WAGEN, PICK AN! (Oberösterreich)

Es war einmal eine schöne Prinzessin, die besaß zwar alles, was ihr Herz sich ersehnte, war jung und schlank gewachsen und wurde von allen, die sie kannten, geliebt, nur lachen und scherzen wie andere Mädchen ihres Alters konnte sie nicht. Der König und die Königin mochten tun, was sie nur wollten und konnten, über das Gesichtchen ihrer Tochter huschte dennoch niemals auch nur ein leises freudiges Lächeln. Als sie schließlich schon so groß geworden war, daß sie heiraten konnte, ließ der König im ganzen Lande verkünden, daß nur derjenige sie zur Frau bekommen und sein Nachfolger werden sollte, der sie zum Lachen bringen könne.

Es dauerte nicht lange, da kamen auch schon von weit und breit junge Ritter und Prinzen an den Hof des Königs, um ihr Glück bei der Prinzessin zu versuchen. Sie erzählten ihr die lustigsten Streiche, gebärdeten sich wie richtige Hanswurste, schlugen vor ihr Purzelbäume und Räder, standen auf dem Kopf und auf den Händen, schnitten die unglaublichsten Grimassen, die Prinzessin aber fand dies alles nur langweilig, gähnte und wandte sich schließlich enttäuscht und mißgestimmt von ihnen ab.

Weil der König aber einen der abgewiesenen Freier nach dem anderen ins Gefängnis werfen ließ, versuchte schließlich kein Ritter mehr im ganzen Lande, um sie zu werben.

Zu dieser Zeit lebte im entlegensten Winkel des Reiches ein armer Bauer mit seiner Frau und seinen drei Söhnen. Der hörte, als er einmal zu Markte fuhr, daß das Töchterchen des Königs heiraten solle und auf welche Weise es zu gewinnen sei. Als er wieder heimkam, erzählte er seinen drei Söhnen davon und meinte, daß es doch mit ein bißchen Witz und Narretei nicht gar so schwer sein müßte, die Prinzessin zum Lachen zu bringen.

Sein ältester Sohn hörte ihm aufmerksam zu, und weil er schon immer ein Spaßvogel gewesen war, über den die Mädchen und Burschen im Dorfe oft Tränen gelacht hatten, entschloß er sich, seine Spaße auch bei der Prinzessin zu erproben. Schon am nächsten Morgen packte er sein Ränzel. Der Vater gab ihm aus der Truhe ein paar aufgesparte Geldstücke, die Mutter ein wenig Mundvorrat mit, dann nahm er Abschied und machte sich auf den Weg in die Stadt, in der der König residierte.

Stundenlang wanderte er auf der staubigen Landstraße dahin, auf die die Sonne steil niederbrannte. Dann kam er endlich in einen dunklen, kühlen Wald, der war aber wieder so groß, daß er kein Ende nehmen wollte. Von seiner langen Fußreise müde, ließ sich der Bursche schließlich auf das weiche Moos nieder, um eine Weile lang auszuruhen und ein paar Bissen von seinem Vorrat zu essen. Kaum hatte er ein Stück von seinem Brot und dem Speck abgeschnitten, vernahm er im dürren Laub das Geräusch von Schritten, und gleich darauf stand ein altes Männlein vor ihm, das stak in einem grünen Gewand, hatte einen langen weißen Bart und trug einen spitzigen Hut auf dem Kopf.

„Dir geht es gut!" begann das Männlein zu sprechen. „Du hast dein Ränzel voll Brot und Speck und brauchst nicht zu hungern. Bitte, gib mir doch auch etwas davon!"

„Dir etwas davon geben?" erwiderte der Bursche herzlos. „Da bist du an den Unrechten gekommen! Ich muß in die Stadt und in die Burg des Königs, um die Prinzessin zum Lachen zu bringen. Bis dahin ist es aber noch weit, und mein Vorrat könnte mir selber zu wenig werden!"

„Du wirst die Prinzessin auch nicht zum Lachen bringen!" sagte das grüne Männlein böse und stapfte durch das Laub wieder davon.

