DUMM UND NOCH DÜMMER

Ein Bauer hatte zwei Töchter, die arbeiteten eines Tages mit ihm auf dem Feld. Heiß brannte die Sonne hernieder, und der Bauer wurde durstig. Da sagte er zu seiner jüngsten Tochter: "Geh zum Brunnen und hol mir Wasser."

Als sie ihren Krug gefüllt hatte, blickte sie in den tiefen Brunnen hinab und dachte: ‚Ach, wenn mein Hans in diesen Brunnen fiele, müßte er sicher ertrinken.'

Und als sie diesen Gedanken fortspann und sich vorstellte, daß sie keinen Hans mehr hätte, wurde ihr weh ums Herz, und sie fing bitterlich zu weinen an. So weinte sie ohne Unterlaß wohl eine gute halbe Stunde.

Den Vater quälte indessen der Durst, und er sagte zu seiner älteren Tochter: "Geh zum Brunnen und schau, wo deine Schwester so lang mit dem Wasser bleibt."

Als sie zum Brunnen kam, sagte sie streng: "Was treibst du hier? Du darfst den Vater nicht länger warten lassen!"

"Ach", seufzte die Schwester, "ich dachte daran, daß mein Hans hier ertrinken könnte. Da wurde mir weh ums Herz, und ich mußte weinen."

Als die ältere Schwester die Jüngere so traurig sah, da wurde auch ihr weh ums Herz. Sie setzte sich zu ihr an den Brunnen, und nun weinten beide gemeinsam ohne Unterlaß wohl eine gute halbe Stunde.

Weil keines der Mädchen zurückkehrte, machte sich der Bauer endlich selbst auf den Weg zum Brunnen. Er schalt beide und fragte sie, ob sie ihn denn verdursten lassen wollten.

"Ach, lieber Vater", antwortete die jüngere Tochter, "ich dachte daran, daß mein Hans hier ertrinken könnte. Da wurde mir weh ums Herz, und ich mußte weinen."

"Ach, lieber Vater", sprach jetzt die ältere Tochter, "als mir meine Schwester sagte, daß ihr Hans hier ertrinken könnte, da wurde auch mir weh ums Herz, und ich mußte mit ihr weinen."

"Oh, ihr Närrinnen", sprach der Bauer, "ihr verleidet mir mit eurer Dummheit das Leben! Darum will ich nicht länger bei euch bleiben. Ich will in die Welt gehen und nie mehr zurückkehren, es sei denn, ich finde noch dümmere Menschen, als ihr beide es seid."

Der Bauer nahm nur eine Schaufel, eine Schafschere und eine Sichel mit sich und zog fort. Nach langer Wanderung kam er in ein anderes Land. Dort waren eben die Nüsse reif geworden, und die Leute schlugen sie mit langen Stangen von den Bäumen. Sobald alle Nüsse auf der Erde lagen, griffen die Leute zu großen Heugabeln und mühten sich, auf diese Art die Nüsse in einen Wagen zu werfen. Etwas so Unvernünftiges hatte der Bauer noch nicht gesehen.

"Leutchen", sprach er, "ich will euch helfen."

Er nahm seine Schaufel und warf mit dieser die Nüsse in den Wagen. Das ging so lustig und flink, daß den Leuten beim Zusehen die Mäuler offen blieben. Sie hatten ein solches Wunderwerkzeug noch nie erblickt und kauften dem Bauer die Schaufel um schweres Geld ab.

"Wenn ich jetzt noch andere dumme Leute finde, die mir auch die Schere und die Sichel teuer bezahlen, bin ich ein reicher Mann", sprach der Bauer vor sich hin.

Er zog weiter, und nach einiger Zeit kam er in ein anderes Land. Dort hatten die Leute ein Gerät, das sah wie ein Spinnrad aus. Damit spannen sie den Schafen die Wolle gleich vom Leib herab. Die armen Schäfchen mußten dabei viel leiden, denn die Wolle wurde ihnen ausgerissen. Wenn das Werkzeug kräftig zugriff, ging auch ein Stück der Haut mit und die Wolle färbte sich rot vom Blut der armen Tiere. So großer Unverstand war dem Bauern noch nie begegnet.

Er nahm ein Schäfchen und schor es mit seiner Schere glatt ab. Die Wolle aber band er an einen Stab wie auf einen Rocken und spann, daß es sauste. Die Schäfchen tanzten vor Freude, als sie dies sahen, und die Leute kauften dem Bauern die Schere um tausend Taler ab.
Er war damit zufrieden, wanderte weiter und kam wieder in ein anderes Land.

Dort waren die Leute gerade mit der Weizenernte beschäftigt. Das war für sie eine gar mühsame Arbeit. Sie hatten keine Sicheln und mußten jeden Halm einzeln aus der Erde ziehen. Als der Bauer dies sah, mußte er über die Einfalt der Leute laut lachen.

"Leutchen", rief er, "ich will euch helfen."

Auf einen Streich mit der Sichel legte er hundert Halme zu Boden, und seine Arbeit ging so schnell, daß er die staunenden Leute weit hinter sich ließ.

"Dieses Wunderwerkzeug müssen wir bekommen - und wenn es ein Vermögen kostet", sagten die Leute. Und sie hielten sogleich auf freiem Feld einen Gemeinderat ab und versprachen dem Bauern den Inhalt der Gemeindekasse. Der Bürgermeister aber wurde dazu bestimmt, die Sichel im Siegeszug ins Dorf zu tragen.

Er hängte sich die Sichel in den Nacken und schritt stolz seiner Gemeinde voran. Doch die Sichel war scharf und schnitt dem Bürgermeister tief in den Hals. Als die Leute dies sahen, verlangten sie, daß über die Sichel Gericht gehalten werde.

Die Sichel wurde zu Stockstreichen verurteilt, und die Strafe sollte gleich vollzogen werden. Die Männer bewaffneten sich mit Stöcken und Stangen und hieben auf die Sichel los. Einer von ihnen aber traf sie auf die gekrümmte Spitze, und die Sichel sprang klafterhoch in die Luft. Alle glaubten jetzt, die Sichel sei lebendig geworden und wolle sie der Reihe nach töten. Und die Leute flüchteten, so schnell sie nur konnten, in das Dorf und in ihre Häuser.

Der Bauer aber wurde gebeten, das Dorf von der bissigen Sichel zu befreien und sie wieder mit sich zu nehmen. Er bekam dafür das Vermögen der Gemeinde und war nun ein reicher Mann.

Schließlich machte er sich wieder auf den Heimweg, denn er hatte genug Leute gefunden, die noch viel dümmer waren als seine beiden Töchter.

Quelle: Österreichische Volksmärchen, gesammelt von Josef Pöttinger, Wien 1957