Die Schöpfung
(Geschichten vom Raben Tu-lu-kau-guk)
Es gab eine Zeit da auf der Erdoberfläche noch keine Menschen waren. Die ersten vier Tage war der erste Mensch noch eingehüllt in der Schote einer Stranderbse. Am fünften Tag streckte er seine Füße heraus, zersprengte die Schote und fiel als völlig ausgewachsener Mann auf den Boden und stand auf. Er sah sich um, bewegte seine Hände und Arme, seinen Hals und seine Beine und untersuchte sich selbst ganz neugierig. Als er sich umsah, erblickte er die Schote, aus der er herausgefallen war, noch an der Ranke hängend und an ihrem unteren Ende das Loch, aus dem er gekommen war. Dann sah er sich wieder um und bemerkte, daß er sich von seinem Ausgangspunkt entfernt hatte und der Boden unter seinem Tritt nachgab und ganz weich war. Nach einiger Zeit spürte er im Magen ein unangenehmes Gefühl und bückte sich, um aus einer kleinen Pfütze vor seinen Füßen Wasser in den Mund zu schöpfen. Das Wasser lief in seinen Magen hinunter und er fühlte sich wieder wohler. Als er wieder aufsah, bemerkte er ein schwarzes Ding mit flatternden Bewegungen geradewegs auf sich zukommen. Wenn es anhielt und am Boden stand, sah es ihn an. Das war der Rabe, und als er stehen blieb hob er einen Flügel und schob seinen Schnabel, wie eine Maske, auf den Kopf hinauf und verwandelte sich im selben Augenblick in einen Mann. Schon bevor er seine Maske hochgehoben, hatte er den Menschen angestarrt und nachdem er sie aufgehoben, glotzte er noch mehr und bewegte sich, um genauer sehen zu können, hin und her. Endlich sagte er: "Was bist du? Von wo bist du gekommen? So etwas wie dich habe ich noch nie gesehen!" Der Rabe blickte den Menschen an und war immer mehr darüber verwundert, daß dieses fremde Wesen ihm an Gestalt so ähnlich war.
Dann ließ er den Menschen ein paar Schritte gehen und rief wieder erstaunt: "Von wo bist du gekommen? Ich habe früher nie so etwas, wie dich, gesehen!" Darauf antwortete der Mensch: "Ich komme aus dieser Erbsenschote" und zeigte auf die Pflanze, aus der er gekommen war. "Ah" rief der Rabe "ich habe zwar diese Pflanze geschaffen, aber niemals geglaubt, es könnte so etwas, wie du daraus hervorkommen. Komm mit mir auf jene Anhöhe dort; ich habe sie zwar erst ein wenig später gemacht und sie ist noch weich und nachgiebig, aber es ist dort doch fester und härterer Grund als hier."
Sie gewannen bald das höher gelegene Land und hatten nun festeren Boden unter ihren Füßen. Der Rabe fragte den Menschen, ob er etwas gegessen hätte. Dieser antwortete, daß er aus einer Pfütze irgend ein feuchtes Zeug zu sich genommen. "Ah" sagte der Rabe "du hast Wasser getrunken. Warte jetzt hier auf mich."
Er zog die Maske wieder vors Gesicht, verwandelte sich so in einen Vogel und flog hoch in den Himmel, wo er verschwand. Der Mensch wartete wo er geblieben war, bis der Rabe am vierten Tag zurückkam. In seinen Klauen brachte er vier Beeren. Er schob seine Maske hinauf und wurde wieder ein Mann, der ihm zwei Brombeeren und zwei schwarze Rauschbeeren entgegen hielt und sagte: "Das habe ich für dich zum essen gebracht. Ich will auch, daß diese Beeren auf Erden häufig vorkommen; jetzt iß sie aber!" Der Mensch nahm die Beeren" und steckte sie nacheinander in den Mund und sie stillten seinen Hunger, den er schon unangenehm gespürt hatte. Dann führte der Rabe den Menschen zu einem kleinen Bach in der Nähe; dort ließ er ihn stehen, ging zum Rand des Wassers und formte aus ein paar Lehmpatzen ein Paar Bergschafe und behielt sie in der Hand. Als sie getrocknet waren, forderte er den Menschen auf, sich anzusehen, was er gemacht habe. Der Mensch fand sie sehr schön und der Rabe befahl ihm nun, seine Augen zu schließen. Sowie er die Augen geschlossen hatte, nahm der Rabe wieder seine Maske vor und machte über den Bildwerken vier Flügelschläge, womit ihnen das Leben eingehaucht war und als vollausgewachsene Schafe sprangen sie davon. Nun hob er wieder seine Maske hoch und befahl dem Menschen zu sehen. Wie der Mensch die Schafe sich so voll Leben bewegen sah, schrie er vor Freude auf, und der Rabe sagte: "Wenn diese Tiere zahlreich geworden sein werden, werden die Menschen sehr danach trachten, sie zu bekommen." Darauf sagte der Mensch, er hoffe, sie würden zahlreich werden. "Gut" sagte der Rabe "es wird aber für sie besser sein, in den hohen Felsen zu hausen, sodaß sie nicht jeder töten kann, und man soll sie nur dort finden."
