DER ARME HOLZHACKER

Es war einmal ein Holzhacker, der nicht viel zu beißen hatte, aber dafür frisches Blut und eine rechte Freude zur Arbeit besaß. Er ging eines Morgens wieder hinaus in den Wald, schnalzte mit den Fingern und pfiff ein Lied vor sich hin, als ob die ganze Welt ihm gehörte. Wie er so dahinschritt, begegnete ihm ein altes Weib lein, das auf einer Krücke hinkte. "Guten Morgen", rief ihn die Alte an, "auch schon auf den Beinen? Und du pfeifst ja und schnalzest und tust, als ob dir gar nichts abginge. Fehlt's aber doch manchmal am Geldbeutel und in der Küche und im Keller!"

Als der Holzhacker das hörte, machte er große Augen, denn es wunderte ihn, woher wohl die Alte, die er nie gesehen hatte, dies alles wissen konnte.

Während er das Mütterchen groß anschaute, sprach es weiter: "Willst du's aber gut haben, mein lieber Holzhacker, so geh mit mir und werde mein Diener, bei mir sollst du ein Leben haben wie ein Fürst."

"Warum nicht?" sagte der Holzhacker, denn er dachte sich: zu Hause habe ich doch nichts als die liebe Not, und die kann ich überall haben.

Er ging also mit dem krummen Mütterchen einen weiten, weiten Weg, bald durch pechschwarze Wälder, bald über struppige Heiden, und er wunderte sich nicht wenig, daß die Alte auf ihren Krücken die lange Wanderung aushielt.

Am zwölften Tag endlich kamen sie zu einer Höhle und gingen auf diese los. "Siehst du", sprach die Alte, "durch diese Höhle kommen wir in meinen Palast. Der Eingang könnte zwar etwas schöner sein, aber du wirst sehen, desto prächtiger ist's inwendig." Sie gingen nun in die Höhle und kamen immer tiefer hinein, bis sie endlich vor einer Tür anlangten, die von hellem Gold war. Die Alte zog einen goldenen Schlüssel aus dem Sack und sperrte die Tür auf.

Sie traten nun in einen Saal, dessen Wände ganz mit Gold und Edelsteinen verziert waren. Der Holzhacker traute kaum seinen Augen, als er all die Pracht sah, und es kam ihm sonderbar vor, daß mitten in dem goldenen Gemach ein Löwe lag, der furchtbar heulte und winselte. Die Alte hinkte an dem Tier vorbei, als ob sie es gar nicht sähe, und der Holzhacker hielt es auch für ratsam, zu schweigen.

Sie gingen nun aus dem prachtvollen Zimmer in ein anderes Gemach und von diesem wieder in ein anderes und so immer fort. In jedem Gemach aber war ein Löwe.

Endlich sprang auf den Wink der Alten eine Tür auf, durch welche sie in einen Saal traten, der ebenso prächtig war wie der erste. In der Mitte des Saales lag eine Löwin, die heulte und winselte, und schaute den Holzhacker an, als ob sie ihm ihr Leid klagen wollte. Dem Mann ging ihr Laut und ihr Blick tief zu Herzen, und er sprach zur Alten: "Die armen Tiere müssen einen Riesenhunger haben. Soll ich ihnen nicht etwas zu fressen vorwerfen?"

"Für das Fressen dieser Bestien hast du nicht zu sorgen", schnarrte die Alte, "wohl aber dafür, daß sie täglich ihre Schläge bekommen. Siehst du, dort drüben hängt die Peitsche, mit der du die Bestien tagtäglich aus Leibeskräften abklopfen mußt. Geschieht es fleißig, so wird dir dein Lohn nicht ausbleiben, bist du aber nachlässig im Dienst, so sollst du deine Strafe schon empfangen."

Der Holzhacker sah wohl ein, daß es da nicht geraten sei, zu widersprechen, und versicherte, in allem pünktlich zu gehorchen.

Jetzt hieß die Alte den Holzhacker ein wenig warten, hinkte davon, so schnell es gehen wollte, kam aber bald wieder.

