Die schöne Stieftochter

Ist einmal ein Bettler über Land gegangen, und der ist unser Herrgott gewesen, und er ist in ein Haus gekommen, wo ein schönes und braves Mädl und eine schlechte, böse Stiefmutter und eine noch schlechtere, böse Schwester gewohnt haben; und die zwei haben es überdies noch mit dem Teufel gehalten.

Und der Bettler hat um eine Gabe gebeten, aber die Alte hat ihn davongejagt, und die Stieftochter hat ihm heimlich von ihrem kargen Abendmahl etwas gegeben und ihm dann den Weg gezeigt. Da hat der Herrgott zum Abschied zum braven Mädl gesagt:

"Weil du mit mir so gut gewesen bist, so kannst du dir zwei Wünsche wählen."

"So will ich hell sein wie der Tag", erwiderte das junge Dirndl, "und meine Stiefschwester finster wie die Nacht."

Und so ist es denn auch geschehen. Und das brave Mädchen hat ihrem Bruder in die Stadt ihr Bild geschickt, und der hat es in seinem Zimmer aufgehängt; er ist aber Kutscher beim König gewesen.

Eines Tages nun ist der König zum Kutscher ins Zimmer gekommen und hat das Bild an der Wand gesehen; und von dem Mädchen war der König so genommen, daß er sich vorgenommen hat, sie zu heiraten, und hat dem Kutscher befohlen, sogleich das Schwesterchen zu holen.

Da ist denn der Kutscher mit dem königlichen Kogelwagen zur Stiefmutter gefahren und hat ihr erzählt, was er tun solle. Nun hatte die Alte sich aufs Zaubern verstanden und durch ein Zauberwort dem Kutscher das Augenlicht genommen, daß er Schwarz von Weiß und Schiach von Schön nicht unterscheiden konnte, und das Mädl hat sie gehörlos gemacht, und so sind sie alle zum König gereist.

Vorn auf dem Bock ist der Kutscher gesessen und im Kogel die drei. Und da sind sie zu einem Strom gekommen, den er nicht gesehen, wohl aber rauschen gehört hat. Und er hat zu seinem Schwesterchen etwas zurückgeredet, die hat ihn aber nicht verstanden und hat gefragt: "Schwester, was hat mein Bruder gesagt?"

Diese aber war tückisch und erwiderte ihr:

"Er hat gemeint, du sollst mir die königliche Hauben aufsetzen."

Und wieder hat sie ihr Bruder gefragt, ob sie das schöne Kleid anhat, und wieder hat sie ihre Schwester gefragt; aber die Stiefmutter hat ihr geantwortet, das Kleid solle sie der Schwester geben.

Und dieweil sind sie so ganz knapp zum Strom gekommen, und der Bruder hat gemeint, das Schwesterl solle sich mehr in den Wagen hineinsetzen, weil er den Strom rauschen höre; aber wieder hat die Alte dem Mädchen des Bruders Rede ausgedeutscht, sie solle sich ganz hinauslehnen - und schubsti, hineingeworfen haben die beiden Weiber das Mädchen in den Strom.

Und so sind die Stiefmutter und ihre schiache Tochter zum König gekommen, der sich freilich sehr wunderte, anstatt der wunderschönen Braut eine so schiache Raffel zu finden.

Aber sein Versprechen hielt er und heiratete die Schiache, den Bruder aber warf er als Betrüger in die Schlangengrube.

Da ist eines Tages nun eine schneeweiße Ente beim Ausguß in die königliche Küche gekommen und wärmte sich beim Ofen und fragte den Koch:

"Was tut mein lieber Bruder und meine böse Stiefmama?" Und antwortete selber darauf: "Er liegt gefangen bei Ottern und Schlangen, und sie tut sich wohl beim warmen Ofen."

Und dann ist die Ente wieder fort, - und so hat sie es noch einmal gemacht, und es ist darauf überall herumgeredet worden und auch der junge König hat es erfahren, der dem Koch den Befehl ergehen ließ, wenn die Ente noch einmal komme, solle er über sie ein weißes Hemd werfen. Und wie die Ente zum dritten Mal in die Küche kam, tat der Koch, wie ihm geheißen, und alsbald stand eine wunderschöne Jungfrau im Hemde vor ihm. Diese nun führte der Koch vor den König, der nach einer kurzen Unterredung mit ihr große Vorbereitungen befahl. Vor allem ließ er einen großen Scheiterhaufen errichten und die böse Schwester und die garstige Stiefmutter darauf verbrennen, die helle Schwester aber heiratete er dann, auch war sie von da ab nicht mehr schwerhörig und der Bruder nicht mehr blind.

Quelle: Aufgezeichnet von Romuald Pramberger, St. Veit, Murau, Steiermark 1917. Erzählerin: Gusti Niederdorfer.
Zentralarchiv der deutschen Volkserzählung, Marburg ZA 185013.
Aus: Leander Petzoldt, Märchen aus Österreich, München 1991, S. 15 - 17.