27. DIE ERSCHEINUNG DES O'DONOGHUE

Ehemals zu einer Zeit, die schon so lange dahingeschwunden ist, daß sie nicht genau mehr kann bestimmt werden, herrschte in dem Land, welches den reizenden See Lean, der jetzt See von Killarney heißt, umgibt, ein Fürst namens O'Donoghue. Weisheit, Wohlwollen und Gerechtigkeit zeichneten seine Regierung aus, Glück und Wohlfahrt seiner Untertanen waren die natürlichen Folgen davon. Er soll eben so berühmt geworden sein durch Heldentaten im Krieg, als durch Tugenden des Friedens und zum Beweis, daß die Milde seiner Regierung der Strenge keinen Abbruch tat, wird Fremden eine Felseninsel gezeigt, die O'Donoghue's Gefängnis heißt, weil er einmal seinen eigenen Sohn wegen eines unordentlichen und ungehorsamen Betrages dahin verwies.

Sein Ende, denn man kann nicht eigentlich sagen sein Tod, war seltsam und geheimnisreich. Auf einem jener glänzenden Feste, die seinen Hof verherrlichten, umgeben von seinen ausgezeichnetsten Untertanen, kam ein prophetischer Geist über ihn und er sagte voraus, was in den zukünftigen Zeiten geschehen würde. Seine Zuhörer horchten, bald von Staunen ergriffen, bald in Unwillen entbrannt, bald glühend vor Scham oder von Kummer gebeugt, je nachdem er die Tapferkeit, die Ungerechtigkeiten, die Verbrechen und das Elend ihrer Nachkommen offen verkündigte. Mitten in diesen Prophezeiungen erhob er sich langsam von seinem Sitz, bewegte sich in feierlichen, gemessenen und majestätischen Schritten nach dem Ufer des Sees und ging ruhig auf der Oberfläche des Wassers fort, das unter seinen Füßen nicht wich. Als er beinahe die Mitte erreicht hatte, blieb er einen Augenblick stehen, dann kehrte er sich langsam um, schaute zurück nach seinen Freunden und die Arme gegen sie bewegend, wie wenn jemand mit liebreicher Gebärde einen kurzen Abschied nimmt, entschwand er ihren Blicken.

Das Andenken an den guten O'Donoghue ist von den folgenden Geschlechtern sorgsam und mit Ehrfurcht bewahrt worden. Man glaubt, jedesmal am ersten Mai, dem Jahrestage seines Scheidens, morgens bei Sonnenaufgang, komme er wieder, sein altes Reich zu besuchen. Nur wenigen Begünstigten ist in der Regel vergönnt, ihn zu sehen und wem diese Auszeichnung zuteil wird, der betrachtet sie als eine glückliche Vorbedeutung. Ist es vielen gestattet, so gilt es als sicheres Zeichen reichlicher Ernte, ein Segen, dessen Mangel während der Regierung dieses Fürsten von seinem Volke niemals gefühlt wurde.

Einige Jahre waren verstrichen seit der letzten Erscheinung des O'Donoghue. Der April war diesmal auffallend wild und stürmisch gewesen, doch am Morgen des ersten Mais hatte sich die Wut der Elemente gelegt. Die Luft wehte sanft und still und der Himmel, der sich in dem reinen See spiegelte, glich einem schönen doch trügenden Antlitz, dessen Lächeln nach den heftigsten Bewegungen den Unkundigen zu glauben verleitet, daß es einer Seele angehöre, die noch von keiner Leidenschaft sei zerrissen worden.

Die ersten Strahlen der aufsteigenden Sonne vergoldeten eben den hohen Gipfel des Glenaa, als das Gewässer bei dem östlichen Ufer des Sees plötzlich und heftig bewegt wurde, obgleich der übrige Teil seines Spiegels ruhig und still lag, wie ein Grabmal von geglättetem Marmor. Im nächsten Augenblick schoß eine schäumende Welle vorwärts und glich einem stolzen Streitroß mit hoch gekämmten Mähnen; übermütig in ihrer Kraft, rauschte sie über den See nach dem Tumies Gebürge hin. Hinter dieser Woge erschien ein herrlicher, völlig bewaffneter Krieger, auf einem milchweißen Pferde sitzend. Schneeige Federn wallten prächtig von einem Helm aus glänzendem Stahl und über seinen Rücken flatterte eine hellblaue Binde. Das Roß, sichtbar stolz auf seine edle Last, sprang hinter der Welle auf dem Wasser daher, welches ihn wie festes Land trug, während Bogen von Schaum, der glänzend in der Morgensonne schimmerte, bei jedem Sprunge aufsprützten.

Der Krieger war O'Donoghue. Hinter ihm her kam eine zahllose Menge Jünglinge und Mädchen, welche sich leicht und ohne Anstrengung auf der Oberfläche des Sees bewegten, wie Elfen im Mondschein über luftige Gefilde dahingleiten. Sie waren durch Gewinde köstlicher Frühlingsblumen verbunden und ihre Schritte folgten dem Takte einer bezaubernden Melodie. Als O'Donoghue beinahe die westliche Seite des Sees erreicht hatte, wendete er plötzlich das Pferd und richtete seinen Lauf längs dem waldbekränzten Gestade von Glenaa hin, vor ihm her die mächtige Woge, die wallend bis zu dem Nacken des Pferdes aufschäumte, dessen feurige Nüstern darüber weg schnaubten. Der lange Zug der Diener folgte mit lustigen Seitensprüngen der Spur des Führers und bewegte sich in unermüdlicher Lebhaftigkeit nach den Akkorden der himmlischen Musik, bis sie nach und nach, bei ihrem Eintritt in die schmale Enge zwischen Glenaa und Dinis in die Nebel, welche allezeit über einem Teil der See schweben, eingehüllt wurden und vor den Augen der staunenden Zuschauer erblaßten. Doch die Töne der Musik erreichten immer noch ihre Ohren, und das Echo, welches diese melodischen Weisen erfaßte, wiederholte sie eifrig und verlängerte sie in immer sanftem Klängen, bis endlich der letzte, schwache Laut dahin starb und die Zuhörer wie aus einem seligen Traum erwachten.

