"WÄGELCHEN, PICK AN!"

Vor langer Zeit lebte ein König, der hatte eine einzige Tochter. Die Prinzessin war wohl wunderschön, doch so mürrisch und verdrießlich, daß sie niemals lachte und an nichts Freude zeigte.

Das bedrückte den Vater und bereitete ihm großen Kummer. Eines Tages ließ er im ganzen Land verkünden, daß er dem, der seine Tochter zum Lachen bringe, sein Reich übergeben und ihn zu seinem Schwiegersohn machen wolle.

Da strömten aus nah und fern stolze Recken, edle Ritter und Grafensöhne herbei. Sie versuchten auf mancherlei Art, der Königstochter ein Lachen zu entlocken und so ihre Hand und das Reich zu erringen. Doch was sie auch unternahmen, ob sie Possen rissen, Schnurren erzählten oder ein Gaukelspiel vorführten, das Mädchen lachte nicht. Seine Miene blieb ernst und griesgrämig.

Der König aber ließ alle Bewerber, denen es nicht gelungen war, seine Tochter heiter zu stimmen, ins Gefängnis werfen. Da war es kein Wunder, daß die Freier immer spärlicher wurden und immer seltener Lust zeigten, sich der Gefahr, die Freiheit oder gar das Leben zu verlieren, auszusetzen.

Nun hörte einmal ein Bauernsohn von der Kundmachung des Königs. Er ging zu seinem Vater und sprach: "Ich hab mir schon lange vorgenommen, in die Welt zu ziehen. Jetzt ist die beste Gelegenheit dazu. Will doch der König demjenigen, der seine mürrische Tochter zum Lachen bringt, ihre Hand und sein Reich übergeben. Morgen wandere ich in die Residenzstadt, vielleicht gelingt es mir, die Prinzessin zu gewinnen."

Da holte der Vater einige blanke Silbertaler aus der Truhe, die Mutter machte ihm das Reisebündel und gab ihm Brot und Speck mit auf den Weg.

Der Bursche machte sich voll Zuversicht davon und trällerte ein lustiges Lied ums andere. Als er eine Weile froh und heiter gewandert war, kam er zu einer Felsenhöhle. Dort stand ein alter Mann und bettelte: "Guter Junge, gib mir doch etwas von dem Speck und dem Brot aus deinem Ranzen, ich habe furchtbaren Hunger!"

Doch der Bauernsohn hatte kein Mitleid mit ihm und entgegnete barsch: "Ich brauche meine Wegzehrung selbst, denn bis in die Residenz habe ich noch weit."

Da rief der Alte spöttisch: "Ei, ei, wieder einer, der gern im Turm sitzen möchte. Denn auch du wirst die Königstochter nicht zum Lachen bringen!"

Der Bursche würdigte ihn keines Blickes mehr und wanderte weiter. Glücklich kam er in die Residenzstadt, pochte an das Schloßtor und ließ sich zur Königstochter führen. So wie die anderen Bewerber versuchte auch er, sie durch allerlei Possen und Grimassen zum Lachen zu bringen. Doch die Prinzessin blickte ihn böse und starr an. Endlich rief sie die Schloßwache herbei, die ihn abführte und in die Tiefe des Schloßturmes warf.

Zu Hause warteten die Eltern auf des Sohnes Wiederkehr, aber vergeblich. Er blieb aus, denn er schmachtete bei Mäusen und Ratten im finsteren Gefängnis.

Kurze Zeit darauf ging der zweite Sohn zum Vater und sagte: "Der Bruder vermochte nicht, sein Glück zu finden. Nun will ich mich auf die Beine machen und in die Residenzstadt wandern. Vielleicht gelingt es mir, den ernsten Sinn der Königstochter zu wandeln. Auf jeden Fall aber werde ich versuchen, den armen Bruder zu befreien."

Darüber war der Vater entsetzt und beschwor ihn, zu Hause zu bleiben, damit zum ersten Unglück nicht noch ein zweites komme. Aber der Jüngling blieb fest bei seinem Entschluß. So griff der Vater wieder nach den Silbertalern, die Mutter schnürte das Reisebündel, und der Bursche wanderte hinaus und der Residenzstadt zu.

Auf dem Wege kam er, so wie sein Bruder, zu der Felsenhöhle und erblickte auch den alten Bettler davor, der ihn alsbald ansprach: "Guter Junge, gib mir doch etwas von dem Speck und dem Brot aus deinem Ranzen, ich habe furchtbaren Hunger!"

Der Bursche aber ließ sich nicht erweichen. Er gab keine Antwort und ging weiter, während ihm der Alte nachrief: "Auch du wirst die Königstochter nicht zum Lachen bringen und obendrein hart büßen für dein kaltes Herz!"

Der Alte hatte wahr gesprochen, denn es trat alles so ein, wie er es vorausgesagt hatte. Die Königstochter verzog keine Miene, als der Bauernsohn vor ihr seine Possen trieb. Und genauso wie sein Bruder wanderte er in den Kerker zu den Mäusen und Ratten, wo er mit ihm bei Wasser und Brot sein Leben fristen mußte.

