DER HAHNENGIGGERL

Es war einmal ein armer Holzknecht. Der hat schlecht und recht sich und seine Familie mit seiner Hände Arbeit durch das Leben gebracht. Und seines Tages schönster Feierabend war es, wenn er sein Kind Annerl auf den Schoß setzen und ihr Märchen von einem verwunschenen Prinzen und seiner armen Erlöserin und anderes erzählen konnte; und das Mädchenhat sich auf diese Stunde stets gefreut. Aber eines Tages ist es ausgewesen mit diesen schönen Abendstunden; denn ein Baum hat den Vater erschlagen, und weinend ist Annerl mit ihrer Mutter hinter dem Sarg zum Friedhof gegangen. Ja, die gute Zeit hat nun ein Ende gehabt, sowohl für die Mutter als auch für das Kind. Die Mutter, eine hamische Person, hat wieder ins Dorf gehen müssen, um für sich und das Mädchen den Unterhalt im Taglohn zu verdienen. Und wenn sie heimgekommen ist, da ist sie saugrantig gewesen mit dem Kind, hat ihr vorgeworfen, daß sie ihretwegen so viel arbeiten müsse, und der Annerl ein Stück Brot und ein Schüsserl Gaismilch gegeben als Mittags- und Nachtmahl zugleich; mittags hat das Mädchen nur ein Stückerl Brot gehabt. Im Winter mußte Annerl Holz im Walde lesen und auf dem schwachen Rücken heimtragen; im Sommer aber Beeren und Pilze sammeln, die dann die Mutter verkaufte.

Eines Tages nun war die Mutter halt auch schon übellaunig wie nie bisher, hat dem Kinde als Nachtmahl nur ein hartes Krümchen Brot gegeben und am Morgen nichts. Und wie Annerl um ein Stückerl Brot bat, trieb sie die Kleine aus der Hütte am Waldesrande und trug ihr strenge auf, nur schöne Beeren zu pflücken. Weinend ging nun das Mädchen durch den Wald und begann, an einem sonnigen Rain angelangt, Erdbeeren ins Körblein zu pflücken. Dann schlich sie weiter in der Hoffnung, schöne Beeren zu finden. Dabei kam ihr die trostlose Gegenwart in den Sinn und wie schön es gewesen, als der Vater noch lebte. Tief seufzte sie auf: "Ach, wenn der Vater lebte!" Rechts und links vom Steig wuchsen die schönsten Beeren, aber Annerl beachtete sie nicht. Pilzlein, so knusperig luden zum Pflücken ein, aber das Kind ging vorbei, langsam und nachdenkend, und trat aus dem Wald in eine sonnumflossene Waldwiese hinaus.

Nun sah das Mädchen auf. Inmitten der saftigen Wiese stand ein hölzernes Häuschen, nicht größer als eine Köhlerhütte, doch ein gemauerter Rauchfang überragte das Bretterdach und wirbelte dunklen Rauch empor. Ein einziges, winziges Fensterchen lugte dem Kinde entgegen; vorsichtig und langsam ging Annerl dem Häuschen zu und spähte durch das Fenster. Da stand drinnen in der dunklen, schwarzen Küche ein uraltes Weiblein vor einem großen Kessel, der an einer Kette über offenem Feuer hing, rührte mit einem langen Kochlöffel im Salbenbrei des Kessels um und plapperte dabei Zauberworte, wobei die lange spitze Nase fast mit dem Kinn zusammenstieß; eine Krähe aber saß auf ihrer Schulter und wiegte sich.

Das ist eine Hexe, flüsterte Annerl zu sich, die könnte wohl wissen, wo ein verwunschener Prinz zu finden wäre. Denn, um der Qual daheim ein Ende zu bereiten, hätte Annerl sich an einen Zauberprinzen gewagt. Und so ging das Kind um das Häuschen herum. Ein schwarzes Kätzchen saß vor der offenen Tür und putzte sich im Sonnenschein. Wie es des Mädchens ansichtig ward, sprang es auf die Schultern desselben und rief: Miau, miau! Da flog denn auch schon die Krähe aus der Hütte, nahm Platz auf der anderen Achsel uns schrie! Kroa, kroa, kroa!