Dann schuf der Rabe aus Lehm noch zwei weitere Tiere, denen er wie früher Leben einhauchte, aber da sie nur stellenweise trocken waren, als sie belebt wurden, blieben sie braun und weiß gefleckt und so entstand das zahme Renntier mit seinem fleckigen Fell. Sie gefielen dem Mensch gut, und der Rabe belehrte ihn, daß sie sehr wertvoll werden würden. Auf die gleiche Weise wurde dann ein Paar wilder Renntiere geschaffen, die der Rabe nur am Bauch trocknen und weiß werden ließ, bevor er sie belebte; daher kommt es, daß der Bauch der einzige weiße Teil der wilden Renntiere ist. Der Rabe verriet nun dem Men" sehen, daß diese Tiere sehr gewöhnlich sein werden und die Menschen würden viele von ihnen töten.
"So allein wirst du dich einsam fühlen," sagte dann der Rabe, "ich will dir einen Gefährten schaffen". Er ging nun zu einer Lacke, die etwas von der, wo er die Tiere geschaffen hatte, entlegen war und schuf, indem er ab und zu auf den Menschen sah, ein ihm sehr ähnliches Bildwerk. Dann befestigte er als Haar ein Büschel feinen Wassergrases an seinem Kopf, und nachdem er in seinen Händen das Bild getrocknet hatte, schwang er wie früher seine Fittige über ihm und ein wunderschönes Weib entstand neben dem Mann. "Da ist ein Gefährte für dich!" sagte der Rabe und führte sie zu einem kleinen Hügel in der Nähe weg.
In diesen Tagen gab es weit und breit keine Berge und es war ewig heller Sonnenschein. Kein Regen fiel und keine Winde wehten. Als sie zu dem Hügel kamen, zeigte ihnen der Rabe, wie man aus trockenem Moos ein Bett macht und sie schliefen da gut und warm; der Rabe zog seine Maske herab und schlief als Vogel in der Nähe. Er erhob sich vor den andern, ging wieder an den Bach und schuf je ein Paar Äschen, Stichlinge und Lippfische. Als die im Wasser herumschwammen, rief er die Menschen, sie anzusehen. Der Mensch sah hin und wie die Stichlinge mit wirbeln" den Bewegungen gegen die Strömungen schwammen, streckte er überrascht die Hände nach einem aus, aber der Fisch entkam ihm. Nun zeigte ihm der Rabe die Äschen und belehrte ihn, daß sie in den klaren Bergflüssen zu finden seien, während die Stichlinge an der Meeresküste leben würden, und daß diese beiden Arten gut zu essen seien. Danach wurde die Spitzmaus geschaffen, von der der Rabe sagte, daß man sie zwar nicht essen könne, daß sie aber den Boden belebe und das Land davor bewahre, freudlos und unfruchtbar auszusehen.
So schuf der Rabe noch einige Tage lang Vögel, Fische und Säugetiere, zeigte sie den Menschen und erklärte ihren Nutzen.
Dann flog er in den Himmel und blieb vier Tage lang weg. Als er zurückkam, brachte er dem Menschen einen Lachs. Er sah sich um und bemerkte, daß die Pfützen und Seen still und einsam waren, und so schuf er viele Wasserinsekten für ihre Oberflächen, und aus dem gleichen Material machte er den Biber und die Bisamratte, um die Ufer zu beleben. Dann wurden noch Fliegen, Mücken und andere Lands und Wasserinsekten geschaffen, und der Mensch, dessen belehrt, daß sie nur geschaffen seien, um die Erde zu beleben und fröhlich zu machen. Zu jener Zeit waren alle Mücken wie die Hausfliegen und stachen nicht, wie heutzutage.
Er zeigte dem Menschen dann die Bisamratte und riet ihm, ihr Fell als Kleidung zu verwenden. Er erzählte ihm auch, daß der Biber an den Flüssen hausen und starke Baue errichten werde, und daß er diesem Beispiel folgen müsse und auch so schlau sein, denn ihn könnten nur gute Jäger erwischen.
