Die Prinzessin, die alles wusste

„Reichtum allein macht nicht glücklich.“ Sagte die Prinzessin. „Mein künftiger Mann braucht nichts zu besitzen, er muss nur klüger sein als ich. Das ist das Mindeste, was ich verlangen kann, oder nicht?“
Die Hofdamen nickten, dass die Straußfedern wehten. „Geld ist nicht nötig.“ Setzte die Prinzessin fort. „Geld verdirbt den Charakter. Nicht wahr, meine Herren Räte?“. Die Herren nickten, dass die Zöpfe flogen.
„Aber nun an die Arbeit, meine Damen und Herren! Was ist heute an der Reihe?“ Die Hofdamen waren alle alt und hässlich und die Räte waren noch älter. Die jungen Leute haben ihre Gedanken stets bei unnützen Dingen, meinte die Prinzessin, und darum waren alle Leute am Hofe alt, außer der Prinzessin selbst. Sie war jung und hübsch, aber sie wusste nichts davon. Sie hatte keine Zeit in den Spiegel zu sehen. Ihre Haare trug sie einfach mit einem Band zusammengefasst und ein ganz schlichtes Kleid ohne Gürtel, ohne Nadel, ohne Kopf und ohne Schleife war ihr Wochen- und ihr Sonntagsgewand. Nur keine Zeit verschwenden, meint sie. Aber man muss sagen, es stand ihr ganz reizend, dass sie so einfach war. Wir wissen aber noch immer nicht, was heute an der Reihe war, nicht? Aber nun kommt es.

„Da ist einmal der Diener, der von seiner Reise zum Mond zurückgekehrt ist.“ Erklärte langsam der erste vortragende Rat. „Ach ja!“ sagte die Prinzessin. „Er sollte doch fragen, woraus die Sterne gemacht sind. Man soll ihn rasch rufen!“.

„Nun?“ fragte sie, als er kam. „Königliche Hoheit, der Mond sagt, aus Messing und sie müssten alle Tage geputzt werden.“ – „Ei, was nicht gar!“ verwunderte sich die Prinzessin und ließ es in ihr großes goldenes Buch einschreiben. In dieses goldene Buch wurde alles eingetragen was neu und wichtig war. Es stand schon vieles darinnen, denn jeden Tag saß die Prinzessin von Morgen bis Abend mit ihren Räten beisammen, kaum dass sie sich Zeit zum Essen nahm.

„Der Gelehrte, den königliche Hoheit erwarten.“ Meldete ein Diener. „Soll sogleich kommen!“ befahl die Prinzessin. Ein magerer alter Herr trat ein, er trug Brillen und einen grauen Vollbart. Er neigte sich und wartete auf die Frage der Prinzessin. „Man sage mir…“ begann sie „dass ihr entdeckt habt, warum das Gras grün ist.“ Weil das diejenige Farbe ist, welche dem menschlichen Auge am meisten wohl tut. Ich habe ein Lebensalter darüber nachgedacht und bin zu diesem Schlusse gekommen.

„Ach so!“ nickte die Prinzessin. „Es klingt sehr wahrscheinlich!“ – „Es ist so!“ beharrte der Gelehrte und die Prinzessin ließ es also gleich in ihr goldenes Buch einschreiben.

Was stand nicht schon alles in diesem goldenen Buche! Dass die Kugeln rund sind, weil sie keine Ecken haben, dass die Menschen Füße haben, weil sie sonst nicht wüssten, wohin mit den Schuhen, dass der Maulwurf Regenwürmer frisst, weil er zu klein ist, um Menschen zu fressen, dass die Sonne bei Regenwetter eine Kapuze aufsetzt, weshalb man sie dann nicht sehen kann. Ja! Das stand alles darin und noch viel mehr.
Die Prinzessin war ehrlich stolz auf ihr goldenes Buch. Es hatte auch schon Arbeit und Geld genug gekostete.

Wie viele Diener wurden täglich auf Reisen geschickt! Zur Sonne, zum Nordpol, zu den Planeten, kurz an alle Enden der Welt, damit man alles aus erster Quelle hätte und das ein Irrtum ausgeschlossen wäre. Dafür konnte man aber auch bequem nachsehen, wenn man etwas wissen wollte, denn das Meiste stand nun schon in dem goldenen Buche, es gab wenig, was noch nicht erforscht war. In zwei Jahren hoffte die Prinzessin fertig zu sein, dann wusste sie alles, dann wollte sie heiraten. Aber natürlich nur einen Mann, der ebenso klug, oder wenn möglich noch ein bisschen klüger war, als sie.

Als die zwei Jahre um waren, kamen die Freier in Scharen. Durch die Boten der Prinzessin hatte man in allen Länder erfahren, dass ein Königreich zu haben sei, und dass man eine reizende Frau dazu bekam, hatte sich so nebenbei herum gesprochen.

Drei Fragen sollten gestellt werden. Aber nicht so, wie es früher bei Prinzessin üblich war, O Nein! Nicht die Prinzessin wollte fragen, sondern der Freier sollte fragen dürfen. Jeder von ihnen sollte drei Fragen stellen, die die Prinzessin aus ihrem Buche beantworten wollte. Wer drei Fragen wusste, auf die die Prinzessin keine Antwort fand, der bekam das Land und ihre kleine Hand dazu.

Der Erste fragte: „Warum gehen Zwölf auf ein Dutzend?“ – „Weil Sechzig ein Schock sind!“ sagte die Prinzessin rasch, denn das wusste sie auswendig. „Warum wackeln die Enten?“ frage er weiter. „Weil sie es von ihrer Mutter nicht anders lernen.“ Die Prinzessin fand die Antwort, sowie sie das Buch aufgeschlagen hatte. „Wer ist so schwarz wie der Teufel?“ Der Frager meinte, das wäre ganz gewiss nicht so leicht. „Das wissen die kleinen Kinder.“ lachte die Prinzessin „Das ist der Schornsteinfeger.“

Sie lachte noch, als bereits der Zweite zu fragen begann. Er fragte nicht klüger als der Erste und beim Dritten war es ebenso und nicht anders beim Vierten, beim Fünften, bei jedem.

