26. DER VERZAUBERTE SEE

Im westlichen Irland war ein See und ohne Zweifel ist er noch daselbst, in dem zu verschiednen Zeiten mehrere junge Leute ertranken. Was dieses Ereignis besonders merkwürdig machte, war, daß man die Leichname der Ertrunkenen niemals wieder fand. Das Volk geriet darüber in Verwunderung und allmählich erlangte der See einen schlimmen Ruf. Schreckvolle Geschichten wurden erzählt, einige behaupteten, in dunkler Nacht leuchteten die Fluten wie Feuer, andere wollten schauerliche Gestalten über den See haben gleiten sehen, jedermann gab zu, daß ein seltsamer Schwefelgeruch aus ihm hervorsteige.

Seeimpression mit kleinem Ruderboot
Seeimpression mit kleinem Ruderboot
Bildarchiv SAGEN.at, Nr. 28290

 

Es lebte in geringer Entfernung von diesem See ein junger Pächter namens Roderich Keating, Bräutigam mit einem der schönsten Mädchen der ganzen Gegend. Eben war er von Limerick, wo er einen Trauring gekauft hatte, im Geleit zweier oder dreier von seiner Bekanntschaft zurückkehrend, an dem Gestade des Sees angelangt, als diese mit ihm über Gretchen Honan ihren Scherz zu treiben begannen. Einer erwähnte sogar, daß der junge Delaney, ein Nebenbuhler, in des Bräutigams Abwesenheit um die Gunst der Geliebten würbe; aber Roderigs Vertrauen auf seine Verlobte war so fest, daß er, ohne im geringsten durch diese Rede beunruhigt zu werden, mit der Hand in die Tasche griff, den Trauring hervorzog und ihn bedeutungsvoll umherblickend in die Höhe hielt. Indem er so den Ring, als ein wahres Siegeszeichen zwischen Zeigefinger und Daumen umdrehte, entfiel er seiner Hand und rollte in den See hinab. Roderich sah ihm mit der höchsten Bestürzung nach, weniger seines Wertes, obgleich er eine halbe Guinee dafür gegeben hatte, als der schlimmen Vorbedeutung wegen; das Wasser war so tief, daß man des Rings schwerlich wieder habhaft werden konnte. Seine Gefährten lachten ihn aus; vergeblich suchte er durch das Anerbieten ansehnlicher Belohnung sie zu bewegen, nach dem Ring unterzutauchen, sie waren sowenig zu dem Wagstücke geneigt, als Roderich selbst; die Erzählungen, die sie als Kinder vernommen hatten, schwebten ihrem Gedächtnis vor und abergläubische Furcht erfüllte die Brust eines jeden.

"Muß ich also nach Limerick umkehren einen andern Ring zu kaufen?" rief der junge Pächter, "zehnmal soviel als der Ring kostet, will es keiner darum wagen?"

Unter den Umstehenden befand sich ein Mensch, den man allgemein für blödsinnig und nicht recht bei Tröste hielt, er war aber unschuldig wie ein Kind und pflegte in der Gegend hin und her von einem Ort zum andern zu gehen. Als er so ansehnlichen Lohn ausrufen hörte, erklärte Paddin, denn das war sein Name, wolle ihm Roderich Keating geben, was er den andern verheißen hätte, so getraue er sich wohl nach dem Ring unterzutauchen. Und Paddin schaute, während er sprach, eben so begierig nach der Lustfahrt hin als nach dem Geld.

"Ich halte dich beim Wort" sprach Roderich und augenblicklich seinen Rock abziehend, ohne weiter eine einzige Silbe zu verlieren, stürzte sich Paddin häuptlings in den See. Wie tief er hinein kam, läßt sich nicht genau berichten, aber er ging und ging und ging durch das Wasser fort, bis das Wasser vor ihm wich und er auf ein trockenes Land gelangte. Himmel, Luft, Tageslicht und alles andere waren da gerade so wie hier bei uns; er sah einen reizenden Grund, wodurch ein zierlicher Weg führte nach einem großen, mit stattlichen Treppen umgebenen Hause. Sobald er sich von seinem Staunen erholt hatte, unter dem Wasser so trocknes und anmutiges Land zu finden, schaute er genauer um und was sollte er anders erblicken, als die ertrunkenen Jünglinge, die sich in diesem Lustort beschäftigten, als wäre ihnen niemals ein Übel zugestoßen. Einige mähten Gras, einige schafften Kiessand auf den Weg oder taten andere leichte Arbeiten, und vollbrachten alles auf so gute Art und so munter, als wären sie niemals ertrunken. Dann sangen sie mit großer Lust Lieder, worin sie die Frau vom Hause wegen ihrer Schönheit und ihres Reichtums priesen, wogegen nichts in der Welt bestehen könne. Paddin konnte sich nicht enthalten, ihnen zuzusehen, - einige darunter, bevor sie im See ertrunken waren, hatte er gut gekannt; aber er war stumm wie ein Fisch, dachte dafür sein Teil, und kein Sterbenswörtchen kam über seine Lippen. So ging er nach dem großen Haus zu, ganz unbefangen, als habe er nichts gesehen, was der Rede wert gewesen, dabei wünschte er gar sehr, zu wissen, wer die junge Frau wäre, von welcher die jungen Männer in ihrem Gesang so viel Wesens gemacht hatten.