Das vernahm nun das Weiblein; neugierig trat es unter die Tür und sah das Kind.

"Ei, ein Mäderl ist da; sag meine Kleine, was willst denn du von der Waldmutter?"

Vertrauensvoll bat Annerl die Alte: "Ja, Waldmutter, wißt ihr mir keinen verwunschenen Prinzen nit?"

"O, einen Prinzen, du, mein liebes Kind, diese Gattung ist selten. Gelt, du bist in Not und willst halt reich werden. Dein Nicken sagt es. So hör zu! Geh hinab durch den Wald und brock Farnkraut ab, einen ganzen Bündel. Dann such die steinige Stelle bei der kleinen Mühle im Graben auf; mitten in der Wiese liegt sie und heißt des Teufels Tanzplatz. Dort leg von den Farnkräutern einen Kreis auf und sieh zu, daß jeder Wedel den anderen berührt. Dann setze dich hinein in den Kreis, kümmere dich nicht, wie das Wetter werden mag, und sage mutig: ,Hutschi, hatschi, komm herbei!' Dann kommt einer, fürchte dich nicht, er kann dir nichts anhaben, solang du im Kreise bleibst, und verhandle mit ihm, aber verkauf deine unsterbliche Seele nicht!"

"Vergelts Gott" rief das Kind. Freundlich winkte die Alte ihr zu und ging mit ihren Tieren ins Häuschen zurück. Annerl aber sprang hinab in den Wald; so lustig war sie schon lang nicht gewesen. Einen ganzen Bündel Farnkraut pflückte sie und legte genau nach Vorschrift die Wedel auf dem steinigen Fleck im Graben in der Form eines Kreises auf. Bis dahin war noch heller Sonnenschein. Doch da stiegen über den Waldbergen dunkle Wolken auf, immer dunkler ward es, mit Riesenschritten nahte das Gewitter. Schon rollte es in der Ferne, immer düsterer ward es, bald war es ganz dumper, da blitzte es plötzlich auf und in den Bergen verhallte laut hallend der Donner. Ängstlich saß Annerl im Kreise und stieß mit zitternder Stimme hervor "Hutschi hatschi, komm herbei!"

Da ein Blitz und ein Krach, ein Lärchbaum brannte lichterloh auf und überleuchtete weithin die Wiese. Und von einer Stauden hervor lief ein winziger Mann, so groß war er wie der Haushahn des Nachbars, rot bekleidet, rotes Kapperl, rotes Röckerl, rotes Hoferl, fingerdünne Haxerln und rote Patscherln, hinten hinaus aber einen Mordstrum Hahnenschweif.

"Hohohoho! Das Hahnengiggerl is do!" lachte die kleine Gestalt und lief um den Kreis herum. Mit einem Male blickte er auf und nahm nun Annerl wahr.

"Ah da is ja a Dirndl! Ja, was willst du denn vom Hahnengiggerl?"

"Reich möchte ich halt gern werden, " hauchte verschüchtert das Kind.

"Reich? Was gibst mir denn dafür, wenn ich dich reich mach?"

"Ich hab ja nichts, sonst hätte ich dich ja nicht gerufen."

"Ei wohl," lachte der Kleine, "du hast ja eine schöne Seele."

"Die kann ich Dir nicht geben; wenn ich die verlöre, würde mich das ganze Geld nicht freuen," entgegnete das Kind.

"Weißt was, Dirnderl machen wir's so: in zehn Jahren komme ich wieder und frage dich um meinen Namen. Wenn du ihn bis dahin noch weißt, dann muß ich abziehen, wenn aber nicht, dann gehört deine Seele mein. Einverstanden?"