Um diese Zeit gebar die Frau ein Kind und der Rabe gab dem Menschen Anleitungen, wie es zu ernähren sei und erklärte, daß es auch zu so einem Menschen, wie er sei, heranwachsen werde. Kaum war das Kind geboren, da brachte es der Rabe mit dem Menschen an einen Bach, rieb es mit Schlamm ab und sie kehrten dann wieder zu ihrem Aufenthaltsort am Hügel zurück. Am anderen Morgen lief das Kind schon herum und riß Gras und andere Pflanzen aus, die der Rabe in der Nähe wachsen ließ. Am dritten Tag war es schon ein erwachsener Mann.
Nun fiel es dem Raben ein, daß die Menschen alles was er geschaffen, zerstören würden, wenn er nicht etwas schüfe, um sie zu schrecken. Er ging also an einen Bach in der Nähe und formte einen Bären; er belebte ihn dann und wie der Bär grimmig dreinschauend dastand, sprang er rasch zur Seite. Dann holte er den Menschen und belehrte ihn, daß der Bär ganz schrecklich sei, und wenn er ihn störe, ihn in Stücke reißen werde. Dann wurden die verschiedenen Robbenarten geschaffen und ihre Namen und Gewohnheiten dem Menschen erklärt. Der Rabe lehrte den Menschen noch, wie man aus Seehundsfellen ungegerbte Schnüre und Schlingen für Rotwild mache, aber er warnte ihn davor mit dem Rotwildfang früher zu beginnen, als bis es zahlreich genug sei.
Um diese Zeit war das Weib wieder in der Hoffnung und der Rabe erklärte, es werde diesmal ein Mädchen werden und sobald es geboren sei müßten sie es mit Schlamm abreiben, und wenn es erwachsen sei, müsse es den Bruder ehelichen. Dann ging der Rabe weg, zu dem Platz, wo er in der Erbsenranke den ersten Menschen gefunden hatte. In seiner Abwesenheit wurde ein Mädchen geboren und das Paar tat wie ihm befohlen war; am nächsten Tag lief das Mädchen schon herum. Am dritten war es eine erwachsene Frau und wurde, wie der Rabe befohlen hatte dem jungen Mann vermählt, auf daß die Erde rascher bevölkert werde.
Als der Rabe zur Erbsenschote kam, fand er drei andere Männer, die gerade aus der Schote, die den ersten hervorgebracht hatte, gefallen waren. Diese Männer sahen sich, wie der erste, verwundert um, und der Rabe führte sie in einer Richtung, die jener, in der er den ersten mitgenommen hatte, entgegengesetzt war, weg und brachte sie hart am Meer aufs Festland. Hier blieben sie und der Rabe blieb lange Zeit bei ihnen und lehrte sie, wie sie leben sollten. Er lehrte sie Feuerbohrer und Bogen aus einem trockenen Holzstück und einer Saite anzufertigen; das Holz nahm er von Sträuchern und kleinen Bäumen, die er an geschützten Orten in Rinnen an den Abhängen wachsen ließ. Er schuf für jeden der Männer ein Weib und viele Pflanzen und Vögel, die die Seeküste bewohnen; es waren aber weniger Arten, als er im Land, wo der erste Mensch lebte, gemacht hatte. Er lehrte die Menschen Bogen, Pfeile, Netze und alle anderen Jagdgeräte machen und auch ihren Gebrauch, besonders, wie man die Robben fängt, die jetzt im Meer massenhaft vor" kamen. Er lehrte sie Kajaks machen und zeigte ihnen, wie man aus angeschwemmten Balken, Ästen und Erde gutgedeckte Häuser baue. Jetzt wurden auch die drei Frauen der Männer schwanger und der Rabe ging wieder zum ersten Menschen zurück, wo er die Kim der verheiratet fand. Er erzählte dem Menschen dann alles, was er für die Leute an der Küste getan hatte; sah sich dann um und fand, daß die Erde kahl aus* sehe. Er ließ also, als die anderen schliefen an geschützt gelegenen Stellen Birken, Rottannen und kanadische Pappeln wachsen und weckte dann die Leute, die sich über den Anblick der Bäume sehr freuten. Dann lernten sie mit dem Feuerbohrer Feuer machen, wie man den Zunderfunken in ein Bündel trockenen Grases legt und herumfächelt bis es aufflammt und dann trockenes Holz nachlegt. Er zeigte ihnen wie man Fische auf einem Stock braten kann, aus Weidenrinde und Spänen Fischfallen macht, Lachse für den Winter trocknet und Häuser baut.
