Kugerl
Beim Sandhügel droben hauste vor langer Zeit ein Wichtlein.
Es war kaum drei Spannen groß und lief immer nur im Hemd umher,
so daß sich die Leute oft darüber ärgerten. Sonst legte
aber das Zwerglein den Menschen nichts in den Weg, sondern tat ihnen manchen
Dienst. Es hackte ihnen Streu, hütete die Kühe und half bei
Arbeiten zu Hause und auf dem Feld. Auch gab er den Kranken heilsame Kräuter
und rettete manches Kind vor dem Tod.
Einmal wurde eine schöne Bauernmagd von einem Stier gestoßen,
und sie erhob darob ein großes Geschrei und rief um Hilfe. Da kam
alsbald das freundliche Wichtlein herbei, tröstete sie und versprach
ihr Hilfe und Rettung, wenn sie seine Braut werden und mit ihm in das
Wichtleinreich kommen wolle. Da blieb ihr keine Wahl, sie sagte ja, und
auf diese Zusage wurde sie vom Wichtlein gerettet. Sie hätte nun
mit dem Zwerglein in den Berg kommen sollen, allein dazu hatte sie gar
keine Lust. Sie bat deshalb das Wichtlein, es möchte sie doch loslassen,
und versprach ihm dafür ein schönes, rotes Röcklein. Da
sprach das Zwerglein: "Rotes Röcklein entbehr' ich leicht. Wenn
du aber meinen Namen binnen dreier Tage errätst, sollst du deines
Versprechens frei und ledig sein."
Das Mädchen war mit diesem Bescheid zufrieden und ging nach Hause.
Es dachte nun die ganze Nacht über den Namen des Zwergleins nach,
konnte ihn aber nicht finden. Am folgenden Tag ging die Magd hinauf zum
Sandhügel, wo sich das Wichtlein aufhielt. Da sagte sie allerlei
Namen her, allein keiner war der richtige, und das Zwerglein sagte: "Geh
nun nach Hause und denk besser nach."
Die Magd kehrte heim und dachte Tag und Nacht daran, wie etwa das Männlein
heiße. Am folgenden Tag ging sie wieder hinauf zum Sandhügel,
wo sie das Zwerglein fand. Dann sagte sie viele, viele Namen, doch keiner
war der wahre.
Das Zwerglein sprach: "Geh nach Hause und denk besser nach, sonst
bist du morgen mein Weib."
Da ließ die Magd ihr Köpfchen hängen und kehrte traurig
und betrübt heim. Sie hatte die Hoffnung, den Namen des Zwergleins
je zu erraten, aufgegeben.
Doch wo die Not am höchsten, ist die Hilfe am nächsten. Ein
Bauernbursche arbeitete auf dem Feld nahe bei dem Sandhügel und legte
sich, als die Mittagstunde da war, hinters Gesträuch, um sich auszuruhen.
Da kam das Wichtlein, das niemanden in der Nähe wähnte, aus
seinem Erdloch heraus, patschte in die Hände und tanzte im Hemdchen
herum. Dabei sang es gar lustig:
"Gott sei Lob und Dank,
Daß meine Braut nicht weiß,
Daß ich Kugerl heiß."
Dann hüpfte es auf, juchzte und sang von neuem:
"Gott sei Lob und Dank,
Daß meine Braut nicht weiß,
Daß ich Kugerl heiß."
Dem Bauernburschen gefiel dieses Treiben des Zwergleins, und als er abends
in das Haus der Magd zum Heimgart kam, erzählte er lachend, was er
heute auf der Wiese beim Sandhügel gesehen und gehört hatte.
Da war die Magd über die Maßen froh und hatte keine Angst und
Sorge mehr. Am folgenden Tag ging sie frühmorgens zum Sandhügel
hinauf und nahm auch ein rotes Röcklein für das Zwerglein mit,
denn sie wollte ihm für ihre Rettung doch etwas geben. Als das winzige
Männlein sie kommen sah, hatte es die größte Freude und
fragte: "Jetzt sag mir, wie ich heiße!"
Die Magd sprach: "Putzli."
Da lachte das Zwerglein und fragte noch einmal.
Die Magd sagte: "Rudi."
Da lachte das Wichtlein, daß es zitterte, und sprach: "Rat
noch einmal!"
Da erwiderte das Mädchen: "Heißt du etwa Kugerl?"
und gab ihm das rote Röcklein.
Da fing das Zwerglein an zu weinen und zu jammern und ging mit dem Röcklein
in den Wald hinaus. Seit jener Stunde ließ es sich nie mehr sehen,
und niemand weiß, wohin es gekommen ist.
(mündlich in Höttingen)
Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854