Als er nah zu dem Tor des großen Hauses gelangt war, trat aus der Küche eine gewaltig dicke Frau heraus, wie eine Biertonne auf zwei Beinen. Daher bewegte sie sich und Zähne ragten aus ihrem Munde, nicht geringer als Pferdezähne.

Sie kam auf ihn zu und sagte: "Guten Morgen, Paddin."

"Guten Morgen, Frau", antwortete er.

"Was bringt Euch hierher?" fragte sie.

"Ich komme wegen Roderichs Keatings Goldring."

"Hier ist er", sagte Paddins dicke Freundin, mit einem Lächeln auf ihrem Gesicht, das sich bewegte, wie kochender Haferbrei.

"Ich danke Euch", antwortete Paddin und nahm den Ring aus ihrer Hand. "Es ist nicht nötig, daß ich hinzufüge, der Herr gebe Euch sein Gedeihen! Denn ihr seid bereits wohlbeleibt genug. Aber wollt Ihr so gut sein und mir sagen, führt der Weg, auf welchem ich gekommen bin, auch wieder zurück?"

"Kamt Ihr denn nicht, mich zu heiraten?" schrie die dicke Frau ganz außer sich.

"Diesmal nicht, mein Schatz, wann ich wiederkomme", antwortete Paddin. "Ich werde für meinen Gang hierher gut bezahlt und muß machen, daß ich Antwort bringe, oder die werden Wunder denken, was aus mir geworden sei.

"Bekümmert Euch um kein Geld", sagte die dicke Frau, "wenn Ihr mich heiratet, so sollt Ihr für euer Lebtag in dem Haus wohnen und an nichts Mangel leiden."

Paddin sah deutlich, daß, da er einmal im Besitz des Ringes sei, die dicke Frau weiter keine Gewalt habe, ihn zurückzuhalten. Ohne also länger auf ihre Worte zu achten, wandelte er ganz gelassen den Gang wieder herab und schaute sich dabei um; denn er hatte, die Wahrheit zu sagen, keine sonderliche Lust, die dicke Hexe zu heiraten. Als er zu dem Gatter kam, stürzte er, ohne nur guten Tag zu sagen, hinaus und fand das Wasser, welches ihm entgegen kam. Er sprang hinein und arbeitete sich in die Höhe und es war wunderbar genug, da man den Paddin nach der entgegengesetzten Seite des Sees hatte wegschwimmen sehen; doch er gelangte bald ans Ufer und erzählte dem Roderich Keating und den andern Burschen, die da standen und auf ihn gewartet hatten, alles was ihm begegnet war. Roderich zahlte ihm auf der Stelle fünf Guineen für diesen Ring und mit diesem Geld in der Tasche deuchte sich Paddin so reich, daß er nicht Lust hatte zurückzukehren und die dicke Frau zu heiraten, die in dem Grund des Sees in dem schönen Hause saß. Er dachte, sie hat ja unter der Menge junger Leute die Wahl, wenn ihr die Lust ankommen sollte, einen Mann zu nehmen.

Anmerkungen:

Die Einleitung, daß ein Ring in den See fällt, kommt häufig in den irischen Sagen vor, vgl. z. B. Miss Brookes Relics of irish poetry p. 100.

Wie abweichend in der äußern Darstellung, ist dennoch dieses Märchen mit dem deutschen von der Frau Holle (Hausmädchen Nr. 24) dem Grunde nach sehr übereinstimmend. Seltsam ist der Umstand, daß die Frau unter dem See große Zähne hat, wie Frau Holle unter dem Wasser. Auffallend ist auch, daß, wie man beim Schneien in Hessen sagt: "Frau Holle macht ihr Bett, die Federn fliegen", die irischen Kinder mit einer ähnlichen Idee rufen: "Die Schotten rupfen ihre Gänse!" (p. 361.)

Quelle: Thomas Crofton Croker, Fairy tales and traditions of the South of Ireland, London 1825;
in der Übertragung der Brüder Grimm, Irische Elfenmärchen, Jakob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1826

The Enchanted Lake

In the west of Ireland there was a lake, and no doubt it is there still, in which many young men had been at various times drowned. What made the circumstance remarkable was, that the bodies of tile drowned persons were never found. People naturally wondered at this: and at length the lake came to have a bad repute. Many dreadful stories were told about that lake; some would affirm, that on a dark night its waters appeared like fire - others would speak of horrid forms which were seen to glide over it; and every one agreed that a strange sulphurous smell issued from out of it.

