Der gute König

Es gab viele grausame Könige, es gab aber auch einmal einen herzensguten. Er war aber entschieden zu gut. Seine goldenen Teller hatte er längst an die Bettler verschenkt, den Reichsapfel hatte er den Gassenbuben zum Spielen geborgt, streiten konnte er nicht hören, und wenn er eine Wunde sah, brach er in helle Tränen aus. Die Toten wurden heimlich nachts begraben, damit er nichts davon sehen konnte, ja sogar das Wort „gestorben“ war streng verboten. In allen Zeitungen stand „er ist entschlafen“, wenn einer starb.

Tag und Nacht dachte der König darüber nach, was man wohl machen könnte, dass alle Menschen glücklich wären. „Die Zeitung“ fiel ihm endlich ein und er ließ in die Zeitungen setzen: „Wer alles Leid, Krankheit und Tod, Sorgen und Kummer, Ärger und Streit aus meinem Land verbannt, erhält das ganze Königreich mit Krone und Zepter und mitsamt meinem goldenen Throne auf Lebenszeit.“

Ihr könnt euch denken, was für ein Aufsehen im ganzen Königreich und in allen Nachbarländern entstand. Alle Leute saßen und dachten, bis ihnen der Kopf rauchte. Man brauchte damals doppelt so viel elektrischen Strom wie in anderen Zeiten, denn die Leute saßen bis tief in die Nacht wach in ihren Betten. Es gab dreimal so viele Unglücksfälle wie sonst, weil die Leute in Gedanken versunken in Fuhrwerke hinein rannten, auf Felsenpfaden in die Luft hinaus gingen, stehen blieben, wo Bäume gefällt wurden. Nussschalen in den Mund steckten statt der Nüsse, ja einer vergaß einfach zu atmen und starb.

Dafür hatte aber auch fast jedes Dorf einen Weisen, der genau wusste, wie man es machen sollte. Ein Ausschuss prüfte alle Vorschläge und die besten wurden von ihren Schöpfern dem König unterbreitet.
„Gestatten eure Majestät die freie Bemerkung, nach meiner unmaßgeblichen Erfahrung ist das Einfachste ein strenges Verbot. Die Leute dürfen einfach nicht streiten, nicht weinen, nicht jammern, und wer nicht gehorcht, wird eingesperrt.“ Schlug der Polizeiminister vor. „Es wäre zu überlegen“ meinte der König „jedenfalls kann man es versuchen.“

Es wurde versucht. An allen Straßenecken stand das Verbot mit schwarzen Lettern auf roten Plakaten. Es wirkt großartig. Nur die Kinder, di noch nicht lesen konnten, weinten wie sonst, wenn sie sich ein Loch in den Kopf geschlagen hatten. Aber selbst das war dem König zu viel. Er ließ den Nächsten kommen. Das war ein Gelehrter.

„Ganz einfach, Majestät“ meinte er „was die Leute begreifen, danach handeln sie.“ – „Gut“ sagte der König „versuchen wir es.

Haarklein bewies der Gelehrte: „Woinen ist ein schlechte Gewohnheit. Wenn sie woinen, üst das Unglück schon vorbei. Warum also woinen, wenn es doch schon zu spöt ist? Und von Zweien, die stroiten, muss stets einer nachgeben, selbst wenn der Stroit noch so lange dauert. Warum als nücht gleich Früden halten?“
Das alles sahen die Leute ein, aber sie vergasen es immer wieder und weinten, wenn ihnen ein Zahn weh tat, und beim Streiten glaubte jeder ,dass er der sei, der nicht nachgeben müsste. So blieb dem König nichts anderes übrig, als den Nächsten anzuhören. Der Nächste war ein Maler. Aber nicht so ein Maler wie alle anderen, ein ganz besonderer Maler.

„Mit eurer Majestät huldvollster Genehmigung werde ich mein Werk im Geheimen durchführen. Nur so kann es wirken“ sprach er, beugte sich tief und blieb so stehen.

„Mein lieber Maler“ lächelte der König „vor allem richte dich auf und sodann will ich dir gerne die Erlaubnis geben. Tue nur ganz, was du für richtig hältst. Die Hauptsache ist, dass mein gutes Volk endlich glücklich wird.“

Der Maler hatte heraus gefunden, dass nichts so fröhlich macht wie helle Farben. So ging er also hin und malte das ganze Königreich lichtblau und golden, alle Menschen, alle Häuser, alle Bäume, alle Tiere. Es gab keine anderen Farben mehr als lichtblau und Gold und man muss sagen, es sah nur noch jämmerlicher aus, wenn so eich lichtblau-goldenes Mädelchen herzbrechend über seine zerbrochene Puppe weinte und geradezu lächerlich war es, wenn die lichtblau-goldenen Gassenbuben sich im Schmutze balgten und einander mit den hässlichsten Namen beschimpften. Der König war sehr betrübt. Gab es denn gar kein Mittel?

