihr bevorstehendes Schicksal so wenig zu entziffern sich zutraute, als die Söhne des Äskulap mit ihrer gerühmten Prognosis sich selber zu beraten wissen, wenn der Tod an ihre eigne Tür anklopft.

Krokus war gleichwohl im Anzüge und dem Schauplatze dieser traurigen Katastrophe so nahe, daß das Geräusch der keuchenden Säge ihm in die Ohren drang. Von diesem Getöse im Walde ahndete ihm nichts Gutes, er beflügelte seine Füße und sah den Greuel der bevorstehenden Verwüstung des von ihm in Schutz genommenen Baumes vor Augen. Wie ein Rasender stürmte er flugs auf die Holzhauer ein mit seinem Spieß und blankem Schwert und scheuchte sie von der Arbeit, denn sie glaubten einen Bergdämon zu sehen und entflohen in großer Bestürzung. Zum Glück war die Wunde des Baums noch heilbar, und die Narbe verlief m wenigen Sommern.

In der Feierstunde des Abends, nachdem der neue Ankömmling sich den Platz zu seiner künftigen Wohnung ausersehen, auch den Raum, einen kleinen Garten einzuzäunen, abgeschritten hatte und die ganze Anlage seiner Einsiedelei nochmals in Gedanken erwog, wo er in der Abgeschiedenheit von der menschlichen Gesellschaft seine Tage zu verleben gedachte, im Dienst einer Schattengesellschafterin, die nicht viel mehr Realität zu haben schien als eine Kalenderheilige, die ein frommer Ordensmann zur geistlichen Liebschaft sich erkieset, erschien ihm die Elfe am Gestade des Weihers und redete ihn mit holdseliger Gebärdung also an: "Dank dir, lieber Fremdling, daß du dem gewaltsamen Arme deiner Brüder gewehrt hast, diesen Baum zu fällen, mit dem mein Leben verschwistert ist; denn du sollst wissen, daß die Mutter Natur, die meinem Geschlechte so mancherlei Kräfte und Wirksamkeit verliehen, dennoch das Schicksal unsers Lebens mit dem Wachstum und der Dauer der Eiche vereinbart hat. Durch uns erhebt die Königin der Wälder ihr ehrwürdiges Haupt über den Pöbel der übrigen Bäume und Gesträuche empor, wir fördern den Umtrieb ihrer Säfte durch Stamm und Äste, daß sie Kraft gewinnt, mit den Sturmwinden zu kämpfen und lange Jahrhunderte der zerstörenden Zeit zu trotzen. Hinwiederum ist unser Leben an das ihrige gekettet: altert die Eiche, die das Los des Schicksals zur Mitgenossin des Lebens uns zugeteilt hat, so altern wir mit ihr; und stirbt sie ab, so sterben wir dahin und schlafen gleich den Sterblichen auch eine Art von Totenschlaf, bis durch den ewigen Kreislauf aller Dinge der Zufall oder eine verborgene Anordnung der Natur unser Wesen mit einem neuen Keim zusammengattet, der, durch unsere belebende Triebkraft aufgeschlossen, nach langer Zeiten Verlauf zum mächtigen Baum hinauf sproßt und des Lebens Genuß uns von neuem gestattet. Daraus magst du abmerken, welchen Dienst du mir durch deinen Beistand geleistet hast und welcher Dank dir dafür gebührt. Fordre von mir den Lohn deiner edlen Tat, offenbare mir den Wunsch deines Herzens, und er soll dir zur Stunde gewährt sein."

Krokus schwieg. Der Anblick der reizenden Elfe hatte auf ihn mehr Eindruck gemacht als ihre Rede, von welcher er nur wenig begriff. Sie bemerkte seine Verlegenheit, und um ihn daraus zu ziehen, ergriff sie ein dürres Schilfrohr am Ufer des Weihers, zerbrach's in drei Stücke und sprach: "Wähle eine von diesen drei Hülsen oder nimm eine ohne Wahl. In der ersten ist Ehre und Ruhm, in der anderen Reichtum und dessen weiser Genuß, in der dritten Minneglück für dich eingeschlossen." Der junge Mann schlug die Augen zur Erde nieder und antwortete: "Tochter des Himmels, wenn du den Wunsch meines Herzens zu gewähren gedenkst, so wisse, daß er nicht in den drei Hülsen eingeschlossen ist, die du mir darbeutst; mein Herz trachtet nach einem größern Lohn. Was ist Ehre als der Zunder des Stolzes, was ist Reichtum als die Wurzel des Geistes, und was ist Liebe als die Falltür der Leidenschaft, die edle Freiheit des Herzens zu berücken? Gewähre mir den Wunsch, im Schatten deines Eichbaumes von der Ermattung des Heereszugs zu rasten und aus deinem süßen Munde Lehren der Weisheit zu hören, um die Geheimnisse der Zukunft dadurch zu enträtseln." -"Dein Begehr", gegenredete die Elfe, "ist groß, aber dein Verdienst um mich ist es nicht minder, es geschehe also, wie du gebeten hast. Die Binde vor deinen körperlichen Augen soll schwinden, die Geheimnisse verborgener Weisheit zu schauen. Nimm nun mit dem Genuß der Frucht zugleich die Schale dahin; denn der Weise ist auch ein geehrter Mann; er allein ist reich, denn er braucht nicht mehr, als er bedarf, und kostet den Nektar der Liebe, ohne ihn mit unreinen Lippen zu vergiften." Als sie das gesagt hatte, reichte sie ihm nochmals die drei Schilfhülsen dar und schied von ihm.

Der junge Eremit bereitete sich sein Bette von Moos unter der Eiche, höchst zufrieden über die Aufnahme, die ihm die Elfe hatte widerfahren lassen. Der Schlaf überfiel ihn wie ein gewappneter Mann, heitere Morgenträume umtanzten seinen Scheitel und nährten seine Phantasie mit dem Dunste glücklicher Ahndungen. Beim Erwachen begann er fröhlich sein Tagewerk, erbaute sich eine bequeme Einsiedlerhütte, grub seinen Garten und pflanzte Rosen und Lilien, auch andere Wohlgeruch duftende Blumen und Kräuter, nicht minder Kohl und Küchengewächse nebst fruchtbringenden Obstbäumen hinein.

Die Elfe unterließ nie, jeden Abend im Zwielichte ihm einen Besuch zu machen, erfreute sich über den Gewinn seines Fleißes, lustwandelte mit ihm Hand in Hand am schilfreichen Gestade des Weihers auf und ab, und der bewegliche Schilf flötete dem traulichen Paare einen melodischen Abendgruß zu, wenn es die Luft durchsäuselte. Sie unterwies ihren horchsamen Lehrjünger in den Geheimnissen der Natur, unterrichtete ihn von dem Ursprung und dem Wesen der Dinge, lehrte ihn die natürlichen und magischen Eigenschaften und Wirkungen derselben und bildete den rohen Kriegsmann zu einem Denker und Weltweisen um.

In dem Maße, wie durch den Umgang mit der schönen Schattengestalt die Empfindungen und der Gefühlssinn des jungen Mannes sich verfeinerten, schien sich die zarte Form der Elfe zu verdichten und mehr Konsistenz zu gewinnen. Ihr Busen empfing Wärme und Leben, ihre bräunlichen Augen sprühten Feuer, und sie schien mit der Gestalt einer jungen Dirne auch die Gefühle eines blühenden Mädchens angenommen zu haben. Die empfindsame Schäferstunde, die dazu recht wie gemacht ist, schlafende Gefühle aufzuwecken, tat die gewöhnliche Wirkung: nach wenigen Monden wechseln von der ersten Bekanntschaft an war der seufzende Krokus im Besitz des Minneglücks, welches die dritte Schilfhülse ihm verheißen hatte, und bereute es nicht, durch die Falltür der Liebe die Freiheit des Herzens eingebüßt zu haben. Obgleich die Vermählung des zärtlichen Paares nur unter vier Augen geschah, so wurde sie doch mit eben dem Vergnügen als das geräuschvollste Beilager vollzogen, und es fehlte in der Folge nicht an sprechenden Beweisen der belohnten Liebe. Die Elfe beschenkte ihren Gemahl mit drei Töchtern, die zu gleicher Zeit geboren wurden. Und der über die Fruchtbarkeit seiner ändern Hälfte entzückte Vater nannte bei der ersten Umarmung die, welche früher als die beiden Zwillingsschwestern seine vier Wände beschrie, Bela, die nachgeborne Therba und die jüngstgeborene Libussa.

Alle glichen den Genien an Schönheit der Gestalt, und ob sie gleich nicht aus so zartem Stoff gebaut waren wie die Mutter, so war doch ihre körperliche Beschaffenheit feiner als die vergröberte irdene Form des Vaters. Dabei waren sie von allen Infirmitäten der Kindheit befreit, lagen sich nicht wund, zahnten ohne epileptische Krämpfe, schrien nicht über Stuhlzwang, bekamen keine rachitischen Anfälle, hatten keine Pocken und mithin auch keine Narben, kein Fell übers Auge oder ein zusammengeflossenes Gesicht zu fürchten; auch bedurften sie keines Gängelbandes, denn nach den ersten neun Tagen liefen sie schon wie die Rebhühner, und wie sie heranwuchsen, veroffenbarten sich an ihnen alle Talente der Mutter, verborgene Dinge zu erraten und zukünftige zu weissagen.

Krokus erlangte mit Hilfe der Zeit in diesen Geheimnissen gleichfalls gute Kundschaft. Wenn der Wolf die Viehherden im Walde zerstreut hatte und die Hirten ihre verlornen Schafe und Rinder aufsuchten; wenn die Holzhauer eine Axt oder ein Beil vermißten, holten sie sich Rats bei dem weisen Krokus, der ihnen anzeigte, wo sie das Verlorne suchen sollten. Wenn ein böser Nachbar etwas von gemeinem Gut entwendet, zur Nachtzeit in die Herde oder die Wohnung seines Nachbarn eingebrochen, ihn beraubt oder den Wirt erschlagen hatte und niemand auf den Verbrecher raten konnte, befragte man den weisen Krokus. Der beschied die Gemeine auf einen Anger, hieß sie männiglich einen Kreis beschließen, dann trat er mitten unter sie und ließ das unbetrügliche Sieb laufen, das nie verfehlte, den Missetäter zu veroffenbaren. Dadurch breitete sich sein Ruf aus über das ganze Böhmer Land, und wer ein Anliegen oder ein wichtiges Gewerbe hatte, ratfragte den weisen Mann über den Ausgang des Geschäftes. Auch Krüppel und Kranke begehrten von ihm Genesung und Hilfe, selbst das gebrechliche Vieh wurde zu ihm gebracht, und er verstund sich so gut darauf, die kranken Kühe durch seinen Schatten gesund zu machen, wie der renommierte Sankt Martin von Schierbach. Dadurch vermehrte sich der Zulauf des Volks bei ihm von Tag zu Tage, nicht anders, als wenn der Dreifuß des delphischen Apoll in den Böhmer Wald wäre versetzt worden. Und obgleich Krokus ohne Lohn und Gewinn den Ratfragenden Bescheid gab und die Kranken und Preßhaften heilte, so zinste ihm doch der Schatz seiner geheimnisvollen Weisheit reichlich und brachte ihm großen Gewinn; das Volk drängte sich zu ihm mit Gaben und Geschenken und erdrückte ihn schier mit den Beweisen seines guten Willens. Er offenbarte zuerst das Kunstgeheimnis, aus dem Elbsande Gold zu waschen, und empfing den Zehenten von allen Goldfischern. Dadurch mehrte sich sein Gut und Vermögen, er baute feste Schlösser und Paläste, hatte große Viehherden, besaß fruchtbare Ländereien, Felder und Wälder und befand sich unvermerkt im Besitz alles des Reichtums, den die freigebige Elfe vorbedeutend in die zwote Schilfhülse für ihn eingeschlossen hatte.

An einem schönen Sommerabend, als Krokus mit seinen Reisigen von einem Flurzuge heimkehrte, wo er auf Erfordern die Grenzstreitigkeiten zwoer Gemeinden geschlichtet hatte, erblickte er seine Gemahlin am Ufer des Schilfteiches, da, wo sie ihm zuerst erschienen war. Sie winkte ihm mit der Hand, darum ließ er seine Diener von sich und eilte, sie zu umarmen. Sie empfing ihn nach Gewohnheit mit zarter Liebe, aber ihr Herz war traurig und beklommen; aus ihren Augen träufelten ätherische Tränen, so fein und flüchtig, daß sie im Fallen von den Lüften gierig eingesogen wurden, ohne die Erde zu erreichen. Krokus bestürzte über diesen Anblick, er hatte die Augen seiner Gemahlin nie anders als heiter und im Glänze jugendlicher Fröhlichkeit gesehen. "Was ist dir, Geliebte meines Herzens?" sprach er, "bange Ahndungen zerreißen meine Seele. Sag an, welche Deutung haben diese Zähren?" Die Elfe erseufzte, lehnte ihr Haupt wehmütig an seine Schulter und sprach: "Teurer Gemahl, in Eurer Abwesenheit habe ich im Buche des Schicksals gelesen, daß meinem Lebensbaume ein unglückliches Verhängnis droht; ich muß mich ewig von Euch scheiden. Folgt mir in das Schloß, daß ich meine Kindlein gesegne, denn von heute an werdet ihr mich nimmer sehen." - "Oh, Geliebte", gegenredete Krokus, "laßt diesen traurigen Gedanken schwinden! Was kann Eurem Baume für ein Unglück drohen? Steht er nicht stamm- und wurzelfeste? Seht seine gesunden Äste, wie sie mit Laub und Früchten belastet sich ausbreiten und wie er seine Wipfel zu den Wolken erhebt. Solange dieser Arm sich regt, soll er ihn gegen jeden Frevler schützen, der seinen Stamm zu verletzen wagt." - "Ohnmächtiger Schutz", versetzte sie, "den ein sterblicher Arm gewähren kann! Ameisen können nur den Ameisen, Mücken nur den Mücken, und alles Erdengewürm kann nur dem Erdengewürm abwehren. Aber was vermag der Mächtigste unter euch gegen die Wirkungen der Natur oder die unwandelbaren Ratschlüsse des Schicksals? Erdenkönige können nur kleine Erdhügel umwälzen, die ihr Festen und Schlösser nennt, aber das kleinste Lüftchen spottet ihrer Macht, säuselt, wo es will, und achtet nicht auf ihr Gebot. Du hast vormals diesen Eichbaum gegen die Gewalt der Menschen geschützt, kannst du auch dem Sturmwind wehren, wenn er sich aufmacht, seine Äste zu entblättern, oder wenn ein verborgner Wurm in seinem Marke nagt, kannst du ihn hervorziehn und zertreten?"