There lived, not far distant from this lake, a young farmer, named Roderick Keating, who was about to be married to one of the prettiest girls in that part of the country. On his return from Limerick, where he had been to purchase the wedding-ring, he came up with two or three of his acquaintance, who were standing on the shore, and they began to joke with him about Peggy Honan. One said that young Delaney, his rival, had in his absence contrived to win the affection of his mistress ; - but Roderick's confidence in his intended bride was too great to be disturbed at this tale, and putting his hand in his pocket, he produced and held up with a significant look the wedding-ring. As he was turning it between his fore-finger and thumb, in token of triumph, somehow or other the ring fell from his hand, and rolled into the lake: Roderick looked after it with the greatest sorrow; it was not so much for its value, though it had cost him half-a-guinea, as for the ill-luck of the thing; and the water was so deep, that there. was little chance of recovering it. His companions laughed at him, and he in vain endeavoured to tempt any of them by the offer of a handsome reward to dive after the ring: they were all as little inclined to venture as Roderick Keating himself; for the tales which they had heard when children were strongly impressed on their memories, and a superstitious dread filled the mind of each.

"Must I then go back to Limerick to buy another ring?" exclaimed the young farmer. "Will not ten times what the ring cost tempt any one of you to venture after it?"

There was within hearing a man who was considered to be a poor, crazy, half-witted fellow, but he was as harmless as a child, and used to go wandering up and down through the country from one place to another. When he heard of so great a reward; Paddeen, for that was his name, spoke out, and said, that if Roderick Keating would give him encouragement equal to what he had offered to others, he was ready to venture after the ring into the lake; and Paddeen, all the while he spoke, looked as covetous after the sport as .the money.

"I'll take you at your word," said Keating. So Paddeen pulled off his coat, and without a single syllable more, down he plunged, head fore-most, into the lake: what depth he went to, no one can tell exactly; but he was going, going, going down through the water, until the water parted from him, and he came upon the dry land; the sky, and the light, and every thing, was there just as it is here; and he saw fine pleasure-grounds, with an elegant avenue through them, and a grand house, with a power of steps going up to the door. When he had recovered from his wonder at finding the land so dry and comfortable under the water, he looked about him and what should he see but all the young men that were drowned working away in the pleasure-grounds as if nothing bad ever happened to them. Some of them were mowing down the grass, and more were settling out the gravel walks, and doing all manner of nice work, as neat and as clever as if they had never been drowned; and they were singing away with high glee: -

"She is fair as Cappoquin :
Have you courage her to win ?
And her wealth it far outshines
Cullen's bog and Silvermines.
She exceeds all heart can wish;
Not brawling like the Foherish,
But as the brightly-flowing Lee,
Graceful, mild, and pure is she! "

Well, Paddeen could not but look at the young men, for he knew some of them before they were lost in the lake; but he said nothing, though he thought a great deal more for all that, like an oyster : - no, not the wind of a word passed his lips; so on he went towards the big house, bold enough, as if he had seen nothing to speak of; yet all the time mightily wishing to know who the young woman could be that the young men were singing the song about.

When he had nearly reached the door of the great house, out walks from the kitchen a powerful fat woman, moving along like a beer-barrel on two legs, with teeth as big as horses' teeth, and up she made towards him.

"Good morrow, Paddeen," said she.

"Good morrow, Ma'am," said he.

"What brought you here?" said she.

" 'Tis after Rory Keating's gold ring," said he, " I'm come."

" Here it is for you," said Paddeen's fat friend, with a smile on her face that moved like boiling stirabout [gruel].

"Thank you, Ma'am," replied Paddeen, taking it from her : -" I need not say the Lord increase you, for you're fat enough already. Will you tell me, if you please, am I to go back the same way I came?"

"Then you did not come to marry me ?" cried the corpulent woman, in a desperate fury.

"Just wait till I come back again, my darling," said Paddeen: "I'm to be paid for my message, and I must return with the answer, or else they'll wonder what has become of me."

"Never mind the money," said the fat woman : "if you marry me, you shall live for ever and a day in that house, and want for nothing."

Paddeen saw clearly that, having got possession of the ring, the fat woman had no power to detain him; so without minding any thing she said, he kept moving and moving down the avenue, quite quietly, and looking about him; for, to tell the truth, he had no particular inclination to marry a fat fairy. When he came to the gate, without ever saying good b'ye, out he bolted, and he found the water coming all about him again. Up he plunged through it, and wonder enough there was, when Paddeen was seen swimming away at the opposite side of the lake; but he soon made the shore, and told Roderick Keating, and the other boys that were standing there looking out for him, all that had happened. Roderick paid him the five guineas for the ring on the spot; and Paddeen thought himself so rich with such a sum of money in his pocket, that he did not go back to marry the fat lady with the fine house at the bottom of the lake, knowing she had plenty of young men to choose a husband from, if she pleased to be married.

Quelle: Thomas Crofton Croker, Fairy tales and traditions of the South of Ireland, London 1825;