Es gab eines, ein einziges! Und dieses einzige Mittel wusste der große Zauberer Hurrdiburr. Es war ein hässlicher alter Zauberer mit roten Triefaugen, mit einem Buckel und zottigen Haaren. Der König bedachte sich einen Augenblick, denn gab er dem Zauberer sein Königreich, könnte man nicht wissen, was der mit dem guten Volke machte. Aber da er ernstlich versprach, das Leid und Sorgen verschwinden würden, erlaubte ihm der König seine Zauberei.

Es musste ein mächtiger Zauber sein, denn er wirkte über Nacht. Der König, der besorgt aus dem Fenster schaute, auf dem Thron saß jetzt der Zauberer, sah einen kleinen Jungen geradeaus in ein Fuhrwerk laufen. Er schrie hell auf vor Schrecken, denn das rückwärtig Rad war dem Jungen über das Bein abgebrochen. Aber der stand auf, als wäre nichts gewesen, packte das Stück Bein, das abgebrochen war und humpelte auf einem langen und einem kurzen Beine davon. Dem König blieb der Mund offen vor Staunen.

Es sollte noch anders kommen. Einer Frau, die stolperte, fiel ihr kleines Kind vom Arm. Es zerbrach in tauschend Stückchen, aber die Frau bückte sich nicht nach einem, sie ging weiter, als wäre nichts geschehen. Der König machte den Mund wieder zu.

Nun fiel ihm erst auf, dass die Leute alle so merkwürdig gingen, so, als wenn sie keine Nerven hätten und, ja richtig, man sah kein Blut, wo das Kind zerbrochen war, und auch nicht dort, wo der Junge sein Bein verloren hatte. Es war so. Die Leute hatten kein Blut und keine Seele. Ob sie glücklich waren? Man hörte nicht streiten und nicht zanken, nicht klagen und nicht weinen, man hörte kein lautes Wort, aber man hörte auch nicht lachen. Es war, als wären die Menschen aus Holz.

Im Königreich sah es bald danach aus. Die Leute pflanzten keine Blumen mehr, es gab nur noch Schnittlauch und Zwiebel, Salat und Rüben. Man sah keine Farben. Das Blau und das Gold waren längst abgegangen und Zäune streichen,, Kleider färben, Häuser malen, das kam den Leuten sehr überflüssig vor. Alles war grau und erdfarben, teils von Natur, teils weil man nichts wusch. Die Kinder hatten kein Spielzeug, aber sie hatten kaum gespielt, wenn es anders gewesen wäre. Sie gingen so still und so klug wie die Großen und waren ebenso grau. Man hörte kein Lied singen und keine Fiedel spielen, es gab keine Maler und keine Dichter. Es war so, fast hätte der König gesagt „traurig“.

Aber das Volk war doch glücklich. Oder war es am Ende nicht glücklich? Der König zergrübelte sich oft den Kopf. Er war nicht verzaubert und auch seine Tochter nicht, sonst hätte sie nicht fragen können: „Vater, sind die Leute nun ganz gewiss glücklich? Vater, gelt, ich muss nicht glücklich sein? Das ist gar zu traurig?“. Dabei standen ihr die Tränen in den Augen und der König musste sich umdrehen, dass sie nicht sah, wie auch ihm die Tropfen aus den alten Augen fielen.

Nein, nun wusste er es ganz genau, die Menschen waren nicht glücklich. Er hatte es so herzlich gut gemeint, aber es war schlecht ausgefallen. Zum ersten Mal in seinem Leben schlief der König eine Nach nicht. Er drehte sich von einer Seite auf die andere, seufzte und dachte, was er wohl tun könnte, dass er wieder würde wie vorher. Als der graue Morgen kam, wusste er es. Er wollte zum Zauberer gehen und ihn bitten, dass er den Menschen doch wieder Blut und Seele gäbe. Es war besser, dass sie manchmal weinten, wenn sie auch wieder lachen und sich freuen konnten.

Der Zauberer lächelte höhnisch, als der König sprach. „Was bekomme ich dafür?“ fragte er. „Was soll ich dir geben?“ rätselte der König. „Mein Königreich hast du schon und auch die Krone und Zepter und meinen goldenen Thron.“ – „Gib mir die Prinzessin!“ forderte der Zauberer. „Nein, das geht nicht“ wehrte der König „du könntest sie verzaubern und sie will nicht ohne Blut und ohne Seele herumlaufen.“ – „Wie du willst“ sagte der Zauberer und lächelte noch höhnischer. Tief bekümmert ging der König aus dem Saal. Er ging nicht mehr auf die Straße, weil er die Leute nicht sehen konnte, er schaute nicht mehr aus dem Fenster, damit er die grauen Häuser nicht sah. Er grübelte Tag und Nach und seufzte herzzerbrechend.