Als auch der zweite Sohn ausblieb, befiel die Eltern tiefe Trauer. Die Mutter weinte sich die Augen trüb. Da sann der jüngste Sohn Tag und Nacht, wie er helfen könnte. Endlich sagte er zu den Eltern: "Ich will auch nicht feige sein, darum erlaubt mir, in die Residenz zu ziehen, um mein Glück zu versuchen. Vielleicht gelingt es mir, die Königstochter zu erobern und meine armen Brüder zu befreien."

Der Vater aber rief bestürzt: "Zwei meiner Söhne habe ich schon verloren! Nun willst du uns auch noch verlassen, so daß wir beide ganz allein sind. Überlege dir, was du unternimmst! Mach uns das Herz nicht so schwer!"

Doch der Sohn bestand auf seinem Entschluß und nahm Abschied von den Eltern. Da kein Silbertaler mehr da war, konnte ihm der Vater nichts mit auf die Reise geben, und die Mutter fand nur mehr ein karges Stück Speck und eine Rinde Brot als Wegzehrung für ihn.
Doch frohgemut und zuversichtlich zog er dahin und stieß vor der Felsenhöhle auch auf den alten Bettler, der ihn gleich um Speck und Brot anflehte. Da teilte der Jüngling beides bereitwillig mit ihm und fragte ihn nach dem Weg in die Residenz.

"Ei, ei, du willst auch zur Königstochter und ihr Herz erobern? Dazu werde ich dir gern verhelfen, weil du ein so guter Junge bist und den letzten Bissen mit mir geteilt hast. Schau, hier hast du ein Wägelchen, das eine wunderbare Eigenschaft besitzt. Wenn du es hinter dir herziehst und jemand danach greift, kommt er davon nicht mehr los, sobald du nur ‚Wägelchen, pick an!' rufst. Merke dir die Worte recht gut!"

Der Jüngling freute sich ungemein über das seltsame Geschenk, dankte dem Alten dafür und wanderte weiter.

Auf seinem weiteren Weg begegnete ihm ein Rauchfangkehrer, der war heiter und übermütig und fragte ihn: "Wohin mit deinem Fuhrwerk?"

"In die Residenzstadt muß ich."

"Ei, ei, mit diesem Kinderspielzeug? Geh, laß mich aufsitzen!" Aber kaum berührte er das Wägelchen, da rief der Bursche: "Wägelchen, pick an!" und siehe, da klebte der gute Rauchfangkehrer auch schon dran. Er schrie und schimpfte, was er nur konnte, doch war er wie festgenagelt und mußte hinter dem Jüngling und dem Wägelchen herlaufen.

Nach einer Weile kam ihnen ein Bäckerlehrling in die Quere, der war müde und wollte seinen Rückenkorb mit Semmeln aufladen. Kaum aber berührte er den Wagen, war auch er durch den Ruf des Jünglings: "Wägelchen, pick an!" festgehalten. Er mußte nun hinter dem rußigen Rauchfangkehrer laufen. Wie er auch zerrte und zeterte, es nützte nichts.

Doch kamen Leute herbeigerannt, die das Geschrei und den Lärm gehört hatten. "Helft uns! Helft uns!" baten die zwei, die am Wägelchen hingen. Und eine Bauersfrau trat heran und wollte sie losreißen. In diesem Augenblick rief der Bursche wieder: "Wägelchen, pick an!", und die Frau war ebenso gefangen wie der Rauchfangkehrer und der Bäckerlehrling.

Vor der Mühle endlich stieß auch noch der Müller mit seinem Esel auf die Schar, wurde mit seinem Tier festgehalten und mußte auch hinterhertraben.

Der Bursche kümmerte sich nicht im geringsten um das Geschrei hinter sich, er zog sein Wägelchen und pfiff ein lustiges Liedel. Als er zum Stadttor hineinkam, da lachten sich die Leute halb tot über den seltsamen Aufzug, der sich dem Königsschloß näherte.

Wie nun das Wägelchen mit der bunt zusammengewürfelten Schar dort anlangte, stand just der König mit seiner Tochter am Erkerfenster und erblickte den merkwürdigen Zug. In diesem Augenblick verlor die Prinzessin all ihren Mißmut und begann so herzlich zu lachen, daß es sie heftig schüttelte und sie für immer ihr mürrisches Wesen verlor.

Der König war außer sich vor Freude, stieg mit der Prinzessin in den Schloßhof hinunter und besah sich das sonderbare Wägelchen. Dann gab er dem Jüngling die Hand und ward auch gleich am Gefährt festgehalten. Doch der Bursche ließ die Deichsel los, und sofort waren alle Leute frei und konnten das Weite suchen.

Der König wußte sich vor Staunen nicht zu fassen, er umarmte den Jüngling glücklich und sprach: "Dir ist es gelungen, meine Tochter zum Lachen zu bringen und ihr den mürrischen Sinn zu nehmen. Darum sollst du auch, wie ich es kundgemacht habe, mein Eidam werden und mein Königreich bekommen. Bist du damit einverstanden?"

Da lächelte die Prinzessin, und sie gefiel dem Jüngling so gut, daß er freudig einwilligte. Kurze Zeit darauf feierten beide Hochzeit. Unter den Gästen waren seine Eltern und auch die Brüder, die man freigelassen hatte. Und alle miteinander lebten glücklich bis an ihr Ende.

Quelle: Österreichische Volksmärchen, gesammelt von Josef Pöttinger, Wien 1957