Der blinde Metzger

Vor vielen Jahren lebte einmal ein Metzger, Hans mit Namen. Der war aber schon so alt, daß er blind geworden war und deshalb sein Geschäft aufgegeben hatte. Zu arbeiten hatte er aber auch gar nicht mehr nötig, denn er hatte sich ein hübsches Sümmchen erspart und lebte nun mit seiner Frau in Ruhe.

Da hörte er eines Tages, daß in einem nicht fernen Dorf ein großer Markt sei, und es stieg in ihm die alte Liebe auf, auch auf den Markt zu gehen und ein bißchen zu schachern. Er steckte deshalb einige Zwanziger in die Tasche und marschierte, seinen alten Haselstock in der Hand, auf den Markt. Als die anderen Metzger den Hans zwischen den Kühen und Ochsen herumtappen sahen, wollten sie sich einen Spaß machen und redeten untereinander ab, den Blinden jetzt einmal recht anzuführen. Sie wünschten ihm freundlich einen guten Morgen und fragten, was er denn auf dem Markt eigentlich wolle. Auf seine Antwort, daß er gerne eine große, junge, schöne Kuh kaufen möchte, führten sie ihm eine recht schöne Kuh zu, und sie wurden wegen des Preises bald handelseins. Nachdem er das verlangte Geld auf den Tisch gezählt hatte, nahm er den Strick, woran die Kuh gebunden war, in die Hand und kehrte langsam nach Hause zurück. Die Metzger aber hatten jetzt statt der Kuh einen Bock an den Strick gebunden und lachten sich satt, als der Hans, ohne den Betrug zu merken, mit dem Bock nach Hause ging. Dort angekommen, rief er sogleich sein Weib heraus, um die schöne Kuh anzusehen.

"Glaubst du, ich lass' mich foppen, daß ich einen Bock für eine Kuh anschauen soll", sagte aber diese.

"Zum Teufel", sagte Hans, "was sprichst du denn von einem Bock! Es ist ja die schönste Kuh, die ich gekauft habe."

Er griff sogleich nach deren Rücken; da faßte er aber den Bock bei den Hörnern, der, über diese sonderbare Berührung aufgebracht, den Hans bald über den Haufen geworfen hätte. Jetzt merkte er wohl, daß man ihn betrogen hatte, beschloß aber, sich für diesen Streich an den Metzgern zu rächen, koste es, was es wolle.

Er steckte eine schöne Rolle Taler zu sich und ging augenblicklich wieder in das Dorf, wo der Markt gehalten wurde. Er setzte sich aber diesmal ein altes Hütl auf, das mit den sonderbarsten Figuren und Zeichen verziert und ein altes Erbstück seines Vaters war.

Im Dorf angekommen, ging er schnell zu drei Wirten und gab einem jeden ein hübsches Sümmchen Kronentaler und sagte, er werde mit einigen Metzgern kommen und das Geld verhauen; wenn das Geld verzehrt sei, so sollte man ihn heimlich stoßen; er werde dann sein Hütl herumdrehen und fragen: "Was bin ich schuldig?", und der Wirt dürfe bloß sagen: "Ist schon bezahlt!", weiter nichts. Dies ließen sich die Wirte nicht zweimal sagen.

Hierauf suchte er die Metzger auf, und wie er sie gefunden hatte, fragte er sie, ob sie nicht eine Halbe wollten. Sie erklärten sich sogleich bereit dazu und gingen mit ihm ins Wirtshaus. Da wurde gegessen und getrunken, als wenn Kirchtag gewesen wäre. Endlich stieß der Wirt ganz heimlich den Hans und bedeutete ihm, daß das Geld zu Ende sei. Da fragte Hans die Metzger, ob sie nicht aufbrechen wollten; und da sie sich dazu bereit erklärten, drehte er dreimal sein Hütl herum und fragte: "Herr Wirt, was bin ich schuldig?"

"Ist alles bezahlt!" war die Antwort.

Die Metzger staunten.

"Wenn das so steht", sagte Hans, "so gehen wir in ein anderes Wirtshaus, denn ich hab' versprochen, auch eine Halbe zu zahlen."

Hier und im dritten Wirtshaus wiederholte sich das nämliche.

