"MÜHLE, MÜHLE, MAHLE MIR!"

Es war einmal eine arme Witwe, deren einziger Sohn schon viele Jahre in der Fremde lebte. Obwohl die Frau ein kleines Haus besaß, ging es ihr doch nur recht kümmerlich, und sie seufzte öfters: "Wenn er doch nach Hause käme, daß ich eine Hilfe hätte!"

Eines Abends saß sie wieder in der Stube, spann eifrig und dachte an ihn.

Da ging auf einmal die Tür auf, und ihr Sohn trat herein. Die Frau fiel ihm gleich um den Hals und rief: "Wie froh bin ich, daß du wieder da bist. Nun wird es mir sicher besser gehen!" Dann erzählte sie ihm, wie beschwerlich und dürftig sie sich allein fortgebracht hatte.

"Ei, der Not werden wir abhelfen", sagte der Sohn. "Ich habe etwas mitgebracht."

Dabei holte er aus seinem Rock ein Bündel heraus, band es auf und stellte eine alte Kaffeemühle auf den Tisch. Das war der ganze Schatz.
"Ja mein!" rief die Mutter enttäuscht, "ist das alles? Da ist ja meine alte Kaffeemühle noch viel besser!"

"Abwarten, Mutterl", erwiderte der Heimgekehrte, du wirst schon sehen. Ich hab jetzt Hunger, geh, mach geschwind einen Kaffee!"
"Den mach ich schon, aber wo soll ich denn Semmeln hernehmen, jetzt hat kein Bäcker mehr offen."

"Das soll unser geringster Kummer sein", gab der Sohn zur Antwort, "für Semmeln werde ich schon sorgen."

Das alte Mutterl ging in die Küche hinaus und kam bald wieder mit einem Töpflein voll Kaffee herein.

"Gelt, Mutterl", sagte der Sohn, "es kann wirklich niemand hereinschauen?"

"Da machen wir halt den Vorhang zu", meinte sie, ging zum Fenster und schob den Vorhang vor. Jetzt war sie aber schon neugierig, was nun kommen werde.

Mittlerweile hatte der Sohn begonnen, die Kurbel der alten Kaffeemühle zu drehen. Dabei sprach er:

"Mühle, Mühle, mahle mir
frische Semmeln, für und für!"

Kaum war das letzte Wort gesagt, da sprang schon das Türl der Mühle auf, und eine Semmel nach der andern spazierte heraus auf den Tisch. Als es ihrer genug waren, sagte er:

"Mühle, Mühle, halte still,
bis ich etwas andres will!"

Da flog das Türl wieder zu. Die alte Mutter schlug vor Freude und Staunen die Hände zusammen. "Die schönen Semmeln!" rief sie. "Wie ist denn das zugegangen?"

Doch der Sohn antwortete: "Du darfst nie und niemandem erzählen, was du jetzt gesehen und gehört hast, sonst ist die Mühle für immer verloren."

Sie versprach es. Mutter und Sohn konnten sich nun mit Hilfe der Mühle manches zubessern und wurden wohlhabend. Doch blieben sie arbeitsam wie bisher, taten den Armen Gutes und wurden nicht leichtsinnig. Sie hätten wohl viele Jahre in ihrem Glück weitergelebt, wenn da nicht ein neidischer Nachbar gewesen wäre.

Dem fiel es auf, daß sich die beiden Leutchen besser kleideten als bisher, daß sie fast alle Tage Fleisch aßen und auch den Armen reichlich gaben, die vor ihre Tür kamen. Das ließ dem Mann keine Ruhe, er wollte erfahren, woher denn dieser Wohlstand komme.
Und richtig! Die Mutter hatte einmal den Vorhang nicht ganz zugezogen. Wie da der Sohn sein Sprüchlein sagte und die Kaffeemühle gehorchte, stand der Nachbar beim Fenster und schaute zu. Sogleich nahm er sich vor, in den Besitz dieses Schatzes zu gelangen.

Er lud Mutter und Sohn in sein Haus und versprach ihnen etwas recht Schönes. Als sie kamen, führte er sie aber in den Keller und sperrte sie ein. Dann lief er eilig in das Häuschen der beiden, nahm die Kaffeemühle und stellte sie auf den Tisch.

Weil er ein Getreidehändler war, stand ihm der Sinn nach recht viel Weizen. Er drehte also die Kurbel und sagte:

"Mühle, Mühle, mahle mir
guten Weizen, für und für!"

Und die Mühle gehorchte auch ihm. Das Türchen sprang auf, und die schönsten Weizenkörner flössen wie ein goldenes Bächlein hervor.
Da leuchteten die Augen des neidischen Nachbarn in habsüchtiger Freude, und er sah gemächlich zu, wie sich die goldenen Körner unablässig ergossen. Aber es dauerte nicht lang, da quollen sie über den Tisch hinab auf den Boden. Und nach kurzer Zeit konnte der
böse Nachbar sogar schon darin waten. Noch ahnte er aber nichts Schlimmes, sondern rieb sich zufrieden die Hände. Erst als ihm der Weizen bis über die Knie reichte, wurde ihm unbehaglich zumute. Er wünschte jetzt, die Mühle möge einhalten, und sagte wieder das Sprüchlein:

"Mühle, Mühle, mahle mir
guten Weizen, für und für!"

Ein anderes Sprüchlein wußte er ja nicht. Die Mühle tat daher ihre Schuldigkeit weiterhin, und es gab Weizen in Hülle und Fülle. Als die Weizenmenge beinahe die Tischhöhe erreichte, wurde dem Mann bang. Er sagte den Spruch immer lauter und lauter. Doch die Mühle hörte nicht auf zu mahlen.

Endlich rief er verzweifelt: "Genug, genug! Mühle, Mühle, hör doch auf!" Aber die Mühle mahlte weiter. Da ergriff er eine Hacke und zerschlug die Kaffeemühle. Aber o Schreck! Jedes Stück der zerschlagenen Mühle verwandelte sich flugs in eine neue Kaffeemühle, und jede gab wieder Weizen und nur Weizen.

Nun war der neidische Nachbar verloren, denn im Nu stiegen die
Körner bis über das Fenster hinauf. Niemand hörte seine Hilferufe, und er mußte elend ersticken.

Als nun die Körner auch zur Haustür und beim Dachfenster hinausflossen, wurden die Nachbarn aufmerksam und gingen der Sache nach. Sie befreiten zuerst die alte Mutter und den Sohn aus dem Keller. Als der Sohn vor das Haus trat, wußte er gleich, was los war. Er sprach:

"Mühlen, Mühlen, haltet still,
bis ich etwas andres will!"

Darauf fielen nur noch wenige Körner herab, dann hielten die Mühlen still.

Als man den ganzen Weizen wegräumte, fand man auch den bösen Nachbarn, den seine Habsucht ums Leben gebracht hatte.

Weil aber der Sohn den Spruch so laut gesagt hatte, daß ihn die Leute hören konnten, waren die Mühlen für immer verloren. Das machte den beiden guten Leuten nicht viel aus, denn sie hatten erspartes Geld im Schrank liegen, mit dem sie bescheiden und vergnügt bis an ihr seliges Ende leben konnten.

Quelle: Österreichische Volksmärchen, gesammelt von Josef Pöttinger, Wien 1957