DER BÄRENHANSL

Eine arme Mutter wußte sich mit ihrem schwachen, armseligen Kinde nicht zu helfen und zu raten. Da nahm sie es und trug es hinaus in den Wald zu einer Höhle, in der eine Bärin hauste, warf es hinein und empfahl es dem Schütze Gottes. Dann kehrte sie weinend heim. Die Bärin fühlte aber Mitleid mit dem kleinen Kinde und hielt es wie ihre Jungen - und der Knabe erholte sich und wuchs heran. Anfangs strich er mit den Bären durch die Wälder, später aber verließ der Bursche die Wildnis und zog herab ins Tal. Er war so stark, daß er ein Schwert von 60 Kilogramm trug und dasselbe ritterlich führte. Auf seiner Wanderung kam er zu einem Kohlenbrenner, der die größten Bäume samt den Wurzeln aus der Erde riß, die Stämme mit den Händen zerstückelte und aus den so gemachten Prügeln Kohlen brannte. Als der Bärenhansl den starken Kohlenbrenner sah, sprach er zu ihm: "Kamerad, geh mit mir in die weite Welt, wir wollen dort mitsammen unser Glück machen! Sieh, ich bin auch ein Mordskerl, und wir wollen uns ordentlich durchschlagen."

Der Kohlenbrenner ließ sich dies nicht zweimal sagen, schlug ein, und beide wanderten nun weiter. Auf dem Wege kamen sie zu einem Müller, der an einer Anhöhe stand und mit seinem Atem sieben Mühlen auf einmal trieb.

Dieser paßte zu uns, dachte der Bärenhansl, ging auf den Müller zu und sprach: "Meister, Ihr seid ein tapferer Patron und zu etwas Besserem geboren, als hier Euren Atem zu verschwenden. Kommt, geht mit uns, und wir werden unser Glück in der Welt machen."

Dem Müller gefiel der Vorschlag nicht übel, und er ging mit ihnen.

Auf ihrem Wege kamen sie bald zu einem halbverfallenen Schloß, das unbewohnt war. Da beschlossen sie, einige Tage darin Rast zu halten und im nahen Wald zu jagen. Am ersten Tage ruhten alle drei aus und schliefen um die Wette. Am zweiten Tag zog der Bärenhansl mit dem Kohlenbrenner auf die Jagd, und der Müller mußte im Schloß bleiben, um zu kochen. Als dieser aber bei seiner Arbeit am Herde stand, kamen aus dem Kamin Geister herab und prügelten den verlassenen Koch derartig durch, daß er halbtot auf dem Boden liegenblieb. Bald darauf kehrten die zwei Kameraden mit großer Beute und noch größerem Hunger von ihrer Jagd zurück und fanden kein Mittagsmahl bereitet.

"Verfluchter Kerl!" schrie der Bärenhansl, "was hast du gemacht? Wir haben Hunger, daß wir die Sterne am hellichten Tage sehen, und freuten uns auf deine Mahlzeit - und nun hast du uns so arg betrogen!"

Der Müller schämte sich, die Wahrheit zu sagen und sprach: "Als ihr fort wäret, hatte ich solche Schmerzen, daß ich mich wie ein Wurm wand und nicht arbeiten konnte."

Sie stillten nun ihren Hunger mit kalten Speisen, legten sich dann zur Ruhe und schliefen die ganze Nacht tief und fest wie Murmeltiere. Am folgenden Morgen zog der Müller mit dem Bärenhansl auf die Jagd, und der Kohlenbrenner mußte im Schloß bleiben, um das Essen zu bereiten. Ihm ging es aber nicht besser als dem Müller. Denn es kamen wieder die Geister aus dem Kamin herab und prügelten den Koch, daß er wie tot niederfiel. Als die zwei Jäger nach Hause kamen, fanden sie kein Mahl bestellt, und der Kohlenbrenner beteuerte hoch und fest, daß er vor Schmerzen nicht imstande gewesen, etwas zu kochen. Dies kam dem Bärenhansl gar seltsam vor, und er dachte sich, morgen werde ich hierbleiben und dann werde ich der Sache auf den Grund kommen. Am dritten Morgen zogen der Müller und der Kohlenbrenner hinaus in den Forst, und der Bärenhansl ging in die Küche, um seine Arbeit zu verrichten. Er begann Knödel zu kochen, und als er sie in die Pfanne einkochte, fuhr plötzlich ein Geist aus dem Kamin herunter. Hansl aber kümmerte sich nicht darum und sprach: "Auch für diesen einen Knödel!" Gleich darauf kam ein zweiter Geist heruntergefahren, und Hansl sagte gleichgültig: "Auch für diesen einen Knödel!"