Nach einigen Tagen kam der Bursche endlich in die Burg des Königs. Als er über die Brücke und durch das hohe Tor den inneren Hof betrat, stand die Prinzessin eben auf dem Altan. Sie war wirklich wunderschön. Ihr lockiges Haar flimmerte in der Sonne, als trüge sie eine goldene Krone auf dem Haupt. Aber ihr Gesicht war so ernst, als wäre ihr Herz von Leid erfüllt. Nachdem der Bursche sie gegrüßt hatte, begann er sofort rund um den Hof Räder zu schlagen, machte dann Sprünge wie ein Zicklein, äffte auf die lustigste Art allerlei Tiere nach und gebärdete sich wie der Spaßmacher eines herumziehenden Zirkusses.

Die Prinzessin schaute ihm eine Weile lang zu, verzog aber keine Miene und verließ schließlich gelangweilt den Altan.

Gleich darauf kam die Burgwache auf den Hof, faßte den Burschen und führte ihn ins Gefängnis.

Daheim warteten, von Tag zu Tag besorgter, Eltern und Brüder auf seine Rückkehr. Weil er aber auch nach Wochen nicht zurückkam, beschloß der Zweitälteste der drei Söhne, in die Stadt zu gehen und auch um die Hand der Prinzessin zu werben. Sosehr ihn Vater und Mutter baten, doch lieber daheim zu bleiben, er ließ sich nicht mehr davon abhalten, nahm ebenfalls sein Ränzel, erhielt vom Vater ein paar Geldstücke und von der Mutter, was er für den weiten Weg brauchte, um nicht hungern zu müssen.

Nachdem er stundenlang in Regen und Wind die Straße da-hingewandert und auch in den großen dunklen Wald gekommen war, setzte er sich auf einen Wurzelstock, öffnete sein Ränzel und begann zu essen. Kaum hatte er den ersten Bissen in den Mund genommen, stand das alte grüne Männlein auch vor ihm, klagte ihm seinen Hunger und bat: „Gib mir doch wenigstens eine Scheibe Brot!"

„Ich habe selber viel zu wenig zu essen", erwiderte der Bursche schroff. „Ich muß noch tagelang gehen, bis ich in die Stadt komme, um die Tochter meines Königs zum Lachen zu bringen. Da brauche ich mein Brot für mich allein!"

„Auch du wirst die Königstochter nicht zum Lachen bringen!" sagte das grüne Männlein böse, wandte sich von ihm ab und war im nächsten Augenblick vom Erdboden verschwunden.

Wie das Männlein vorausgesagt hatte, so kam es auch. In der Burg des Königs angekommen, mochte der Bursche an Späßen treiben, was ihm nur einfiel, die Prinzessin sah ihm mit todernster Miene vom Altan aus zu und zog sich, ohne auch nur ein einziges Mal gelächelt zu haben, am Ende in ihr Gemach zurück.

Gleich darauf faßte die Burgwache den Zweitältesten Bruder und führte auch ihn in den Kerker.

Als schließlich noch der Jüngste sein Glück bei der Tochter des Königs versuchen wollte, sagte sein Vater zutiefst betrübt: „Du bist das einzige Kind, das uns noch geblieben ist. Wir wollen nicht auch dich noch verlieren. Es würde dir bestimmt nicht anders ergehen als deinen beiden Brüdern. Bleib daheim und hilf lieber deinen alten Eltern bei der schweren Arbeit, die dich gewiß glücklicher und zufriedener machen wird, als wenn du um die Hand der herzlosen Prinzessin anhieltest!"

Aber auch der Jüngste ließ sich von seinem Vorhaben nicht mehr abhalten.

„Ich werde die Prinzessin bestimmt zum Lachen bringen", erwiderte er, fest davon überzeugt. „Sobald es mir gelungen ist, will ich auch meine beiden Brüder suchen und mit ihnen nach Hause zurückkehren!"

So gaben denn die beiden alten Leutchen schließlich doch nach, der Vater holte seine letzten Ersparnisse hervor, der Bursche aber nahm von ihm nur ein einziges Geldstück an, von der Mutter nur wenige Scheiben Brot und etwas Speck, und machte sich frohen Mutes auf den weiten Weg.

