Der junge Wassermann

Der junge Wassermann sollte heiraten. Du meinst, es gäbe keinen jungen Wassermann? Du hättest noch nie von ihm gehört? Du hast recht. Ich auch nicht. Aber bedenke, ein alter Wassermann muss auch einmal jung gewesen sein und woher käme überhaupt immer wieder ein Wassermann, wenn der alte keinen Sohn hätte?
Also, der junge Wassermann sollte heiraten. Seine Mutter sagte es jeden Tag und sein Vater blickte ihn manchmal sorgenvoll an und mahnte: „Denke an unser uraltes Geschlecht, mein Sohn, es darf nicht aussterben.“ Dazu nickte er mit dem Kopfe, dass sich die Funken der tausend Lichter in seinem Kronreif brachen und seine weißen Haare schimmerten. Die tausend Lichter glänzten in einer Höhle, tief in einem Karstberge. Die Höhle war so groß, dass eine ganze Stadt darin Platz gehabt hätte. Sie schimmerte und blitzte in allen Farben, vom zartesten Rosa bis zum leuchtendsten Rot, vom sanften Hellblau, bis zum geheimnisvollen Blauviolett, vom heitersten Hellgrün bis zum dunkelsten Grünschwarz, vom sonnigsten Gelb bis zum samtenen Braun. Alle Farben waren da, nur kein Weiß. Weiß waren allein die Haare des alten Wassermannes, des Königs in diesem Reiche. Inmitten des Saales lag ein tiefer See. Er spiegelte alle Farben wieder und warf alle Funken zurück, die die Lichter ihm zuwarfen. Von diesem herrlichsten Saale der Welt führten Gänge nach allen Richtungen. Sie führten in kleine Grotten, die in geheimnisvoll blauem Lichte lagen, führten in Kammern mit Kiesboden, überströmt von grünem Wasser, überwölbt von einer Decke von Millionen Topasen, so dass es schien, als sänke der Sonnenball selbst auf eine frühlingsgrüne Wiese. Es gab Gemächer, völlig dunkel, nur aus dem tiefen Wasserloch in der Mitte drang ein unheimlicher roter Schein, der den klaffenden Schalen einer Muschel entsprang.

Aber überall rauschte das Wasser, durch alle Gänge flossen Ströme, in allen Gemächern glänzte ein Wasserspiegel. „Ich möchte wissen, woher der Junge das hat?“ schüttelte die alte Wasserfrau den Kopf. „Wir sind doch beide nicht so!“ – „Du hast recht, wie immer. Ich war gewiss ein ernster junger Mann, als ich um dich freite.“ – „Ich hätte dich auch nicht genommen, wenn du so ein Springinsfeld gewesen wärst. Ich kann nur sagen, ich finde sein Benehmen würdelos, einfach würdelos!“. Der Wassermann und seine Frau saßen bedrückt beisammen und besprachen, wie so oft schon, einen Streich ihres Sohnes.

Was hatte der Schlingel getan? Der Meerkönig und seine jüngste Tochter waren zu Besuch im Schlosse gewesen. Eine reizende Tochter, man musste es sagen. Sie hatte den entzückenden zierlichen Fischschwanz, den eine Meernixe haben konnte, und die schönsten grünen Haare. Ihr Mund war ein bisschen weit, das ist richtig, aber es war eine Familieneigentümlichkeit und somit nur ein Zeichen edelster Abstammung. Sie bewohnte das schönste Gemach im ganzen Schlosse, die blaue Grotte, die sie so sehr an ihre Heimat erinnerte, an das blaue Meer.

Nein wirklich, es heimelte sie ordentlich an und sie konnte sich wohl denken, dass sie hier ihr Leben hätte verbringen können. Darum lächelte sie erwartungsvoll, als ein Diener ein goldenes Kästchen brachte und mit einer tiefen Verbeugung sprach: „Unser junger Prinz schickt eurer Hoheit diese kleine Aufmerksamkeit zum herzlichen Willkommen.“

Mit Ungeduld öffnete die Nixe das Kästchen und – ein Frosch saß darin, zog sein breites Maul noch breiter und machte „Quaaaack. „Du wirst begreifen, dass der Meerkönig mit seiner Tochter abreiste. Es war auch wirklich nicht schön und kein Wunder, wenn die alte Königin den Kopf schütteln musste. Es kostete Mühe genug, eine rechte Frau für den Jungen zu finden und was tat der Übermut?

Den Töchtern des Seefürsten hatte er die Haare zusammengeflochten, als sie auf den Wellen schliefen und dann einen großen Stein neben sie ins Wasser geworfen. Als sie erschrocken auffuhren und wegschwimmen wollten, rissen sie einander die Haare fast aus, bis sie entdeckten, was los war.

Der einzigen Tochter des mächtigen Stromkönigs hatte er ein Bot an die Schwanzflosse gebunden, als sie träumend auf der Sandbank lag. Sie erschrak nicht schlecht, als der Bösewicht in die Hände klatschte und das Ungetüm hinter ihr herrauschte bei ihrer Flucht.