Dann ging der Rabe wieder zurück zu den Küstenbewohnern. Als er weggegangen war, ging der Mensch mit seinem Sohn hinunter zum Meer und der Sohn fing einen Seehund, den sie dann mit den Händen umbringen wollten; es gelang nicht, aber schließlich tötete ihn der Sohn mit einem Faustschlag. Dann zog ihm der Vater allein mit den Händen das Fell ab und sie machten Riemen daraus und trockneten sie. Aus diesen Riemen machten sie in den Wäldern Schlingen für die Renntiere. Als sie am nächsten Morgen diese nachsehen gingen, fanden sie die Stricke durchgebissen und die Schlingen weg, denn damals hatten die Renntiere noch scharfe Zähne, wie die Hunde. Der Sohn dachte eine Zeitlang nach und machte dann am Weg der Tiere ein tiefes Loch und hängte, an der Schlinge befestigt, einen schweren Stein hinein und zwar so, daß der Stein, wenn sich ein Tier in der Schlinge fing, ins Loch hinunterrutschen, seinen Nacken herunterziehen und es so festhalten mußte. Als sie am an dem Morgen zurückkamen, fanden sie ein Renntier in der Schlinge verwickelt. Sie nahmen es heraus, töteten es und zogen ihm das Fell ab, das sie für ein Bett nach Hause nahmen. Etwas von dem Fleisch brieten sie am Feuer und fanden es ganz genießbar. -
Eines Tages ging der Mensch hinaus, um an der Küste Robben zu jagen. Er sah sehr viele aber jedesmal, wenn er sich vorsichtig herangeschlichen hatte, krochen sie ins Wasser, bevor er ganz an sie heran konnte. Schließlich war nur noch ein Tier am Strand. Der Mensch schlich sich noch vorsichtiger heran als früher, aber auch dies entkam ihm. Nun stand er auf und ein seltsames Gefühl bewegte seine Brust und Tränen tropften aus seinen Augen ins Gesicht. Er hob seine Hände und fing einige Tropfen auf, um sie anzusehen und er entdeckte, daß sie wie Wasser waren. Ohne daß er es wollte, entrangen sich ihm laute Schreie und Tränen fielen in sein Gesicht, als er heim ging. Als sein Sohn ihn kommen sah, machte er seine Frau und seine Mutter darauf aufmerksam, mit welch seltsamem Lärm der Mensch daherkomme. Als er sie erreicht hatte, waren sie noch mehr erstaunt, Wasser aus seinen Augen rinnen zu sehen. Nachdem er ihnen die Geschichte seiner Enttäuschung erzählt hatte, wurden sie alle vom gleichen fremden Schmerz ergriffen und klagten mit ihm, und so lernten die Menschen zum erstenmal das Weinen. Danach fing dann der Sohn einen anderen Seehund und sie machten noch weitere Renntierfallen aus seiner Haut.
Als diesmal das gefangene Renntier nachhause gebracht wurde, trug der Mensch seinen Leuten auf, einen Knochensplitter von seinem Vorderfuß zu nehmen und in das breite Ende ein Loch zu bohren. In dies steckten sie Renntiersehnen und nähten Felle über ihren Körper, um sich für den Winter warm zu halten. Der Rabe hatte ihnen befohlen, das so zu machen, damit die frischen Renntierfelle auf ihnen trockneten. Dann zeigte der Mensch, wie man Bogen und Pfeile mache und letztere mit Hornspitzen versehe, um damit Renntiere zu erlegen. Hiermit brachte der Sohn auch sein erstes Renntier zur Strecke. Er schnitt es dann auf und legte seinen Speck auf ein Gebüsch und schlief daneben ein. Als er erwachte, hatten die Mücken den Speck ganz aufgefressen. Das ärgerte ihn sehr. Bis dahin hatten die Mücken nie die Menschen gestochen, aber dieser Mensch beschimpfte sie wegen dessen, was sie getan hatten und sagte: "Nie mehr sollt ihr Speck fressen, freßt lieber noch die Menschen." Und von da an haben die Mücken immer die Menschen gestochen.
Dort wo der erste Mensch gelebt hatte, war jetzt ein großes Dorf entstanden, denn die Menschen taten alles, was der Rabe ihnen gezeigt hatte, und sobald ein Kind geboren war, wurde es mit Schlamm abgerieben und so bewirkt, daß es in drei Tagen erwachsen war. Eines Tages kam nun der Rabe zurück, setzte sich zum Menschen und sie sprachen von vielen Dingen. Der Mensch erkundigte sich beim Raben nach dem Land, das er im Himmel geschaffen. Der Rabe sagte, er habe dort ein sehr gutes Land gemacht und der Mensch bat ihn, er möchte ihn dorthin mitnehmen, damit er es sehe. Der war damit einverstanden und sie machten sich nach dem Himmel auf den Weg und kamen dort auch in kurzer Zeit an. Da war der Mensch in einem wunderbaren Land mit einem viel besseren Klima, als auf Erden. Die Leute, die dort lebten, waren aber sehr klein; wenn sie neben ihm standen, reichten ihre Köpfe ihm nur bis zum Oberschenkel. Während sie hier herumzogen, erblickte der Mensch viel fremde Tiere; auch der Boden war viel besser als der, den er verlassen hatte. Der Rabe erzählte, daß dies Land mit seinen Tieren und Menschen das erste gewesen sei, das er erschaffen habe.