Unter diesen Gesprächen gelangte das traute Paar ins Schloß. Die schlanken Fräuleins hüpften, wie sie bei dem abendlichen Besuch ihrer Mutter zu tun pflegten, derselben freudig entgegen, gaben Rechenschaft von ihrem Tagewerke, brachten ihre Stickerei und Nähwerk zum Beweis ihres kunstreichen Fleißes herbei; doch diesmal war die Stunde des häuslichen Glückes freudenlos. Sie bemerkten bald, daß dem Angesichte des Vaters die Spuren tiefer Schmerzen eingedruckt waren, und sahen mit teilnehmendem Kummer die mütterlichen Zähren, ohne daß sie es wagten, nach deren Ursach zu fragen. Die Mutter gab ihnen viel weise Lehren und gute Vermahnungen; ihre Rede aber glich einem Schwanengesange, als ob sie die Welt gesegnen wollte. Sie weilte noch bei ihren Geliebten, bis der Morgenstern am Himmel heraufzog, darauf umarmte sie Gemahl und Kinder mit wehmütiger Zärtlichkeit, begab sich bei Anbruch des Morgens durch das verborgene Pförtchen nach Gewohnheit wieder zu ihrem Baume und überließ ihre Lieben den Gefühlen banger Ahndung.

Die Natur stund in horchsamer Stille bei Aufgang der Sonne, aber schwere, düstere Wolken verbargen bald wieder ihr strahlendes Haupt. Es wurde ein schwüler Tag, die ganze Atmosphäre war elektrisch. Ferne Donner rollten über den Wald daher, und das hundertstimmige Echo wiederholte in den gekrümmten Tälern das grausenvolle Getöse derselben. In der Mittagsstunde schlängelte sich ein gezackter Blitz herab auf die Eiche, zersplitterte in einem Augenblick mit unwiderstehlicher Kraft Stamm und Äste, und die Trümmer lagen weit im Walde umher zerstreuet. Da das dem Vater Krokus angesagt wurde, zerriß er sein Kleid, ging hinaus, den Lebensbaum seiner Gemahlin nebst seinen drei Töchtern zu beweinen und die Splitter davon als köstliche Reliquien zu sammeln und aufzubewahren. Die Elfe aber wurde von dem Tage an nicht mehr gesehen.

Nach einigen Jahren wuchsen die zarten Fräuleins heran, ihre jungfräuliche Wohlgestalt blühte auf wie die aus der Knospe hervorschlüpfende Rose, und der Ruf ihrer Schönheit breitete sich aus über das ganze Land. Die edelsten Jünglinge aus dem Volke drängten sich herzu und hatten mancherlei Anliegen dem Vater Krokus vorzutragen, um sich bei ihm Rats zu erholen; doch im Grunde war's mit diesem scheinbaren Vorwand auf die schönen Töchter gemeint, die sie zu beäugeln trachteten, wie junge Gesellen pflegen, die sich bei den Vätern so gern ein Gewerbe machen, wenn sie die Töchter beschleichen wollen. Die drei Schwestern lebten in großer Eintracht und Unbefangenheit beieinander, mit ihren Talenten noch wenig bekannt. Die Gabe der Weissagung war ihnen im gleichen Maße verliehen, und ihre Reden waren Orakel, ohne daß sie es wußten. Doch bald wurde ihre Eitelkeit durch die Stimme der Schmeichelei rege gemacht, die Wortklauber haschten jeden Laut aus ihrem Munde auf, die Seladons deuteten jede Miene, spähten das kleinste Lächeln, kundschafteten den Blick ihrer Augen, zogen mehr oder minder günstige Vorbedeutungen daraus, vermeinten, ihre Schicksale dadurch zu erraten, und von dieser Zeit an ist es bei den Liebenden Sitte, dem Horoskop der Augen ihren Glücks- oder Unstern in der Liebe abzufragen. Kaum hatte sich die Eitelkeit in das jungfräuliche Herz eingeschlichen, so stund der Hoffart, ihr lieber Getreuer, außen an der Tür, nebst dem losen Gesindel seines Gefolges, Eigenliebe, Eigenlob, Eigennutz, Eigensinn, und sie stahlen sich allesamt hinein.

Die ältern Schwestern beeiferten sich, in ihren Künsten der jüngern es zuvorzutun und beneideten sie insgeheim wegen des Übergewichtes ihrer körperlichen Reize. Denn ob sie gleich alle sehr schön waren, so war doch Libussa die schönste unter ihnen. Fräulein Bela legte sich vornehmlich auf die Kräuterkunde, wie in der Vorwelt Fräulein Medea; sie kannte die verborgenen Kräfte derselben und wußte wirksames Gift und Gegengift daraus zu ziehen; auch verstund sie die Kunst, den unsichtbaren Mächten Wohlgeruch und Ekelgeruch daraus zu bereiten. Wenn ihre Rauchpfanne dampfte, lockte sie damit die Geister aus dem unermeßlichen Räume des Äthers jenseits des Mondes herab, und sie wurden ihr Untertan, um mit ihren feinen Organen diese süßen Dämpfe einzuatmen, aber wenn sie Ekelgeruch auf das Rauchfaß streute, hätte sie die Zihim und Ohim damit aus der Wüste wegräuchern können. Fräulein Therba war sinnreich wie Circe, allerlei Zaubersprüche zu erdenken, die kräftig waren, den Elementen zu gebieten, Sturm und Wirbelwinde, auch Schlössen und Ungewitter zu erregen, das Eingeweide der Erde zu erschüttern oder sie selbst aus ihren Angeln zu heben. Sie bediente sich dieser Künste, das Volk zu erschrecken, um wie eine Göttin geehrt und gefürchtet zu werden, und wußte die Witterung in der Tat mehr nach dem Wunsch und Eigensinn der Menschen zu bequemen als die weise Natur. Zwei Brüder haderten miteinander, weil sie nie in ihren Wünschen übereinkamen. Der eine war ein Ackersmann und wünschte immer Regen zum Wachstum und Gedeihen seiner Saaten. Der andre war ein Töpfer und wollte stets Sonnenschein, um seine irdenen Gefäße zu trocknen, welche der Regen zerstörte. Weil's ihnen nun der Himmel nie zu Danke machen konnte, begaben sie sich eines Tages mit reichen Geschenken zu der Wohnung des weisen Krokus und brachten ihr Anliegen der Therba vor. Die Tochter der Elfe lächelte über das ungestüme Murren der Brüder gegen die wohltätige Haushaltung der Natur und befriedigte beider Verlangen: sie ließ Regen fallen auf die Saaten des Landmanns, und auf den Töpferacker daneben ließ sie die Sonne scheinen. Durch diese Zaubereien erwarben sich die beiden Schwestern großen Ruf und vielen Reichtum; denn sie verliehen ihre Gaben nie ohne Lohn und Gewinn, bauten von ihren Schätzen Schlösser und Landhäuser, legten herrliche Lustgärten an, wurden des Bankettierens und der Erlustigungen nie müde, täuschten und foppten die Freier, die sich um ihre Liebe bewarben.

Libussa hatte nicht den stolzen, eiteln Sinn ihrer Schwestern. Ob sie gleich die nämlichen Fähigkeiten besaß, in die Geheimnisse der Natur einzudringen und sich ihrer verborgenen Kräfte zu bedienen, so genügte ihr dennoch an dem Anteil der wundersamen Gaben aus der mütterlichen Erbschaft, ohne solche höher zu treiben, um damit zu wuchern. Ihre Eitelkeit erstreckte sich nicht weiter als auf das Bewußtsein ihrer Wohlgestalt, sie geizte nicht nach Reichtümern, wollte weder geehrt noch gefürchtet sein wie ihre Schwestern. Wenn diese auf ihren Landhäusern herumtoseten, von einer rauschenden Freude zur ändern eilten und den Kern der böhmischen Ritterschaft an ihren Triumphwagen fesselten, blieb sie daheim in der väterlichen Wohnung, führte das Hausregiment, erteilte den Ratfragenden Bescheid, leistete den Gedrückten und Preßhaften freundlichen Beistand, und das alles aus gutem Willen ohne Entgelt. Ihre Gemütsart war sanft und bescheiden und ihr Wandel tugendsam und züchtig, wie es einer edlen Jungfrau ziemt. Sie freute sich zwar insgeheim der Siege, die ihre Schönheit über der Männer Herzen gewann, und nahm das Seufzen und Girren der schmachtenden Anbeter als einen billigen Tribut ihrer Reize an; aber keiner durfte ihr ein Wort von Liebe sagen oder sich herausnehmen, um ihr Herz zu werben. Doch Amor, der Schalk, übt an den Spröden seine Gerechtsame am liebsten und schleudert oft seine brennende Fackel auf ein niedriges Strohdach, wenn er einen hohen Palast in Flammen zu setzen gedenkt.

Tief im Walde hatte ein alter Ritter, der mit dem Heere der Czechiten ins Land gekommen war, sich angesetzt, die Wüste urbar gemacht und ein Landgut angelegt, wo er den Überrest seiner Tage der Ruhe zu pflegen und vom Ertrag des Feldbaues sich zu nähren vermeinte. Ein gewaltsamer Grenznachbar bemächtigte sich seines Eigentums und vertrieb den Ritter daraus, den ein gastfreier Landmann aufnahm und ihm in seiner Wohnung Schirm und Obdach gab. Der dürftige Greis hatte einen Sohn, welcher noch der einzige Trost und die Stütze seines Alters war, ein wackerer Jüngling, der aber nichts mehr als einen Jagdspieß und eine geübte Faust besaß, den grauen Vater damit zu nähren. Der Raub des ungerechten Nabais reizte seine Rache, er rüstete sich, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben; doch der Befehl des sorgsamen Greises, der das Leben des Sohnes keiner Gefahr bloßstellen wollte, entwaffnete den edlen Jüngling. Gleichwohl wollte er in der Folge von seinem ersten Vorhaben sich nicht abbringen lassen. Da berief ihn der Vater zu sich und sprach: "Ziehe hin, mein Sohn, zum weisen Krokus oder zu den klugen Jungfrauen, seinen Töchtern, und befrage dich Rats, ob die Götter dein Unternehmen billigen und dir einen glücklichen Ausgang desselben verleihen werden. Ist dem also, so magst du dich mit dem Schwert gürten, den Speer in deine Hand nehmen und um dein Erbgut kämpfen. Wo nicht, so bleibe hier, bis du mir die Augen zugedrückt hast, dann tue, was dir gut dünkt."

Der Jüngling machte sich auf und gelangte zuerst an den Palast der Bela, welcher das Ansehen eines Tempels hatte, den eine Göttin bewohnt. Er klopfte an und begehrte eingelassen zu werden; aber da der Türhüter sah, daß der Fremdling mit leerer Hand erschien, wies er ihn als einen Bettler ab und schlug die Tür vor ihm zu. Er ging traurig förder und kam zu der Wohnung der Schwester Therba, klopfte an und begehrte Gehör. Da kam der Türhüter ans Fensterlein und sprach: "Trägst du auch Gold in deinem Säckel, das du darwägen kannst meiner Gebieterin, so wird sie dich eins von ihren guten Sprüchlein lehren, das dir dein Schicksal verkündet. Wo nicht, so gehe hin und sammle dessen am Ufer der Elbe, soviel Körner als der Baum Blätter, die Garbe Ähren und der Vogel Federn hat, dann will ich dir auf tun diese Pforte." Der getäuschte Jüngling schlich sich ganz mutlos seitab, besonders da er vernahm, daß Seher Krokus nach Polen gezogen sei, um den Zwist einiger mißhelliger Magnaten als Schiedsrichter zu vergleichen. Er versprach sich von der dritten Schwester keine günstigere Aufnahme, und wie er ihre väterliche Waldburg von einem Hügel in der Ferne erblickte, wagte er's nicht, hinzuzunahen, sondern verbarg sich in ein dichtes Gebüsch, seinem trüben Gram nachzuhängen. Bald aber weckte ihn ein Getümmel aus diesen spleenetischen Betrachtungen, er vernahm ein Trappeln wie von Rosses Hufen. Ein fliehendes Reh brach durchs Gesträuche, verfolgt von einer lieblichen Jägerin und ihren Dirnen auf stattlichen Rossen. Sie schwang einen Wurfpfeil, und er flog schwirrend aus ihrer Hand durch die Luft, jedoch ohne das Wild zu erreichen. Rasch ergriff der lauschende Jüngling seine Armbrust und schnellte einen befiederten Bolzen von der rauschenden Sehne, welcher augenblicks das Herz des Gewildes durchbohrte, daß es zusammenstürzte. Das Fräulein, über diese unversehene Erscheinung verwundert, schaute nach dem unbekannten Jagdgenossen umher; als der Schütze das inne ward, trat er hervor und neigte sich demütig gegen sie zur Erde. Fräulein Libussa glaubte nie einen schönern Mann gesehen zu haben. Sie empfand gleich beim ersten Anblick einen so mächtigen Eindruck von seiner Gestalt, daß sie ihm unwillkürliches Wohlwollen, das Prärogativ einer glücklichen Bildung, nicht weigern konnte. "Sag mir, lieber Fremdling", redete sie ihn an, "wer bist du und welcher Zufall führt dich in dieses Gehege?" Der Jüngling urteilte gar recht, daß ihm sein gutes Glück habe finden lassen, was er suchte. Er offenbarte ihr bescheidentlich sein Anliegen, verschwieg auch nicht, wie schimpflich er vor der Tür ihrer Schwestern sei abgewiesen worden und wie ihn das bekümmert habe. Sie heiterte sein Gemüt mit freundlichen Worten auf. "Folge mir in meine Wohnung", sprach sie, "ich will das Buch des Schicksals für dich ratfragen und dir morgen Bescheid geben beim Aufgang der Sonne."

Der Jüngling tat, wie ihm geboten war. Kein bengelhafter Türhüter versperrte ihm hier den Eingang des Palastes, die schöne Bewohnerin übte Gesetze des Gastrechtes an ihm sehr edelmütig. Er war von dieser
günstigen Aufnahme entzückt, aber noch mehr von den Reizen seiner holden Wirtin. Ihre bezaubernde Gestalt schwebte ihm die ganze Nacht vor Augen, er erwehrte sich sorgfältig der Überraschung des Schlummers, damit er keinen Augenblick die Begebenheiten des vergangenen Tages, die er mit Entzücken überdachte, aus den Gedanken verlieren möchte.

