DER ZAUBERER UND SEIN LEHRJUNGE

Es war einmal ein Bursche, der wollte sich einen Dienst suchen. Der erste Herr, bei dem er sich vorstellte, fragte ihn: "Kannst du schreiben und lesen?"

"O ja, sehr gut", gab jener zur Antwort.

"Wenn du schreiben und lesen kannst", sprach der Herr, "dann kann ich dich nicht brauchen."

Er war nämlich ein Zauberer und hatte Angst, daß ihm ein Knecht hinter die Geheimnisse seiner Zauberei kommen könnte, die er in dicken Büchern bewahrt hatte.

Der Bursche aber - er hieß Peter - war ein Schlaukopf; er dachte: "Willst du einen dummen Knecht, dann kann ich auch einen dummen vorstellen." Darauf sagte er laut:

"Wie meint Ihr, Herr? Ich habe falsch verstanden; ich habe geglaubt, Ihr fragt, ob ich schreien und essen könne - und das kann ich wahrhaftig besser als viele andere. Aber schreiben und lesen? Nein, davon hab' ich keinen Dunst." Da war der Zauberer zufrieden und nahm ihn in sein Haus.

Peter war fleißig und geschickt und stellte seinen Herrn in jeder Hinsicht zufrieden. Heimlich aber machte er sich über die Bücher her und lernte alle Zaubersprüche und Hexenkünste, und als ein Jahr um war, verstand er schon so viel davon wie der Zauberer selber. Da wurde der Peter einmal von seinem Herrn erwischt, wie er gerade aus einem Buch eine Beschwörungsformel las; er wollte den Besen in ein menschliches Wesen verwandeln, das ihm bei der Arbeit im Hause helfen sollte. Der Zauberer stürzte wutentbrannt auf Peter los, der aber tat einen kräftigen Spruch und verwandelte sich in eine Schwalbe, die zum Fenster hinausflog und eiligst durch die Lüfte davonsauste. Da nahm der Zauberer die Gestalt eines Geiers an und verfolgte die Schwalbe. Fast hatte er sie erreicht, als sie gerade über einen breiten Fluß hinflogen; flugs sprang die Schwalbe ins Wasser und war ein Fisch. Der Geier verwandelte sich nun in einen Haifisch und suchte den kleinen zu verschlingen; da verwandelte sich der wieder in einen Vogel. So ging die Sache stundenlang fort, und Peter war schon recht müde. Er war gerade wieder eine Taube und flog über des Kaisers Garten hin. Unten ging die Tochter des Kaisers spazieren. Da flog das Täubchen ihr zu Füßen nieder und sah sie hilfeflehend an, während ein Habicht in den Lüften kreiste und sich eben herabstürzen wollte. Die Prinzessin bückte sich und hob das zitternde Täubchen mitleidig auf; da saß es plötzlich als goldener Ring an ihrem Finger, und zwei Edelsteine funkelten darin wie tränenfeuchte Augen.

Der Zauberer aber nahm wieder Menschengestalt an und ging geradewegs zum Kaiser.

"Ich kann Euch alles geben, wonach sich Euer Herz sehnt", sprach er zu ihm, "wenn Ihr mir dafür den Ring schenken wollt, den Eure Tochter am Finger trägt."

Der Kaiser wünschte sich gerade einen sehr kostbaren Edelstein aus der Krone seines Nachbarkaisers. Der Zauberer brachte ihn in einer Stunde zur Stelle.

Nun ließ der Kaiser seine Tochter rufen und bat sie, ihm den Ring zu schenken. Die Prinzessin aber weigerte sich entschieden, denn sie ahnte, daß die Taube sich im Ring schutzsuchend bei ihr verbarg. Da wurde der Kaiser so böse, wie ihn noch niemand gesehen hatte. "Ich will dich gehorchen lehren!" schrie er und riß den Ring seiner Tochter vom Finger. In des Kaisers Hand zersprang jedoch der goldene Reif und wurde zu lauter Hirsekörnern, die rollten über den Fußboden hin.

Im Nu war der Zauberer eine Henne und pickte ein Körnchen nach dem andern auf. Schon glaubte er zu triumphieren, denn es war kein Körnchen mehr zu sehen; aber unter den Schuh der Prinzessin war auch eins gerollt, und ehe man sich dessen versah, hatte sich dieses winzige Körnchen in einen Kater verwandelt, der nahm die Henne am Kragen und fraß sie auf mit Haut und Haar.

Aus dem Kater aber wurde ein schöner Jüngling, der verneigte sich vor dem Kaiser und bat, ob er seine Zauberkünste in des Kaisers Dienst stellen dürfe. Das wurde ihre gewährt, und er wirkte viel Gutes und gewann endlich die Tochter des Kaisers zur Frau.


Quelle: Die schönsten Märchen aus Österreich, o. A., o. J.,