"DAS MARTINILOBEN"

In früheren Zeiten feierten die Leute das Namensfest des heiligen Martin bei Braten und Wein und ließen den Heiligen hochleben. Sie gingen ins "Martiniloben".

Davon hörte einmal der Kater Braunz, und es gelüstete ihn, auch ins Martiniloben zu gehen. Er dachte: ‚Die Mäuse laß ich heute Mäuse sein!' Dann machte er sich auf den Weg.

Nachdem er eine Weile gewandert war, dachte er: ‚Schau, wenn ich einen Kameraden hätte, wäre der Weg viel kurz weiliger !'

In diesem Augenblick kam ihm der Hund vor die Beine.

"Kater Braunz", sagte der Hund, "wo gehst du denn hin?"

"Ins Martiniloben", gab der zur Antwort. "Da wird's lustig werden !"

"Ei, da kann ich ja mithalten", meinte der Hund und schloß sich dem Kater an.

Da wanderten sie die Straße dahin und erzählten einander eine Geschichte nach der andern.

Plötzlich rief der Hund: "Dort schau hin! Dort wackelt ja die Mutter Gans!"

Nun beeilten sie sich, die Gans einzuholen.

Und die Gans drehte den Hals zurück und fragte verwundert: "Wo geht denn ihr zwei hin?"

"Wir gehen ins Martiniloben, wir wollen einmal recht lustig sein!" erwiderten sie.

"Laßt mich doch mitgehen", schnatterte die Gans. "Ich möchte mich auch einmal gut unterhalten."

"Wenn du nicht streitbar wirst, lassen wir dich schon mithalten", entgegneten sie.

Nun gingen sie zu dritt ihres Weges und waren lustig und guter Dinge. Nach einer Weile stießen der Ochs, der Hahn und die Sau zu ihnen, da wanderten sie dann zu sechst weiter.

Auf einmal kamen sie in einen finsteren Wald, der nicht enden wollte. Als es gar noch Nacht wurde, meinte der Kater Braunz: "Kinder, hört, jetzt kenn ich mich nimmer aus. Ich glaube, wir haben uns verirrt. Kehren wir lieber um!"

Alle stimmten ihm zu, doch fanden sie in der Dunkelheit nicht den Weg zurück. Sie beschlossen daher, im Wald zu übernachten, legten sich ins weiche Moos und bemühten sich, einzuschlafen.

Nur der Ochs, der ein wenig furchtsam war, behielt die Augen offen und schaute umher. Da erblickte er auf einmal in der Ferne ein Licht und sagte dies dem Kater Braunz. Und der Kater meinte: "Ich klettere auf einen hohen Baum und halte Ausschau. Dann wissen wir genau, in welche Richtung wir gehen müssen."

Und richtig, er tat es. Als er wieder herabkam, machten sich alle auf den Weg.

Das Licht wurde immer größer und größer, und plötzlich sahen sie ein Haus, das hell erleuchtet war und offene Fenster hatte.

Da schlich der Hahn an ein Fenster heran, machte einen Blick hinein und entdeckte Diebe im Haus. Einer stand vor dem Tisch und zählte gerade einen Haufen Geld.

"Wartet nur", sagte der Ochs, "denen werden wir heimleuchten! Ich springe zuerst zum Fenster hinein, da werden sie alle erschrecken und Reißaus nehmen. Und uns werden sie das Geld überlassen müssen! Wenn alle Diebe draußen sind, kommt ihr flink zu mir ins Haus hinein!"

So geschah es auch. Der Ochs sprang beim Fenster hinein und brüllte, was er konnte. Da ließen die Diebe alles liegen und stehen und liefen davon.

Nun machten sich die Tiere über das viele Geld her und legten es wieder auf einen Haufen zusammen. Weil sie aber glaubten, daß die Diebe zurückkommen würden, begaben sie sich nicht zur Ruhe.

Der Hund sprach: "Ich wache bei der Tür!"

Der Kater Braunz schmiegte sich an den warmen Ofen, der Ochs legte sich auf den Misthaufen, die Gans hockte sich auf den Tisch, um das Geld zu hüten, die Sau richtete sich im Hof ein Lager, und der Hahn flog auf das Dach.

Und richtig, die Diebe kehrten bald wieder zurück und wollten ins Haus eindringen und das Geld holen.

Da schnauzte sie zuerst der Hund an und biß alle, die er in der Finsternis erwischte, ins Bein. Als die Diebe hierauf an der Glut Licht machen wollten, sprang sie der Kater Braunz an und fuhr ihnen mit den Krallen in die Augen. Die das Geld vom Tisch räumen wollten, wurden von der Gans in die Finger gezwickt, daß sie erbärmlich schrien.

Jetzt wagten sie sich nicht mehr bei der Tür hinaus und suchten durch den Hof das Weite. Hier kam ihnen aber die Sau in den Weg, und der Ochs stieß sie mit den Hörnern. Zuletzt lachte sie der Hahn recht weidlich aus und schrie vom First herab: "Warum nehmt ihr denn das Geld nicht mit?"

Die erschrockenen Räuber machten sich jedoch Hals über Kopf davon.

Die Tiere hatten die Diebsbande für immer vertrieben. Sie schliefen sich aus, nahmen am Morgen das erbeutete Geld und wanderten mit frohem Sinn ins Martiniloben. Sie konnten es mit ihren Talern recht vergnügt feiern.

Quelle: Österreichische Volksmärchen, gesammelt von Josef Pöttinger, Wien 1957