Die Leute, die da lebten, machten schöne Pelzkleider mit eingearbeiteten Mustern, wie sie die Menschen jetzt auch auf Erden tragen, denn der Mensch hat nach seiner Rückkehr den Leuten gezeigt solche Kleider zu machen und die Muster haben sich allenthalben erhalten. Nach einiger Zeit kamen sie an ein großes Haus und traten ein. Ein uralter Mann, der erste, den der Rabe im Himmel geschaffen hatte, kam von seinem Ehrenplatz gegenüber der Haustür herab und bewillkommte sie; er beauftragte jetzt seine Leute, den Gästen aus dem unteren Land, die seine Freunde seien, Speisen zu bringen. Es wurde dann eine Art gesottenen Fleisches, wie es der Mensch vorher nie gesehen hatte, gebracht. Der Rabe belehrte ihn, daß es von Bergschafen und zahmen Renntieren sei. Nachdem der Mensch gegessen hatte, wollte ihm der Rabe noch andere Dinge, die er gemacht hatte, zeigen, warnte ihn aber davor, aus den Seen, an denen sie vorüberkommen würden, zu trinken, denn er habe in sie Tiere gesetzt, die ihn umbringen und zerfleischen würden, wenn er näherkäme.
Auf ihrem Weg kamen sie an ein ausgetrocknetes Teichbett, das dicht mit hohen Gräsern bewachsen war. Auf den Grasspitzen, die sich unter der Last aber gar nicht bogen, lag ein großes, seltsames, sechsbeiniges Tier mit einem langen Kopf. Die beiden Hinterbeine waren ungewöhnlich lang, die vorderen waren kurz und aus dem Bauch ragte ein ganz kurzes Beinpaar hervor. Der ganze Körper des Tieres war mit feinem, dünnem Haar bewachsen, wie die Spitzmaus, nur war es an den Füßen länger. Am Kopf standen zwei kurze, dicke nach rückwärts gebogene Hörner hervor. Die Augen waren klein und die Farbe des Tieres dunkel, schwärzlich.
Danach kamen sie zu einer runden Öffnung im Himmel, um deren Rand kurzes Gras wuchs, das wie Feuer glimmte. Dies war, so sagte der Rabe, ein Stern, Mondhund genannt. Die Spitzen des die Öffnung umrahmenden Grases fehlten und der Rabe erzählte, daß seine Mutter einmal einige, und er den Rest, um auf Erden das erste Feuer zu machen, weggenommen habe. Er fügte noch hinzu, daß er zwar versucht habe diese Grasart auch auf Erden zu schaffen, es sei ihm aber nicht gelungen.
Nun befahl er dem Menschen die Augen zu schließen, er werde dann an einen anderen Ort versetzt werden. Der Rabe nahm ihn auf seine Flügel und ließ sich durch die Öffnung hindurch. Lange glitten sie dahin, bis sie an etwas stießen, das sie in ihrer Bewegung aufhielt. Sie blieben stehen und der Rabe sagte, sie seien jetzt am Meeresgrund. Der Mensch atmete ganz leicht und der Rabe erklärte ihm, daß der Nebelschleier ringsum durch das Wasser hervorgerufen sei; dann sagte er: "Ich werde hier einige neue Tierarten schaffen; du darfst aber nicht herumgehen, leg dich nieder und wenn du müde bist, so dreh dich auf die andere Seite."
Der Rabe ließ den Menschen nun lange auf einer Seite liegen. Endlich erwachte er dann, fühlte sich sehr müde und wollte sich umdrehen; es gelang ihm aber nicht. Da dachte der Mensch bei sich: "Wenn ich mich doch nur umdrehen könnte!" und im selben Augenblick drehte er sich auch schon ohne Schwierigkeit herum. Wie er das tat, bemerkte er voll Erstaunen, daß sein ganzer Körper mit langen weißen Haaren bedeckt war und seine Finger lange Krallen bekommen hatten; er fiel aber sofort wieder in Schlaf. Noch dreimal erwachte er und schlief dreimal wieder ein. Als er zum viertenmal erwachte, stand der Rabe neben ihm und sagte: "Ich habe dich in einen Eisbär verwandelt; wie gefällt dir das?" Der Mensch wollte antworten, konnte aber keinen Laut von sich geben; da schwang der Rabe seine Zauberflügel über ihm und er antwortete nun, daß es ihm nicht gefalle, denn so müsse er am Meer leben, während sein Sohn am Land leben könne und er werde sich hierbei unglücklich fühlen. Da tat der Rabe einen Flügelschlag und das Bärenfell fiel vom Menschen und blieb leer am Boden liegen, während dieser in seiner natürlichen Gestalt wieder aufstand. Nun nahm der Rabe eine seiner Schwanzfedern und steckte sie als Rückgrat ins Bärenfell, machte einige Flügelschläge darüber und ein Eisbär stand da. Sie gingen dann weiter; seit dieser Zeit aber findet man am zugefrorenen Meer Bären.
