DER REICHE GRAFENSOHN

Als ein reicher Grafensohn ein stattlicher junger Mann geworden war, wollten seine Eltern, daß er sich verheiraten sollte. Die Mutter sprach ihm morgens und abends zu, er sollte sich eine schöne Braut und ihr eine Tochter holen; allein alles Reden und Mahnen war vergebens. Der gute Grafensohn hatte sich ein für allemal in den Kopf gesetzt, keine Braut, die von einer Mutter geboren worden, heimzuführen, und eine andere, wie er sie wollte, konnte er nicht finden. Er wollte sich dennoch eine solche suchen, ließ sich das Roß satteln, nahm von den traurigen Eltern Abschied und ritt in die Fremde.

Er war schon lange, sehr lange geritten und hatte die erwünschte Braut noch nicht finden können, da kam er zu einer Wegkreuzung. Und wo sich die Wege teilten, da stand ein altes, altes Weiblein, krumm und klein und gebückt, und das hatte nur mehr einen Zahn im Munde und seine Augenwimpern waren gar so lang. Der reiche Grafensohn fragte das betagte Weiblein, wohin diese zwei Wege führten; da hatte er schreien müssen, denn das alte Weibchen war vor Alter fast taub, und dann erzählte er ihr auf ihre Frage auch sein Vorhaben. - Sie nickte und wackelte dazu beifällig mit dem grauen Kopfe und wies mit dem Haselstecken auf den Weg, der rechts führte, und zugleich fing sie mit kreischender Stimme an, so daß er sie nur schwer verstehen konnte: "Schmucker Knabe, geh den Weg und du wirst ein großes, großes Haus finden; in das geh, schmucker Knabe, hinein, und hinter der Tür wirst du einen Kehrbesen finden. Diesen nimm und kehre die Stiege, und hast du die Stiege gekehrt, dann wirst du zu einem großen Löwen kommen, schmucker Knabe, und der hält einen goldenen Schlüssel in seinem Rachen. Den Schlüssel mußt du mit Gewalt dem Löwen aus dem Rachen reißen und damit die Zimmertür, vor der er steht, aufsperren; dann wirst du in ein prächtiges Zimmer kommen und wieder zu einem Löwen mit einem Schlüssel, der vor einer Tür steht. Und diesen Löwen mußt du, schmucker Knabe, erlegen und ihm wieder den Schlüssel nehmen, und mit diesem mußt du die andere Tür aufschließen, und dann kommst du in die Küche, und in der Küche wirst du drei schöne, rotgelbe Pomeranzen und ein Messer mit einem Griff aus Ebenholz finden. Nimm dann das Messer und schneide eine der drei Pomeranzen auf, und es wird ein wunderschönes Fräulein herauskommen. Du mußt aber damit gleich zu dem frischen Brunnen, der vor dem Haustor unter den zwei Linden steht, eilen und deine Braut unter das Wasser halten, denn sonst wird sie gleich zusammenwelken und sterben."

Der reiche Grafensohn nahm sich die Worte zu Herzen, ritt in den kühlen, dunklen Wald hinein und kam immer tiefer und tiefer, bis er plötzlich vor einem großen Schloß stand, das aus weißem Marmor erbaut war. Er trat durch das schöne Portal ein und fand hinter der Haustür den Besen, und diesen nahm er und vollzog den Auftrag der geheimnisvollen Wegweiserin. Als er dies getan hatte, kam er zum Löwen, und diesem nahm er den goldenen Schlüssel aus dem Rachen, sperrte die ebenholzene Saaltür auf und durchschritt den weiten Saal, bis er zum zweiten Löwen kam, der wieder einen goldenen, noch schöneren Schlüssel im Rachen hielt. Er erlegte diesen Wächter, nahm ihm den Schlüssel aus dem Rachen, öffnete damit die anstoßende Tür und kam in die Küche, wo er das Messer und drei wunderschöne Pomeranzen fand; die waren so gelb wie das reinste Gold und glänzten wie die Sonne. Er wagte es kaum, die wunderschönen Früchte anzugreifen, denn sie waren gar zu glänzend. Endlich ermannte er sich doch und griff nach der nächsten und ersten Pomeranze und nach dem blanken Messer und schnitt den goldenen Apfel entzwei; denn er hatte sich den Rat des alten Weibleins wohl gemerkt. Aber kaum hatte er die obere Hälfte der Schale abgelöst, als ein wunderschönes Mädchen vor ihm in der untern Hälfte der Pomeranze, die er in den Händen hielt, stand, und es war so schön wie der Tag, und seine Augen so blau wie der heitere Himmel im Sommer. Dem reichen Grafensohn war es gar wunderlich ums Herz, und er vergaß die Mahnung des alten Mütterchens ganz und gar und schaute und schaute nur die schöne Jungfrau an und dachte nicht an den Brunnen. Wie er so dastand, da welkte das schöne Bild zusammen, und die Jungfrau starb vor seinen Blicken.

