Prinz Krebs. (Ebendaher.)

Es war einmal und zu einer gewissen Zeit ein Fischer, der hatte ein Weib und drei Kinder. Er ging täglich auf den Fischfang, und was er fing, verkaufte er an den König. Eines Tags fing er unter den Fischen einen goldnen Krebs. Als er zu Hause ankam, legte er die Fische in eine Schüssel, den Krebs aber that er, weil er so schön war, oben auf den Schrank. Wie nun die Alte, seine Frau, die Fische abschuppte und dabei ihren Rock aufgeschürzt hatte, so dass ihr Fuss sichtbar war, da hörte sie eine Stimme, die rief:

'Lass geschwind dein Röcklein nieder,
Dass man nicht dein Füsschen sieht.'

Sie sah sich um, da bemerkte sie das kleine Ding, den Krebs, und sagte: 'Sprechen kannst du, du närrischer Krebs?' Und nun nahm sie ihn und legte ihn in eine Schüssel. Als ihr Mann nach Hause kam, setzten sie sich zu Tische. Auf einmal hörten sie den Krebs, wie er zu ihnen sagte: 'Gebt mir doch auch ein Bisschen!' Darüber geriethen alle in Erstaunen, gaben ihm aber zu essen. Als nachher der Alte den Teller, auf welchen er das Essen für den Krebs gethan hatte, wieder wegnehmen wollte, fand er ihn voll von Gold. Von dem Augenblicke an liebte er den Krebs gar sehr, zumal da sich täglich das Nämliche wiederholte. Eines Tags nun sagte der Krebs zu des Fischers Frau: 'Geh zum König und sag ihm, ich wünschte seine jüngste Tochter zu heirathen.' Die Alte ging hin und trug die Sache dem Könige vor. Der lachte zwar, dachte aber doch bei sich, es könne auch irgend ein verzauberter Prinz in dem Krebse stecken. Daher sprach er zu der Fischersfrau: 'Geh, Alte, und sage dem Krebs, ich wolle ihm meine Tochter geben, wenn morgen früh vor meinem Schlosse eine Mauer stehe viel höher als mein Thurm, und auf welcher alle Blumen der Welt blühen.' Die Frau ging nach Hause und sagte das. Da gab ihr der Krebs eine goldne Ruthe und sprach zu ihr: 'Geh und schlage damit an der Stelle, die der König dir bezeichnet hat, drei Mal auf den Boden, und morgen früh wird die Mauer dort stehen.' Das that die Alte und ging wieder weg. Am andern Tage, als der König aufwachte, was sah er da? Das, was er angegeben hatte, vor seinen Augen. Nun ging die Alte wieder zum König und sprach zu ihm: 'Das, was du befohlen hattest, ist geschehen.' - 'Ja,' sagte der König, 'aber dennoch kann ich meine Tochter nicht hergeben, wenn nicht vor meinem Palaste ein Garten entsteht mit drei Quellen, von denen die eine Gold rieselt, die andre Diamanten und die dritte Brillanten.' Da schlug die Alte wieder drei Mal mit der Ruthe auf den Boden, und den andern Morgen war's da. Jetzt gab der König seine Einwilligung, und die Hochzeit wurde auf den andern Tag festgesetzt. Da sagte der Krebs zu dem alten Fischer: 'Hier hast du diese Ruthe, geh und klopfe damit an den und den Berg, da wird ein Mohr herauskommen und dich fragen, was du wünschest. Antworte ihm: »Mich hat dein Herr, der König, hergeschickt, dir zu sagen, dass du ihm sein goldnes Gewand schicken sollst, das die Sonne darstellt.