Fräulein Libussa ihrerseits genoß zwar des sanften Schlummers, denn die Abgeschiedenheit von den Einwirkungen der äußern Sinne, welche die feinern Vorgefühle der Zukunft stören, ist der Gabe der Weissagung unentbehrlich. Die glühende Phantasie der schlummernden Elfentochter kettete das Bild des jungen Fremdlings an alle bedeutsame Traumgestalten, die ihr dieselbe Nacht vorschwebten. Sie fand ihn da, wo sie ihn nicht suchte, in Verhältnissen, davon sie nicht begreifen konnte, wie sie auf diesen Unbekannten Beziehung haben könnten. Beim frühen Erwachen, wo die schöne Seherin die nächtlichen Gesichter zu sondern und zu enträtseln pflegte, war sie geneigt, dieselben insgesamt als Irrtümer einer Nacht, die aus Störungen des richtigen Ganges der Phantasie entsprungen wären, zu verwerfen und nicht weiter darauf zu achten. Aber ein dunkles Gefühl sagte ihr, daß die Schöpfung ihrer Phantasie nicht ganz leerer Traum sei, sondern auf gewisse Ereignisse deute, welche die Zukunft enthüllen werde, und daß diese prophetische Phantasie in vergangener Nacht mehr als jemals dem Verhängnis seine verborgenen Ratschlüsse abgelauscht und ihr ausgeplaudert habe. Durch eben diesen Weg erfuhr sie, daß der Gast unter ihrem Dache gegen sie in heißer Liebe entzündet sei, und ebenso unverhohlen tat ihr das Herz das nämliche Geständnis in Ansehung seiner. Aber sie drückte alsbald das Siegel der Verschwiegenheit auf die Novelle, so wie der bescheidene Jüngling seines Orts sich gleichfalls hoch gelobt hatte, seiner Zunge und seinen Augen Schweigen zu gebieten, um sich keiner verächtlichen Zurückweisung auszusetzen, denn die Scheidewand, welche das Glück zwischen ihn und die Tochter des Krokus gezogen hatte, schien ihm unüberwindbar.

Ob nun wohl der schönen Libussa vollkommen bewußt war, was sie dem jungen Mann auf seine Frage zu antworten hatte, so fiel es ihr doch schwer, ihn so eilig von sich zu lassen. Bei Aufgang der Sonne beschied sie ihn zu sich in den Lustgarten und sprach: "Noch hängt die Decke der Dunkelheit vor meinen Augen, dein Verhängnis zu durchschauen. Harre bis zu Sonnenuntergang"; und am Abend sprach sie: "Bleibe bis zu Sonnenaufgang", und den folgenden Tag: "Verzeuch noch heute", und den dritten: "Gedulde dich bis morgen!" Am vierten Tage entließ sie ihn endlich, weil sie keinen Vorwand fand, ihn länger zurückzuhalten, ohne ihr Geheimnis zu verraten, und erteilte ihm mit freundlichen Worten diesen Bescheid: "Die Götter wollen nicht, daß du rechten sollst mit einem Gewaltigen im Lande, tragen und dulden ist der Schwächeren Los. Ziehe hin zu deinem Vater, sei der Trost seines Alters und nähre ihn durch die Arbeit deiner fleißigen Hand. Nimm zwei weiße Stiere aus meiner Herde zum Geschenke und diesen Stab, sie zu regieren, und wenn er blüht und Früchte trägt, wird der Geist der Weissagung auf dir ruhen." Der Jüngling schätzte sich der Geschenke der holden Jungfrau unwert und wurde schamrot, daß er eine Gabe dahinnehmen sollte, ohne sie erwidern zu können. Er nahm mit unberedtem Munde, aber desto beredtsamerer Gebärdung wehmütigen Abschied und fand unten an der Pforte zwei große Stiere angebunden, so schmuck und glänzend als ehemals der göttliche Stier, auf dessen glattem Rücken die Jungfrau Europa durch blaue Meeresfluten schwamm. Freudig löste er sie ab und trieb sie gemachsam vor sich her.

Der Heimweg dünkte ihm nur wenige Ellen lang, so sehr war seine Seele mit dem Gedanken an die schöne Libussa beschäftigt, und er gelobte sich, weil er ihrer Liebe doch nie teilhaftig werden könne, auch keine andere zu lieben sein Leben lang. Der alte Ritter freute sich der Wiederkunft seines Sohnes, und noch mehr, da er vernahm, daß der Ausspruch der Tochter des weisen Krokus so gut mit seinen Wünschen übereintraf. Weil nun dem Jüngling von den Göttern der Ackerbau zum Beruf angewiesen war, säumte er nicht, die weißen Stiere anzuschirren und an den Pflug zu spannen. Der erste Versuch geriet nach Wunsche. Die Stiere besaßen so viel Kräfte und Munterkeit, daß sie an einem Tage mehr Land umrissen, als zwölf Joch Ochsen gewöhnlich zu bewältigen vermögen; denn sie waren rasch und gurrig, wie der Stier im Kalender abgebildet wird, der im Zeichen des Aprilmonats aus den Wolken herabspringt, und nicht so lässig und träge wie der Ochs, der im Evangelienbuch sich so phlegmatisch neben seinen heiligen Gefährten hinflegelt wie ein Schäferhund.

Herzog Czech, der den ersten Heereszug seines Volks nach Böhmen geführt hatte, war lange schon entschlafen, ohne daß seine Nachkommen Erben seiner Würde und des Fürstentums wurden. Die Magnaten traten zwar nach seinem Hinscheiden zu einer neuen Wahl zusammen, aber ihre wilde, stürmische Gemütsart ließ keine vernünftige Entschließung reifen. Eigennutz und Eigendünkel verwandelten den ersten böhmischen Landtag in einen polnischen Reichstag. Indem zuviel Hände nach dem Fürstenmantel griffen, zerrissen sie ihn gar und keiner erlangte ihn. Das Regiment zerfiel in eine Art von Anarchie, jeder tat, was ihm gut dünkte, der Starke unterdrückte den Schwachen, der Reiche den Armen, der Große den Kleinen. Es war keine gemeine Sicherheit mehr im Lande, gleichwohl meinten die wüsten Köpfe, ihre neue Republik sei gar wohl bestellt. Alles, sprachen sie, ist in der Ordnung, und jedes Ding geht seinen Gang bei uns so gut als anderwärts: der Wolf frißt das Lamm, der Weih die Taube, der Fuchs das Huhn. Diese unsinnige Verfassung konnte keinen Bestand haben.

Nachdem der erträumte Freiheitstaumel nach und nach verdunstete und das Volk wieder nüchtern wurde, behauptete die Vernunft ihre Rechte. Die Patrioten, die biedern Bürger und wer sonst aus der Nation Vaterlandsliebe fühlte, beschlossen einen Rat, das Idol der vielköpfigen Hydra zu zerstören und das Volk wieder unter ein Haupt zu vereinigen. "Lasset uns", sprachen sie, "einen Fürsten wählen, der über uns herrsche nach väterlicher Sitte und Gewohnheit, der die Frechheit zähme und Recht und Gerechtigkeit handhabe. Nicht der Mächtigste, der Kühnste oder der Reichste, der Weiseste sei unser Herzog!" Das Volk, das der Plackereien der kleinen Tyrannen längst müde war, hatte diesmal nur eine Stimme und gab diesem Vorschlag lauten Beifall. Es wurde ein Landtag anberaumt, und die einmütige Wahl fiel auf den weisen Krokus. Man ordnete eine Ehrenbotschaft ab, zur Besitznehmung der Fürstenwürde ihn einzuladen. Obgleich er nicht nach hoher Ehre geizte, so säumte er doch nicht, dem Verlangen des Volkes nachzugeben. Man bekleidete ihn mit dem Purpur, und er zog mit großem Pomp nach Vizegrad, dem Wohnsitz der Fürsten, wo ihm das Volk entgegenjauchzte und ihm als Regenten huldigte. Dadurch wurde er inne, daß nun auch die dritte Schilfhülse der freigebigen Elfe ihre Gabe an ihn ausgespendet hatte.

Seine Gerechtigkeitsliebe und weise Gesetzgebung breitete seinen Ruf bald in alle umliegende Länder aus. Die sarmatischen Fürsten, die einander unaufhörlich zu befehden gewohnt waren, brachten aus der Ferne ihren Hader vor seinen Richterstuhl. Er wog ihn mit untrüglichem Maße und Gewicht der natürlichen Billigkeit auf der Waage des Rechtes, und wenn er seinen Mund auftat, war's, als ob der ehrwürdige Solon oder der weise Salomon zwischen den zwölf Löwen von seinem Thron herab das Urteil sprach. Als einstmals einige Aufwiegler sich gegen die Ruhe ihres Vaterlandes konföderiert und die reizbare polnische Nation in Harnisch gebracht hatten, zog er an der Spitze seines Heeres nach Polen, tilgte den Bürgerkrieg, und ein großer Teil des Volkes erkiesete ihn aus Dankbarkeit für den geschenkten Frieden gleichfalls zum Herzog. Er baute daselbst die Stadt Krakau, die nach seinem Namen genannt ist und das Recht hat, die polnischen Könige zu krönen bis auf diesen Tag. Krokus regierte bis ans Ende seiner Tage mit großem Ruhm. Wie er vermerkte, daß er am Ziele derselben sei und nun bald davonscheiden würde, ließ er sich aus den Trümmern der Eiche, die seine Gemahlin Elfe bewohnt hatte, eine Truhe zimmern, die seine Gebeine verwahren sollte. Drauf verschied er in Frieden, beweint von den Fräuleins, seinen drei Töchtern, welche den väterlichen Leichnam in die Truhe legten und ihn zur Erde bestatteten, wie er befohlen hatte; und das ganze Land trug Leid um ihn.

Sobald das Trauergepränge geendigt war, versammelten sich die Stände, zu beratschlagen, wer den erledigten Fürstenthron wieder einnehmen sollte. Das Volk stimmte einmütig für eine Tochter des Krokus, nur konnte man sich nicht über die Wahl unter den drei Schwestern vergleichen. Fräulein Bela hatte im Grunde die wenigsten Adhärenten, denn sie besaß kein gutes Herz und bediente sich ihrer Zaubertalente oft, Schaden anzurichten; aber sie hatte sich bei dem Volke in solche Furcht gesetzt, daß es niemand wagte, aus Sorge, ihre Rache zu reizen, eine Einwendung gegen sie vorzubringen. Da nun gestimmt wurde, waren alle Wahlherren stumm, keine Stimme war für sie, aber auch keine gegen sie. Mit Sonnenuntergang gingen die Volksrepräsentanten auseinander und verlegten das Wahlgeschäft auf den folgenden Tag. Da wurde Fräulein Therba in Vorschlag gebracht; aber das Vertrauen auf ihre Kraftsprüche hatte ihr den Kopf schwindelnd gemacht, sie war stolz und übermütig, begehrte, wie eine Göttin verehrt zu sein, und wenn ihr nicht stets Weihrauch duftete, war sie launisch, mißmutig, eigensinnig und offenbarte alle die Eigenschaften, die das schöne Geschlecht um den Besitz dieses schmeichelhaften Beiworts bringen. Sie wurde zwar weniger gefürchtet als ihre ältere Schwester, aber darum nicht mehr geliebt. Um dieser Ursache willen ging's auf dem Wahlfeld so stille zu wie bei einem Totenmahle, und es kam nicht zum Umstimmen.

Am dritten Tage wurde Fräulein Libussa proponiert. Sobald dieser Name ausgesprochen wurde, hörte man trauliches Flüstern im Wahlkreis, die ernsten Gesichter wurden entfaltet und klärten sich auf, jeder der Wahlherren wußte seinem Beisitzer eine gute Eigenschaft von dem Fräulein anzurühmen. Der eine lobte ihre Sittsamkeit, der andere ihre Bescheidenheit, der dritte ihre Klugheit, der vierte ihre Unfehlbarkeit in der Weissagung, der fünfte ihre Uneigennützigkeit gegen die Ratfragenden, der zehnte ihre Keuschheit, andere neunzig ihre Schönheit und der letzte ihre Häuslichkeit. Wenn ein Liebhaber ein solches Realregister von den Vollkommenheiten seiner Geliebten entwirft, so ist immer zweifelhat, ob sie die Inhaberin einer einzigen davon sei; allein das Publikum irrt sich nicht leicht zum Vorteil, wohl aber oft zum Nachteil des guten Rufs in seinen Urteilen. Bei so allgemein anerkannten lobenswerten Eigenschaften war nun Fräulein Libussa freilich die wichtigste Thronkompetentin, wenigstens in petto der Wählenden; doch der Vorzug der jüngeren Schwester vor der älteren hat in Ehehaften laut Zeugnis der Erfahrung sogar oft den Hausfrieden gestört, daß zu besorgen war, er dürfe in einer noch wichtigern Angelegenheit den edlen Landfrieden unterbrechen. Diese Betrachtung setzte die weisen Vormünder des Volks in große Verlegenheit, daß sie zu keinem Beschluß kamen.

Es fehlte ein Sprecher, der das Schwunggewicht seiner Beredtsamkeit an den guten Willen der Wahlherren anhängen mußte, wenn die Sache in Gang kommen und die guten Gesinnungen tätig und wirksam werden sollten, und dieser trat auf wie gerufen.