Das gefiel auch dem Mädchen, und noch sagte der kleine Wicht, sie solle nur das Trühlein ausräumen, das neben der großen Truhe der Mutter auf dem Dachboden stand; alles, was sie wünsche, werde sie drinnen finden.

"Troll dich von hinnen! Hatschi, hutschi," sagte das Kind und entließ den geheimnisvollen kleinen Mann.

Dann lief aber, als das Gewölk sich verzogen und der Himmel sich aufgeheitert hatte, das Mädchen der heimatlichen Hütte zu. Als Annerl sich dem Häuschen nahte, kam gerade die Mutter heim. Sie war noch übel gelaunt und fuhr das Mädchen von weitem an, wo die Beeren seien. Annerl zeigte ihr von weitem den leeren Korb, kam ihr aber nicht nahe. Erst als mit einem Schmähworte die Mutter in der Hütte verschwunden war, wagte Annerl sich hinein und eilte sogleich über die Stiege hinauf, warf die wenigen Zotten aus dem Trühlein in einen Winkel und wünschte sich ein so himmelblaues Kleid, wie sie es bei einem vornehmen Kinde gesehen, und 40 Gulden obendrein. Vorsichtig hob sie den Deckel, - ei, wie glänzten des Kindes Augen, als es ein Bündel herausheben konnte, während ein kleines Beutelchen in die Truhe zurückfiel. Mit dem gefundenen Schatze lief Annerl die Stiege hinab, hinaus und hinab zum verschwiegenen Waldtümpel und breitete das Tuch auseinander. Da fehlte nichts, aber schon gar nichts, was sich das Kind nicht gewünscht hätte. Zitternd vor Freude warf sie die armseligen Kleider von sich und stieg in das beschattete Bad, dann aber kleidete Annerl sich an vom Scheitel bis zur Sohle; alles war neu, das lichtblaue Kleidchen stand ihr prächtig, der Hut auf dem blonden Gelock, blaue Strümpfe und Schühlein an den Füßen, und Goldschmuck an Ohren, Fingern, Arm und Hals. Bebend vor Freude beschaute sie sich im Spiegel des Waldweihers. Dann aber lief sie heim zur Mutter. Bei der Stubentür hielt sie an und klopfte sachte. Wie dann Annerl eintrat, sah erstaunt ob des vornehmen Besuchs die Mutter beim Herde auf das Mädchen hin und erkannte sie nicht: "Ei, Komtesse von der Stadt, was gibt mir die Ehre?" fragte sie.

"Aber Mutter, erkennt ihr mich denn nicht?" rief Annerl aus, "schaut, wie schön, und alles habe ich ehrlich erworben. Nun hat die Not ein Ende, und ihr braucht nicht mehr ins Tagwerk zu gehen. Doch sagt, was braucht ihr vom Krämer im Dorf? Ich will einkaufen gehen." Da sagte die Mutter so mancherlei, was im kleinen Haushalt abging, und sah sich nicht genug satt an ihrem Kinde.

Bald schlüpfte Annerl wieder hinaus, lief zum Tümpel im Walde und zog wieder das Bettelkleid an, das blaue Kleid jedoch verwahrte sie in der Truhen der Mutter. Dann nahm sie das Beutelchen mit Geld und den Buckelkorb und eilte zu Tal. Beim Krämer kaufte sie ein Packel Kaffe, Zucker, Salz, Gewürz, Semmel, Kipferl, Würstchen, Eier und Schmalz; auch Kattun für die Mutter zu einer Schürze und beim Wirte eine Flasche guten Wein. Staunend sahen die beiden dem Kinde nach, das alles bar bezahlt hatte, und droben in der armen Hütte packte Annerl ihre Schätze vor der armen Mutter aus. Da war freilich aller Ärger aus den Augen der Mutter verflogen, da sie mit ihrem Kinde zuerst Würstchen aß und hernach trefflichen Kaffee trank.

