Von den drei Hirschen und der Königin

Es war einmal ein Jäger, der hatte drei Söhne und eine einzige Tochter. Als der Vater gestorben war, teilten sich diese in die Erbschaft, und alles ging in bester Ordnung und Eintracht vonstatten. Da nahmen die Brüder wahr, daß ihre Schwester von Tag zu Tag mehr verblühte; bald sah sie aus wie eine geknickte Blume. Die Brüder drangen nun in sie, um zu erfahren, was denn das sei, daß sie so schlecht aussehe. Und die Schwester begann zu erzählen, alle Nacht komme ein großer Riese ans Fenster und verlange nach ihrer Hand, aus welcher er immer eine Weile sauge. Die Brüder verabredeten sich nun, den Unhold "abzupassen" und ihn zu töten. Des Nachts, wie er nun wieder am Fenster erschien, schoß der eine nach ihm, so daß er tot zusammenstürzte. Am frühesten Morgen gingen die Brüder daran, den Leichnam wegzuschaffen. Sie brachten ihn weit weg vom Jägerhaus und begruben ihn im Wald. Eine herrliche Blume schoß aus seinem Grab hervor. Daheim aber trugen sie ihrem Schwesterlein auf, sich ja nicht in die Nähe des Riesengrabes zu begeben oder gar die Blume zu pflücken.

Das Schwesterlein aber konnte der Neugierde nicht widerstehen, ging in den Wald und pflückte die Blume ab. Mit dem Schatz kehrte sie nach Hause zurück. Aber wie kam es ihr da verändert und unheimlich vor! Keiner von ihren Brüdern war zu sehen. Spät abends pochte es an der Türe, und als sie zu öffnen hinausging, fand sie drei Hirsche davor. Das waren ihre drei Brüder, welche infolge der leichtsinnigen Neugierde ihrer Schwester verwunschen wurden. Sie sagten ihrer Schwester, daß ihnen wieder Erlösung werde, wenn die Schwester sieben Jahre lang kein Wort spreche, und aus selbstgepflegtem und selbstgesponnenem Flachs drei Hemdchen verfertige, welche sie den drei Hirschen, wenn sie nach sieben Jahren wiederkämen, über den Hals werfen solle.

Das Schwesterlein wurde sehr traurig darüber. Sogleich machte sie sich an das Werk, sperrte sich ein und begann die Hemdlein zu weben. Da kam einmal der Königssohn, der in der Nähe wohnte, in den Wald und kam auch zum Jägerhaus. Er fand da alles offen und still, nur ein Gemach war verschlossen. Weil niemand dem Klopfen öffnete, läßt er es aufsprengen und - vor sich sieht er das schönste Mägdelein. Der König war ganz entzückt von ihren Reizen; er spricht sie an, erhält jedoch keine Antwort. Da ließ er sie durch sein Gefolge aufheben und mit auf sein Schloß bringen. Aber da war man bald allgemein unzufrieden über die Tat des Prinzen, man tadelte dessen unbegreifliche Neigung zu dem stummen Mädchen, doch diesem gefiel sie nur immer mehr, und er heiratete sie.

Da geschah es, daß der König ins Feld rücken mußte und die Regierung seiner Mutter übergab. Diese war schon lange der Tochter Feind und lauerte auf eine Gelegenheit, ihr einen Schaden zuzufügen. Wie nun die junge Königin während ihres Gemahles Abwesenheit eines Knäbleins genas, ließ die böse Mutter an die Stelle des Kindes, das ausgesetzt wurde, einen Kater unterschieben, und schrieb dann ihrem Sohne, was für Schmach sich begeben habe. Da befahl der König, daß sie samt ihrer unmenschlichen Frucht lebendig verbrannt werden solle.

Ohne ein Wort zu sprechen, schritt die junge Königin zur Stätte, wo der Scheiterhaufen stand, mit ihren drei Hemdchen im Arm. Eben sollte der Holzstoß angezündet werden, da ertönte ein gellender Pfiff, und drei Hirsche kamen herangesprungen. Mit einem lauten Schrei warf sie die Hemdchen auf dieselben, und alsogleich standen die Brüder wieder in ihrer wirklichen Gestalt vor ihr; der eine hatte ein Kästchen in der Hand, in welchem das Knäblein lag, das sie geboren, und da kam es an den Tag, welche Bosheit die arge Königsmutter gegen die junge Fürstin geübt hatte, die unschuldig bald wäre hingerichtet worden. Der König war unterdessen vom Kriege heimgekehrt und gerade dazu eingetroffen, das traurige Schauspiel zu sehen. Er nahm sein Weib wieder gnädig auf, die böse Mutter aber mußte ihren Frevel auf dem Scheiterhaufen büßen, den sie zu ihrer Tochter Verderben errichten ließ.

Quelle: In: Carinthia I, Zeitschrift des Kärntner Geschichtsvereins, 55, 1865, S. 307 - 309 (mitgeteilt von Valentin Pogatschnigg).