Das Grafenschloß

Es waren einmal ein Vater und eine Mutter und diese hatten zwei Kinder. Die hießen Josef und Maria. Der Vater hatte schon lange keine Arbeit und sie waren also schon sehr arm. Eines Tages beschlossen die Eltern, die Kinder in den Wald zu führen und dort zu verlassen.

Also gaben sie am nächsten Tag jedem Kind ein Stück Brot und der Vater forderte sie auf, ihn zu begleiten. Der Vater nahm sie bei der Hand und führte sie in den Wald hinein. Als sie tief genug in den Wald gekommen waren und die Kinder schon müde wurden, stieg der Vater auf einen Baum und befestigte am Stamm einen Kürbis, den er für diesen Zweck mitgebracht hatte. Als der Vater vom Baum wieder heruntergeklettert war, erklärte er den Kindern, daß diese jetzt ein wenig schlafen sollten. Inzwischen gehe er Holz klauben, damit die Mutter das Haus heizen könne. Damit er sich aber nicht verirre und wieder zu den Kindern zurückfinde, habe er den Kürbis an dem Stamm befestigt. Am Abend wird der Wind gehen und den Kürbis immer wieder an den Stamm schlagen und dieses Pochen würde er unbedingt hören und also zu den Kindern zurückfinden. Also verließ der Vater die Kinder. Diese waren sehr müde, und die Sonne schien so warm. Da legten sich die Kinder in den Schatten des Baumes und schliefen ein.

Als sie wieder erwachten, wurde es schon Abend. Der Wind rauschte in den Bäumen und schlug den Kürbis immer wieder an den Baum. Immer glaubten die Kinder, den Vater kommen zu hören. Aber er kam nicht und es wurde immer dunkler. Als es noch dunkler geworden war und der Vater noch immer nicht kam, beschlossen sie, allein nach Hause zu gehen. Aber sie kamen tiefer in den Wald und kamen bald zu einem Häuschen. Sie klopften an der Tür und fragten die alte Frau, die auf das Klopfen erschienen war, ob sie hier übernachten dürften. Dies wurde ihnen gerne bewilligt, doch wies ihnen das Weiblein nicht ein Bett, sondern die Hundehütte als Nachtlager an. In das Haus durften die Kinder nicht kommen, da es Räubern gehöre, die bald nach Hause kommen würden. Bekämen diese die Kinder zu sehen, so würden sie sie töten.

Nun wurde den Kindern bange. Da sie aber schon so müde waren und nicht mehr weiter gehen konnten, krochen sie in die Hundehütte und schliefen ein. Am nächsten Morgen wurden die Kinder zeitig von der alten Frau geweckt. Diese hatte ihnen ein Frühstück mitgebracht und forderte die Kinder auf, sich ja recht ruhig zu verhalten und in der Hundehütte zu bleiben, bis sie wiederkomme.

Sobald die Räuber fortgegangen sein würden, komme sie wieder. Nun verzehrten die Kinder rasch ihr Frühstück und verhielten sich mäuschenstill, damit sie ja nicht bemerkt würden. Als die Räuber das Haus verlassen hatten, erschien das Weiblein bei der Hundehütte, rief die Kinder heraus und lobte sie, daß sie so schön still waren. Dann gab sie jedem Kinde noch ein Stück Brot und zeigte ihnen dann, wohin sie gehen müßten, damit sie nicht zu den Räubern kämen.

Die Kinder bedankten sich bei der alten Frau, die zu ihnen war, als wäre sie ihre Großmutter und gingen dann ihren Weg. Als sie einige Stunden gegangen waren, teilte sich der Weg, der eine führte rechts, der andere links weiter. Da sagte Josef zu Maria:

"Ich gehe links weiter, du gehst rechts! Irgendwo werden die beiden Wege wieder zusammenkommen, dann treffen wir uns wieder."

Also ging Josef den linken, Maria den rechten Weg weiter.

Gegen Abend kam Josef zu einem Schloß, das einem Grafen gehörte. Josef fragte den Grafen, ob er hier übernachten dürfe. Der Graf erklärte ihm, daß er gerne bleiben dürfe, doch sei kein Platz im Schloß frei. Aber eine Stunde weiter oben sei noch ein Schloß. Dieses sei ganz leer und dort könne er, wenn er sich traue, ruhig schlafen. Wenn er morgen wieder in dieses Schloß zurückkomme, bekäme er die Tochter des Grafen zur Frau.