So ging in sorglosem Tun in dem Häuschen am Walde ein Jahr dahin. Und der Hahnengiggerl hatte viel zu tun, die bescheidenen Wünsche von Mutter und Kind zu befriedigen.

Und wieder einmal saßen sie zusammen. Da hub die Mutter an: "Wie wäre es, mein liebes Kind, wenn wir in die Stadt zögen und ein Haus mieteten?"

"Ach nein," erwiderte Annerl, "ich will von hier nicht fort. Aber saget mir, gefiel es euch nicht, wenn wir hier ein Schloß bauen und mit viel Dienerschaft beziehen würden?"

"Ein Schloß! Du denkst nicht, was das kostet," meinte die Mutter. "Geh hinab zum Wirt ins Dorf, der kann dir sagen, was ein Schloß kosten dürfte."

Das Mädchen tat, wie die Mutter ihr geheißen. Doch der Wirt wußte nicht Bescheid und wies das Kind hinein ins Gastzimmer zum Baumeister. Der stand gerade beim Fenster und vertrieb sich die Zeit mit Fliegenfangen.

"Was ein Schloß kostet, willst du wissen?" lachte er dem Mädchen entgegen. "O mein, so viel Geld kannst du dir gar nicht vorstellen! Sechstausend blanke Dukaten muß der mir zahlen, dem ich ein Schloß bauen soll."

"Nun gut, ich zahl's," erwiderte das Kind. "Das bringe ich leicht zustande."

Halb erstaunt und halb belustigt drehte er sich dem Mädchen zu: "Echte Dukaten sage ich, nicht Katzengold, wie man es am Bache sieht."

"Ja, echte Goldstücke, sechstausend biete ich, wenn ihr mir ein Schloß bauen wollt. Kommt mit mir hinauf zu unserem Häuschen am Walde!"

Und weil der Herr gerade nichts zu tun hatte, dachte er: "Einen Spaziergang mache ich ganz gern" und ging mit ihr. Der Weg in der Sonne war schön; aber die Hütte am Walde war so elend, daß es ihn fast verdroß, mit dem Kinde mitgegangen zu sein. Wie arm war alles bei dem Häuschen und erst darinnen. Aber wie gut war der Kaffee, den Annchens Mutter ihm vorsetzte. Das Mädchen war mittlerweile auf den Dachboden gestiegen und hatte sich zehntausend Dukaten gewünscht. Und wie sie den Deckel hob, lagen sechs große, schwere Bündel drinnen. Mit harter Mühe zog sie einem nach dem andern aus der Truhe bis zur Stiege und warf sie hinab. Schwer trug drunten die Mutter dem Baumeister die Pinkel zu, und einen Sack nach dem andern schüttete dieser auf dem Tische aus und zählte die ersten tausend Goldstücke. In die anderen vergrub er nur die Finger und fragte ganz erstaunt: "Wohin, gnädiges Fräulein, soll ich euch das Schloß bauen?"

Schlicht bestimmte Anderl den Platz neben der Hütte als Bauplatz für das Schloß.

Die Woche darauf ging die Arbeit an, und den ganzen Sommer bauten und mauerten viele Arbeiter dran und den halben Winter die Zimmerleute; und ein Jahr darauf stand das Schloß fix und fertig da. Das bezogen denn auch bald Annchen und ihre Mutter mit vieler Dienerschaft und gingen in Samt und Seide.

Wieder gingen ein, zwei Jahre dahin. Da fuhr eines Tages der Prinz von Italien in seinem Kobelwagen die Landstraße herauf und vorn auf dem Bock saß der Kutscher. Plötzlich sprang ein winziger Wicht aus einem Busch hervor und gab dem Wagen einen Tritt - der Kutscher hatte es ganz deutlich gesehen - und der Wagen brach zusammen: die Achse brach ab.