« Lass dir ferner auch das Frauenkleid von Málama von ihm geben, das die Fluren mit den Blumen darstellt, und bring mir beides. Und das goldne Kopfkissen, auch das bring mir mit.' Der Alte ging hin und führte den Auftrag aus. Als er die Sachen gebracht hatte, da zog der Krebs das goldne Kleid an und kroch dann auf das goldne Kissen. Und so nahm ihn der Fischer und trug ihn ins Schloss. Hier überreichte der Krebs das andere Gewand seiner Braut. Sie wurden nun getraut und zogen sich dann ins Brautgemach zurück. Da gab sich der Krebs seiner jungen Frau zu erkennen und erzählte ihr, dass er der Sohn eines der grössten Könige der Welt sei, dass er aber verwünscht worden am Tage Krebs und nur Nachts Mensch zu sein; und so oft er wolle, könne er sich in einen Adler verwandeln. Kaum hatte er das gesagt, so schüttelte er sich und ward auf einmal ein schöner Jüngling. Den andern Morgen aber schlüpfte er wieder in die Krebsschalen, und so geschah's täglich. Die ganze königliche Familie war höchst erstaunt darüber, dass sich die Prinzessin stets so freundlich und aufmerksam gegen den Krebs bewies: sie späheten und späheten, konnten aber nichts herausbekommen. So verstrich ein Jahr, und die Prinzessin bekam einen Sohn, den nannten sie Benjamin. Ihre Mutter aber hegte immer grossen Argwohn. Eines Tages sagte sie zum Könige, man müsse die Tochter über die Sache fragen, ob sie sich vielleicht einen andern Gemahl an Stelle des Krebses wünsche. Als nun die Tochter gefragt wurde, antwortete sie: 'Dieser war mir bestimmt, und nur diesen will ich'. Da sprach der König zu ihr: 'Ich werde dir ein Turnier veranstalten und dazu alle Prinzen der Welt einladen, und wenn einer von diesen dir gefällt, so wirst du ihn heirathen.' Am Abend erzählte die Prinzessin das dem Krebs, der sprach zu ihr: 'Nimm diese Ruthe, geh und klopfe damit an den Garten, da wird ein Mohr herauskommen und zu dir sagen: »Was willst du von mir und warum verlangst du mich?« Darauf antworte ihm: »Mich hat dein Herr, der König, hergeschickt, du sollst ihm sein goldnes Gewand und seinen Rappen und den silbernen Apfel geben.« Und bring mir das.' So that sie und brachte es. Am folgenden Abend kleidete sich der Prinz an, um sich zum Turnier zu begeben. Ehe er ging, sagte er zu seiner Gattin: 'Du wirst doch nicht etwa, wenn du mich siehst, sagen, ich sei der Krebs? Denn dann werd' ich dich verlassen. Setz dich mit deinen Schwestern ans Fenster, ich werde vorüberreiten und den silbernen Apfel dir zuwerfen, den nimm und heb ihn auf. Wenn sie aber dich fragen, wer ich sei, so antworte, du wüsstest es nicht.' Hierauf küsste er sie, wiederholte noch einmal seine Warnung und ging weg. Die Prinzessin trat mit den andern ans Fenster und schaute dem Turniere zu. Auf einmal ritt ihr Gemahl vorüber und warf ihr den Apfel hinauf. Sie nahm ihn und ging dann in ihr Zimmer, in welches kurz darauf auch ihr Gemahl zurückkehrte. Ihr Vater aber wunderte sich sehr, dass seine Tochter über keinen von den Prinzen sich wohlgefällig geäussert hatte. Er veranstaltete daher noch ein zweites Turnier. Da gab der Krebs seiner Gattin denselben Auftrag wie vorher, aber dieses Mal war der Apfel, den sie von dem Mohr erhielt, von Gold. Bevor nun der Prinz sich zum Turnier begab, sagte er zu seiner Gattin: 'Heute wirst du mich verrathen.' Sie bestritt es und schwur, dass sie es nicht thun werde. Er aber wiederholte seine Behauptung und ging weg. Am Abend stand die Prinzessin mit ihrer Mutter und den Schwestern am Fenster. Da sprengte plötzlich ihr Gemahl auf seinem Ross vorüber und warf ihr den goldnen Apfel zu. Da gerieth ihre Mutter in Zorn, gab ihr eine Ohrfeige und rief: 'Auch der gefällt dir nicht, du Närrin?' Da rief die Tochter in ihrem Schreck: 'Aber das ist ja der Krebs.' Nun gerieth die Mutter nur noch mehr in Zorn, dass sie's ihr nicht vorher gesagt hatte, eilte in der Tochter Zimmer, wo noch die Krebsschalen lagen, nahm sie und warf sie ins Feuer. Da weinte die arme Prinzessin sehr, aber es half ihr nichts: ihr Gatte war verschwunden.