Der Rabe fragte den Menschen nun, wie oft er sich umgedreht habe und er antwortete: "Viermal". "Das waren vier Jahre," sagte der Rabe, "denn du hast genau vier Jahre lang dort geschlafen." Sie waren noch nicht weit gegangen, als sie ein kleines Tier sahen, das einer Spitzmaus ähnelte. Das war ein Wi-lu-gho-yuk. Es gleicht der am Land lebenden Spitzmaus, lebt aber am Meereis. Wenn es einen Menschen sieht, fährt es auf ihn los, kriecht ihm zu den Schuhen hinein und krallt über seinen ganzen Körper. Wenn der Mann ganz still hält, verläßt es ihn wieder und er wird dann ein erfolgreicher Jäger werden. Wenn aber der Mensch, so lang das Tier auf ihm ist, auch nur einen Finger rührt, beißt es sich durch sein Fleisch geradewegs aufs Herz los und tötet ihn so.
Dann schuf der Rabe den A-mi-kuk, ein großes, schleimiges Tier mit lederartiger Haut und vier langen, weitausgreifenden Armen. Dieses wilde Tier lebt im Meer, schlingt seine Arme um Männer und Kajaks und zieht sie unters Wasser. Sucht ihm der Mensch dadurch zu entrinnen, daß er den Kajak verläßt und aufs Eis steigt, so taucht es unter, bricht das Eis unter seinen Füßen und es verfolgt ihn auch noch an der Küste, wo es sich unter der Erde, genau so leicht, wie es im Wasser schwimmt, weitergräbt, sodaß ihm niemand, der einmal von ihm verfolgt wird, entkommen kann.
Danach sahen sie dann zwei große, schwarze Tiere, die um ein kleineres herumschwammen. Der Rabe eilte voraus und setzte sich auf den Kopf des kleineren Tieres, das nun ruhig blieb. Als der Mensch herankam, zeigte ihm der Rabe die zwei Walrosse und sagte, das kleine, auf dessen Kopf er säße, sei ein "Walroßhund". Dies Tier, sagte er noch, wird immer mit den großen Walrossen ziehen und die Leute umbringen. Es war lang, ziemlich schlank und mit schwarzen Schuppen bedeckt, die aber nicht so hart waren, als daß man sie mit einem Speer nicht hätte durchstechen können. Sein Kopf und seine Zähne hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit denen eines Hundes. Er hatte vier Beine und einen langen, runden Schwanz, der, wie der Körper, mit Schuppen bedeckt war. Durch einen einzigen Schlag mit diesem Schwanz kann es einen Mann töten.
Sie sahen nun viele Wale und allerlei Raubtiere. Der Rabe erklärte dem Menschen, daß nur gute Jäger die Wale töten könnten, wenn aber einer erlegt sei, könne ein ganzes Dorf daran essen. Dann sahen sie den I-mum-ka-boi-a-ga oder "Seefuchs", ein Tier, das dem roten Fuchs sehr ähnlich sieht, nur im Meer lebt und so wild ist, daß es den Menschen tötet. In der Nähe waren auch zwei Seeottern, die auch den Landottern gleichen, aber ein viel feineres Fell haben. Sie sind weiß gesprenkelt, sehr selten und nur die besten Jäger sind imstande, sie zu fangen. An vielen Fisch* arten kamen sie noch vorüber und dann erhob sich vor ihnen die Küste und oben konnte man das Gekräusel der Wasseroberfläche sehen. "Schließ deine Augen und halte dich an mir fest" sagte der Rabe. Kaum hatte der Mensch das getan, da stand er auch schon am Strand, in der Nähe seines Hauses und war sehr erstaunt, da, wo er ein paar Hütten verlassen hatte, ein großes Dorf zu sehen. Seine Frau war sehr alt geworden und sein Sohn war auch schon ein alter Mann. Als ihn die Leute sahen, bewillkommten sie ihn und machten ihn zu ihrem Häuptling. Im Festhaus wurde ihm der Ehrenplatz eingeräumt und er erzählte dort den Leuten was er alles gesehen hatte und lehrte die jungen Leute viele Sachen. Die Dorfbewohner wollten dem Raben einen Sitz neben dem Alten am Ehrenplatz einräumen; er schlug es aber aus und wählte sich seinen Platz beim gewöhnlichen Volk, in der Nähe des Eingangs.