Der Dorfschmied kraute sich hinter den Ohren und erklärte, er müsse die ganze Nacht fleißig arbeiten, wenn er den Schaden beheben wolle.

"Wo bleib ich dieweil über Nacht?" fragte der Prinz.

"O, da hat's nichts," entgegnete der Schmied, "dort drüben beim Wald steht ein schönes Schloß, eine Mutter mit einem allerliebsten Töchterlein wohnen drinnen. Die nehmen euch gern auf. Da bekommt ihr ein gutes Papperl und ein warmes Nesterl." Das ließ sich der Prinz nicht zweimal sagen, stieg auf eines der Kutschpferde und ritt hinauf zum Schloß.

Die Mutter saß gerade am Söller und sah nach einem königlichen Gemahl für ihr Annchen aus. Und so entging ihr der stattliche Reiter nicht.

"Annerl, beeile dich," rief da die besorgte Mutter. "Das schönste Kleid zieh an, den schönsten Schmuck nimm um; ein Prinz will kommen!"

Schlicht und rein, wie Annchen war, legte das Mädchen nur die Schürze ab, während die Mutter aufgedonnert wie ein Pfau im Hofe daherkam. Gerade kam sie zurecht, wie der Prinz durch das Tor ritt und Annchen die Hand zum Gruße bot. In ihrer Aufregung machte die Mutter eine Verneigung, daß nicht viel fehlte und sie hätte die Nase beim Prellstein angeschlagen. Im Schlosse fand der Prinz freilich des Schmiedes Wort wahr; denn es gab manch gutes Papperl und ein weiches Bett. Was ihn aber am meisten freute, war der Augen heller Schein, der auch im Traumbild nicht von ihm wich.

Am nächsten Tag aber zog er beim Abschied vor dem Tore ein Ringlein vom Finger, gab es dem Mädchen und sagte: "Keine andere denn du. Und wenn ich zurückreise über einen Monat, hole ich dich als meine Braut heim."

Da gab es freilich der Arbeiten viel. Die Zimmer füllten sich mit Schneiderinnen und der kleine rote Wicht hatte genug zu tun all das Linnen und die Seide herbeizuschaffen. Als aber nach Monatsfrist der Prinz zurückkam, da saßen Annchen und ihre Mutter im gleichen Kobelwagen mit einer Krone geschmückt und fuhren nach Italien.

Daß es dort festlich zuging bei der Prinzenhochzeit, könnt ihr euch denken; und übers Jahr übergab der Vater-König dem Prinzen die Regierung, der Prinz ward König und Annchen Königin. Den Winter verbrachten sie in Italien; wenn es aber unten zu warm ward, fuhren sie herauf und nahmen Wohnung im Schloß am Waldesrand. So vergingen ein paar glückliche Jahre.

In einer Sommernacht nun lag die Königin auf ihrem Ruhelager, und da träumte ihr, es käme der kleine Wicht zur Tür herein und fragte: "Wie heiße ich?" Darob erschrak die Königin im Traum so sehr, daß sie aufwachte und nachdachte, wie wohl der Wicht heißen mochte. Aber was sie auch nachdachte, ihr fiel es nicht ein, und vielleicht in dieser Woche noch konnte die Antwort fällig sein. Da sprang sie von ihrem Lager auf; bebend vor Entsetzen kleidete sie sich an und verließ vor dem Hahnschrei noch das Schloß, um die Hütte der Waldmutter aufzusuchen. Wie hatte sie doch so ganz den Namen des Wichtes vergessen können! Aber die Waldmutter mußte ihn wissen, und die mußte ihr denselben gegen eine goldgefüllte Börse verraten.

Nach manchem Irrweg im Walde kam die Königin zur Waldwiese, in deren Mitte noch das Häuschen stand. Aber wie sah dasselbe aus! Das Dach war eingefallen, der Rauchfang zusammengestürzt und ein Bäumchen machte sich anheischig, auf einer der Holzwände zu wachsen. Wo mochte die Waldmutter sein? Verzweifelt sah die Königin umher und ging inein in den Wald. Dort traf sie - sie hatte Glück - ein altes Weiblein, das Beeren pflückte.

