Der Garten des Érotas. (Ebendaher.)

Es war einmal und zu einer gewissen Zeit ein König, der hatte einen Sohn. Es trug sich zu, dass der König krank wurde und das Licht seiner Augen verlor. So viele Aerzte auch zu ihm kamen, keiner konnte ihm helfen. Eines Tags kam auch eine Alte und sagte zum König, er werde nicht wieder sehend werden, wenn er nicht seine Augen mit dem Wasser bestreiche, das in dem Garten des Erotas fliesse. Als das der Sohn des Königs hörte, beeilte er sich zu erfahren, wo sich jener Garten befinde. Man sagte ihm, um es zu erfahren, müsse er sich zu einem alten Manne auf dem und dem Berge begeben, der werde ihm Auskunft ertheilen können. Da machte sich der Jüngling auf den Weg dahin, und oben auf dem Berge angekommen trat er vor den Alten und fragte ihn nach dem Garten des Erotas. Der sagte ihm, er solle eines seiner besten Pferde besteigen und immer rechts reiten, dann, bei einer mit Säulen eingefassten Strasse, sich zur Linken wenden und den Berg, der dort sich erhebe, überschreiten, dahinter werde er den Garten des Erotas finden. - Am folgenden Tage also brach der Königssohn mit seinem besten Pferde auf, und nach einer dreitägigen Reise gelangte er zum Garten des Erotas. Beim Hineingehen erblickte er ein Weib, das war das schönste auf Erden; es sass an der Pforte und spielte mit einem Knaben, der Flügel hatte und einen Bogen in der Hand hielt sammt einer Menge von Pfeilen. Der Garten aber war ganz voll von Rosen, und über ihnen flatterten eine Menge kleiner Knaben mit Flügeln, gleich Schmetterlingen. In des Gartens Mitte war eine Quelle, wo das heilkräftige Wasser rieselte. Als sich der Königssohn der Quelle näherte, bemerkte er in ihr ein Weib weiss wie Schnee und leuchtend wie der Mond. Und es war auch wirklich der Mond, der hier ein Bad nahm. Neben der Quelle sass eine zweite, wunderschöne Frau, das war die Mutter des Erotas. Die fragte den Jüngling, ob er vielleicht etwas begehre, und als er ihr den Grund, warum er gekommen, angegeben hatte, reichte sie ihm ein mit dem heilenden Wasser angefülltes Fläschchen und gab ihm ihren Segen. Nun brach der Königssohn wieder auf. Als er aus dem Garten heraustrat, sah er einen gewaltigen Menschen herankommen, das war Helios, der den Erotas besuchen wollte. Er ging nahe an dem Jüngling vorüber, bemerkte ihn aber nicht, denn hätte er ihn bemerkt, so würde er ihn gefressen haben. Der Königssohn kehrte nun auf dem nämlichen Wege, auf dem er gekommen war, zu seinem Vater zurück und übergab ihm das Wasser. Und sowie der Vater seine Augen damit genetzt, ward er alsbald wieder sehend. Da umarmte er seinen Sohn und küsste ihn und gab ihm sein Königreich zu eigen. Der Jüngling dankte ihm, und nun lebten beide glücklich, wir aber hier noch glücklicher.

Quelle: Bernhard Schmidt, Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder. Leipzig 1877. S. 113 - 114.
(Nachdruck: Hildesheim, New York, 1978)