Lassen wir jetzt die Prinzessin und wenden wir uns zum andern. Einst ging ein alter Mann an einen Bach, um ein Brödchen einzutauchen, das er essen wollte. Da kam ein Hund ans Wasser, schnappte ihm das Brödchen weg und lief davon. Der Alte eilte ihm nach. Aber der Hund erreichte eine Thür, stiess sie auf und sprang hinein. Auch der Alte lief hinein. Er stieg eine Treppe hinunter und kam vor einem stattlichen Palaste an. Er trat ein und fand hier eine gedeckte Tafel für zwölf Personen. Er verbarg sich hinter einem grossen Bilde, um zu sehen, was da geschehen werde. Um Mittag hörte er grossen Lärm, und die Furcht machte ihn zittern. Wie er hinter dem Bilde hervorblickte, sah er zwölf Adler geflogen kommen. Da wurde sein Schrecken nur noch grösser. Die Adler flogen in einen Brunnenständer hinein und badeten sich darin - da wurden auf einmal zwölf herrliche Jünglinge aus ihnen. Nun setzten sie sich an die Tafel, und der eine von ihnen ergriff den mit Wein gefüllten Becher und sprach: 'Auf die Gesundheit meines Vaters!' Und der andre sprach: 'Auf die Gesundheit meiner Mutter!', und so ging's weiter. Einer von ihnen aber sprach:

'Die Gesundheit meiner Liebsten!
Fluch jedoch der Schwiegermutter,
Die verbrannte meine Schalen!'

Und dabei weinte er sehr. Darauf erhoben sich die Jünglinge, stiegen in den Brunnenständer, wurden wieder zu Adlern und flogen davon. Nun entfernte sich auch der Alte wieder, kehrte in das Reich des Tages zurück und ging nach Hause. Hier hörte er, dass die Prinzessin krank sei, und dass sie Gefallen daran finde, Märchen sich erzählen zu lassen. Also ging auch er in das königliche Schloss, trat in der Prinzessin Zimmer ein und erzählte ihr sein Erlebniss. Kaum hatte sie's angehört, als sie ihn fragte, ob er den Weg nach jenem Schlosse kenne. 'Ja wohl,' antwortete er. Und nun sprach sie ihm sofort den Wunsch aus, von ihm hingeführt zu werden. Der Alte that dies, und als sie dort angekommen waren, verbarg er sie hinter dem grossen Bilde und hiess sie sich still verhalten. Auch er nahm hinter dem Bilde seinen Platz. Die Adler kamen und verwandelten sich in Menschen, und sofort erkannte die Prinzessin ihren Gemahl unter ihnen heraus und wollte aus ihrem Versteck hervortreten, aber der Alte hielt sie zurück. Die Jünglinge setzten sich nun zu Tisch, und da sprach ihr Gemahl wieder, indem er den Becher ergriff:

'Die Gesundheit meiner Liebsten!
Fluch jedoch der Schwiegermutter,
Die verbrannte meine Schalen!'

Da konnte sich die Prinzessin nicht mehr halten, eilte hervor und schloss den Geliebten in ihre Arme. Und er erkannte sie sofort wieder und sprach zu ihr: 'Erinnerst du dich, dass ich dir sagte, du würdest mich verrathen? Jetzt siehst du, dass ich die Wahrheit sprach. Doch das ist nun vorüber. Höre mich jetzt an. Drei Monate muss ich noch verwünscht bleiben. Willst du, bis diese Zeit um ist, hier bei mir wohnen, so ist mir's recht.' Da blieb die Prinzessin da und sagte zu dem Alten: 'Geh ins Schloss und sage meinen Eltern, ich sei hier geblieben.' Der Alte kehrte zurück und richtete das aus. Darüber waren ihre Eltern sehr betrübt. Aber die drei Monate verstrichen, der Königssohn ward endlich wieder ganz Mensch, und sie begaben sich nach Hause. Und nun lebten diese glücklich, und wir hier noch glücklicher.

Quelle: Bernhard Schmidt, Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder. Leipzig 1877. S. 83 - 88.
(Nachdruck: Hildesheim, New York, 1978)