"So, hier hast du dein gewöhnliches Frühstück", sagte sie und stellte ihm einen Teller voll Obst vor. "Schönen Dank", erwiderte der Holzhacker und griff wacker zu. Es ist doch schöner, dachte er bei sich, wenn in der Früh eine Schüssel voll Pfirsiche und Feigen vor einem steht, als wenn man morgens vor der Arbeit gar nichts zu beißen hat. Während er sich so seine Gedanken machte, waren die schönen Früchte allmählich zu Ende gegangen, und der Holzhacker freute sich des Frühstücks wegen schon wieder auf den folgenden Morgen.

Was er dann den ganzen Tag hindurch getan hat, das weiß der Erzähler nicht zu sagen. Abends führte ihn die Alte in ein schönes Zimmer, worin ein Bett für ihn hergerichtet war. Er sagte nun der Alten "Gute Nacht", legte sich in sein Bett und schlief bald ein.

Er hatte noch nicht lange geschlafen, da wurde er durch ein Klopfen an der Zimmertür geweckt. Neugierig sprang er aus dem Bett, zündete sein Licht an und schaute zur Tür hinaus, was es gebe. Und wer war draußen? Der Löwe war's, den er im ersten Saal gesehen hatte, und deutete mit kläglichem Gewinsel an, daß er zu dem Holzhacker hinein wolle. Dieser war voll Mitleid mit dem armen Tier und ließ es also ungehindert hereingehen. Als der Löwe drinnen war, fing er zu reden an wie ein Mensch und sagte zum Holzhacker: "Du hast dich vielleicht schon lange über die sonderbaren Bewohner dieser prachtvollen Gemächer gewundert. So wisse denn, daß ich selbst ein verzauberter Prinz bin und daß alle Löwen und Löwinnen, die du in dem Palast sähest, meine verzauberte Dienerschaft sind. Die Löwin aber, die du in dem letzten Saal erblicktest, ist meine Verlobte, und die Alte, die dich hierhergeführt hat, ist ihre Mutter. Diese wollte unsere Verbindung hintertreiben und hat uns deswegen in so abscheuliche Bestien verwandelt. Du bist der einzige, der uns befreien kann. Die Alte schläft ja wie eine Ratte, und du hast jetzt die beste Gelegenheit, ihr den Garaus zu machen. Uns allen aber mußt du die Halsbänder lösen, und der Zauber hat ein Ende."

Der Holzhacker war wie vom Himmel gefallen, als er dies hörte, und versprach hoch und teuer, alles zu tun, was zur Rettung der Verzauberten notwendig wäre.

Der Löwe ging wieder aus dem Zimmer und der Holzhacker hielt sein Versprechen.

Als die Hexe tot war, ging er nun zu den Löwen hinein, löste allen nacheinander die Halsbänder, zuerst dem verzauberten Prinzen, dann der Prinzessin und dann der Dienerschaft, und bald wimmelte es um ihn her von Leuten, die nicht aufhören wollten, ihm für die Befreiung von dem Zauber zu danken.

Prinz und Prinzessin machten sich nun mit ihrer Dienerschaft und dem Holzhacker auf die Reise, und in sechs Tagen kamen sie wieder in ihrem Königreich an, das sie so lange nicht mehr gesehen hatten. Sie fanden alle Leute wegen ihrer langen Abwesenheit in größter Sorge, denn niemand wußte, wo sie eigentlich hingekommen waren. Doch als sie erkannt wurden und sich die Nachricht von ihrer Rückkehr verbreitete, da war eine Freude im ganzen Königreich, als ob sie vom Grabe auferstanden wären.

In wenigen Tagen wurde die Hochzeit gehalten, und dabei ging es so lustig her, daß man noch in späten Zeiten von der schönen Feierlichkeit erzählte.

Und der Holzhacker? Der Holzhacker blieb am Hofe, so lang er lebte, und hatte alles, was er sich nur wünschen mochte, in Hülle und Fülle.


Quelle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Gesammelt durch die Brüder Ignaz Vinc. und Josef Zingerle, herausgegeben von Ignaz Vinc. von Zingerle. Innsbruck 1911