Das Totenköpflein.
Das Totenköpflein, www.SAGEN.at

Das Totenköpflein
Zeichnung von August Wagner, Schwaz

Es war einmal ein braves Mädchen, das eine böse Stiefmutter hatte. Diese jagte das arme Kind aus dem Hause mit den Worten: "Wenn du mir noch einmal unter die Augen kommst, schlag ich dich krumm." Da lief das Mädchen weit, weit weg und kam in einen großen, dunklen Wald. Als die Nacht kam und es finster wurde, war das gute Kind ganz ermattet und glaubte schon, unter den milden Tieren im Freien übernachten zu müssen. Allein plötzlich sah es ein Licht in der Ferne schimmern und ging ihm zu. Da kam es bald zu einem schönen Schlosse und läutete an. Alsogleich sah ein Totenköpflein zum Fenster herab und fragte nach dem Begehren des Kindes. Das sprach: "Ich bitte um Einlaß und Nachtherberge, damit mich nicht die Wölfe hier außen fressen." Da rief das Totenköpflein: "Wenn du mich herausträgst, will ich schon hinabkommen und die Türe öffnen. Denn heraufgehen kann ich nicht, weil ich kugeln muß." Das Kind versprach es und das Totenköpflein kugelte über die Stiege hinunter und machte auf. Das Mädchen nahm das Köpflein in die Schürze und trug es ins Schloß hinauf. Da sprach das Köpflein: "Stell mich nun auf den Tisch und geh in die Küche, mir eine Eierspeise zu kochen: Eier und Mehl gibt es genug." Das Kind folgte, ging in die Küche und begann zu kochen. Während dieser Arbeit fielen Totenbeine aus dem Kamin herunter. Das Mädchen ließ sich nicht irremachen, kochte die Speise fertig und trug sie ins Zimmer des Totenköpfleins. Als die Eierspeise auf den Tisch gestellt war, wurde sie auf der Seite des Totenköpfleins kohlschwarz, auf der Seite des Mädchens blieb sie schön gelb. Nach dem Essen sagte das Kopflein: "Jetzt kannst du schlafen gehen. Um Mitternacht wird ein Totengerippe kommen und dich aus dem Bette reißen wollen. Wenn du dich aber nicht fürchtest, kann es dich nicht herausbringen." Das Mädchen ging in die Kammer und legte sich ins Bett. Schlag 12 Uhr kam ein Gerippe und wollte das Kind mit allen Kräften aus dem Bette werfen, konnte es aber nicht zustande bringen. Da ging das Gerippe wieder fort und das Mädchen konnte ungestört schlafen. Als das Kind erwachte, stand das Totenköpflein als schneeweiße Jungfrau vor dem Bette und sprach: "Gott vergelte es dir, daß du mich erlöst hast! Zum Danke gehört dir mein Schloß mit allem, was darin ist." Mit diesen Worten flog der Geist als weiße Taube davon. Das Mädchen war reich für sein Lebtag und lebte im Waldschlosse wie eine Gräfin.

Quelle: Schwazer Sagen und Volksmärchen, mitgeteilt von Alois Prantauer, in: Tiroler Heimatblätter, 9. Jahrgang, 1931, Heft 10, Oktober 1931, S. 348.