Wladomir, einer der böhmischen Magnaten, der nächste nach dem Herzog, hatte schon lange nach der reizvollen Libussa geseufzt und bei Lebzeiten des Vater Krokus um sie geworben. Er war einer seiner getreuesten Vasallen und von ihm wie ein Sohn geliebt, darum hätte der gute Vater wohl gewünscht, daß die Liebe beide zusammenpaaren möchte, doch der spröde Sinn des Fräuleins war unüberwindbar, und er wollte ihrer Neigung auf keinerlei Art Gewalt tun. Fürst Wladomirließ sich durch diese zweifelhaften Aspekte gleichwohl nicht abschrecken und vermeinte, durch Treue und Beständigkeit den harten Sinn des Fräuleins auszuharren und durch seine Zärtlichkeit geschmeidig zu machen. Er begab sich in das Gefolge des Herzogs, solang er lebte, ohne daß er dem Ziele seiner Wünsche dadurch um einen Schritt näher kam. Jetzt glaubte er eine Gelegenheit gefunden zu haben, durch eine verdienstliche Tat ihr verschlossenes Herz sich zu eröffnen und ihrer edelmütigen Dankbegierde abzugewinnen, was ihm die Liebe nicht freiwillig zu gewähren schien. Er beschloß, dem Haß und der Rache der beiden gefürchteten Schwestern sich preiszugeben und mit Gefahr des Lebens seine Geliebte auf den väterlichen Thron zu erheben. Da er die Unentschlossenheit des hin und her schwankenden Wahlrates bemerkte, nahm er das Wort und sprach: "So ihr mich hören wollt, ihr männlichen Ritter und Edlen im Volk, so will ich euch ein Gleichnis vorlegen, daraus ihr abmerken könnt, wie ihr das vorhabende Wahlgeschäfte zu Nutz und Frommen des Vaterlandes gedeihlich vollenden mögt." Nachdem man nun Stillschweigen geboten hatte, fuhr er also fort: "Die Bienen hatten ihren Weisel verloren, und der ganze Stock war unlustig und traurig. Sie flogen träge und sparsam aus, hatten zur Honigbereitung wenig Lust und Mut, und ihr Gewerbe und Nahrung geriet in Verfall. Darum dachten sie mit Ernst auf ein neues Oberhaupt, das ihrer Polizei vorstünde, damit nicht Zucht und Ordnung gar zerfiel. Da kam die Wespe geflogen und sprach: "Wählt mich zu eurer Königin, ich bin mächtig und furchtbar, das stolze Roß scheut meinen Stachel, selbst eurem Erbfeinde, dem Löwen kann ich damit Trotz bieten und ihn in die Schnauze stechen, wenn er sich eurem Honigbaume nahet; ich will euch schützen und wahren." Diese Rede gefiel den Bienen wohl. Aber nach reifer Überlegung antworteten die weisesten unter ihnen: : "Du bist rüstig und furchtbar; doch eben diesen Stachel, der uns verteidigen soll, fürchten wir; du kannst nicht unsere Königin sein. " Darauf kam die Hummel herbeigesummt und sprach: "Nehmt mich zu eurer Königin! Hört ihr nicht, daß das Geräusch meiner Flügel Hoheit und Würde ankündigt? Es fehlt mir auch nicht an einem Stachel zu eurem Schütze. " Die Bienen antworteten: "Wir sind ein friedsames und geruhiges Volk, das stolze Geräusch deiner Flügel würde uns nur Unlust machen und die Geschäftigkeit unseres Fleißes stören; du kannst nicht unsere Königin sein." Da begehrte die Imme Gehör: "Ob ich gleich größer und stärker bin als ihr", sprach sie, "so kann euch meine Übermacht doch nie zum Nachteil und Schaden gereichen, denn seht, der gefährliche Stachel fehlt mir ganz. Ich bin sanften Gemüts, über das eine Freundin der Ordnung und Häuslichkeit, weiß dem Honigbau vorzustehen und die Arbeit zu fördern." Da sprachen die Bienen: "Du bist würdig, uns zu regieren, wir gehorchen dir, sei unsre Königin!"

Wladomir schwieg. Die ganze Versammlung erriet den Sinn seiner Rede, und die Gemüter befanden sich in einer vorteilhaften Stimmung für Fräulein Libussa. Doch in dem Augenblicke, da man Umfrage halten wollte, flog ein krächzender Rabe über das Wahlfeld. Dieses ungünstige Anzeichen unterbrach alle fernem Deliberationen, und die Fürstenwahl wurde bis auf den zukünftigen Tag verschoben. Fräulein Bela hatte den Vogel von schlimmer Bedeutung abgeschickt, das Wahlgeschäft zu stören, denn sie wußte wohl, wohin sich die Gemüter der Wahlherren neigten, und Fürst Wladomir hatte ihren bittersten Groll gegen sich erregt. Sie hielt mit ihrer Schwester Therba einen Rat, worin sie beschlossen, an ihrem gemeinschaftlichen Verunglimpfer Rache auszuüben und einen schwerbeleibten Alp abzuschicken, der ihm die Seele aus dem Leibe drücken sollte. Der kecke Ritter ahndete nichts von dieser Gefahr, ging, wie er gewohnt war, seiner Gebieterin aufzuwarten, und erhielt den ersten freundlichen Blick von ihr, aus dem er sich einen Himmel voll Wonne weissagte, und wenn sein Entzücken noch durch etwas vermehrt werden konnte, so war es das Geschenk einer Rose, die an dem Busen des Fräuleins prangte und welche sie ihm darreichte mit dem Gebot, sie an seinem Herzen welken zu lassen. Er deutete diese Worte ganz anders, als sie gemeint waren; denn es gibt keine trüglichere Wissenschaft als die Hermeneutik der Liebe, da sind die Irrtümer recht wie zu Hause. Dem verliebten Ritter war daran gelegen, die Rose so lang wie möglich frisch und blühend zu erhalten, er stellte sie in einen Blumentopf in frisches Wasser und schlief mit den schmeichelhaftesten Hoffnungen ein.

In der schauerlichen Mitternachtsstunde kam der Würgengel, von Fräulein Bela ausgesandt, herangeschlichen, blies mit seinem keuchenden Atem die Riegel und Schlösser an den Türen des Schlafgemachs auf, fiel mit Zentnergewicht auf den schlafenden Ritter und würgte ihn so zusammen, daß er im Erwachen vermeinte, es sei ein Mühlstein ihm auf den Hals gewälzt. In dieser ängstlichen Beklemmung, da er wähnte, der letzte Augenblick seines Lebens sei gekommen, dachte er zum Glück noch an die Rose, die im Blumentopfe vor seinem Bette stund, drückte sie an die Brust und sprach: "Welke mit mir dahin, schöne Rose, und stirb an meinem erkaltenden Busen, zum Beweise, daß mein letzter Gedanke noch an deine holde Besitzerin gerichtet war." Augenblicklich wurde ihm leicht ums Herz, der schwere Alp konnte der magischen Kraft der Blume nicht widerstehen, sein drückendes Gewicht wog keine Flaumfeder mehr auf, die Antipathie des Rosenduftes scheuchte ihn bald darauf gar aus dem Schlafgemach, und die narkotische Eigenschaft dieses Wohlgeruchs wiegte den Ritter wieder in einen erquickenden Schlummer. Bei Sonnenaufgang saß er frisch und munter wieder auf und ritt auf das Wahlfeld, zu erforschen, welchen Eindruck seine Gleichnisrede auf die Gemüter der Wahlherren gemacht habe, und acht zu haben, welchen Gang diesmal das Geschäft nehmen werde; auch allenfalls, wenn ein widriger Wind sich erhübe, der den schwankenden Nachen seiner ganzen Hoffnung und Wünsche auf den sicheren Strand zu setzen drohen möchte, sich ans Ruder zu legen und solchen zurechte zu steuern.

Doch das hatte diesmal eben keine Gefahr, der ernste Wahlsenat hatte Wladomirs Parabel die Nacht über so sorgfältig wiedergekäut und verdaut, daß sie in Geist und Herz übergegangen war. Ein flinker Ritter, der diese günstige Krisis witterte und in Ansehung der Herzensangelegenheiten mit dem zärtlichen Wladomir sympathisierte, strebte, diesem die Ehre, das Fräulein auf den böhmischen Thron zu setzen, entweder zu entreißen oder doch mit ihm zu teilen.

Wladomir trat auf, zückte das Schwert, rief mit lauter Stimme Fräulein Libussa zur Herzogin von Böhmen aus und gebot, wer es also meine, solle gleich ihm das Schwert zücken, die Wahl zu verteidigen. Alsbald blinkten viele hundert blanke Schwerter auf dem Wahlfelde; ein lautes Freudengeschrei kündigte die neue Regentin an, und allenthalben ertönte der freudige Volksruf: "Libussa sei unsre Herzogin!" Man ordnete einen Ausschuß ab, an dessen Spitze Fürst Wladomir und der Schwertzieher sich befanden, dem Fräulein die Erhebung zur Fürstenwürde kundzutun. Sie nahm mit dem bescheidenen Erröten, das den weiblichen Reizen den höchsten Ausdruck von Grazie mitteilt, die Herrschaft über das Volk an, und der Zauber ihres wonniglichen Anblicks machte jedes Herz ihr Untertan. Das Volk huldigte ihr mit großem Frohlocken, und obgleich die beiden Schwestern sie beneideten und ihre geheimsten Künste anwendeten, sich an ihr und dem Vaterlande der vermeinten Verschmähung halber zu rächen, durch den Sauerteig der Verunglimpfung und des Tadels aller Handlungen und Taten ihrer Schwester unter der Nation eine schädliche Gärung zu bewirken und die Ruhe und Glückseligkeit der sanften jungfräulichen Regierung zu untergraben: so wußte Libussa doch diesem unschwesterlichen Beginnen weislich zu begegnen und alle feindseligen Anschläge und Zaubereien dieser Unholdinnen zu vernichten, bis sie müde wurden, ihre unwirksamen Kräfte weiter an ihr zu versuchen.

Der seufzende Wladomir harrte indes mit sehnlichem Verlangen auf die Entwicklung seines Schicksals. Er wagte es mehr als einmal, den endlichen Erfolg desselben aus den schönen Augen seiner Gebieterin zu lesen, aber Libussa hatte ihnen tiefes Stillschweigen über die Gesinnungen ihres Herzens geboten, und einer Geliebten ohne vorgängige Unterhandlung mit den Augen und ihren bedeutsamen Blicken eine mündliche Erklärung abzufordern, ist immer ein mißliches Unternehmen. Das einzige günstige Anzeichen, welches noch seine Hoffnung belebte, war die unverwelkliche Rose, die nach Verlauf eines Jahres noch immer so frisch blühte wie an dem Abend, da er sie aus der Hand der schönen Libussa empfing. Eine Blume aus der Hand eines Mädchens, ein Strauß, eine Bandschleife oder eine Haarlocke ist freilich immer mehr wert als ein ausgefallener Zahn, aber alle diese schönen Dinge sind doch auch nur zweideutige Pfänder der Liebe, wenn sie nicht darüber hinaus durch zuverlässigere Äußerungen eine bestimmte Deutsamkeit erhalten.

Wladomir spielte also in der Stille die Rolle eines seufzenden Schäfers an dem Hofe seiner Huldgöttin und harrte, was Zeit und Umstände in der Folge zu seinem Vorteil ergeben würden. Der ungestüme Ritter Mizisla betrieb seine Intrige weit lebhafter, er drängte sich bei jeder Gelegenheit hervor, um bemerkt zu werden. Am Tage der Huldigung war er der erste Lehnsmann, welcher der neuen Fürstin den Eid der Treue schwur; er folgte ihr untrennbar allenthalben nach wie der Mond der Erde, um durch ungeforderte Dienstbeflissenheit seine Anhänglichkeit an ihre Person darzutun, und bei öffentlichen Feierlichkeiten und Aufzügen plänkelte er mit dem Schwert ihr in die Augen, um die Verdienste desselben in gutem Andenken zu erhalten.

Doch Libussa schien nach dem gewöhnlichen Weltlaufe die Beförderer ihres Glücks gar bald vergessen zu haben; denn wenn ein Obelisk einmal aufrecht steht, so achtet man nicht mehr auf die Hebel und Werkzeuge, die ihn in die Höhe gehoben haben; wenigstens erklärten sich die Kompetenten ihres Herzens also des Fräuleins Kaltsinn. Indessen irrten sie beide in ihrer Meinung: die edle Thronbesitzerin war weder unempfindlich noch undankbar, aber ihr Herz war nicht mehr ein freies Eigentum, damit zu schalten und zu walten, wie sie wollte. Der Machtspruch der Liebe hatte bereits zum Vorteil des schlanken Wildschützen entschieden.

Der erste Eindruck, den sein Anblick auf ihr Herz gemacht hatte, wirkte noch so mächtig, daß kein zweiter ihn auslöschen konnte. In einer Zeit von drei Jahren war von den Farben der Einbildungskraft, womit diese das Konterfei des anmutsvollen Jünglings entworfen hatte, nichts abgebleicht oder verwischt, und die Liebe war also vollkommen bewährt. Denn die Leidenschaft des schönen Geschlechts ist von der Natur und Beschaffenheit, daß, wenn sie drei Mondenwechsel die Probe aushält, sie alsdann auch dreimal drei Jahre und länger Bestand zu haben pflegt, laut Zeugnis und Beweis des augenscheinlichen Beispiels unserer Tage. Als die Heldensöhne Deutschlands über ferne Meere schwammen, den Hauszwist der eigenwilligen Tochter Britanniens mit dem Mutterlande auszufechten, rissen sie sich aus den Armen ihrer Schönen unter wechselseitigen Eidschwüren der Treue und Beständigkeit; doch ehe sie noch die letzte Tonne des Weserstroms im Rücken hatten, waren die Entschwommenen gutenteils von ihren Chloen vergessen. Die wankelmütigen Mädchen ersetzten flugs den leeren Raum aus Kummer, ihr Herz unbeschäftigt zu fühlen, durch das Surrogat neuer Intrigen. Aber die Lieben und Getreuen, die Standhaftigkeit genug besaßen, die Weserprobe auszuhalten und, da sich ihre Herzensbesieger schon jenseits der schwarzen Tonne befanden, noch keine Untreue sich hatten zuschulden kommen lassen, wie man sagt, bis zur Wiederkehr der edlen Heldenscharen ins deutsche Vaterland ihr Gelübde unverbrüchlich bewahrt und erwarten nun von der Hand der Liebe die Belohnung ihrer ausharrenden Beständigkeit.

Es war also minder wundernswert, daß unter diesen Umständen Fräulein Libussa dem Gewerbe der blühenden Ritterschaft, die um ihr Herz buhlte, widerstehen konnte, als daß die schöne Königin von Ithaka eine ganze Freierkohorte vergeblich nach sich seufzen ließ, da ihr Herz nur den graubärtigen Ulyß im Hinterhalte hatte.

Rang und Geburt hatten indessen die Verhältnisse des Fräuleins und des Geliebten ihres Herzens so sehr aus dem Gleichgewicht gerückt, daß ein näheres Verein als die platonische Liebschaft, die jedoch als ein leeres Schattenspiel weder nährt noch wärmt, nicht leicht zu hoffen stand. Ob man gleich in diesen fernen Zeiten die Geschlechtsklitterung so wenig nach Stammbaum und Pergamenthaut wertete, als man die Käfergeschlechter nach Fühlhörnern und Flügeldecken, oder die Blumen nach Staubfäden, Staubwegen, Kelch und Honigbehältnis ordnete: so wußte man doch, daß mit der hohen Ulme sich nur die köstliche Rebe paart und nicht der Gartenzwirn, der an dem Zaune kriecht. Eine Mißheirat von einer Differenz des Standes um einen Zoll breit erregte damals freilich nicht soviel pedantischen Lärm wie in unsern klassischen Zeiten, dennoch fiel ein Unterschied von einer Elle breit, zumal wenn in den Zwischenraum Mitwerber eintraten, welche die Entfernung der beiden Endpunkte versichtbarten, damals schon merklich in die Augen. Alles das und noch viel mehr erwog das Fräulein reiflich in ihrem klugen Sinn, darum gab sie der Leidenschaft, dieser betrüglichen Schwätzerin, kein Gehör, so laut diese auch zum Vorteil des vom Amor begünstigten Jünglings sprach. Sie tat als eine keusche Vestalin das unwiderrufliche Gelübde, in jungfräulicher Verschlossenheit ihres Herzens lebenslang zu verharren und keine Anfrage der Ehewerber zu beantworten, weder mit den Augen oder durch Gebärden oder mit Worten und dem Munde; doch mit dem Vorbehalte, zu billiger Entschädigung dafür zu platonisieren, soviel ihr beliebte. So ein klostermäßiges System war den beiden Aspiranten so wenig zu Sinne, daß sie den ertötenden Kaltsinn ihrer Gebieterin nicht reimen konnten. Die Gefährtin der Liebe, die Eifersucht, raunte ihnen peinlichen Argwohn ins Ohr; einer meinte, der andere sei ein glücklicher Nebenbuhler, und ihr Beobachtungsgeist spähte unermüdet, Entdeckungen zu machen, die sie beide scheuten. Doch Fräulein Libussa wog mit Vorsicht und Schlauheit den beiden ehrenfesten Rittern ihre sparsamen Gunstbezeigungen auf so gleicher Waage zu, daß keine Schale das Übergewicht bekam.