Warte nur, mit der zweiten will ich es gescheiter machen, dachte sich der reiche Grafensohn, nahm die zweite Pomeranze und das blanke Messer und stieg die weiße Marmorstiege hinab in den Hof. Als er bei dem Brunnen unter den zwei Linden angelangt war, schnitt er die goldene Frucht entzwei, und, es blendete ihm fast die Augen, eine Jungfrau stand vor ihm, so schön, wie die Sonne noch nie eine beschienen hat. Er hielt die schöne Gestalt unter den Strahl des Wassers, und sie wurde immer größer und größer, so daß seine Hände sie nicht mehr halten konnten und sie auf den Boden stellte und endlich so groß war wie der reiche Grafensohn. Da nahm er sie bei den weißen Armen und führte sie in das weiße Marmorhaus und hieß sie dort bleiben, bis er wieder mit Roß und Wagen kommen würde, und dann nahm er von der schönen Jungfrau Abschied, küßte sie und ritt weiter zu seinen Eltern, um von ihnen Roß und Wagen zu holen. Die schöne Pomeranzenjungfrau aber wohnte nun allein im Palast und mußte sich selbst das Wasser holen und das Essen bereiten und hatte so ganz allein wohl oft Langeweile.

Neben dem großen, schönen Marmorhaus stand aber auch ein kleines Häuschen, und in dem wohnte eine Hexe mit ihren zwei Töchtern. Diese sahen die schöne Jungfrau öfters zum Brunnen unter den Linden gehen und kamen auch zu ihr herauf und fragten und forschten, und das Pomeranzenkind war noch unschuldig, kindlich und einfältig und erzählte ihnen alles unverhohlen, gerade wie es Kinder tun.

"Komm mit uns", sagte einmal die ältere der beiden Hexentöchter, "die Mutter hat Kuchen gebacken und die sind sehr gut." - Das arglose Kind ließ sich bereden und ging mit den beiden Schwestern. Sie spielten allerlei Spiele, und da sollte das Mädchen einmal Königin werden und ein neues Kleid erhalten, und wie es so dasaß, da stach es eine der beiden Schwestern mit einer Nadel; das war eine Zaubernadel, und das arme Kind ward in eine Taube verwandelt. - Eine der zwei häßlichen Schwestern ging nun in das große Haus hinüber und wartete, bis endlich der Bräutigam nahte. Dieser kam angefahren, staunte aber nicht wenig, als er anstatt seiner schönen Braut die garstige Hexentochter fand. Allein diese wußte allerlei Ausreden, und er wollte sein gegebenes Versprechen halten und meinte, ihn könnten doch nur die Augen täuschen, und nahm also die garstige Braut zu sich in den Wagen und fuhr damit fort.

Während sie auf dem Wege waren, kam der alten Hexe die Taube aus und flog dem Wagen nach und schlug die weißen Flügelchen, daß es schwirrte, und der reiche Grafensohn hatte Mitleid mit dem armen Tierchen und streckte die Hand aus, um es hereinzuholen. Allein seine Braut war darüber sehr böse, denn sie kannte das Tierchen. Der reiche Grafensohn hatte aber Erbarmen und ließ es sich nicht nehmen, sondern nahm das Täubchen herein, hielt es auf seinem Schoß und streichelte es, daß es zu girren anfing. - Und wie er es so streichelte und das Täubchen ihn mit seinen schwarzen, klugen Äuglein anblickte, fühlte er eine Nadel auf dem Kopf des Tieres, und er zog sie voll Mitleid heraus, und die schöne Braut stand wiederum vor ihm in dem Wagen. Da freute sich der reiche Grafensohn und hatte sie noch einmal so lieb; die böse, garstige Hexentochter warf er aber hinaus, daß sie beide Beine brach. Das Brautpaar fuhr nun voll Freude nach Hause, und die alten Eltern freuten sich mit ihrem Sohn, und es gab eine stattliche Hochzeit.


Quelle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Gesammelt durch die Brüder Ignaz Vinc. und Josef Zingerle, herausgegeben von Ignaz Vinc. von Zingerle. Innsbruck 1911