"Ei, sagt mir, gutes Mütterlein, wohin ist denn die Waldmutter gezogen?" sprach sie die Alta an.

"O mein, die ist halt auch ausgewandert, einen Klaster unter die Erde."

"Und wer hat denn den Kessel und die Salben geerbt, die Katz und die Krähe?" fragte sie die greise Beerensammlerin weiter.

"Da geht ins Dorf, die letzte Keuschen gehört der Simerl-müllner-weber-keuschen-katl-toni. Die hat alles von ihrer alten Muhme geerbt," erwiderte das Weiblein.

Einen Dukaten warf die Königin dem Weiblein zu, dann eilte sie zu Tal, um sogleich die Simerl-müllner-weber-keuschen-katl-toni aufzusuchen.

Sie traf das bucklige Weiblein daheim an; erstaunt sah es mit listigen, kleinen Äuglein die Königin an, die mit der Frage an sie herantrat:

"Sagt, gute Simerl-müllner-weber-keuschen-katl-toni, könnt ihr mir nicht sagen, wie der Wicht wohl heißen mag, den ich auf Anraten der Waldmutter vor etwa zehn Jahren rief? Er war sehr klein von Gestalt, etwa wie euer Haushahn, rot gekleidet, hatte eine Kappe auf und einen großen Hahnschweif."

"Klein, rot, Hahnschweif" erwiderte die Alte, "das kann ich euch nicht auswendig sagen, aber meine Muhme hat mir ein Büchlein hinterlassen, in dem alle Wichte und Ganggerln verzeichnet sind. Ich wird es suchen." Und draußen war das Weiblein. Die Königin wartete und wartete, aber das Weiblein kam nicht zuwege. Endlich, als schon die Mittagszeit vorüber war, erschien die Alte wieder und hatte ein kleines Buch in der Rechten.

"Klein, rot, Hahnschweif," sagte sie in Gedanken. "Lang hab ich das Büchl nicht finden können; es war, als ob ein Ganggerl drauf gesessen wär. - Hm, hm, da steht schon die Reihe der Kleinen, und da sind die kleinen roten Ganggerln, da ist auch schon der rote Ganggerl mit dem Hahnschweif, - aber sein Name steht nicht dabei."

"Mein Gott, und ich muß gerade seinen Namen wissen! Wißt ihr da keinen Rat? Diese goldgefüllte Börse soll eure Belohnung sein."

"Einen Rat wüßte ich freilich wohl", erwiderte die Bucklige, "aber er ist sehr schwer zu erfüllen und obendrein gefährlich. Droben auf der Alm ist das wilde Loch, da fliegen die Wichte und die Ganggerl alle Nacht um elf Uhr aus und kehren eine Stunde später zurück. Dort könnt ihr den Namen erfahren, aber seid vorsichtig, daß euch keiner erwischt, sonst geht's euch schlecht."

"Verloren so oder so, das ist sich gleich. Habt Dank!" rief die Königin aus und warf der Alten die volle Börse in den Schoß. Dann eilte sie heim und kleidete sich eilig um. Mit Bergschuhen an den Füßen , einem Bergstock in der Hand, so stieg sie das Gebirg empor, zuerst durch den dunklen Wald, dann über weite Almen, wo das Vieh ging, drauf über Schutthalden, bis sie endlich nach Sonnenuntergang das wilde Loch erreichte , jenen gefürchteten Hölleneingang. Krummholz und ein paar windzersauste Lärchen standen unweit davon und hinter diesen versteckte sich die Königin. Der Mond überleuchtete weithin die Almen und die benachbarten Berge in geheimnisvollem Schein.

