Das Gruseln

Es war einmal ein Mesner. Sein Bruder war ein Keuschler und dieser hatte einen Sohn; der hieß Hans.

Da begab es sich, daß im Dorfe jemand starb, und da auf dem Lande üblich ist, daß man in das Haus, wo der Tote aufgebahrt ist, für den Verstorbenen beten ging - wachten nennt man das - so gingen auch der Mesner als Vorbeter, der Keuschler und Hans hin. Nach dem Beten wird jedem eine Jause gegeben. Als die Leute nun diese Jause verzehrten und dabei vom Toten sprachen, hörte Hans sie sagen:

"Mir gruselt so. Mir gruselt so."

Dem Hans gruselte es aber nicht und deshalb sagte er:

"Wenn's mir nur gruseln tat! Wenn's mir nur gruseln tät!"

Als er dann mit dem Mesner nach Hause ging und Hans die ganze Zeit nichts anderes sagte als: "Wenn's mir nur gruseln tat!", da wurde der Mesner zornig und beschloß, dem Buben das Gruseln zu lernen und sagte zum Hans, daß er am nächsten Abend kommen soll.

Am nächsten Abend sagte der Mesner zu seinem Weibe:

"Ich habe mir den Hans herbestellt. Er will unbedingt das Gruseln lernen. Schick ihn auf den Turm hinauf. Dort soll er die Uhr aufziehen. Ich aber gehe jetzt hinauf und verhülle mich mit einem Leintuch. Dann wird's ihm wohl gruseln."

Also nahm der Mesner ein Leintuch und ging auf den Turm hinauf. Da kam Hans dahergelaufen, ging ins Mesnerhaus hinein und als die Mesnerin ihn sah, sagte sie:

"Wie gut, daß du kommst! Der Mesner sitzt im Wirtshaus und vergißt ganz, daß er die Uhr aufziehen muß. Geh du, Hans, und zieh die Uhr auf."

Hans nahm gleich den Schlüssel und die Laterne und ging. Als er im Turme oben angelangt war, stand vor der Uhr eine weiße Gestalt. Hans sagte: "Geh da weg", aber die Gestalt ging nicht weg. Hans verlangte noch zweimal: "Geh weg!" Umsonst, die Gestalt blieb vor der Tür stehen. Da wurde es Hans zu dumm, er packte die Gestalt und warf sie die Stiege hinunter. Nun zog er ruhig die Uhr auf und sagte dabei immer wieder:

"Wenn's mir nur gruseln tat! Wenn's mir nur gruseln tät!"

Dann stieg er die Stiege hinunter und sah die weiße Gestalt auf dem Boden liegen und hörte sie jammern, aber Hans kümmerte sich nicht darum, sondern ging ins Mesnerhaus, legte Schlüssel und Laterne auf ihren Platz und erzählte der Mesnerin, daß eine weiße Gestalt ihn am Uhraufziehen hindern wollte und er sie über die Stiege hinunter geworfen habe. Dort liege sie und jammere vor Schmerzen. Da ließ die Mesnerin alles stehen und lief rasch zum Pfarrer und zum Doktor. Als diese im Turm ankamen, war der Mesner tot. Nun jagte die Mesnerin den Hans fort. Hans ging nach Hause und erzählte seinem Vater, was geschehen war. Da gab der Keuschler dem Hans drei Taler und jagte ihn auch fort.

Hans kam in eine Stadt. Hier kehrte er in ein Wirtshaus ein und bestellte sich zu essen und zu trinken. Als die Wirtin ihm das Essen brachte, hörte sie den Hans sagen:

"Wenn's mir nur gruseln tat! Wenn's mir nur gruseln tät!"

Die Wirtin rief nun den Wirt, und auch der hörte den Hans dieses sagen.