Als er sich mitten in dem großen Wald befand, trat plötzlich das grüne Männlein aus einem hohlen Baumstamm auf ihn zu und fragte ihn:

„Wohin gehst du denn?"

„In die Stadt und in die Burg des Königs", antwortete der Bursche freundlich, obwohl er noch von dem Erscheinen des Männleins überrascht war. „Ich will versuchen, die Prinzessin zum Lachen zu bringen."

„Hättest du vielleicht ein Stückchen Brot bei dir? Ich habe Hunger und finde nirgends etwas zu essen."

„Brot und Speck! Nicht viel zwar, wir werden aber sicherlich davon satt werden!"

Nun setzten sich beide nebeneinander auf einen Baumstamm, der Bursche öffnete sein Ränzel, entnahm ihm Brot und Speck und teilte beides mit dem grünen Männlein.

Nachdem sie gegessen hatten, wollte der Bursche weiterziehen, aber das Männlein hielt ihn zurück und sagte: „Ich bin dir für deine Gaben noch meinen Dank schuldig. Komm mit in meine Wohnung, damit auch ich dir etwas schenke!"

Der Bursche meinte zwar, daß das bißchen Essen keines besonderen Dankes wert gewesen sei, ging aber, weil das Männlein nicht davon abstehen wollte, doch mit ihm. Schon nach wenigen Schritten kamen sie vor eine Höhle, deren Eingang so versteckt hinter grünem Gebüsch lag, daß er kaum zu sehen war. Das Männlein bat den Burschen, heraußen zu warten, begab sich in das Innere der Höhle, kehrte aber gleich darauf mit einem leichten, zweirädrigen Wägelchen wieder zurück.

„Diesen kleinen Wagen schenke ich dir", sagte das Männlein; „wenn du bemerken solltest, daß ihn jemand berührt, brauchst du nur zu befehlen: ,Wagen, pick an!' dann bleibt seine Hand fest daran kleben, und er muß, wohin du auch das Wägelchen ziehst, immer hinterher mitlaufen. Nicht anders erginge es jedem, der auch den schon am Wagen Klebenden berührte, sobald du im selben Augenblick ,Pick an!' riefest. Wenn du das immer tust, wirst du auch bei der Prinzessin mehr Glück haben als alle vor dir!"

Der Bursche fand den Rat des grünen Männleins überaus lustig, dankte ihm für das Wägelchen und zog damit durch den tiefen dunklen Wald weiter.

Als er, nachdem er wieder aus dem Wald ins Freie gekommen war, das Wägelchen durch das nächste Dorf zog, begegnete er als erstem einem Rauchfangkehrer.

„Ist das aber ein seltsames Fuhrwerk!" rief der rußgeschwärzte Mann lachend und legte seine Hand auf den Rand des kleinen Wagens.

Kaum aber hatte der Bursche dies gesehen, rief er: „Wagen, pick an!" Und schon klebte die Hand des Rauchfangkehrers daran fest; er konnte noch so sehr ziehen und zerren, er brachte sie nicht mehr davon los und mußte nun, ob er wollte oder nicht, hinter dem Wägelchen, das er kurz zuvor noch belacht hatte, einherlaufen.

Im nächsten Dörfchen kam eben ein mehlbestaubter Bäckerjunge mit einem Korb frischer Semmeln auf dem Rücken die Straße einher. Auch er machte sich über den seltsamen Wagen, noch mehr aber über den daran klebenden Rauchfangkehrer lustig, der ihn bat, ihm doch zu helfen, daß er von dem Karren loskomme.

„Das kann doch keine Kunst sein!" rief der Bäckerjunge, trat an den Wagen heran und versuchte, den Rauchfangkehrer zu befreien.

„Wagen, pick an!" rief jetzt wieder der Bursche, und schon klebte auch der- Bäckerjunge fest und mußte nun, zum hellen Gelächter aller, die es sahen, ebenfalls hinter dem Wägelchen einherlaufen.