„Was hast du, Väterchen?“ fragte die Prinzessin. „Ach nichts, Kind!“ – „Doch, lieber Vater, beharrte die Prinzessin, du musst es mir sagen!“. So erzählte der König, welchen Preis der Zauberer verlangt habe. „Ach“ sagte die Prinzessin und sonst nichts. Nachdenklich ging sie durch den Garten. Er war das einzige Fleckchen im Königreich, wo noch Blumen standen. Wie schön waren die Blumen! Wie herrlich dufteten sie! Und das alles sollte sie verlieren, sollte sich nie mehr an den Schmetterling freuen, sollte keine bunten Kleider tragen und kein Lied singen, sollte nicht mehr lachen und nicht mehr weinen – ach weinen – es rannen ihr schon die flinken Tränen über die Wangen. Nein, so ging das nicht!

Sie war ihres Vaters Tochter; und hatte der Vater die Menschen unglücklich gemacht, so musste sie sehen, dass sie wieder glücklich wurden. Sie nahm ihr Tüchlein und wischte die Tränen von den Wangen. So, nun konnte sie zum Zauberer gehen. Der machte große Augen, als die Prinzessin in den Saal trat.

„Was verschafft mir die hohe Ehre?“ fragte er spöttisch. „Ich will deine Frau werden, wenn du die Holzpuppen wieder zu Menschen machst.“ – „Wenn du dann aber selber eine Holzpuppe wirst?“ – „Muss ich es dulden“ sagte die Prinzessin und senkte das Köpfchen. „So komm“ meinte der Zauberer. „Nein“ rief die Prinzessin „erst, wenn die Menschen erlöst sind. Ich muss sehen, dass sie wieder lachen und weinen wie einst.“ – „Also morgen“ grollte der Zauberer und sah der Prinzessin böse nach.

Die Prinzessin küsste den Vater herzlich zur „guten Nacht“. Sie sagte ihm nichts, damit ihm das Herz nicht schwer würde, denn er hatte doch alles so gut gemeint und war gewiss nicht schuld, dass es so anders geworden war. Sie schlief ruhig die ganze Nacht und lief am Morgen sogleich zum Fenster, um die Leute zu sehen. „Oh, diese Menschen!“. Sie wusste nicht, sollte sie lachen oder weinen, denn da sangen die Mädchen unter den Haustüren, die Frauen schalten, die Männer brummten, die kleinen Kinder jubelten dem Hündchen zu und die Gassenbuben rauften. Es war alles wie sonst und ganz so, als wüsste niemand, dass es je anders gewesen.

Der König, den ein Lachen von der Strasse aus dem Bett getrieben hatte, kam gelaufen: „Mein Kind, hast du die Leute schon gesehen? Sieh doch, sie lachen und singen wieder! Was ist da geschehen?“ – „Leb wohl, mein Väterchen, mein liebes Väterchen!“ weinte die Prinzessin „nun bin ich des Zauberers Frau.“ Sie ging aus dem Zimmer. Erschrocken lief der König hinter ihr drein. Das ging nicht, nein das durfte nicht sein! „Nimm mich“ bat der König den Zauberer, als er hinter der Prinzessin in den Saal kam „Ich bitte dich, nimm mich statt meines armen Kindes!“ – „Ei, ei“ lachte der Zauberer „das geht nicht. Aber alle zwei könnt ihr kommen, wenn ihr wollt“ und mit einem hässlichen Lachen streckte er die Hände nach ihnen aus. Aber, oh Wunder, er konnte sie nicht fassen. Von welcher Seite immer er es versuchte, es war, als sei eine unsichtbare Mauer um die beiden gebaut, die unsichtbare Mauer der wahren Güte, der das Böse nichts anhaben kann. Da stampfte der Zauberer mit einem Wutschrei den Boden, dass ein großes Loch entstand, durch das er verschwand. Er kam nie wieder.

Die Leute aber strichen ihre Häuser wieder bunt an, sie säten Blumen und zogen schöne Bäume, sie trugen Kleider in hellen Farben, sie weinten und lachten, genau wie einst Nein, nicht ganz so wie einst, denn sie dachten manchmal an die schreckliche Zeit, da die Prinzessin sie noch nicht erlöst hatte, und dann kam ihnen alles Leid weniger schwer vor und alle Freude doppelt so groß. Mehr kann man vom Glück nicht verlangen. So waren sie nun also doch noch glücklich geworden, wie es der König so sehr gewünscht hatte.

Quelle: Friedrich Neisser, Märchen aus Enzenkirchen. Neu herausgegeben von Roger Michael Allmannsberger.
Von Roger Michael Allmannsberger freundlicherweise im Juli 2007 für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.
© Roger Michael Allmannsberger