Dem sittsamen Töchterlein des Flussgrafen hatte er heiße Steinchen an die Brust geworfen, dass die Haut zischte und das Nixlein mit einem Wutschrei wegschwamm. Heiße Steinchen sind für Nixen dasselbe wie für uns ein kalter Wasserstrahl in den Nacken.

Ach Neptun und ihr andern Wassergötter, es war schwer mit dem Jungen! „Ob alle Eltern mit ihren Kindern solche Sorgen haben?“ zweifelte die Wasserfrau.

„Wo er wohl heute so lange bleibt?“ kopfschüttelte der Wassermann. Er hatte noch oft Ursache, den Kopf zu schütteln. Der Junge kam halbe Tage lang nicht heim; und wenn er da war, nahm er sich kaum Zeit, ein paar Bissen zu essen. Gebratene Grottenolme, seine Lieblingsspeise, küsste die Mutter und umarmte den Vater und versicherte immer wieder, dass es nirgends so schön sei wie an dem kleinen See, der dem Vater gehörte.
„Das geht nicht mit rechten Dingen zu.“ Sagte der Grottenkönig. „Dahinter muss ich kommen!“

Er kam bald dahinter. Als er am nächsten Tage dem Sohne nachschwamm, sah er ihn hinter einem Felsen am Ufer warten. Es war früher Morgen und alles herb und kühl und taufrisch. Die Vögel sangen und die Sonne blitzte in den Wellen.

Da knirschte der Sand unter eiligen Tritten und ein junges Mädchen sprang kopfüber in den See. Mit einigen Stößen war der junge Wassermann hinter ihr her und nun spritzten und lachten und tollten die beiden, schwammen hintereinander und nebeneinander, tauchten unter und lagen Wasser strampelnd auf dem Rücken.

„Ach so ist das!“ dachte der Alte. Aber da schlug eine Turmuhr und das Mädchen schwamm eilig an das Ufer und lief durch einen Garten in ein Haus. Der junge Wassermann seufzte, dass die Wellen ringsum zitterten und der Alte dachte: „Na warte, mein Sohn!“

Daheim erzählte er seiner Frau, was er gesehen und sie beschlossen zu handeln, ehe es zu spät war. Der Sohn musste heiraten das stand fest, und zwar so bald als möglich. Aber woher eine Frau nehmen? Alle Töchter von Stande, die in Betracht gekommen wären, hatte er beleidigt und die Kunde von seinem Übermut und seinen dummen Streichen war längst in allen Wasserreichen bekannt geworden.

„Wir müssen suchen.“ Sagte der König. „Ich werde unsere Diener nach allen Richtungen schicken, es wird sich schon irgendwo eine passende Frau finden, schließlich ist unser Sohn doch nicht der erste beste.“
So geschah es. Die Diener wurden ausgesandt, die einen weit, die anderen nahe. Wenn einer kam, gingen drei dafür fort. Es war den ganzen Tag ein Kommen und Gehen, geradezu ungemütlich wurde es in dem alten Schlosse. Die Lichter flackerten von dem ewigen Luftzug und das Wasser schlug unruhig Welle um Welle. Der König und die Königin saßen von früh bis abends und ließen sich berichten.

Aber der junge Wassermann spürte von all der Unruhe nichts, er lächelte glücklich vor sich hin, schwamm morgens zum See und vormittags, nachmittags und abends, und wenn er einmal das junge Mädchen nicht traf, dann wartete er eben so lange, bis sie kam.

„Majestät.“ Verbeugte sich der erste Diener. „Die alte Kröte hat eine erwachsene Tochter; die wolle sie eurer Majestät aus Gefallen überlassen, meinte sie, sie wolle nicht ungefällig sein.“

„Hm!“ brummte der alte Wassermann: „Der Nächste!“.

„Die Wasserlache lässt sagen.“ Übermittelte der Zweite: „Es wäre ihr eine hohe Ehre. Aber mitgeben könnte sie ihrer Tochter nicht viel, denn in trockenen Zeiten ginge es etwas knapp, bei Regen hätten sie allerdings reichlich zu leben, dann könnte sie wohl etwas abgeben.“

Die alte Wasserfrau seufzte bekümmert, das kam von ihres Sohnes Übermut. Aber da beugte sich schon der dritte Diener. Er war am weitesten fort gewesen, er kam aus dem Walde. „Im Walde fand ich ein Quelle, nicht groß, aber ganz reizend.“ – „Ist sie hübsch?“ fragte der König. „Jugendfrisch und sehr hübsch.“ – „Ist sie tugendhaft?“ fragte die Königin. „Ein bisschen übermütig.“ Meinte der Diener: „Aber es ist zu erwarten, dass sich das mit dem Alter gibt.“ – „Gut!“ beschloss der König: „Die nehmen wir!“

Im Schlosse wurde in aller Eile zur Hochzeit gerüstet. Die Wasser wurden hinaus geschafft und durften erst wieder kommen, als alle Gänge und Kammern gefegt waren. Die Lichter wurden geputzt und alle Edelsteine blank gerieben. Der Thronsaal bekam eine moderne Beleuchtung, einen Scheinwerfer am Grunde des Sees, der alle fünf Minuten die Farbe wechselte, und das blaue Zimmer wurde mit einem neuen Muschelbett ausgestattet.