Anmerkungen:

Jeder, der Killarney gesehen hat, dem muß auch die Sage von O'Donoghue und seinem weißen Roß bekannt geworden sein. Sie wird erzählt in Weld's Bericht von diesem See, in Derricks Briefen, und eine große Anzahl von Gedichten haben sie zum Gegenstand. Moore hat ein Lied darüber in seinen Irish Melodies.

Wie am Mai-Morgen O'Donoghue auf seinem weißen Roß über das Wasser sprengt, so zeigt sich in einer Augustnacht einer von den alten Grafen von Kildare ganz in Rüstung auf einem prächtigen Streitroß und mustert die Schatten seiner Krieger auf der breiten Ebene, the Currag of Kildare genannt.

Erinnert an die deutschen Sagen vom Auszug des wilden Jägers und des Rodensteiners.

Quelle: Thomas Crofton Croker, Fairy tales and traditions of the South of Ireland, London 1825;
in der Übertragung der Brüder Grimm, Irische Elfenmärchen, Jakob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1826

The Legend of O'Donoghue

In an age so distant that the precise period is unknown, a chieftain named O'Donoghue ruled over the country which surrounds. the romantic Lough Lean, now called the lake of Killnarney. Wisdom, beneficence, and justice distinguished his reign, and the prosperity and happiness of his subjects were their natural results. He is said to have been as renowned for his warlike exploits as for his pacific virtues ; and as a proof that his domestic administration was not the less rigorous because it was mild, a rocky island is pointed out to strangers, called " O'Donoghue's Prison," in which this prince once confined his own son for some act of disorder and disobedience.

His end - for it cannot correctly be called his death - was singular and mysterious. At one of those splendid feasts for which his court was celebrated, surrounded by the most distinguished of his subjects, he was engaged in - a prophetic relation of the events which were to happen in ages yet to come. His auditors listened, now wrapt in wonder, now fired with indignation, burning with shame, or melted into sorrow, as he faithfully detailed the heroism, the injuries, the crimes, and the miseries of their descendants. In the midst of his predictions he rose slowly from his seat, advanced with a solemn, measured, and majestic tread to the shore of the lake, and walked forward composedly upon its unyielding surface. When he had nearly reached the centre, he paused for a moment, then turning slowly round, looked towards his friends, and waving his arms to them with the cheerful air of one taking a short farewell, disappeared from their view.

The memory of the good O'Donogbue has been. cherished by successive generations with affectionate reverence: and it is believed that at sunrise, on every May-day morning, the anniversary of his departure, he revisits his ancient domains: a favoured few only are in general permitted to see him, and this distinction is always an omen of good fortune to the beholders: when it is granted to many, it is a sure token of an abundant harvest, - a blessing, the want of which during this prince's reign was never felt by his people.

Some years have elapsed since the last appearance of O'Donoghue. The April of that year had been remarkably wild and stormy; but on May-morning the fury of the elements had altogether subsided. The air was hushed and still; and the sky, which was reflected in the serene lake, resembled a beautiful but deceitful countenance, whose smiles, after the most tempestuous emotions, tempt the stranger to believe that it belongs to a soul which no passion has ever ruffled.

The first beams of the rising sun were just gilding the lofty summit of Glenaa, when the waters near the eastern shores of the lake became suddenly and violently agitated, though all the rest of its surface lay smooth and still as a tomb of polished marble; the next moment a foaming wave darted forward, and, like a proud high-crested war-horse, exulting in his strength, rushed across the lake towards Toomies mountain. Behind this wave appeared a stately warrior fully armed, mounted upon a milk-white steed; his snowy plume waved gracefully from a helmet of polished steel, and at his back fluttered a light blue scarf. The horse, apparently exulting in his noble burden, sprang after the wave along the water, which bore him up like firm earth, while showers of spray that glittered brightly in the morning sun were dashed up at every bound.

The warrior was O'Donoghue; he was followed by numberless youths and maidens, who moved lightly and unconstrained over the watery plain, as the moonlight fairies glide through the fields of air; they were linked together by garlands of delicious spring flowers, and they timed their movements to strains of enchanting melody. When O'Donoghue had nearly reached the western side of the lake, he suddenly turned his steed, and directed his course along the wood-fringed shore of Glenaa, preceded by the huge wave that curled and foamed up as high as the horse's neck, whose fiery nostrils snorted above it. The bug train of attendants followed with playful deviations the track of their leader, and moved on with unabated fleetness to their celestial music, till gradually, as they entered the narrow strait between Glenaa and Dinis, they became involved in the mists which still partially floated over the lakes, and faded from the view of the wondering behoIders: but the sound of their music still fell upon the ear, and echo, catching up the harmonious strains, fondly repeated and prolonged them in soft and softer tones, till the last faint repetition died away, and the hearers awoke as from a dream of bliss.

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Thierna na Oge, or the country of Youth, is the name given to the foregoing section, from the belief that those who dwell in regions of enchantment beneath the water are not affected by the movements of time.

Quelle: Thomas Crofton Croker, Fairy tales and traditions of the South of Ireland, London 1825;