Ein Stündchen später kamen sie in einen Marktflecken. Als die Leute den seltsamen Aufzug sahen, liefen sie von allen Seiten zusammen und machten sich über den schwarzen und weißen Gimpel, die dem Burschen auf den Leim gegangen waren, lustig. Ein Schusterbub neckte den Bäckerjungen und sagte: „Jetzt kann ich mir wenigstens eine frische Semmel gönnen!" und griff in den Korb.

Da rief aber der Bursche an der Deichsel des Wagens wieder „Pick an!", und schon klebte die Hand des Schusterbuben an dem Korb, den niemand vom Rücken des Bäckerjungen zu nehmen wagte, weil jeder fürchtete, auch daran kleben zu bleiben.

Einem strohhaarigen Schneiderlehrling machte es Spaß, den Schusterbuben am grünen Schürzenband zu zupfen.

„So dumm kann auch nur ein Schuster sein", spottete er, aber schon erscholl es laut „Pick an!", und der Schneider klebte so fest an dem Schuster, daß er nicht mehr loskommen konnte.

„Das ist ja der Lausbub, der immer mit faulen Äpfeln nach meiner schwarzen Katze geworfen hat!" rief plötzlich ein altes, zahnloses Weib, das im ganzen Orte verschrien war, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. „Jetzt kann ich es ihm wenigstens heimzahlen!"

Kaum aber hatte es nach dem strohgelben Haarschopf des Schneiderlehrlings gefaßt, blieb es auch schon daran kleben. Weil es ihm auch nicht gelang, dem Burschen das borstige Haar aus dem Kopfe zu reißen, mußte es nun auch mit allen anderen unter dem Gejohle der Leute hinter dem Wägelchen einherlaufen.

Sie waren noch nicht bis ans Ende des Marktes gekommen, da sprang ihnen aus einem offenen Tore kläffend ein bissiger Köter nach und schnappte nach dem Kittel des alten Weibes.

„Pick an!" rief wieder der Bursche vor dem Wagen, und nun konnte sich auch der Hund nicht mehr losmachen.

Endlich vor der Burg des Königs angekommen, verwehrte der Wächter am Tore dem Burschen, den Hof zu betreten.

„Was fällt dir denn ein, mit einem solchen Aufzug hieher zu kommen!" rief er dem Burschen zu und schlug mit der Lanze nach dem Hund, um zuerst einmal diesen zu vertreiben. Da blieb auch er noch am Rücken des Hundes kleben.

Als die Prinzessin nun von ihrem Altane aus die sonderbare Prozession in den Hof einziehen sah, mußte sie zum erstenmal, und zwar so herzlich lachen, daß ihr die Tränen über die Wangen liefen.

Im selben Augenblick aber waren alle, die so fest aneinanderklebten, wieder frei, und weil sie ihre Prinzessin lachen sahen, vergaßen sie ihr Mißgeschick und lachten auch.

Gleich darauf trat der König auf den Altan. Als er sein Töchterchen endlich fröhlich fand, umarmte er es vor Glück und Freude, und dann ließ er den Burschen zu sich rufen. Verwundert, daß dieser keine Spur von Fröhlichkeit zeigte, fragte ihn der König: „Warum lachst du als einziger von uns allen nicht?"

„Ich kann erst lachen, bis ich meine beiden Brüder wieder gefunden und meinen Vater und meine Mutter von ihrer bittersten Sorge befreit habe!" antwortete der Bursche ernst.

„Wenn es sonst nichts ist", sagte der König, „dann wirst auch du dich bald genau so freuen können wie wir!"

Sogleich befahl er, alle Gefangenen freizulassen und die Eltern des Burschen in einer königlichen Kutsche in die Burg zu bringen. Bald darauf fand auch die Hochzeit statt, und alle, die daran teilnahmen, hatten Grund genug, fröhlich zu sein. Am fröhlichsten aber war die Prinzessin, die nicht nur das Lachen, sondern auch ihr Glück gefunden hatte.


Quelle: Märchen aus Österreich, Ausgewählt und für die Jugend neu erzählt von Max Stebich, Wien 1954, S. 68 f.