Dann ging der König zu seinem Sohne, den er im grünen Zimmer fand, wo das Wasser so grün war wie eine Wiese und die Decke aus lauter Topasen darüber lag wie die strahlende Sonne. Er sagte ihm, dass morgen Hochzeit sei und die Braut sei eine entzückende kleine Quelle. „Und!“ sagte der Alte, und seine Stimme grollte wie Donner: „Widerrede gibt es keine, es ist deine eigene Schuld, wenn du keine Wahl hast.“

Der junge Wassermann sagte kein Wort. Er nickte und guckte weiter zu den heilen Topasen empor und bewegte träumerisch die Schwanzflosse. Drei Tage war er am See gewesen, am Morgen, zu Mittag, am Abend, das Mädchen war nicht gekommen. Nun war ihm alles einerlei. Seinenthalben konnten sie ihn mit einem Froschfräulein verheiraten, ihm war es gleich.

Es war ein prächtiger Zug, der am nächsten Morgen durch den Wald schritt. Voraus ging der Diener, der den Weg zur Quelle wusste. Dahinter kamen die Pagen, die den Brautstaat der künftigen Königin trugen: Einen Schleier, so fein wie aus einem Märchen – den hatten die Wasserspinnen gewebt und tausend Wassertropfen glänzten darin schöner als die schönsten Diamanten – eine Krone aus altem Flussgold mit so großen rosa Perlen, wie sie Menschenaugen nie zu sehen bekommen und ein Gewand aus de wichsten grünen Seide, das in Falten floss, als wären es Wellen.

Es kamen der alte König und die Königin, es kam der Sohn, der nicht rechts und nicht links schaute, es kamen alle Verwandten und Bekannten, manche mitleidig, weil der Prinz so gar nicht fröhlich schien, und manche schadenfroh, weil der Sohn des mächtigen Grottenkönigs nur eine arme Quellnixe zur Frau bekam.

„Wir sind gleich dort!“ flüsterte der Diener. Man hörte auch bereits ein lustiges Plätschern und ein fröhliches Lied, das eine junge Stimme heiter in den Wald schmetterte.

Selbst die Schadenfrohen mussten sagen, dass es ein entzückendes frisches Ding war, als sie die junge Quellnixe sahen. Ihre Haut hatte den lichtestbraunen Goldton, den Sonne und Luft verleihen, ihre Haare schimmerten selbst hier, im dunklen Walde wie Sonnenstrahlen und ihr kecker roter Mund schwieg verlegen still, als sie das viele Volk sah. Sie senkte beschämt die Augen und schaute verlegen nach etwas um, das sie hätte anziehen können. Aber da hatten ihr schon die Pagen das kleid übergeworfen, den Schleier wie einen Mantel darübergebreitet und die Krone aufgesetzt. Der alte Wassermann nahm sie an der Hand und sagte: „Hier, mein Sohn, ist deine liebe Braut.“ Gleichgültig sah der junge Wassermann auf. Aber, das war doch – Ja, natürlich war das – „Ach!“ rief er strahlend: „Ich danke dir, mein lieber Vater! Das soll meine liebe Frau werden, die und keine andere.

Er nahm das junge Mädchen an der Hand und eilte mit ihr so schnell zum Grottenschloss, dass die anderen erst eine Stunde später ankamen.

Ja freilich, es war das junge Mädchen. Oder solltest du das noch nicht gemerkt haben? Weil sie seit drei Tagen im Walde badete, wo die Quelle in den kleinen Tümpel lief, darum hatte der junge Wassermann drei Tage am See vergeblich gewartet.

Was konnte der alte Wassermann machen, als er nach der Hochzeit darauf kam? Gute Miene musste er machen zum bösen Spiel und stille musste er sein, dass die Wasserleute nichts erfuhren, und froh, dass das junge Mädchen seinen Schlingel von Sohn genommen hatte, denn er hätte doch kaum noch etwas Besseres bekommen.

Du meinst, dass die junge Frau im Wasser nicht leben konnte? Da war es nur gut, dass das Grottenschloss nicht unter dem Wasser stand, so gab es doch Luft und trockene Sessel und Muschelbetten, so dass die beiden ganz schön mitsammen leben konnten.

Ja, schön und sehr glücklich, so glücklich, dass der alte Wassermann seinem Schwiegertöchterchen vergnügt über das goldene Haar strich und sagte: „Liebe kleine Menschenfrau, was täten wir, wenn wir dich nicht hätten?“.

Quelle: Friedrich Neisser, Märchen aus Enzenkirchen. Neu herausgegeben von Roger Michael Allmannsberger.
Von Roger Michael Allmannsberger freundlicherweise im Juli 2007 für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.
© Roger Michael Allmannsberger