Des fruchtlosen Harrens müde, verließen beide das Hoflager ihrer Fürstin und begaben sich mit geheimer Unzufriedenheit auf ihre Kriegspfründen, die ihnen Herzog Krokus verliehen hatte. Beide brachten so viel Unmut mit in ihre Heimat, daß Fürst Wladomir allen seinen Vasallen und Nachbarn zur Last fiel. Ritter Mizisla dagegen wurde ein Weidmann, verfolgte Rehe und Füchse über die Äcker und Gehege seiner Untertanen und ritt oft nebst seinem Gefolge, um einen Hasen zu hetzen, zehn Malter Getreide zunichte. Darüber entstund groß Seufzen und Wehklagen im Lande; gleichwohl war kein Richter da, dem Unfug zu steuern: denn wer rechtet gern mit einem Mächtigern? Und so gelangten die Bedrückungen des Volks nie zum Throne der Herzogin. Jedoch vermöge ihres Seherblickes blieb ihr kein Unrecht innerhalb der weiten Grenzen ihres Gebietes verborgen, und weil ihre Gemütsart den sanften Zügen ihrer lieblichen Gestalt entsprach, betrübte sie sich innig über den Frevel ihrer Lehnsleute und die Gewaltsamkeit der Großen. Sie ratschlagte mit sich selber, wie diesem Unheil abzuwehren sei. Da gab ihr die Klugheit ein, den weisen Göttern nachzuahmen, welche bei ihrer Gerechtigkeitspflege die Verbrecher nicht flugs auf frischer Tat strafen, obgleich die langsam nachschreitende Rache sie früher oder später dennoch erreicht. Die junge Fürstin betagte ihre Ritterschaft und Stände zu einem gemeinsamen Landgerichte und ließ öffentlich ausrufen, wer eine Klage habe oder eine Unbill rügen wolle, solle frei und ungescheut hervortreten und sicher Geleit haben. Da kamen von allen Orten und Enden des Reichs die Geklemmten und Bedrückten herbei, auch Haderer und Streitköpfe und alle, die eine rechtliche Notdurft zu verrichten hatten.

Libussa saß auf dem Throne wie die Göttin Themis mit Schwert und Waage und sprach das Recht ohne Ansehen der Person mit untrüglichem Urteil: denn die labyrinthischen Gänge der Schikane führten sie nicht irre wie die stumpfen Köpfe damischer Schoppen, und jedermann verwunderte sich über die Weisheit, mit welcher sie die verworrene Zaspel der Prozesse in Sachen des Mein und Dein auseinanderwirrte, und über die unermüdete Geduld, den verborgnen Faden des Rechts, ohne ein falsches Ende zu reißen, herauszufinden, durchzustecken und aufzuwinden.

Nachdem das Gewühl der Parteien um die Schranken der Gerichtsbühne sich nach und nach vermindert hatte und die Sitzungen sollten aufgehoben werden, begehrten noch am letzten Tage des gehegten Rügegerichts ein ansässiger Grenznachbar des reichbegüterten Wladomir und die Deputierten von den Untertanen des jagdbaren Mizisla Gehör, um eine Beschwerde anzubringen. Sie wurden vorgelassen, der Landsaß hub zuerst sein Wort also an: "Ein fleißiger Pflanzer", sprach er, "umzäunte ein kleines Bezirk am Ufer eines breiten Flusses, dessen Silberstrom mit sanftem Getöse ins lustige Tal hinabgleitete: denn er dachte, der schöne Strom wird mir von dieser Seite zum Schütze dienen, daß das gefräßige Wild meine Saaten nicht verwüstet, und dann wird er die Wurzeln meiner Fruchtbäume wässern, daß sie bald aufwachsen und mir reiche Früchte bringen. Aber da der Gewinn seiner Arbeit reifte, trübte sich der betrügliche Fluß, seine stillen Gewässer fingen an zu brausen und aufzuschwellen, überströmten das Gestade, rissen ein Stück des fruchtbaren Ackers nach dem ändern mit sich fort und wühlten sich ein Bett mitten durch das angebaute Ackerland, zum großen Herzeleid des armen Pflanzers, der sein Eigentum der Willkür des gewaltsamen Nachbarn zum boshaften Freudenspiel dahingehen mußte, dessen reißender Flut er selbst kümmerlich entrann. Mächtige Tochter des weisen Krokus, dich fleht der arme Pflanzer an, dem übermütigen Strome zu gebieten, daß er seine stolzen Wellen nicht mehr über die Flur des arbeitsamen Landmanns wälze und dessen sauren Schweiß, die Hoffnung der fröhlichen Ernte, verschlinge, sondern innerhalb der Grenzen seines eigentümlichen Bettes ruhig dahinfließe."

Während dieser Rede umwölkte sich die heitere Stirn der schönen Libussa, männlicher Ernst leuchtete ihr aus den Augen, und alles um sie her war Ohr, ihren Rechtsspruch zu vernehmen, der also lautete: "Deine Sache ist schlicht und gerade; keine Gewalt soll deine Gerechtsame beugen. Ein fester Damm soll dem ungezähmten Flusse Maß und Ziel setzen, den er nicht übersteigen soll, und von seinen Fischen will ich dir siebenfältigen Ersatz geben des Raubes seiner verwüstenden Fluten." Drauf winkt sie dem Ältesten der Gemeinde zu reden, und er neigte sein Angesicht zur Erde und sprach: "Weise Tochter des ruhmvollen Krokus, sag uns an, wes ist die Saat auf dem Felde, des Sämanns, der das Samenkorn in die Erde verborgen hat, daß es aufkeime und Frucht bringe, oder des Sturmwinds, der sie zerknickt und zertrümmert?" Sie antwortete: "Des Sämanns." - "So gebiete dem Sturmwind", sprach der Worthalter, "daß er nicht unsere Fruchtäcker zum Tummelplatze seines Mutwillens wähle, die Saaten zertrete und die Obstbäume schüttele." - "Dem geschehe also", gegenredete die Herzogin; "ich will den Sturmwind bezähmen und aus eurer Flur verbannen, er soll mit den Wolken kämpfen und sie zerstreuen, die von Mitternacht heraufziehen und das Land mit Hagel und schweren Wettern bedräuen."

Fürst Wladomir und Ritter Mizisla waren beide Beisitzer des allgemeinen Landgerichtes. Als sie die angebrachte Klage und die ernste Sentenz der Fürstin hörten, erbleichten sie und sahen mit verbissener Wut stier vor sich hin zur Erde, durften sich's nicht austun, wie sehr sie's wurmte, daß sie durch den Urteilsspruch aus einem weiblichen Munde belastet wurden. Denn obwohl zu Schonung ihrer Ehre die Kläger gar bescheidentlich der Anklage einen allegorischen Schleier umgehangen hatten und der rechtliche Bescheid der Oberrichterin diese Decke selbst klüglich respektierte: so war das Gewebe davon doch so fein und durchsichtig, daß jeder, der Augen hatte, wohl sehen konnte, wer dahinterstand. Weil sie nun von dem Richterstuhle der Fürstin an das Volk zu appellieren nicht wagen durften, da das gegen sie gefällte Urteil ein allgemeines Frohlocken erregte, so unterwarfen sie sich demselben, wiewohl mit großem Unwillen. Wladomir leistete seinem Nachbar, dem Landsassen, siebenfältigen Ersatz des ihm zugefügten Schadens, und Nimrod Mizisla mußte bei ritterlichen Ehren angeloben, nicht mehr die Kornfelder seiner Untertanen zum Jagdrevier der Hasenhetze zu wählen. Zugleich wies ihnen Libussa eine rühmlichere Beschäftigung an, ihre Tätigkeit zu üben und ihrem Rufe, der wie ein zerschelltes Gefäß jetzt nur Übellaut von sich hören ließ, wieder den Anklang ritterlicher Tugenden zu geben. Sie stellte beide an die Spitze ihres Heeres, das sie aussandte gegen Zornebock, den Fürsten der Sorben, welcher ein Riese und dabei ein mächtiger Zauberer war und damals eben damit umging, Böhmen zu bekriegen. Dabei legte sie ihnen allen beiden die Pönitenz auf, nicht eher zum Hoflager zurückzukehren, bis der eine den Federbusch, der andere die güldnen Sporen des Unholds zum Siegeszeichen ihr darbringen würde.

Die unverwelkliche Rose bewies auch in diesem Kriegszuge ihre magische Kraft. Fürst Wladomir wurde dadurch für sterbliche Waffen so unverwundbar wie Achill, der Held, und so schnell, leicht und gewandt wie Achill, der Schmetterling. Die Heere trafen auf der mitternächtlichen Grenzscheidung des Reichs zusammen, man gab das Zeichen zur Schlacht. Die böhmischen Helden flogen durch die Geschwader wie Sturm und Wirbelwind und mähten die dichte Lanzensaat wie die Sense des Schnitters einen Weizenacker. Zornebock erlag unter ihren kräftigen Schwertstreichen; sie kehrten im Triumph mit der bedungenen Beute nach Vizegrad zurück und hatten die Makel und Flecken, die vorher ihre ritterliche Tugend beschmutzten, in dem Blute der Feinde rein abgewaschen. Die Herzogin Libussa begabte sie mit allen Ehrenzeichen der Fürstengunst, entließ sie, da das Heer auseinanderging, in ihre Heimat und gab ihnen, gleichsam als einen neuen Beweis ihrer Gunst einen purpurroten Apfel aus ihrem Lustgarten zum Andenken auf den Weg, mit dem Beifügen, solchen friedlich unter sich zu teilen, ohne ihn zu zerschneiden. Sie zogen nun ihre Straße, legten den Apfel auf einen Schild und ließen ihn zur Schau vor sich hertragen, indem sie zusammen beratschlagten, wie sie es mit der Teilung klüglich anstellen möchten, um den Sinn der milden Geberin nicht zu verfehlen.

Ehe sie an den Scheideweg kamen, der sie trennen sollte, um jeden nach seiner Wohnung zu führen, pflogen sie ihren Partagetraktat in aller Güte; jetzt aber kam's drauf an, wer den Apfel, an welchem sie beide gleichen Anteil hatten, verwahren sollte, denn einem konnte er doch nur zuteil werden, und beide versprachen sich davon große Wunderdinge, die jeden nach dem Besitze lüstern machten. Darüber wurden sie mißhellig, und es war an dem, daß das Schwert entscheiden sollte, wem das Waffenglück den unteilbaren Apfel zugedacht habe. Da trieb ein Schäfer mit seiner Herde denselben Weg daher, den wählten sie, vermutlich, weil die drei wohlbekannten Göttinnen sich auch an einen Schäfer gewendet hatten, ihren Apfelstreit zu entscheiden, zum Schiedsrichter und trugen ihm die Sache vor. Der Schäfer bedachte sich ein wenig und sprach: "In dem Geschenke des Apfels liegt tiefer, verborgener Sinn; wer vermag ihn aber auszugraben als die kluge Jungfrau, die ihn darin verborgen hat? Ich wähne, der Apfel sei eine betrüg-liche Frucht, die an dem Baume der Zwietracht gereift ist, und die purpurrote Schale deute auf blutige Fehden unter euch, ihr Herren Ritter, daß einer den ändern aufreibe und keinen Genuß von der Spende habe. Denn sagt mir, wie ist's möglich, einen Apfel zu teilen, ohne ihn zu zerlegen?"

Die beiden Ritter nahmen die Rede des Schafhirten zu Herzen und gedachten, es liege große Weisheit darinnen. "Du hast recht geurteilt", sprachen sie, "hatte der schändliche Apfel nicht schon Zorn und Hader
unter uns erregt? Stunden wir nicht gerüstet, um die betrügliche Gabe des stolzen Fräuleins zu kämpfen, die uns hasset? Stellte sie uns nicht an die Spitze ihres Heeres, daß sie gedachte, uns zu fällen? Und weil's ihr damit nicht gelungen ist, waffnet sie nun unsern Arm mit dem Dolche der Zwietracht gegen uns selbst. Wir sagen uns los von dem arglistigen Geschenke, keiner von uns soll den Apfel haben. Er soll dein sein zum Lohne deines ehrlichen Bescheids: dem Richter gebührt die Frucht des Prozesses und den Parteien die Schelfen."

Die Ritter zogen hierauf ihre Straße, während daß der Hirte das Objektum Litis mit all der Gemächlichkeit, die den Richtern gewöhnlich ist, verzehrte. Die zweideutige Spende der Herzogin wurmte sie sehr, und da sie bei ihrer Heimkunft fanden, daß sie nicht mehr mit ihren Lehnsleuten und Untertanen so willkürlich schalten konnten wie vorhin, sondern den Gesetzen gehorchen mußten, die Fräulein Libussa zu allgemeiner Sicherheit ins Land hatte ergehen lassen, vermehrte sich ihr Unmut noch viel mehr.

Die Ritter traten miteinander in Verein zu Trutz und Schutz, machten sich einen Anhang im Lande, und es gesellten sich viele Aufwiegler zu ihnen, die schickten sie in den Gespanschaften herum, das weibliche Regiment zu verschreien und zu verunglimpfen. "O der Schande!" sprachen sie, "daß wir einem Weibe untenan sind, die unsere Siegeslorbeeren sammelt, einen Spinnrocken damit aufzuschmücken. Dem Manne gebührt, Herr zu sein im Hause, und nicht der Frau, das ist sein eigentümliches Recht, so ist es Sitte überall bei allem Volk. Was ist ein Heer ohne Herzog, der vor dem Kriegsvolk einherzeucht, anders als ein unbehilflicher Rumpf ohne Haupt? Lasset uns einen Fürsten setzen, der über uns Herr sei und dem wir gehorchen."

