Der Schuster (Al tgialgiö. Fassa)

Es war einmal ein armer Schuster, der hatte schon viele Jahre in seinem Dorfe gearbeitet, war aber bei allem Fleisse doch noch nie auf einen grünen Zweig gekommen. Darüber missmuthig [missmutig] fasste er den herzhaften Entschluss in die Welt zu gehen, um sein Glück zu versuchen. "Wer weiss, ob ich's nicht unvermuthet irgendwo finde", sagte er zu sich selbst; "ich bin dessen so gut würdig, wie die reichen Schelme, denen ich bisher die Stiefel gemacht habe." Er packte seine Habseligkeiten zusammen und ging, ohne viel Zeit mit Abschiednehmen zu verlieren.

Am dritten Tage abends kam unser Schuster in ein Wirthshaus und fragte den Wirth, ob er zu essen und ein Bett bekommen könne. "Zu essen und zu trinken, so viel Ihr wollt", sagte der Wirth [Wirt], "aber beherbergen kann ich Euch nicht, denn ich habe viele Gäste und alle Betten sind vergeben."  "Nun so gebt mir zu essen und zu trinken, das übrige wird sich finden!" sagte der Schuster und er ass und trank, dass es eine Art hatte; denn vom weiten Wege war er hungrig und durstig geworden. Während des Essens erzählte ihm der Wirth, es sei da in der Nähe ein Schloss, darin liesse sich wol schlafen; allein so viele dahin gegangen seien, nie sei mehr Einer zurück gekommen. Da sagte der Schuster: "Nun wol, Ihr sollt selten, ob ich mich getraue, ich will heute in dem Schlosse schlafen!" "Ei, lasst das sein" sagte der Wirth, "Ihr könnt Euch ja auf das Heu legen oder hier im Tischwinkel bequem machen." Aber der Schuster nahm Licht, Leder und Hammer und liess sich den Weg zum Schlosse zeigen. Als er dort war, zündete er das Licht an, setzte sich in einem grossen Zimmer nieder und klopfte darauf  los, dass es eine Freude war.  Auch sang er ein Liedchen dazu und hatte gar keine Furcht, wie schaurig auch die rostigen Windfähnchcn auf dem Dache knarrten.

Als es zwölf Uhr Mitternacht war, kamen zwei Riesen, packten den Schuster und schlugen ihn, der Schuster aber sagte kein Wort, so weh ihm die Schläge auch taten und dies war sein Glück, denn sonst wäre er verloren gewesen. Die Riesen mishandelten ihn bis zum Gebetläuten; dann gingen sie fort und liessen ihn wie todt auf dem Boden liegen. Endlich kam er wieder zu sich, aber er fühlte so grosse Schmerzen, dass er anfangs meinte, alle Glieder an seinem Leibe seien gebrochen; doch nach und nach gelang es ihm sich wieder aufzurichten und zum Fenster hinzuschleppen. Er sah in den Garten hinab; da war in der Mitte ein Brunnen und aus demselben blickte der Kopf eines wunderschönen Mädchens, welches ihm freundlich zuwinkte. Mit vieler Mühe ging er in den Garten hinab; da erzählte ihm das Mädchen, sie sei eine verzauberte Königstochter und harre auf einen Retter. "Weil du in der letzten Nacht so muthig ausgehalten hast", sagte sie, "bin ich jetzt schon bis an die Schultern über dem Wasser und wenn du nur noch zwei Nächte duldest, so bin ich befreit und will deine Gemalin werden und dich reich und angesehen machen mehr als du nur je geträumt hast. Geh wieder hinauf, da und da ist eine Salbe, damit salbe dich." Und er ging hinauf, salbte sich und war heil und gesund. Dann ging er wieder in den Garten und redete und koste den ganzen Tag mit der schönen Prinzessin.

Beim Einbruch der Nacht machte er sich bereit wieder Schläge zu empfangen. Als es zwölf Uhr war, da kamen vier Riesen und schlugen ihn noch ärger als die vorige Nacht. Aber wenn es ihm recht wehe that, so dachte er an die schöne Prinzessin und an sein künftiges Glück und hielt stumm alles aus. Als die Riesen fort waren, raffte er sich langsam auf, salbte sich und war wieder frisch und stark, als wäre ihm nichts zu Leid widerfahren. Dann ging er in den Garten und blieb den ganzen Tag bei der Königstochter, welche heute schon bis zu den Knien aus dem Wasser war.

In der dritten Nacht kamen acht Riesen, die schlugen ihn wieder, dass er unsägliche Schmerzen litt; aber er hielt stumm alles aus. Zulezt warfen sie ihn in ein Loch voll Messer und gingen fort. Er war am ganzen Leibe zerstochen und blutig und nur mit der grössten Anstrengung vermochte er sich aufzuraffen und an den Ort zu schleppen, wo die Salbe war. Als er sich gesalbt hatte, war er wieder heil und gesund und ging in den Garten hinab. Dort kam ihm die Prinzessin schon entgegen und dankte ihm; dann holten sie Wagen und Pferde und fuhren in die Stadt, um lustige Hochzeit zu halten. Da sassen sie alle bei einem grossen Male und warfen mir ein Bein an den Ellbogen, dass mir der Arm davon noch jetzt wehe thut.

Quelle: Märchen und Sagen aus Wälschtirol, Ein Beitrag zur deutschen Sagenkunde, gesammelt von Christian Schneller, Innsbruck 1867, Nr. 35, Seite 101
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, 2007.
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