Der Wurm-Mensch

Vor sehr langer Zeit lebte ein großer Wurm, den eine Frau heiratete und beide hatten einen Sohn, der auch ein Wurm war. Als der Sohn erwachsen war, sagte ihm der Vater, er solle nach dem Mittelpunkt der Erdfläche gehen und dort werde er in einer kleinen Hütte ein Weib finden. Der Sohn machte sich mit Hilfe seiner Zauberkräfte klein, damit er rascher vorwärts komme und zog weg. Als er in die Nähe der Hütte, von der sein Vater ihm erzählt hatte, kam, fühlte er unter seinen Füßen die Erde wanken und zittern und fürchtete schon, er werde umkommen. Das wiederholte sich mehrmals, bis er das Haus erreichte. Da fand er, daß das Sprechen eines alten Weibes, das mit seiner Tochter im Haus wohnte, die Ursache der Erderschütterung war. Die Leute nahmen ihn gastfreundlich auf und da das Mädchen sehr hübsch war, heiratete er sie.

Nachdem er hier vier Jahre gelebt hatte, erinnerte er sich seiner Eltern und machte sich auf, sie zu besuchen. Unterwegs wurde er aber von einem anderen Wurm-Menschen, der ein Zauberer war, getötet.

Bald darauf fühlte auch sein Vater starke Sehnsucht nach seinem Sohn und brach auf, um ihn zu besuchen. Unterwegs fand er den Körper seines Sohnes und als er sich umsah, gewahrte er in der Nähe ein großes Dorf. Er ging zur Quelle, wo die Dorfbewohner ihr Wasser holten, machte sich klein und verbarg sich darin und vermittels seiner Zauberkünste brachte er aus Rache für den Tod seines Sohnes fast alle Bewohner um.

Als nur noch ein paar Leute übrig waren, bewirkte eine alte Frau aus dem Dorf, die wußte, daß irgend eine Zauberei gegen sie im Gange war, einen großen Zauber, demzufolge die See stieg, das das Eis der Oberfläche zerbrach und es übers Land schwemmte, bis die Quelle zugedeckt war; dann zerschellten die Eisblöcke aneinander bis der Wurm-Mensch in Stücke zerrieben und vernichtet war, so daß die Leute von seinem Zauber erlöst waren.

Quelle: Eskimomärchen, übersetzt von Paul Sock, Berlin o. J. [1921], Nr. 53, S. 178.
aus: E. W. Nelson: The Eskimo about Beringstrait (Annual Report of American Ethnology, Vol XVIII/1, Washington 1896/97.