„Es ist doch hübsch, wenn man alles weiß.“ Sagte die Prinzessin am Abend und ging lachend schlafen, auf die sie die Antwort nicht gewusst hätte. Es begann manchmal schon etwas langweilig zu werden und sie gähnte heimlich hinter ihrem Fächer und die Hofdamen taten ebenso und die Räte hielten ihre Zweispitze vor den Mund. „Die Dummheit stirbt nicht aus.“ Flüsterte der vortragende Rat seinem Nachbarn ins Ohr und glaubte etwas Besonders damit gesagt zu haben.

Mit der Zeit kamen weniger Freier und endlich kam keiner mehr. Was sollte man sich auslachen lassen, wenn man es nicht notwendig hatte? Schließlich gab es noch mehr Prinzessinnen auf der Welt, die einen richtigen Kerl zu schätzen wussten.

Aber einer kam doch noch. „Geh nicht, mein Sohn!“ warnte der Vater „Du weißt, dass du der Klügste nicht bist.“. Das wusste er, hatte er es doch schon oft genug gehört. Sein guter Lehrer hatte schon gesagt: „Es ist gut, dass die Dummheit nicht weh tut, mein Hans, sonst müsstest du Tag und Nacht schreien.“.

Ganz einerlei, sie sollten sagen, was sie wollten. Er musste die Prinzessin haben. Sie sollte so reizend sein und eine reizende Frau wollte er nun einmal zu gerne haben. Also ritt Hans auf seinem Schimmel zu Hofe. Als er ankam, war nichts gerichtet, denn man hatte keinen Besuch erwartet. Nun gab es große Aufregung, die Hofdamen steckten schnell die Straußfedern ins Haar, die Räte flochten ihre Zöpfe, die Prinzessin setzte
rasch ihre Krone auf und ein Diener brachte das goldene Buch.

„Nun kann er kommen“ erlaubte die Prinzessin. Das war einmal ein hübscher Junge! Er hatte die schönsten blauen Augen, die man sich denken konnte und die hellsten goldenen Locken, welche die Prinzessin je gesehen hatte. Seine weißen Zähne blitzten, wenn er lächelte und man muss sagen, er sah noch einmal so hübsch aus dabei.

„Wenn er doch klug wäre“ dachte die Prinzessin „er gefällt mir zu gut!“. Sie sah ihn an und lachte ein ganz klein bisschen. Da wurde der Junge rot bis hinter die Ohren, aber er sagte ganz keck: „So, jetzt kommt meine erste Frage: Hast du mich lieb, kleine Prinzessin?“. Ach das war nun eine schwere Frage, so etwas hatte die Prinzessin noch nie gehört. Sie dachte nach, aber es fiel ihr keine Antwort ein. Der Diener musste das goldene Buch aufschlagen und im Inhaltsverzeichnis nachsehen, denn die Frage schien außerordentlich selten zu sein. Er schlug nach unter „Hast du?“. Er suchte unter „lieb“ – es war nichts zu finden. Die Prinzessin schüttelte das Köpfchen und sah verlegen zu Boden. Es war wirklich nicht so einfach, wenn man trotz der Weisheit aus aller Welt keine Antwort wursste.

Der Junge lachte: „Dann weißt du wohl auch nicht, was ein Kuss ist, kleine Prinzessin?“ Nein, das wusste sie auch nicht, sie hatte das Wort noch nie gelesen, es kam weder im Pflanzen – noch im Tierreiche vor, auch in der höheren Mathematik hatte sie nichts davon gelernt. Das Buch ließ sie erst gar nicht aufschlagen, sie wusste genau, dass man dieses Wort nicht eingeschrieben hatte.

„Ei, das werde ich dich lernen müssen“ sagte der junge Hans „Es ist wirklich nicht schwer und das Schönste, was es gibt. Nein das Schönste bist du und darum muss ich dich fragen: Willst du meine Frau werden, kleine Prinzessin?“ – „Aber, das ist doch gar keine Frage!“ entrüstete sich die Prinzessin: „Alle richtigen Fragen beginnen mit Wer oder Warum.“ – „Papperlapapp!“ sagte Hans: „Antworte, wenn du kannst!“. Das konnte sie nun freilich nicht und darum war die Frage ganz überflüssig. Denn da sie die drei Fragen nicht beantworten konnte, wurde sie seine Frau, auch ohne Antwort.

Erst war sie nicht wenig stolz auf ihren schönen klugen Mann. Später kam sie ja wohl dahinter, dass er zwar schön, aber nichts weniger als klug war, aber sie ließ sich vor den Leuten nichts anmerken und half ihm immer gleich aus, wenn er etwas nicht wusste. Nein, die Freude sollten die Leute nicht haben, dass sie sie auslachten, weil sie so lange einen klugen Mann gesucht hatte, bis sie einen dummen fand. Außerdem hatte sie ihren schönen, guten Hans viel zu lieb, richtig lieb. Und wenn er jetzt gefragt hätte, wäre sie ihm keine Antwort schuldig geblieben. „Ja, Ja, Ja“ hätte sie gesagt auf alle drei Fragen.

Quelle: Friedrich Neisser, Märchen aus Enzenkirchen. Neu herausgegeben von Roger Michael Allmannsberger.
Von Roger Michael Allmannsberger freundlicherweise im Juli 2007 für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.
© Roger Michael Allmannsberger