Der Prinz, das Mädchen, das Basilikum
und die Sterne
Also, es war einmal in den alten, alten Zeiten
ein König, der einen Sohn besaß. Dieser Sohn stieg täglich
auf das flache Dach des Palastes, um sich die Gegend anzuschauen. Eines
Tages bemerkte er auf einem Nachbardach ein sehr hübsches Mädchen,
das ihre Blumen begoß. Da kam ihm der Einfall, dieses schöne
Mädchen zum Zeitvertreib anzurufen. Obwohl er dachte, das Mädchen
müsse sehr dumm und einfältig sein, fand er nicht sogleich den
Mut, ein Gespräch anzuknüpfen, sondern ging leise wieder vom
Dach hinunter.
Als er sich am nächsten Tag wieder auf das Dach begab, stand die Schöne schon auf dem ihren und begoß die Blumen. Da nahm der Prinz seinen Mut zusammen und rief: "Immer bespritzt und begießt du deine Blumen und weißt doch nicht, wie viele Blättlein das Basilikum hat!" Und er freute sich sehr, einen so schweren Rätselspruch gefunden zu haben. Unsere Schöne aber antwortete schlagfertig: "Immer liest du und schreibst du und weißt doch nicht, wieviel Sterne das hohe Himmelszelt hat." Da konnte er nicht antworten, und sie lachte ihn aus, gab ihm aber eine Nacht Bedenkzeit. Sein Herz ergrimmte über das böse, kluge Mädchen, dann ging er vom Dach hinab, konnte aber die ganze Nacht nicht schlafen.
Als er am andern Morgen wieder auf das Dach kam, lachte
das Mädchen schon von vornherein. Der Prinz aber sprach: "Jetzt
will ich ein neues Rätsel!" Da lachte die Schöne noch mehr
und gab ihm das erste Rätsel nochmals auf, indem sie sprach: "Was
willst du ein neues Rätsel, ohne das erste gelöst zu haben?"
Wieder ärgerte ihn ihre Überlegenheit, und das Blut stieg ihm
in den Kopf. Aber es half alles nichts, er vermochte das Rätsel nicht
zu lösen.
Als das Mädchen ihm am dritten Tag wieder dasselbe Rätsel aufgab
und sich dabei vor Ausgelassenheit gar nicht fassen konnte, beschloß
er, es zu heiraten -doch nicht, weil er eine Frau haben wollte, nein -,
er wollte das Mädchen töten. Und er rief dem Mädchen laut
zu: "Du mußt meine Frau werden, denn du gefällst mir!"
Das Mädchen lachte und antwortete: "Ach geh! Du bist ein Prinz
und ich bloß ein armes Wesen. Frag nur meine Mutter!" Da ging
der Prinz hin und bat ihre Mutter um die Hand der schönen Tochter.
Aber die Mutter schien die Ursache seiner Bitte zu ahnen, denn sie versetzte
trocken: "Nein! Du würdest meine Tochter doch nur töten.
Du bist ihr gram, weil sie dir in Weisheit und Schlagfertigkeit über
ist. Das ist schlimm, denn der Mann soll die Frau an Verstand übertreffen.
Du würdest sie töten." - "Nein, töten würde
ich sie nicht." - "Aber du würdest ihr das Leben sauer
machen - du hast ein Rad zuwenig im Kopf. Quälen würdest du
sie, die Arme!" - "Nein, ich würde sie nicht quälen."
- "Ja, aber deine Eltern müßten auch noch befragt werden.
Ich will nicht, daß meine Tochter schief angesehen wird." -
"Du kannst dich ja bei meinen Eltern erkundigen, der Palast ist ja
nicht weit von hier." - "Gut." - "Willst du sie mir
dann also als Braut geben?" - "Nein! Denn sie würde an
deiner Seite kein Glück haben." Da ergrimmte der ungestüme
Prinz sehr und rief: "Dein Kopf wird mir für deine unvernünftige
Widerspenstigkeit büßen. Abschlagen lasse ich ihn dir, dann
ist deine Tochter in meinen Händen!" Da erschrak die arme Mutter
sehr und entgegnete schließlich: "Gut, wenn deine Eltern einverstanden
sind, so sollst du meine Tochter haben."
Dann ging die Mutter des Mädchens in den Palast, um mit den Eltern
des Prinzen zu sprechen. Als sie eintrat, erblickte sie den König
und die Königin, die sich gerade mit einem ihrer Diener über
eine ernsthafte Sache besprachen, und sofort fühlte sie Angst im
Herzen. Aber da blickte der Diener sie freundlich an und führte sie
vor den Thron, und nun konnte sie sprechen, soviel sie wollte. Der König
und die Königin hörten ihr aufmerksam zu und antworteten dann:
"Unser Sohn kann deine Tochter heiraten; er darf sie auch ruhig hierher
in den Palast bringen." Die Mutter fühlte etwas wie Furcht,
als sie die unerwartete Antwort vernahm. Sie hatte immer noch Angst um
das Leben ihrer Tochter, aber sie wagte nichts zu sagen. So ging sie denn
nach Hause und überbrachte die Botschaft des Königs ihrer Tochter.
Der Prinz bestimmte den Tag der Hochzeit, und bald darauf wurde mit großem
Gepränge die Vermählung gefeiert. Nachdem das junge Paar das
Hochzeitsmahl eingenommen hatte, sprach der Prinz zu seiner jungen Braut:
"Geh du nur schon allein voraus ins Schlafzimmer! Warte nicht auf
mich, sondern schlafe ruhig, weil ich wohl erst spät in der Nacht
kommen werde." Die junge Frau ging also allein ins Schlafzimmer,
legte sich aber nicht ins Bett, sondern unter das Bett.
In das Bett aber legte sie eine sehr schöne Puppe,
die gerade wie ein Mensch aussah und Brautwäsche trug.
Nach einigen Stunden kam der Bräutigam, und als er die schöne
Braut schlafen sah, lachte er und sprach: "So! Jetzt kommt die Rache
für das schwierige Rätsel!" Und mit diesen Worten zog er
das Schwert und schlug der vermeintlichen Braut den Kopf ab. Aber gleich
darauf überkam ihn die Verzweiflung, denn er hatte das schöne
Mädchen eigentlich doch recht liebgehabt. Voller Verzweiflung wollte
er nun sich selbst ins Schwert stürzen. Im gleichen Augenblick aber
langte die Braut unter dem Bett nach dem Schwert und hielt es fest. Dabei
rief sie: "Töte dich nicht, ich bin ja noch lebendig! Sieh her
und beruhige dich!" Und sie kroch ganz unter dem Bett hervor. Da
umarmte sie der Prinz und sagte: "Nun hast du mit deiner Klugheit
uns beiden das Leben gerettet. Jetzt muß ich dir aber zuerst sagen,
daß ich dich von Herzen liebe." Da war auch das Mädchen
recht vergnügt. Beide warfen gemeinsam die Puppe auf die Straße
hinunter und legten sich ins Bett.
Damit ist die Geschichte aus, und wer zuerst
spricht, wird kahlköpfig.
Quelle: Bertha Ilg, Maltesische Märchen und Schwänke. Aus dem Volksmunde gesammelt von Bertha Ilg. Erster Teil. Leipzig 1906. Nr. 3.