Am Abend führte der Wirt den Hans in einen Wald. Dort waren am Morgen sieben Räuber auf dem Galgen aufgehängt worden. Bei diesem Galgen forderte der Wirt den Hansl zum Wachen auf. Der Bub erklärte sich dazu bereit, zündete sich ein Feuer an, damit ihm nicht zu kalt wird und betrachtete die Gehängten. Da erbarmten ihm diese. Er schnitt die Stricke ab und legte sie zum Feuer. Da sie ihm aber das Feuer störten, hängte er sie wieder auf.

Am Morgen ging er wieder weiter und kam zu einem verwunschenen Schloß. Alle Leute, zu denen er kam, hörten ihn immer sagen:

"Wenn's mir nur gruseln tat! Wenn's mir nur gruseln tät!"

Dies hörte der König. Der ließ sich den Hansl vorführen und versprach, ihm das Gruseln zu lehren. Er befahl dem Buben, drei Nächte oben in einer Kammer zu schlafen. Hansl war damit einverstanden.

In der ersten Nacht kamen drei Geister, die einige Kegel und einen Totenkopf mitbrachten und damit Kegelscheiben begannen. Hansl fragte, ob er auch mitscheiben dürfte und es wurde ihm erlaubt. Er setzte seinen Taler und gewann in einem fort. Als die Geisterstunde vorüber war, hatte er den Tisch voll Geld.

Am Morgen kam der König und sah den Geldhaufen. Er freute sich sehr und ließ das Geld gleich in seine Schatzkammer bringen.

Bei Tage spielte der Bub mit der Königstochter. In der zweiten Nacht brachten vier Männer eine Totentruhe in die Kammer, stellten diese hin und gingen wieder. Hansl machte die Truhe auf und sah den Mesner drinnen liegen. Er hob ihn heraus und legte ihn zu sich ins Bett. Dabei sagte der Hansl:

"Wärest du weggegangen von der Uhr, dann könntest du heute noch leben."

Da antwortete der Mesner: r

"Heute mußt du sterben."

Diese Rede gefiel dem Buben nicht. Also legte er die Leiche wieder in die Truhe und machte diese fest zu. Da verschwand die Truhe.

Am Morgen kam der König nachschauen, wie es dem Hansl geht, aber dieser erzählte dem König, daß er sich nicht gefürchtet habe. Bei Tage spielte er wieder mit der Königstochter.

In der dritten Nacht sprang von der Zimmerdecke ein Zwerg herunter und hatte einen Schlüsselbund in der Hand. Der Zwerg forderte Kansl auf mitzukommen. Sie kamen in eine große Kammer, in der alle Truhen mit Geld gefüllt waren. Der Zwerg sagte:

"Das gehört jetzt alles dir, gib aber auch den Armen davon."

Hans versprach es. Der Zwerg führte ihn zurück in die Kammer und verschwand.

Als am Morgen der König wieder nachschauen kam, erzählte ihm der Hansl, was er in der Nacht erlebt hatte. Darüber war der König so entzückt, daß er dem Hansl seine Tochter zur Frau gab.

In der Nacht hörte die Königstochter ihren Hansl immer sagen:

"Wenn's mir doch gruseln tät! Wenn's mir doch gruseln tät!"

Sie erzählte dies ihrer Kammerfrau, und die gab ihr den Rat, in eine Schüssel voll Wasser einige Fische hineinzugeben und diese in der Nacht auf Hansls Bauch zu schütten. In der folgenden Nacht tat dies die junge Königin, und da sagte der Hansl: "Mir gruselt's! Mir gruselt's!"

Nun war seine Frau zufrieden und der Hansl auch, und die beiden lebten glücklich miteinander.

Quelle: Aus der hs. Sammlung von Oberlehrer Anton Dolleschall, St. Blasen, Murau, Steiermark.
Erzähler: Anton Schlojer, Arbeiter, geb. 1923 (gehört von einem Handwerksburschen aus Wien). Zentralarchiv der deutschen Volkserzählung, Marburg ZA 185414.
Aus: Leander Petzoldt, Märchen aus Österreich, München 1991, S. 9 - 12