DAS MÄRCHEN VON DER WUNDERMÜHLE

Der einzige Sohn einer armen Wittib war schon viele Jahre in der Fremde; sein Mütterlein lebte kärglich daheim und sehnte sich unsagbar nach ihrem Kinde.

Und wie sie wieder einmal traurig ihrer häuslichen Arbeit oblag und ihres Kindes verlangend gedachte - siehe! Da sprang die Tür auf, und "Mutter!" und "Rupert!", das waren für lange die einzigen, voll Innigkeit gewechselten Worte.

Als die erste Aufregung des Wiedersehens überwunden war, tauschten beide in sprunghaften Sätzen ihre Erlebnisse aus, und Rupert tröstete das klagende Mütterlein: "Weine nicht, die Not hat ein Ende; dafür bürgt mein Schatz, den ich in der Fremde redlich erworben habe." Neugierig verfolgte das Weiblein jeden Handgriff ihres Sohnes beim Auspacken des Ranzens, aber enttäuscht fragte die Frau, da Rupert als seinen Schatz eine alte Kaffeemühle vorwies: "Das ist alles?" - "Gedulde dich, lieb Mütterlein! Der alte Kasten hat eine geheimnisvolle Kraft, die wirst du bald schätzen; bereite nur schnell Kaffee, ich bin voll Hunger!" So sprach der Sohn, aber bedauernd entgegnete die Mutter: "Mein Kind, das kann ich nicht, ich habe keinen Vorrat."

Darauf hatte Rupert nur gewartet. Feierlich und wortlos schloß er die Tür, schob die Fensterladen zu, breitete ein reines Tüchlein auf den Tisch, stellte die Mühle darauf und gab der Kurbel einen Stoß, indem er das Verslein sprach:


"Mühle, Mühle, mahle mir
frische Semmeln für und für!"


Kaum war das letzte Wort erklungen, so sprang ein Türlein an der Mühle auf, und schöne Semmeln rollten warm und würzig auf den Tisch. Als ihrer genug da waren, sprach Rupert:


"Mühle, Mühle, halte still,
bis ich etwas andres will!"


Da flog das Türlein alsbald zu. Noch ehe Mütterlein sich von dem Staunen erholen konnte, hatte der Sohn zwei große Becher an die Mühle gerückt und sagte wieder ähnlich wie vorhin:


"Mühle, Mühle, mahle mir
Kaffee mit Zucker für und für!"


Ein Druck auf die Kurbel, flugs schob sich ein Röhrlein heraus, und dampfender Kaffee füllte die Becher bis zum Rande; als aber das Verslein


„Mühle, Mühle, halte still,
bis ich etwas andres will!"


gesprochen war, versiegte der Quell sogleich. Noch nie hatte es beiden so gut geschmeckt wie heute.

Da war das Mütterlein überglücklich, gelobte gern, niemand das Geheimnis zu verraten, und hielt auch ihr Wort. Die beiden waren und blieben arbeitsam und bescheiden, sie kamen zu Wohlstand, taten Gutes, wo sie nur konnten, und nichts fehlte zu ihrem Glück, da auch die Mitbürger sie liebten und schätzten.

Nur Nachbar Kornhändler, ein unermeßlich reicher, alleinstehender Geizhals, neidete ihnen das Glück und wollte das Geheimnis des Aufschwunges erforschen. Frühmorgens und spätabends benützte er die Dunkelheit, um ungesehen an Tür und Fenster zu lauern. Da geschah es einmal, daß die Mutter das Fenster nicht gehörig verwahrt hatte und der Sohn seinen Wunschreim gar zu laut und deutlich hersagte, als sie notwendig Brot brauchten. Das alles beobachtete der Geizhals durch die Fensterspalte, und als er das Brot erscheinen sah, meinte er genug zu wissen; er schlüpfte in sein Haus und entwarf den Plan, wie er der Wundermühle habhaft werden könne.

Der böse Mann lockte das arglose Paar in seinen Keller und sperrte es dort ein. Dann schlich er in das Nachbarhaus und tat, wie er gelernt hatte, indem er sprach:


"Mühle, Mühle, mahle mir
Weizenkörner für und für!"


Wie leuchteten seine gierigen Augen, als das Türlein aufsprang und ein Strom von glänzendem, großkörnigem Weizen sich auf den Tisch ergoß und vom Tisch auf den Boden! Da war doch ein ansehnlicher Gewinn zu erhoffen. Eh' er sich's versah, stand der Händler bis zu den Knien, zu den Hüften im Weizen, daß ihm heiß und bald bänglich wurde. „Genug, genug, halt ein, genug!" bat und schmeichelte er, aber umsonst. Solche Worte verstand die Mühle nicht, sie erhob sich vom Tisch auf die Oberfläche des Weizenmeeres und spendete weiter, bis sie dem Argen den Atem verlegte, also daß er mit einem Faustschlag die Mühle arg zertrümmerte. Aber jedes Trumm ward wieder eine ganze Mühle, die Ströme von Weizenkörner ergab, und der Geizhals erstickte im Körnermeer.

Als der Weizen die Zimmerdecke sprengte, das Dach abhob und auf die Straße quoll, eilten Leute herbei und befreiten die in ihrem Gefängnis schreienden und polternden Menschen. Der Sohn brachte die Mühlen durch seinen Spruch rasch zum Stillstand; aber weil er mehr als einen Augen- und Ohrenzeugen hatte, erlosch im Augenblick der Mühlen Wunderkraft. Doch waren Mutter und Sohn nun schon auf immerdar von aller Not befreit.


Quelle: Die schönsten Märchen aus Österreich, o. A., o. J.,