DER GOLDKÄPPLER

Es war einmal ein Schuster, der bei seiner Arbeit ab und zu ein Auge durch das Fenster auf die Straße warf, um nicht was Wichtiges zu übersehen. Richtig kam ein Mädchen her, das schöne Äpfel feilbot. "Schätzle, komm doch her, ich will auch welche kaufen!" schrie der Schuster, langte nach dem Korbe, wühlte alles durcheinander, zahlte für drei wunderschöne Äpfel einen Kreuzer und entließ das Mädchen mit den Worten: "Schätzle, jetzt kannst weitergehen." Die drei wunderschönen Äpfel legte unser Schuster in das Fenster, um mit ihnen Staat zu machen und sich an dem Anblick zu ergötzen.

Aber siehe! Durch den Duft herangelockt, erschienen kecke Fliegen, die sich scharenweise auf die wunderschönen Äpfel setzten. Dies erzürnte unsern Schuster dergestalt, daß er durch einen Schlag mit seiner Lederkappe von den Fliegen zehn zu Tode schlug.

Stolz auf dieses Meisterstücklein ging der Schuster stracks zu einem Goldschmied, gab ihm seine Lederkappe und gebot ihm: "Setzt mir auf die Kappe schön in Goldbuchstaben diese Worte: Zehn auf einen Streich erschlagen!"

Meister Goldschmied, der des Schusters Heldentat nicht kannte, führte seinen Auftrag unbekümmert um den Sinn der Worte aus, und da ihm mehr zum Lachen als zum Fürchten war, so ließ er den Besteller kräftig zahlen. Der nahm nun leichten Abschied von der Schusterwerkstatt, nannte sich jetzt stolzen Sinnes "Goldkäppler" und zog auf Abenteuer in die Welt.

Einst legte sich der Goldkäppler am Fuße eines Berges in das Gras und schlief gemütlich ein. Auf jenem Berge aber stand ein Grafenschloß, aus dem der Schloßherr, ein bejahrter, reicher Edelmann, bekümmert in die Ferne blickte. Denn es schnitt ihm tief ins Herz, daß in den Wäldern seiner Grafschaft lange schon ein fürchterliches Einhorn hauste, Menschen, Zugund Weidetiere niederstach und alle Felder arg verwüstete. Noch schwerer drückte es den Grafen nieder, daß niemand mehr im Land den Ehrgeiz hatte, für Ruhm und hohen Lohn dem Einhorn den Garaus zu machen gar zu gefährlich war das Unterfangen.

Plötzlich nahm der Graf den Schläfer wahr und las auf der vom Sonnenschein bestrahlten Kappe wahrhaft goldne Worte: Zehn auf einen Streich erschlagen!

Was man wünscht, das glaubt man gern. So meinte denn der Schloßherr fest, der Schläfer hätte einst mit einem Streich zehn Feinde totgeschlagen und er wäre wohl imstande, auch das Einhorn noch zu töten. Hoffnungsfreudig lief der Graf den Hang hinunter, weckte unsern Goldkäppler, erzählte ihm das schwere Leid und bat ihn, der so stark sei, zehn mit einem Streich zu töten, gegen hohen Lohn das Einhorn aus der Welt zu schaffen. Wagemutig drang der Schuster, nur mit einem scharfen Säbel ausgerüstet, in den Wald, und alsbald sprang das Einhorn wütend auf ihn los. Husch! Barg der Goldkäppler sich hinter einer starken Tanne, und das Untier stach sein Horn so heftig in den Stamm, daß es wie festgenagelt steckenblieb. Mit einem Hiebe schlug der Held dem Einhorn dann den Kopf ab, ging aufs Schloß, empfing den wohlverdienten Lohn und ward zu alledem in Kürze noch des Grafen Schwiegersohn.


Quelle: Die schönsten Märchen aus Österreich, o. A., o. J.,