Josef war damit einverstanden und ging zum nächsten Schloß. Als er dort ankam, heizte er im Herd ein und bereitete sich eine Mahlzeit. Nachdem er gegessen hatte, legte er sich zu Bett und schlief ein. Nach einiger Zeit wurde er munter. Als er die Augen aufschlug, sah er im Schein des Mondes eine Frau vor seinem Bette stehen. Diese gab ihm einen Knäuel Wolle und erklärte ihm, daß er ihn gut werde brauchen können. Um Mitternacht würden drei Männer ohne Kopf kommen, die ihn auffordern würden, sie zu begleiten. Wenn sie in den Keller hinuntergehen, solle er die Wolle heroben am Stiegengeländer befestigen und im Abwärtsgehen den Faden ablaufen lassen. Wenn er alles tue, was von ihm verlangt wird, werde es ihm von Nutzen sein. Darauf verschwand die Frau wieder und Josef schlief wieder ein. Als die Uhr Mitternacht verkündete, erwachte Josef von einem Getümmel vor der Türe, und schon wurde diese geöffnet, und herein kamen drei Männer. Keiner hatte einen Kopf. Diese Gestalten forderten Josef auf, sie zu begleiten. Josef stand auf, zog sich an, nahm den Wollknäuel und ging mit. Die drei Männer führten ihn im ganzen Schloß herum. Als sie aber in den Keller hinunter gingen, befestigte Josef gleich das Ende des Wollknäuels am Stiegengeländer und ließ den Faden im Weitergehen ablaufen. Der Knäuel wurde immer kleiner und kleiner und noch gingen die drei Männer weiter. Als sie endlich stehenblieben, war auch der Knäuel zu Ende. Die Männer bedeuten Josef nun, Werkzeug in die Hand zu nehmen und an den von ihnen bezeichneten Stellen zu graben. Josef tat wie ihm geheißen. Er grub an den ihm bezeichneten drei Stellen nach und förderte so drei Fässer voll Geld ans Tageslicht. Die Männer bedeuteten Josef, daß der Inhalt des einen Fasses ihm gehöre, von dem Inhalt des zweiten müsse er Seelenmessen lesen lassen und den Inhalt des dritten Fasses müsse er den Armen verteilen. Dann waren die drei Männer ohne Kopf wieder verschwunden.

Josef verschloß den Keller, nahm den Wollfaden auf und wickelte ihn im Hinaufgehen wieder auf. Als er oben wieder angelangt war, legte er sich wieder nieder und schlief, bis ihm die Sonne ins Gesicht schien. Er stand rasch auf, kleidete sich an, bereitete sich ein Frühstück und verzehrte dann rasch das Frühstück. Dann ging Josef hinunter zum anderen Schloß. Der Graf war sehr erfreut, Josef wieder zu sehen und verlobte diesen gleich mit seiner Tochter, der schönen Isolde. Dann erzählte der Graf, daß schon viele im Schloß droben übernachtet hätten, doch keiner sei mehr zurückgekommen. Daß Josef wieder heil zur Stelle sei, beweise ihm, daß er die ihm gestellten Aufgaben erfüllt habe.

Bevor noch die Hochzeit stattfand, übergab Josef ein Faß voll Geld der Kirche, damit dafür Messen gelesen werden und verteilte den Inhalt eines anderen Fasses unter die Armen. Den Inhalt des dritten Fasses aber behielt er für sich und ließ davon das Schloß herrichten, daß es aussah, als wäre es eben erst erbaut worden. Als das Schloß wieder im Stande war, fand die Hochzeit mit großem Gepränge statt und dauerte acht Tage.

Lange war Josef an der Seite seiner Gemahlin glücklich und zufrieden. Doch dann wurde er trübsinnig und unwirsch. Als Isolde wissen wollte, warum er anders geworden sei, erzählte Josef von seiner Schwester Maria, und daß er diese bei sich haben wolle. Also schickte der Graf Boten aus, die Maria suchen sollten. Nach langem Suchen wurde Maria auch gefunden. Diese war den Weg rechts weiter gegangen und kam zu armen Leuten, die sie an Kindesstatt aufnahmen. Drei Tage und Nächte reiste nun Josef, bis er zu Maria kam. Er belohnte die Besitzer des Häuschens reich und nahm Maria mit. Nun war Josef wieder heiter und zufrieden. Als der alte Graf gestorben war, übernahm er dessen Schloß und wurde ein großer Herr.

Quelle: Aus der hs. Sammlung von Oberlehrer Anton Dolleschall, St. Blasen, Murau, Steiermark.
Erzähler: Othmar Steinbrugger, Schüler, 1836/37. Zentralarchiv der deutschen Volkserzählung, Marburg ZA 185383.
Aus: Leander Petzoldt, Märchen aus Österreich, München 1991, S. 17 - 21.