Nach einiger Zeit wollte der erste Mensch das schöne Himmelsland wieder sehen, aber seine Leute wollten lieber, er bliebe bei ihnen. Er ermahnte seine Kinder, in seiner Abwesenheit nicht unglücklich zu sein und kehrte dann in Begleitung des Raben ins Himmelland zurück. Die Zwerge nahmen sie freundlich auf und die beiden lebten dort lange Zeit; indessen waren die Erdbewohner sehr zahlreich geworden und töteten sehr viele Tiere. Das ärgerte den Menschen und den Raben sehr. Eines Nachts nahmen sie also ein langes Seil und einen Korb und stiegen zur Erde herab. Der Rabe fing da zehn Renntiere und steckte sie mit dem Menschen in den Korb. Dann befestigte er ein Ende des Seils am Korb und erhob sich, das Ganze hinter sich ziehend, wieder in den Himmel. Am nächsten Abend stiegen sie in der Nähe des Menschen-Dorfes mit den Renntieren wieder herab. Den Renntieren wurde aufgetragen, das nächste Haus, zu dem sie kämen, niederzubrechen und die Bewohner zu vernichten, weil die Menschen zu zahlreich geworden seien. Die Renntiere taten, wie ihnen befohlen war, fraßen mit ihren scharfen Wolfszähnen die Leute auf und kehrten dann wieder in den Himmel zurück. In der nächsten Nacht kamen sie wieder und vernichteten in gleicher Weise ein anderes Haus samt seinen Bewohnern. Nun waren die Dorfbewohner sehr erschrocken und beschmierten das nächste Haus mit einer Mischung von Renntierfett und Beeren. Als die Renntiere dieses Haus zerstören wollten, bekamen sie die Mäuler voll Fett und sauere Beeren, worauf sie herumlaufen und die Köpfe so schütteln mußten, daß ihnen alle Zähne ausfielen. Später wuchsen ihnen nur kleine Zähne, wie sie die Renntiere heute haben, nach und diese Tiere sind seither harmlos.
Nachdem die Renntiere weggelaufen waren, gingen der Mensch und der Rabe zurück in den Himmel und der Mensch sagte: "Wenn nicht etwas geschieht, was die Leute hindert, so viel Tiere umzubringen, werden sie es so lange treiben, bis sie alle Wesen, die du geschaffen hast, umgebracht haben. Es wäre besser, ihnen die Sonne wegzunehmen, sodaß sie im Dunkeln leben und sterben".
Darauf antwortete der Rabe: "Bleib du hier, ich werde gehen und die Sonne wegnehmen." Er ging dann fort, nahm die Sonne, steckte sie in seinen Fells sack und trug sie weit weg, in jene Gegenden des Himmelslandes, wo seine Eltern lebten, und es wurde sehr finster auf Erden. In dem Dorf seines Vaters nahm er sich dann aus den Jungfern eine Frau und lebte dort; die Sonne hielt er sorgfältig in dem Sack versteckt.
Die Erdbewohner hatten große Angst, seit ihnen die Sonne genommen war und suchten sie zurückzubekommen, indem sie dem Raben reichliche Spenden an Speise und Wild anboten; das war aber ohne Erfolg. Nach langen Versuchen versöhnten sie den Raben so weit, daß er ihnen für kurze Zeit Licht gewährte. Er holte die Sonne heraus und hielt sie zwei Tage lang in einer Hand, sodaß die Leute jagen und sich Nahrung verschaffen konnten. Dann nahm er sie wieder weg und es war wieder ganz dunkel. Nun verstrich eine lange Zeit und es bedurfte vieler Opfer, bevor er den Menschen wieder Licht gewährte. Das wiederholte sich so einige Zeit.