Diese Reden blieben der wachsamen Fürstin nicht verborgen, sie wußte auch wohl, von wannen der Wind kam und was sein Sausen verkündete. Darum beschied sie einen Ausschuß der Stände zu sich, trat mit dem Glänze und der Würde einer Erdengöttin mitten unter sie, und die Rede ihres Mundes floß wie Honigseim von ihren jungfräulichen Lippen. "Es ist ein Gerücht im Lande", redete sie die Versammlung an, "daß ihr einen Herzog begehrt, der vor euch herziehe im Streit, und daß ihr es unrühmlich achtet, mir ferner zu gehorchen. Gleichwohl habt ihr durch eine freie und unbeschränkte Wahl nicht einen Mann aus eurem Mittel, sondern eine von den Töchtern des Landes erkieset und mit dem Purpur bekleidet, daß sie über euch herrschen sollte nach der Sitte und Gewohnheit des Landes. Wer mich nun eines Fehls in Verwaltung des Regiments zeihen kann, der trete frei und öffentlich auf und zeuge wider mich. Hab ich aber nach der Weise meines Vaters Krokus Rat und Gerechtigkeit gehandhabt, die Hügel eben, die Krümmen gerade, die Tiefen wegsam gemacht, hab ich eure Ernten gesichert, eure Herden dem Wolf entrissen und den Obstbaum gehütet, hab ich den steifen Nacken der Gewaltsamen gebeugt, dem Niedergedrückten aufgeholfen und dem Schwachen einen Stab gegeben, sich daran zu halten: so kommt es euch zu, eurer Zusage nachzuleben und mir treu, hold und gewärtig zu sein, wie ihr mir gehuldigt habt. Wenn ihr vermeint, es sei unrühmlich, einem Weibe zu gehorchen, so hättet ihr das bedenken sollen, ehe ihr mich zu eurer Fürstin bestelltet; ist ein Unglimpf darinnen, so fällt er ganz auf euch zurück. Aber euer Beginnen veroffenbart, daß ihr euren eignen Vorteil nicht versteht: die weibliche Hand ist sanft und weich, gewöhnt, mit dem Wedel nur kühle Luft zu fächeln; aber sehnig und rauh ist der männliche Arm, drückend und schwer, wenn er das Gewicht der Obergewalt erfaßt. Und wisset ihr nicht, wo ein Weib regiert, daß da die Herrschaft in der Männer Gewalt ist? Denn sie gibt weisen Räten Gehör: wo man aber die Spindel vom Thron ausschließt, da ist Weiberregiment; denn die Dirnen, die des Königs Augen gefallen, haben sein Herz in Händen. Darum bedenkt euer Vornehmen wohl, daß der Wankelmut euch nicht zu spät gereue."

Die Rednerin vom Throne schwieg, und ein tiefes ehrerbietiges Stillschweigen herrschte im Versammlungssaale, niemand unterstund sich, ein Wort gegen sie vorzubringen. Doch Fürst Wladomir und seine Konföderierten gaben drum ihr Vorhaben nicht auf und flüsterten sich ins Ohr: "Die schlaue Waldgemse sträubt sich, die fette Weide zu verlassen, aber das Jägerhorn soll noch lauter ertönen und sie dennoch fortscheuchen." Tages darauf erregten sie die Ritterschaft, daß diese mit Ungestüm der Fürstin anliegen mußte, sich binnen drei Tagen einen Gemahl auszusuchen und durch die Wahl ihres Herzens dem Volke einen Fürsten zu geben, der mit ihr die Regierung teilte. Bei dieser raschen Anforderung, welche die Stimme der Nation zu sein schien, färbte eine jungfräuliche Schamröte die Wangen der reizenden Libussa, ihr helles Auge sah alle Klippen unter Wasser, die ihr bei dieser Gelegenheit Gefahr drohten. Wenn sie auch nach der Sitte der großen Welt ihre Neigung gefangennehmen wollte unter den Gehorsam der Staatsklugheit, so konnte sie ihre Hand doch nur einem Ehewerber geben, und da sah sie wohl ein, daß alle übrigen Prätendenten diese Zurücksetzung für Verschmähung nehmen und auf Rache sinnen würden. Überdem war ihr das geheime Gelübde ihres Herzens unverletzbar und heilig, darum strebte sie, dieses zudringliche Verlangen der Stände klüglich abzulehnen und noch einen Versuch zu machen, die Herzogswahl ihnen ganz auszureden. "Nach dem Tode des Adlers", sprach sie, "wählte das Geflügel die Waldtaube zur Königin, und alle Vögel gehorchten ihrem sanften, girrenden Ruf. Doch leicht und luftig, wie der Vögel Natur ist, änderten sie bald diesen Beschluß und ließen sich solchen gereuen. Der stolze Pfau meinte, ihm stehe besser an, zu herrschen, der gierige Sperber, geübt, das kleine Gefieder zu beizen, hielt es für schimpflich, der friedsamen Taube Untertan zu sein; sie machten sich einen Anhang und dingten den blödsinnigen Uhu zum Sprecher ihrer Konföderation, eine neue Königswahl in Vorschlag zu bringen. Der damische Trappe, der schwerbeleibte Auerhahn, der träge Storch, der hirnarme Reiher und alle größern Vögel balzten, klapperten und krächzten ihm lauten Beifall zu, und das Heer der kleinen Vögel zwitscherte aus Unverstand in Busch und Hecken die nämliche Weise. Da erhob sich der wehrhafte Weih kühn in die Luft, und alle Vögel schrien: "Welch ein majestätischer Flug! Welcher Blitzblick in dem herumschauenden Feuerauge und welcher Ausdruck von Übermacht in dem gekrümmten Schnabel und den weitgreifenden Fängen! Der kecke, mannfeste Weih soll unser König sein! "

Kaum hatte der räuberische Vogel den Thron eingenommen, so bewies er an den gefiederten Untertanen seine Mannskraft und Tätigkeit mit großer Tyrannei und Übermut: er rupfte dem großen Geflügel die Federn aus und zerfleischte die kleinen Sangvögel." So deutsam diese Rede war, so machte sie doch nur wenig Eindruck auf die nach einem Regierungswechsel lüsternen Gemüter, und es blieb bei dem Volksschluß, daß sich Fräulein Libussa binnen drei Tagen einen Gemahl wählen sollte. Des war Fürst Wladomir in seinem Herzen froh, denn jetzt gedacht er die schöne Beute zu erlangen, nach der er solange vergeblich gestrebt hatte. Liebe und Ehrgeiz befeuerten seine Wünsche und machten seinen Mund beredt, der sich bisher nur geheime Seufzer erlaubt hatte. Er kam nach Hofe und begehrte Gehör bei der Herzogin. "Huldreiche Beherrscherin deines Volks und meines Herzens", redete er sie an, "dir ist kein Geheimnis verborgen, du kennst die Flammen, die in diesem Busen lodern, so heilig und rein wie auf dem Altar der Götter, und du weißt, welches himmlische Feuer sie angezündet hat. Jetzt ist es an dem, daß du auf Geheiß des Volkes dem Lande einen Fürsten geben sollst. Kannst du ein Herz verschmähen, das für dich lebt und schlägt? Deiner wert zu sein, habe ich Blut und Leben dran gewagt, dich auf den Thron deines Vaters zu erheben. Laß mir das Verdienst, auch dich darauf zu erhalten durch das Bündnis zarter Liebe; laß uns den Besitz des Throns und deines Herzens teilen: jener sei dein und dieses mein, so wirst du mein Glück über das Los der Sterblichen erheben." Fräulein Libussa gebärdete sich gar jungfräulich bei Anhörung dieser Rede und bedeckte ihr Angesicht mit dem Schleier, um die sanfte Schamröte, die ihre Wangen höher färbte, darunter zu verbergen. Sie winkte dem Fürsten Wladomir mit der Hand, abzutreten, ohne ihren Mund aufzutun, gleichsam, um zu überlegen, wessen sie ihn in Absicht seines Gewerbes zu bescheiden hätte.

Alsbald meldete sich der kecke Ritter Mizisla und verlangte, eingelassen zu werden. "Reizendste der Fürstentöchter", sprach er beim Eintritt in das Audienzgemach, "die schöne Taube, die Königin der Luftgefilde, soll, wie dir wohl bewußt ist, nicht mehr einsam girren, sondern sich einen Gatten suchen. Der stolze Pfau spiegelt ihr, wie die Rede geht, sein buntes Gefieder in die Augen und vermeint, sie durch den Glanz seiner Federn zu blenden; aber sie ist klug und bescheiden und wird sich nicht mit dem übermütigen Pfauen gatten. Der gierige Sperber, vormals ein räuberischer Vogel, hat ganz seine Natur ausgezogen, ist fromm und bieder, auch ohne Falsch: denn er liebt die schöne Taube und trachtet, daß sie sich zu ihm geselle. Daß er einen krummen Schnabel und spitze Krallen hat, darf dich nicht irren; er bedarf ihrer zum Schutz der schönen Taube, seiner Geliebten, daß ihr kein Gefieder schade oder den Stuhl ihrer Herrschaft verrücke; denn er ist treu und hold und hat ihr zuerst gehuldiget am Tage ihrer Erhebung. Nun sage mir, weise Fürstin, ob die sanfte Taube ihren getreuen Sperber der Liebe würdigt, nach der ihn verlangt?"

Fräulein Libussa tat wie vorhin, bedeutete dem Ritter gleichfalls, abzutreten, und nachdem sie ihn hatte etwas verziehen lassen, berief sie die beiden Mitbewerber herein und redete also: "Ich weiß es euch großen Dank, edle Ritter, daß ihr mir beide förderlich gewesen seid, die Böhmische Fürstenkrone, die mein Vater Krokus mit Ruhm getragen hat, nach ihm zu erlangen, und habe euren Diensteifer, dessen ihr mich erinnert, nicht in Vergessenheit gestellt; auch ist mir unverborgen, daß ihr mich züchtiglich minnet, denn eure Blicke und Gebärden waren längst die Dolmetscher eurer Herzgefühle. Daß ich aber mein Herz für euch verschlossen und nicht Liebe mit Liebe erwidert habe, achtet nicht für spröden Sinn; es war nicht gemeint zu Schimpf und Schmach, sondern zu glimpflicher Auskunft einer zweifelhaften Wahl. Ich wog eure Verdienste, und das Zünglein der prüfenden Waage stund innen. Darum beschloß ich, die Entscheidung eures Schicksals euch selbst zu überlassen, und bot euch den Besitz meines Herzens unter dem rätselhaften Apfel dar, um zu erforschen, wem unter euch das größere Maß von Sinneskraft und Weisheit gegeben sei, die unteilbare Spende sich zuzueignen. So sagt mir nun ohne Verzug, in wessen Hand der Apfel ist. Wer ihn dem ändern abgewonnen hat, nehme von Stund an meinen Thron und mein Herz zum Gewinn dahin." Die beiden Mitbewerber sahen einander verwundernd an, erbleichten und verstummten. Endlich brach Fürst Wladomir nach langer Pause das Stillschweigen und sprach: "Des Weisen Rätsel sind für den Unverständigen eine Nuß in einem zahnlosen Munde; eine Perle, die das Huhn aus dem Sande scharrt; eine Leuchte in der Hand des Blinden. O Fürstin, zürne nicht, daß wir dein Geschenk weder zu brauchen noch zu schätzen wußten! Wir mißdeuteten deine Absicht, die wir nicht kannten, gedachten, du habest einen Zankapfel unter uns geworfen, der uns zu Fehden und Zweikampf reizen sollte, darum begab sich jeder seines Anteils, und wir entledigten uns der zwiespältigen Frucht, deren alleinigen Besitz keiner dem ändern friedlich würde gestattet haben."

"Ihr habt euch selbst das Urteil gesprochen", erwiderte das Fräulein, "wenn ein Apfel schon eure Eifersucht entflammte, welchen Kampf würdet ihr um einen Myrtenkranz gekämpft haben, der sich um eine Krone schlingt." Mit diesem Bescheide ließ sie die Ritter von sich, die sich hoch betrübten, daß sie dem unweisen Schiedsrichter Gehör gegeben und das Pfand der Liebe unbedachtsam verschleudert hatten, welches doch das Mittel war, die Braut zu dingen und den Finger zu beringen. Sie überlegten nun jeder absonderlich, wie sie dennoch ihr Vorhaben ausführen und den böhmischen Thron nebst der reizenden Inhaberin desselben durch List oder Gewalt erlaufen oder erringen möchten.

Fräulein Libussa war indessen die drei Tage, die ihr zur Bedenkzeit gegeben waren, auch nicht müßig, sondern ratschlagte fleißig mit sich selbst, wie sie dem zudringlichen Verlangen des Volks entgegenkommen, der Nation einen Herzog und sich einen Gemahl nach der Wahl ihres Herzens geben möchte. Sie fürchtete, Fürst Wladomir dürfte sich ihr dennoch mit Gewalt aufdringen oder ihr wenigstens den Thron rauben. Die Notwendigkeit bot der Liebe die Hand, sie entschlossen zu machen, den Plan auszuführen, mit welchem sie sich oft als mit einem angenehmen Traume unterhalten hatte; denn welchem Sterblichen spukt nicht ein Phantom im Kopfe, nach welchem er in einer leeren Stunde hascht, um damit als mit einer Puppe zu spielen? Es gibt keinen artigem Zeitvertreib für ein engbeschuhtes Mädchen, wenn sie sich eben die Leichdorn beschneidet, als an eine stattliche und bequeme Equipage zu denken; die spröde Schöne träumt sich gern einen Grafen, der zu ihren Füßen seufzt; die Eitle ordnet einen Juwelenschmuck; die Gewinnsucht errät eine Quaterne, dem Verhafteten im Schuldturm fällt eine große Erbschaft anheim; der Prasser grübelt das hermetische Geheimnis aus, und der arme Holzbauer findet einen Schatz im hohlen Baum: alles das zwar in der Einbildung, aber doch nicht ohne Genuß eines geheimen Vergnügens. Die Sehergabe ist von jeher mit einer glühenden Phantasie vergesellschaftet gewesen, folglich gab die schöne Libussa dieser angenehmen Gespielin zuzeiten auch gern Gehör, und diese gefällige Vertraute unterhielt sie immer mit dem Bilde des jungen Wildschützen, der einen so bleibenden Eindruck auf ihr Herz gemacht hatte. Es kamen ihr tausend Entwürfe in den Sinn, die ihr die Einbildungskraft als leicht und tunlich anschmeichelte.