Da rollte es tief drunten, der ganze Berg bekam einen Ruck, und tief im Berginnern hörte die Lauschende eine Stundenuhr schlagen; - dann ein Knall und ein Schrei, aus dem wilden Loch stieg ein Kerl empor, etwa so groß wie ein erwachsener Mann; zehn Ohren hatte er, sechzehn Hörner und neun Nasen und über ein Dutzend lange Schweife baumelten hinten dran; der flog gleich ab.

Der zweite kam gleich nach, ein turmhoher Lotter mit drei riesigen Kuhschweifen; die schlugen wild umher und einer blieb mit seinen langen grauen Zotten an einem Lärchbaum hängen. Und wie er dran riß, daß bald der Baum aus der Erde ging, blieb ein Tschüppel hängen und hängt noch bis heute daran. Auch er flog ab.

Nun erschien der winzige grüne Froschteufel, dann ein Wicht wie ein Storch mit rotem Schnabel und hohen Stelzbeinen; ihm folgte ein roter Wicht, hahngroß, und stolz trug er seinen mächtigen Hahnschweif.

"Wohin des Weges, Storchenschnabel?" fragte er mit näselnder Stimme.

"Auf die Seelenjagd," erwiderte jener. "Gehst mit?"

"O nein," lachte der rote Wicht, "ich hab die meine in Sicherheit." Und in dem er sich die Händchen rieb, näselte er laut vor sich hin:

"Is das a Freud, is das a Spoaß,
Daß die Königin nit woaß,
Daß i Hahnengiggerl hoaß. Juhui!"

Und jauchzend sprang er hin und her auf dem Alpenboden und wiederholte wohl etliche dutzendmal das Sprpüchlein:

"Is das a Freud, is das a Spoaß, …"

Hinter dem halbentwurzelten Lärchbaum aber saß die Königin und schrieb in ihr Büchlein den Namen des Hahnengiggerl auf.

Die Stunde verstrich; da ertönte wieder tief im Berg die Uhr. Der Berg zitterte, und all die Wichte und Ganggerl fuhren zurück ins wilde Loch, das mit lautem Knall sich schloß. Im Mondschein aber eilte über den Schutt, durch die Almen und den Wald die Königin zu Tal und kam beim Morgengrauen im Schlosse an.

Erschöpft warf sie sich angekleidet auf das Bett und schlief und schlief - - schon stand die Sonne hoch am Himmel, die Königin schlief.

Schon war es Mittagszeit, die Königin schlief und niemand wagte sie zu wecken.

Da klopfte es etwa um drei Uhr an die Tür. Die Königin erwachte und rief: "Herein". Ein klein wenig öffnete sich die Tür und der kleine rote Wicht schob sich herein. "So so, hiaz bin i da, wia hoaß i denn?" fragte er und streckte sich.

"Ah, du bist da," fragte vom Bett her die Königin.

"So so, hiaz bin i da, wia hoaß i denn?" fragte er ein zweitesmal und wuchs, indem er sich streckte, zur Menschengröße an.

Da trat er näher und wie ein wilder Eulenschrei ertönte des Wichtes Ruf: "So so, hiaz bin i da, wia hoaß i denn?" Schon streckte der baumlange Kerl, der aus dem winzigen Wicht geworden war, die Rechte nach ihr aus. Da rief sie ihm lachend entgeghen:

"Ah, is des a Spoaß, is des a Freud,
Der Hahnengiggerl is nit weit."

Da schrumpfte der Kerl vor Schreck wieder zum kleinen Wicht zusammen, und mit dem Ruf: "Au weh, jetzt weiß's mein Nam" fuhr er durch das offene Fenster ab.

Die Königin aber lebte noch glücklich so manches Jahr.

(Dieses Märchen erzählte mir ein altes, holzsammelndes Weiblein Ende August 1904 unweit von Poluderteich bei Neumarkt.)

Quelle: Romuald Pramberger, Märchen aus Steiermark, Seckau 1946