In dem Dorf lebte ein älterer Bruder des Raben, der Mitleid mit den Erdenkindern zu fühlen begann und der dachte nach, wie er die Sonne bekommen und auf ihren alten Platz zurückbringen könnte. Nachdem er lange nachgedacht hatte, stellte er sich tot und wurde in eine Grabkiste gelegt, wie es der Brauch war. Sobald die Trauernden sein Grab verlassen hatten, erhob er sich und ging in die Nähe des Dorfes. Hier nahm er seine Rabenmaske vor und versteckte sich in einem Baum bei der Quelle, wo die Dorfbewohner ihr Wasser holten, und wartete. Bald kam seines Bruders Frau, um Wasser zu holen und füllte einen Eimer an; dann nahm sie einen Schöpflöffel voll Wasser und wollte trinken. Mit Hilfe seiner Zauberkraft verwandelte sich nun der Bruder-Rabe in ein kleines Blatt, fiel in den Löffel und wurde mit dem Wasser verschluckt. Die Frau hustete etwas und eilte dann nachhause, wo sie ihrem Gatten erzählte, sie habe, als sie aus der Quelle trank, irgendeinen Fremdkörper verschluckt. Er legte dem aber keine Bedeutung bei und sagte, es werde ein Blatt gewesen sein.
Bald darauf wurde die Frau schwanger und gebar in ein paar Tagen einen Knaben, der sehr aufgeweckt war und gleich herumkroch; einige Tage darauf konnte er schon laufen. Er schrie immer nach der Sonne, und da sein Vater ganz in ihn vernarrt war, gab er sie dem Kind oft als Spielzeug, achtete aber immer streng dar* auf, sie wieder zurückzunehmen. Als der Sohn dann schon vor dem Haus zu spielen begann, schrie und bettelte er mehr denn je um die Sonne. Lange Zeit schlug ihm der Vater seine Bitte ab, dann aber erlaubte er ihm doch, die Sonne zu nehmen, und der Knabe spielte damit im Haus. Als einen Augenblick niemand zusah, warf er sie hinaus, lief rasch zum Baum, legte Rabenmaske und Gewand an und flog weit fort. Er war vom Himmel schon weit weg, da hörte er seinen Vater hinter sich schreien: "Versteck die Sonne nicht! Gib sie aus dem Sack, damit wieder etwas Licht ist; laß es nicht immer dunkel sein!" Er glaubte nämlich, sein Sohn habe sie gestohlen, um sie für sich zu behalten.
Der Rabe ging ins Haus und der Rabenknabe flog dorthin, wo die Sonne lag. Dort schnitt er die Fellhülle herunter und brachte die Sonne an ihren alten Platz. Von da führte ein breiter Pfad weg und er folgte ihm. Er gelangte an eine Öffnung, die von kurzem, glimmendem Gras umgeben war und er pflückte etwas davon. Dann erinnerte er sich der Mahnung seines Vaters, es nicht immer dunkel sein zu lassen, sondern einmal hell und dann wieder dunkel. Dessen eingedenk verursachte er nun, daß sich der Himmel um die Erde drehe, Sonne und Sterne mit sich bewege und so Tag und Nacht einander folgen.
Als er da, gerade vor Sonnenaufgang, ganz nah am Erdrand stand, steckte er ein Büschel des glimmenden Grases, das er in der Hand hatte, in den Himmel und seither ist es dort geblieben und erscheint als glänzen* der Morgenstern. Er ging dann weiter auf die Erde und kam schließlich zu dem Dorf, wo die erstgeschaffenen Menschen lebten. Dort bewillkommten ihn die Leute und er erzählte ihnen, daß der Rabe auf sie bös geworden sei und die Sonne weggenommen, daß er sie aber wieder zurückgebracht habe, und daß sie nie mehr verschwinden werde.
Unter den Leuten, die ihn empfingen, war auch der Häuptling der
Himmelszwerge, der mit einigen der Seinen herabgekommen war, um auf Erden
zu leben. Ihn befragten die Leute, was aus dem ersten Menschen geworden
sei, der mit dem Raben in den Himmel hinaufgegangen war. Damals hörte
der Rabenknabe zum erstenmal von jenem Menschen und er wollte in den Himmel
hinauffliegen, um ihn zu sehen; dabei bemerkte er aber, daß er sich
nur wenig über die Erdoberfläche erheben konnte. Als er gewahr
wurde, daß er nie mehr in den Himmel zurückgelangen könnte,
wanderte er fort, bis er an ein Dorf kam, wo die Nachkommen jener Männer
lebten, die zuletzt aus der Erbsenschote geboren worden waren. Da nahm
er ein Weib und lebte lange Zeit; er hatte viele Kinder, die alle Raben-Menschen
waren, wie er selbst, und über die Erde fliegen konnten. Aber sie
verloren immer mehr ihre Zauberkräfte, bis sie ganz gewöhnliche
Raben wurden, genau wie jene Vögel, die wir noch heute in der Tundra
sehen. -
Quelle: Eskimomärchen, übersetzt von Paul
Sock, Berlin o.J. [1921], Nr. 3, S. 9.
aus: E. W. Nelson: The Eskimo about Beringstrait (Annual Report of American
Ethnology, Vol XVIII/1, Washington 1896/97.