Als aber sogleich danach ein dritter Geist kam, wurde Hansl zornig, legte den Löffel beiseite, packte alle drei Geister und warf sie in einen Winkel, daß ihre Gebeine klapperten und sie sich nicht mehr zu rühren wagten. Dann ging er wieder an seine Arbeit und bereitete die Knödel, als ob gar nichts geschehen wäre. Als die beiden Jäger heimkehrten, lachte er sie aus und sagte: "Nun weiß ich, was eure Schmerzen zu bedeuten hatten. Seht, so kuriert man sie!" und wies auf die Geister, die noch schlotternd in der Ecke standen. Da hatten die zwei Gefährten eine noch größere Achtung vor dem Bärenhansl und seiner furchtbaren Stärke. Hansl trug ihnen aber nun die Knödel auf, und alle drei aßen, als ob sie Drescher wären. Neu gestärkt zogen sie dann weiter.

Nachdem sie lange durch den Wald gewandert waren, dachten sie daran, sich ein festes Hauswesen zu gründen und sich Frauen zu nehmen. Da war aber die Wahl schwer, denn die Mädchen, wie sie auf dieser Erde wachsen, schienen den starken Kerlen viel zu klein und zu schwach. Endlich kamen sie auf den Gedanken, sich Mädchen aus der Unterwelt heraufzuholen und diese zu heiraten. Gedacht, getan. Der Bärenhansl und der Müller ließen sich vom Kohlenbrenner in die Tiefe seilen, um für sich zwei Bräute zu suchen. Der Kohlenbrenner sollte dann den Müller und die zwei Mädchen heraufseilen und sich alsdann selbst hinunterseilen lassen, um sich in Begleitung des Bärenhansl auch eine Lebensgefährtin zu suchen. Die beiden Gesellen wanderten nun durch die Unterwelt, bis sie zwei baumstarke Mädchen fanden, die ihnen gefielen. Sie gingen dann zur Stelle, wo das Seil aus der Oberwelt herabhing. Es wurde nun das verabredete Zeichen gegeben, und der Kohlenbrenner zog zuerst die Mädchen und dann den Müller auf die Erde herauf. Als er aber die zwei Bräute sah, dachte sich der Kohlenbrenner: Ich nehme mir die Braut des Bärenhansl und lasse ihn drunten, denn käme ich in die Unterwelt hinab, so möchte mich keine zum Manne nehmen, weil ich so schwarz bin. Er besann sich nicht lange, hieb den Strick ab, und dem Bärenhansl blieb nichts anderes übrig als zu warten. Endlich ging ihm die Geduld aus und er wanderte nun in der Unterwelt herum, um einen anderen Rückweg auf die Erde zu finden. Da begegnete ihm eine alte Frau, und diese fragte ihn, was er wolle. Darauf erwiderte er: "Ich habe mich hieher verirrt und suche nun seit langem einen Weg, der zur Oberwelt führt."

"Da kann ich dir leicht helfen", antwortete die Alte. "Ich will dich hinauftragen unter der Bedingung, daß du mir genug Fleisch zu essen gibst?" Der Bärenhansl war über diesen Vorschlag seelenfroh und sprach: "Fleisch sollst du haben, soviel du willst, nur trage mich bald hinauf, daß ich die liebe Sonne wieder sehe." Er ging nun auf die Jagd und jagte zwei Tage und zwei Nächte in einem fort und machte so viel Beute, daß man zwei Wagen hätte damit volladen können. All das Wild schleppte er am dritten Tage zur Stelle hin, wo seiner die Alte wartete. Diese begann aber zu essen und aß, bis sie satt war. Dann sprach sie: "Das Fleisch, das noch übrig ist, nimm mit auf die Reise, und nun hock auf."

Der Hansl nahm das Fleisch, schwang sich auf den Rücken der Alten, und diese trug ihn empor, bis sie auf die Oberwelt kamen. Da stürzte das alte Weib pfeilschnell in die Tiefe, und Hansl hüpfte vor Freude hoch auf, als er wieder auf der Erde war. Er suchte nun den Kohlenbrenner, den er jedoch nirgends finden konnte. Dagegen traf er bald den Müller und die zwei unterirdischen Mädchen. Sie hielten nun zugleich ihre Hochzeit, bei der mehr gegessen wurde als sonst jemals bei einem Brautessen. Beide Paare bekamen viele Kinder, und diese alle waren Riesen; denn alle Riesen, die jemals auf Erden waren, stammten von diesen zwei Paaren ab.


Quelle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Gesammelt durch die Brüder Ignaz Vinc. und Josef Zingerle, herausgegeben von Ignaz Vinc. von Zingerle. Innsbruck 1911