Bald machte sie einen Plan, den heben Jüngling aus der Dunkelheit hervorzuziehen, ihn im Heere anzustellen und von einer Ehrenstaffel zur ändern zu erheben; dann schlang die Phantasie flugs einen Lorbeerkranz um seine Schläfe und führte ihn mit Ruhm und Sieg gekrönt an den Thron, welchen sie mit Vergnügen mit ihm teilte. Bald gab sie dem Roman eine andere Wendung; sie rüstete ihren Liebling als einen irrenden Ritter aus, der auf Abenteuer ausgezogen sei, führte ihn an ihrem Hoflager ein, wandelte ihn in einen Hüon um, und es gebrach ihr auch nicht an der wunderbaren Gerätschaft, ihn ebenso zu begraben
wie Freund Oberon seinen Pflegling. Aber wenn die Besonnenheit sich wieder der jungfräulichen Sinnen bemeisterte und für dem Lichtstrahl der Klugheit die bunten Gestalten der Zauberlaterne erbleichten, war der schöne Traum verschwunden. Sie überlegte alsdenn, was für ein Wagestück sie mit einem solchen Beginnen unternehmen würde und welches Unheil für Land und Leute daraus zu befahren sei, wenn Eifersucht und Neid die Herzen der Magnaten gegen sie empören und die Lärmstange der Zwietracht das Signal zu Meuterei und Aufruhr geben würde. Drum verhehlte sie die Neigungen und Wünsche ihres Herzens sorgfältig vor dem scharfsichtigen Auge der Späher und ließ nichts davon offenbar werden.

Doch jetzt, da das Volk nach einem Fürsten lüstete, hatte die Sache eine andere Gestalt gewonnen, und es kam nur drauf an, ihre Wünsche mit dem Verlangen der Nation zu vereinbaren. Sie stärkte ihren Mut mit männlicher Entschlossenheit, und da der dritte Tag heranbrach, legte sie all ihr Geschmeide an, und auf ihrem Haupte prangte die keusche Myrtenkrone. Sie bestieg im Gefolge ihrer Jungfrauen, allesamt mit Blumenkränzen geschmückt, den Fürstenthron, voll hohes Muts und sanfter Würde. Die Versammlung der Ritter und Vasallen um sie her war ganz Ohr, um aus ihrem holden Munde den Namen des glücklichen Prinzen zu vernehmen, mit dem sie Herz und Thron zu teilen entschlossen sei.

"Ihr Edlen meines Volks", redete sie die Versammlung an, "noch liegt das Los eures Schicksals unberührt in der Urne der Verborgenheit, noch seid ihr frei gleich meinen Rossen, die m der Aue weiden, ehe sie Zaum und Stangengebiß bändigt und ihren schlanken Rücken die Bürde des Sattels und die Last des Reuters drückt. Euch kommt es jetzt zu, mir kundzutun, ob die Frist, die ihr mir zur Wahl eines Gemahls vergönnt habt, die heiße Begierde, einen Fürsten über euch herrschen zu lassen, abgekühlt und zu ruhiger Prüfung dieses Vorhabens euch angemahnt hat oder ob ihr auf eurem Sinn noch unwandelbar beharrt." Sie schwieg einen Augenblick, aber der Aufruhr im Volk, das Geräusch und Flüstern nebst den Gebärden der sämtlichen Senatoren ließen sie nicht lange in Ungewißheit, und der Sprecher bestätigte das Konklusum, daß es bei der Herzogswahl verbleiben sollte.

"Wohlan", sprach sie, "das Los ist geworfen, ich stehe für nichts! Die Götter haben dem Reiche Böhmen einen Fürsten ausersehen, der sein Zepter mit Weisheit und Gerechtigkeit erheben wird. Der junge Zedernbaum ragt noch nicht über die stämmigen Eichen hervor, versteckt unter den Bäumen des Waldes grünt er, umringt von unedlem Gesträuche; doch bald wird er seine Zweige ausbreiten, daß sie der Wurzel Schatten geben, und sein Wipfel wird die Wolken berühren. Macht einen Ausschuß unter euch, ihr Edlen im Volk, von zwölf redlichen Männern aus eurer Mitte, daß sie eilen, den Fürsten aufzusuchen und zum Throne zu geleiten. Mein Leibroß soll ihnen Weg und Bahn anzeigen, ledig und frei soll es vor ihnen hertraben, und zum Wahrzeichen, daß ihr gefunden habt, was ihr zu suchen ausgesandt seid, so merkt, daß der Mann, den die Götter euch zum Fürsten ausersehen haben, zur Zeit, wenn ihr euch zu ihm naht, sein Mahl halten wird auf einem eisernen Tische, unter freiem Himmel im Schatten eines einsamen Baumes. Diesem sollt ihr huldigen und seinen Leib bekleiden mit den Zeichen der Fürstenwürde. Das weiße Roß wird ihn aufsitzen lassen und ihn hierher zum Hoflager bringen, daß er mein Gemahl und euer Herr sei."

Sie entließ hierauf die Versammlung mit der heitern, aber doch verschämten Miene, die den Bräuten gewöhnlich ist, wenn sie die Ankunft des Bräutigams erwarten. Über ihre Rede verwunderte sich männiglich, und der prophetische Geist, welcher daraus hervorblickte, wirkte auf die Gemüter wie ein Götterspruch, dem der Pöbel blindlings Glauben beimißt und worüber nur die Denker klügeln. Man sonderte die Ehrenboten aus, das edle Roß stund in Bereitschaft, mit asiatischer Pracht gezäumt und geschmückt, als wenn es den Großherrn hätte sollen zur Moschee tragen. Die Kavalkade setzte sich in Bewegung unter dem Zulauf und Freudengeschrei des neugierigen Volks, und das weiße Roß trabte stolz voran. Doch bald verschwand der Zug den Zuschauern aus den Augen, man sah nichts als eine Staubwolke in der Ferne emporwirbeln: denn der mutige Gaul setzte sich bald in Atem, als er ins Freie kam, und begann ein wütiges Rennen wie ein britischer Wettläufer, also, daß ihm das Geschwader der Abgeordneten nur kümmerlich folgen konnte. Obgleich der rasche Traber sich selbst überlassen schien, so regierte doch eine unsichtbare Gewalt seinen Gang, lenkte den Zügel und spornte seine Lenden. Fräulein Libussa hatte durch das magische Erbteil von der Mutter Elfe den Gaul so abzurichten gewußt, daß er weder zur Rechten noch zur Linken aus der Bahn wich, sondern mit
flüchtigem Gange seiner Bestimmung zueilte; und sie harrte, da sich jetzt alles zur Erreichung ihrer Wünsche neigte, des Kommenden mit zärtlichem Verlangen.

Die Botschafter wurden indessen wacker gehetzt, sie hatten bereits einen Weg von vielen Meilen gemacht, bergauf, bergab, waren durch die Moldau und Elbe geschwommen, und weil der Magen sie an das Mittagsmahl erinnerte, gedachten sie wieder an den wunderbaren Tisch, woran ihr neuer Fürst nach dem Ausspruche des Fräuleins tafeln sollte. Sie machten darüber mancherlei Glossen und Anmerkungen, ein vorlauter Ritter sprach zu seinen Konsorten: "Mich will bedünken, unsre Frau, die Herzogin, habe vor, uns zu äffen, und wir seien von ihr in den April geschickt; denn wer hat wohl je gehört, daß ein Mann in Böhmen sei, der an einem eisernen Tische Tafel halte? Was gilt's, unser hastiges Treiben wird uns nichts einbringen als Schimpf und Hohngelächter?" Aber ein anderer, der verständiger war, meinte, der eiserne Tisch könne eine sinnbildliche Bedeutung haben, vielleicht würden sie einem irrenden Ritter begegnen, der nach Gewohnheit der wandernden Brüderschaft unter einem Feldbaume raste und sein frugales Mittagsmahl auf dem ehernen Schilde sich aufgetischt habe. Ein dritter sagte scherzweise: "Ich fürchte, daß unser Weg gerade hinab zur Werkstatt der Zyklopen führe und wir den lahmen Vulkan oder einen seiner Gehilfen, der irgend auf dem Schmiedeamboß tafelt, unsrer Venus zuführen sollen."

Unter diesen Gesprächen sahen sie ihren Geleitsmann, den Schimmel, der einen weiten Vorsprung genommen hatte, zwerch über ein frischgeackertes Feld traben und bei einem Pflüger zu ihrer Verwunderung stille stehen. Sie flogen rasch hinzu und fanden einen Bauersmann auf umgestürztem Pfluge sitzen, der sein schwarzes Brot auf der eisernen Pflugschar, deren er sich zum Tische bediente, unter dem Schatten eines Birnbaums verzehrte. Er schien an dem schönen Pferde Gefallen zu haben, tat ihm freundlich, bot ihm seinen Bissen, und es fraß aus seiner Hand. Die Ambassade wurde durch diese Erscheinung zwar sehr überrascht, dem ungeachtet zweifelte keiner der Abgeordneten, daß sie ihren Mann gefunden hätten. Sie nahten ihm ehrerbietig, der Älteste unter ihnen nahm das Wort und sprach: "Die Herzogin von Böhmen hat uns zu dir gesandt und läßt dir entbieten, der Wille und Ratschluß der Götter sei, daß du diesen Ackerpflug mit dem Stuhle dieses Reichs und deinen Treiberstecken mit dem Zepter vertauschen sollst. Sie wählt dich zum Gemahl, mit ihr über Böhmen zu herrschen". Der junge Bauer glaubte, man wolle Scherz mit ihm treiben, welches ihm eben nicht zu Sinne war, besonders weil er wähnte, man habe sein Liebesgeheimnis erraten und käme nun, seiner Schwachheit zu spotten. Darum antwortete er etwas trotzig, um Hohn mit Hohn zu erwidern: "Laßt sehen, ob euer Herzogtum dieses Pflugs wert sei! Wenn der Fürst sich nicht satter essen, fröhlicher sich trinken und ruhiger schlafen kann als der Bauer, so lohnt es wahrlich nicht der Mühe, das Reich Böhmen mit diesem nahrhaften Ackerfelde oder diesen glatten Ochsenstecken mit einem Zepter zu vertauschen: denn sagt mir, dient ein Salzfaß nicht ebensogut, meinen Bissen zu würzen als ein Scheffel?"

Da antwortete einer von den Zwölfen: "Der lichtscheue Maulwurf wühlt unter der Erde nach Gewürm, davon er sich nähre, denn er hat keine Augen, die das Tageslicht vertragen, und keine Füße, die gemacht sind zum Laufen wie das flüchtige Reh; der beschalte Krebs kriecht im Schlamme der Seen und Sümpfe, wohnt am liebsten unter Baumwurzeln und Gesträuchen am Gestade der Flüsse, denn ihm mangeln die Floßfedern zum Schwimmen; und der Haushahn im Hühnerzwinger eingesperrt, wagt keinen Flug über die niedre Bleichwand, denn er ist zu verzagt, auf seine Fittiche sich zu verlassen wie der emporschwebende Stößer. Sind dir Augen zum Sehen, Füße zum Gehen, Floßfedern zum Schwimmen und Schwingen zum Flug verliehen, so wirst du nicht als ein Maulwurf die Erde umwühlen, als ein schwerfälliges Schaltier im Sumpfe dich verbergen oder als der Prinz des Hausgeflügels nur auf dem Dünger krähen, sondern hervor ans Tageslicht treten, laufen, schwimmen oder an die Wolken fliegen, je nachdem die Natur dich mit ihren Gaben ausgerüstet hat. Denn einem tätigen Manne genügt nicht, das zu sein, was er ist, sondern er strebt zu werden, was er sein kann. Darum versuche zu sein, wozu die Götter dich auffordern: so wirst du urteilen können, ob das Reich Böheim des Tausches um einen Morgen Ackerfeld wert sei oder nicht."

Diese ernsthafte Rede des Abgesandten, welcher kein scherztreibender Spott abzumerken war, noch mehr die Abzeichen der Fürstenwürde, das Purpurgewand, der Regimentsstab und das goldne Schwert, welche die Gesandten als Beleg und Kredenzbrief ihrer wahrhaften Sendung hervorzogen, überwältigten endlich das Mißtrauen des zweifelhaften Pflügers. Auf einmal wurd's Licht in seiner Seele; ein entzückender Gedanke erwachte in ihm, daß Fräulein Libussa die Gefühle seines Herzens erraten, seine Treue und Beständigkeit vermöge ihrer Kunde, das Verborgene zu schauen, erkannt habe und solche auf eine Art belohnen wolle, die er im Traume zu ahnden nie gewagt hatte.

Die durch ihr Orakel ihm verheißene Gabe der Weissagung kam ihm jetzt wieder in den Sinn, und er bedachte, daß jetzt oder niemals solche in Erfüllung gehen müßte. Flugs ergriff er seinen häselnen Stab, stieß ihn tief in den Acker, häufte lockere Erde umher, wie man einen Baum pflanzt, und siehe da! alsbald gewann der Stab Knospen, trieb Sprossen und Äste mit Laub und Blüten. Zwei von den grünenden Zweigen aber verwelkten, und das dürre Laub ward ein Spiel der Winde; der dritte wuchs desto kräftiger und seine Früchte reiften. Da fiel der Geist der Weissagung auf den entzückten Pflüger, er tat seinen Mund auf und sprach: "Ihr Boten der Fürstin Libussa und des Böhmischen Volkes, vernehmt die Worte Primislas, des Sohns Mnatha des ehrenfesten Ritters, dem, angeweht vom Geiste der Weissagung, sich die Nebel der Zukunft enthüllen. Den Mann, der den Pflug regierte, ruft ihr auf, die Handhaben eures Fürstentums zu ergreifen, ehe sein Tagewerk vollendet war. Ach, daß der Pflug den Acker mit Furchen umzogen hätte bis an den Grenzstein, so war Böhmen ein unabhängiges Reich geblieben zu ewigen Zeiten! Nun ihr die Arbeit des Pflügers zu früh gestört habt, werden die Grenzen eures Reichs des Nachbars Teil und Erbe sein, und die ferne Nachkommenschaft wird ihm anhangen in unwandelbarer Einigung. Die drei Zweige des grünenden Stabes verheißen eurer Fürstin drei Söhne aus meinen Lenden, zwei davon werden als unreife Schößlinge zeitig dahinwelken, aber der dritte wird des Thrones Erbe sein, und durch ihn wird die Frucht später Enkel reifen, bis der Adler sich übers Gebirge schwingt und im Lande nistet, doch bald davonfleucht und wiederkehrt als in sein Eigentum. - Wenn dann hervorgeht der Göttersohn, der seines Pflügers Freund ist und ihn entledigt der Sklavenketten, Afterwelt, merke drauf! so wirst du dein Schicksal segnen. Denn wenn er den Lindwurm des Aberglaubens unter seine Füße getreten hat, wird er seinen Arm ausstrecken, dem wachsenden Mond entgegen, ihn aus den Wolken zu reißen und selbst als ein wohltätiges Gestirn die Welt zu erleuchten."

Die ehrwürdige Deputation stund in stiller Verwunderung da. Sie staunten den prophetischen Mann an wie die stummen Ölgötzen; es war, als ob ein Gott aus ihm redete. Er aber wandte sich von den Abgesandten hinweg zu den Konsorten seiner mühsamen Arbeit, den beiden weißen Stieren, schirrte sie vom Joch ab, entließ sie ihres Ackerdienstes und gab ihnen die Freiheit, worauf sie lustig auf der grasreichen Flur hin und her sprangen, aber zusehends abzehrten, wie leichte Nebel in Luft zerflossen und aus den Augen verschwanden. Hierauf entledigte sich Primislas seiner bäuerischen Holzschuhe und ging an den nahen Bach, sich zu reinigen. Es wurden ihm köstliche Kleider angetan, er umgürtete sich ritterlich mit dem Schwerte und ließ sich die goldenen Sporen anlegen; mutig schwang er sich nun auf das weiße Roß, welches ihn folgsam aufsitzen ließ. Als es nun an dem war, daß er sein bisheriges Eigentum verlassen wollte, gebot er den Abgesandten, daß sie die abgelegten Holzschuhe ihm nachtragen und wohl verwahren sollten, zum Wahrzeichen, daß einst der Geringste im Volk zur höchsten Würde von den Böhmen sei erhoben worden, und zum Gedächtnis, daß er und seine Nachkommenschaft der erlangten Hoheit sich nicht überheben, sondern ihres Ursprungs eingedenk den Bauernstand, aus welchem sie hervorgezogen worden, ehren und schirmen möchten. Daher stammte vordem der alte Brauch, daß den Königen von Böhmen an ihrem Krönungsfeste ein Paar Holzschuhe vorgezeigt wurden, welcher so lange beobachtet wurde, bis Primislas' Mannsstamm erloschen war. Der gepflanzte häselne Stab wuchs und trug Früchte, wurzelte weit umher und trieb neue Schößlinge, daß endlich das ganze Ackerfeld in einen Haselwald verwandelt wurde, welches der nächstgelegnen Dorfschaft, die diesen Bezirk mit in ihre Flur zog, zu gutem Vorteil gedieh; denn die Gemeinde erhielt zum Andenken dieser wundersamen Pflanzung einen Freiheitsbrief von den böhmischen Königen, daß sie zu keiner Schätzung im Lande jemals mehr steuern sollte als ein Nösel Haselnüsse, welches herrlichen Vorrechtes, der Sage nach, die späte Nachkommenschaft sich zu erfreuen hat bis auf diesen Tag.

Obgleich das Freudenpferd, welches jetzt den Bräutigam seiner Eigentümerin stolz entgegentrug, den Winden vorzulaufen schien, so ließ ihm dennoch Primislas zuzeiten der güldnen Sporen fühlen, um es noch mehr anzutreiben; ihn dünkte der rasche Trab nur ein Schildkrötenschritt zu sein, so heiß war sein Verlangen, die schöne Libussa, deren Gestalt nach sieben Jahren noch so neu und reizend seinen Sinnen vorschwebte, wieder von Angesicht zu schauen, nicht zu leerer Augenweide wie eine ausgezeichnete Anemone in der bunten Flor eines Blumenpflegers, sondern zum seligen Verein sieggekrönter Liebe. Er dachte nur an die Myrtenkrone, welche in der Rangordnung der Liebenden weit über Königskronen pranget, und wenn er Hoheit und Liebe gegeneinander gewogen hätte, würde das Reich Böhmen ohne Fräulein Libussen weit hinaufgeschnellt sein, wie ein beschnittener Dukaten auf der Goldwaage eines Wechslers.

Die Sonne neigte sich bereits zum Untergang, als der neue Fürst triumphierend in Vizegrad eingeführt wurde. Fräulein Libussa befand sich eben im Lustgarten wo sie ein Körbchen reifer Pflaumen gepflückt hatte, da man ihr die Ankunft ihres zukünftigen Gemahls hinterbrachte. Sie ging ihm züchtiglich mit allen Dirnen des Hofs entgegen, empfing ihn als einen von den Göttern ihr zugeführten Bräutigam und beschattete die Wahl ihres Herzens mit einer scheinbaren Resignation in den Willen der unsichtbaren Mächte. Die Augen des Hofs waren mit großer Neubegierde auf den Ankommenden gerichtet, sie sahen in ihm aber nur den schönen schlanken Mann. In Betracht der äußeren Körperform befanden sich mehrere Höflinge, die sich mit ihm in Gedanken maßen und nicht begreifen konnten, warum die Götter die Antichambre verschmäht und nicht vielmehr aus ihrer Mitte einen rotwangigen Kämpen, statt des bräunlichen Pflügers der jungen Fürstin zum Reichsgehilfen und Bettgenossen auserkoren hätten; besonders war dem Fürsten Wladomir und dem Ritter Mizisla anzumerken, daß sie ihren Ansprüchen mit Unwillen entsagten. Darum lag dem Fräulein daran, das Werk der Götter zu rechtfertigen und kund werden zu lassen, daß Junker Primislas für den Mangel einer glanzreichen Geburt durch ein billiges Äquivalent an barem Menschenverstände und Scharfsinn sei entschädigt worden. Sie hatte ein herrliches Mahl zubereiten lassen, das dem, womit die gastfreie Königin Dido ehemals den frommen Äneas bewirtete, nichts nachgab. Nachdem der Willkommen fleißig von Mund zu Mund herumgegangen war, die Geschenke des Freudengebers Heiterkeit und frohe Laune angefacht hatten und schon ein Teil der Nacht unter Scherz und Kurzweil verschwunden war, brachte sie ein Rätselspiel in Vorschlag, und weil das Erraten verborgener Dinge ohnehin ihre Sache war, löste sie zum Vergnügen aller Anwesenden die Rätsel, die auf die Bahn gebracht wurden.

Da nun die Reihe an sie kam, eins aufzugeben, berief sie den Fürsten Wladomir, den Ritter Mizisla und den Junker Primislas zu sich und sprach: "Ihr wackern Gesellen, jetzt schickt euch an, von mir ein Rätsel zu lösen, damit offenbar werde, wer unter euch der Weiseste und Verständigste sei. Ich habe euch allen dreien eine Spende zugedacht aus diesem Körbchen, von den Pflaumen, die ich gepflückt habe in meinem Garten. Einer unter euch soll die Hälfte davon haben und eine drüber, der andere soll wieder die Hälfte haben und eine drüber, der dritte soll nochmals die Hälfte haben und drei drüber. So sich nun befindet, daß der Korb ausgeleert ist, sagt mir an, wieviel Pflaumen jetzt drinnen sind?" Der voreilige Ritter Mizisla maß das Fruchtkörbchen mit den Augen und nicht den Sinn der Aufgabe mit dem Verstande und sprach: "Was sich mit dem Säbel lösen läßt, das unterfange ich mich wohl zu lösen, aber deine Rätsel, holdselige Fürstin, sind mir fast zu spitzig eingefädelt. Dennoch will ich nach deinem Begehr auf gut Glück einen Vorwurf ins Blaue wagen: Ich vermeine, daß ein Schock Pflaumen wohlgezählt m dem Korbe beisammenliegen." - "Du hast einen Fehlwurf getan, lieber Ritter", antwortete Fräulein Libussa. "Es müßten ihrer noch einmal soviel, einhalbmal und ein Drittel soviel sein als das Körbchen in sich faßt, und überdas noch fünfe hinzugezählt werden, so wären ihrer gerade soviel übers Schock, als jetzt daran fehlen." Fürst Wladomir kalkulierte lange und mühsam, als wenn mit der Auflösung des Rätsels der Posten eines General-Kontrolleurs der Finanzen war zu erwerben gewesen, und brachte endlich das Fazit der berüchtigten Zahl fünfundvierzig heraus. Das Fräulein sprach abermals: "Wenn ihrer ein Drittel, einhalbmal und ein Sechstel soviel wären, als ihrer sind, sie würden gerade soviel über fünfundvierzig in meinem Körbchen liegen, als jetzt daran fehlen."

Ob nun wohl der gemeinste Rechenmeister, der seiner Kunst nur um ein Haar breit kundiger gewesen war als die unbelehrte K-lenberger Rechengilde, die Aufgabe ohne Mühe würde entziffert haben: so ist für einen schlechten Rechner die Gabe der Divination doch unumgänglich erforderlich, wenn er sich mit Ehren aus der Sache ziehen und nicht mit Schimpf bestehen will. Da nun dem weisen Primislas solche zum Glück verliehen war, so kostete es ihn weder Kunst noch Anstrengung, den Aufschluß des Rätsels zu finden. "Vertraute Gespielin der himmlischen Mächte", sprach er, "wer deinen hochschwebenden Göttersinn auszuspähen unternimmt, der wagt es, dem Adler nachzufliegen, wenn er sich in den Wolken verbirgt. Dennoch will ich deinem verborgenen Schwünge folgen, so weit das Auge trägt, welchem von dir Lichtblick verliehen ist. Ich urteile, daß du der Pflaumen dreißig an der Zahl in deinem Körbchen verborgen hast, nicht eine mehr und keine weniger." Das Fräulein blickte ihn freundlich an und sprach: "Du spürest den glimmenden Funken auf, der tief in der Asche verborgen ist, dir dämmert das Licht aus Finsternis und Nebel hervor: Du hast mein Rätsel erraten." Darauf tat sie ihr Körbchen auf und zählte dem Fürsten Wladomir fünfzehn Pflaumen in den Hut nebst einer drüber, und es blieben ihr noch vierzehn, davon gab sie dem Ritter Mizisla sieben und noch eine, und es lagen noch sechs in dem Fruchtkörbchen; die Halbscheid davon teilte sie dem weisen Primislas zu, hernach auch die drei übrigen, und der Korb war ledig. Der ganze Hof verwunderte sich höchlich über die arithmetische Weisheit der schönen Libussa und über den Scharfsinn ihres klugen Sponsen. Niemand konnte begreifen, wie der menschliche Witz auf der einen Seite eine gemeine Zahl so rätselhaft in Worte verschränken und auf der ändern mit solcher Zuverlässigkeit solche aus dieser kunstreichen Verborgenheit herauszuklauben vermöge. Den ledigen Korb verlieh das Fräulein den beiden Rittern, die ihrer Liebe nicht teilhaftig werden konnten, zum Andenken der erloschenen Liebschaft. Daher kommt die Gewohnheit, daß man von einem zurückgewiesenen Freier sagt, er habe von seinem Liebchen einen Korb bekommen, bis auf den heutigen Tag.

Nachdem alles zur Huldigung und dem Beilager in Bereitschaft war, wurden beide Feierlichkeiten mit großem Pomp vollzogen. Das böhmische Volk hatte nun einen Herzog und die schöne Libussa einen Gemahl, beide nach dem Wunsch ihres Herzens, und welches zu bewundern war, vermöge einer Wirkung der Schikane, die sonst eben nicht in dem Rufe steht, daß sie die schicklichste Unterhändlerin sei. Wenn indessen ja ein Teil von beiden der Betrogene gewesen war, so war es wenigstens nicht die kluge Libussa, sondern das Volk, wie das ohnehin der gewöhnliche Fall ist. Das Reich Böhmen hatte dem Namen nach einen Herzog, aber die Regierung fand sich nach wie vor in der weiblichen Hand. Primislas war ein rechtes Muster eines folgsamen unterwürfigen Ehegemahls, der seiner Herzogin weder das Hausregiment noch die Landesregierung streitig machte. Seine Gesinnungen und Wünsche sympathisierten so vollkommen mit den ihrigen wie zwo gleichgestimmte Saiten, wovon die unberührte den Ton freiwillig nachhallt, den die lautertönende anspricht. Libussa hatte aber auch nicht den stolzen, eiteln Sinn der Damen, die für große Partien gelten wollen und den armen Wicht, dessen Glück sie wähnen gemacht zu haben, m der Folge mit Übermut stets an die Holzschuhe erinnern, sondern sie ahnte der berühmten Palmyrenerin nach und herrschte wie Zenobia über ihren gutmütigen Odenat vermöge des Übergewichtes ihrer Geistestalente.

Das glückliche Paar lebte im Genuß unwandelbarer Liebe nach der Sitte damaliger Zeit, wo der Instinkt, der die Herzen verbindet, so fest und dauerhaft war wie der Kitt und Mörtel, der die Mauern der alten Welt so unzerstörbar machte. Herzog Primislas wurde bald einer der streitbarsten Ritter seiner Zeit und der böhmische Hof der glänzendste in Deutschland. Es zogen sich unvermerkt viel Ritter und Edle, auch eine große Volksmenge aus allen Gegenden des Reichs herbei, daß die Residenz für die Einwohner zu enge wurde, darum beschied Libussa ihre Amtleute zu sich und befahl ihnen, eine Stadt zu bauen an dem Orte, wo sie den Mann finden würden, der in der Mittagsstunde den weisesten Gebrauch von den Zähnen zu machen wisse. Sie zogen aus und fanden zu der bestimmten Zeit einen Mann, welcher sich angelegen sein ließ, einen Block entzweizusägen. Sie urteilten, daß dieser geschäftige Mann von den Zähnen der Säge in der Mittagsstunde einen ungleich bessern Gebrauch mache als der Schmarotzer von den Zähnen seines Gebisses an der Tafel der Großen, und zweifelten nicht, daß sie den Platz gefunden hätten, den ihnen die Fürstin zur Anlage der neuen Stadt angewiesen hatte. Daher umzogen sie den Raum des Feldes mit der Pflugschar, den Umfang der Stadtmauer zu bezeichnen. Auf Befragen, was der Arbeitsmann aus dem zerschnittenen Werkstück zurichten wollte, antwortete er: "Pah", welches in der böhmischen Sprache eine Türschwelle bedeutet. Darum nannte Libussa die neue Stadt Praha, das ist Prag, die wohlbekannte Königsstadt an der Moldau in Böhmen. In der Folge ging die Weissagung des Primislas in Absicht seiner Nachkommenschaft in pünktliche Erfüllung. Seine Gemahlin wurde Mutter von drei Prinzen, davon zwei in der Jugend starben, der dritte aber wuchs heran, und aus ihm sproßte ein glänzendes Königsgeschlecht, das auf dem böhmischen Throne Jahrhunderte blühte.

Quelle: Johann Karl August Musäus, Deutsche Volksmärchen