Da wurden die Metzger endlich auf das Hütl aufmerksam und fragten, ob dieses eine solche Kraft besitze. Auf seine Bejahung baten sie ihn, es ihnen um 600 Gulden zu überlassen; denn er als alter Mann brauche es doch nicht mehr so nötig.

"Weil ihr meine guten Freunde seid", meinte Hans, "ich aber schon alt und blind bin, so will ich euch das Hütl um 600 Gulden geben."

Sie zahlten ihm voller Freude die 600 Gulden, und Hans schlich sich ganz still und eilig nach Hause, wo er mit seiner Frau über die Betrogenen nach Herzenslust lachte.

Die Metzger ließen nun ihre Weiber und Kinder kommen, gingen ins Wirtshaus und ließen sich alles wohlschmecken bis tief in die Nacht hinein. Endlich wollten sie doch nach Hause gehen; deshalb setzte einer das Hütl auf, drehte es dreimal herum und fragte: "Herr Wirt, was bin ich schuldig?"

"Werde gleich zusammenrechnen", war die Antwort.

Da machten alle große Augen. Es setzte ein zweiter, ein dritter das Hütl auf, sie drehten es bald nach rechts, bald nach links und fragten immer, aber allzeit hieß es, man werde gleich zusammenrechnen, niemals aber, es ist schon bezahlt. Da mußten sie denn siebzig Gulden für die Zeche bezahlen. Jetzt sahen sie wohl, daß diesmal sie die Betrogenen waren, zahlten mit verhaltenem Zorn die Zeche und machten sich dann unter Fluchen und Schelten gegen morgen auf, um sich an dem blinden Hans zu rächen.

Dieser saß indessen mit seiner Frau beim Frühstück. Wie er die Metzger daherkommen hörte, befahl er ihr, über ihn ein Leintuch auszubreiten, einige Lichter anzuzünden, sich die Haare zu zerraufen und zu jammern und zu klagen, als wäre er in dieser Nacht gestorben. Wenn die Metzger kämen, so sollte sie dann einen davon bitten, daß er mit einem alten Stock, der im Kasten war, ganz leicht dreimal auf ihn klopfe, damit er vielleicht noch lebendig würde.

Sie tat, wie ihr befohlen war. Die Metzger hörten sie von weitem schon heulen und schreien, wußten aber gar nicht, was das bedeute. Wie sie näher kamen, sahen sie das Weib wie rasend im Haus herumlaufen, und fragten sie um die Ursache. Sie sagte zuerst gar nichts und führte sie bloß in die Stube, wo der Hans zwischen den brennenden Kerzen unter dem Tuch ganz mäuschenstill lag; bald aber bat sie einen von den Metzgern, indem sie den alten Stock mit den sonderbaren Figuren aus dem Kasten nahm, er möchte doch mit diesem dreimal ganz gelinde auf den Hans schlagen, vielleicht könnte er noch ins Leben zurückgebracht werden; denn es sei dies ein alter Zauberstab. Da sie sich so erbärmlich gebärdete, daß sich darüber hätte ein Stein erbarmen müssen, da fühlten auch sie Mitleid mit der armen Frau, und einer von ihnen ergriff den Stab und schlug dreimal ganz gelinde auf den armen Hans. Kaum war dies geschehen, so regte sich Hans unter der Decke, erhob sich langsam von der Bank, rieb sich die Augen, als wäre er aus einem tiefen Schlaf erwacht, und fragte, wo er denn wäre. Allmählich zu sich gebracht, erzählte er den Metzgern seltsame Sachen, die er im Jenseits gesehen und gehört hatte.

Die Metzger hatten jetzt all ihren Groll und Zorn verloren und baten ihn, ihnen doch den Stock zu geben. Hans gab ihnen diesen für den wichtigen Dienst, den sie ihm geleistet hätten, und dazu mußten sie ihm noch 800 Gulden auszahlen, was sie mit Freuden taten, denn sie hofften, sich damit bald was zu verdienen. Sie gingen gar nicht mehr nach Hause, sondern geradezu in die Residenzstadt, denn dort meinten sie mit ihrem Zauberstab Wunder zu wirken und bei den reichen Familien Millionen zu verdienen. Wie sie in der Residenz ankamen, war die ganze Stadt in größter Trauer; denn des Königs einziges, inniggeliebtes Töchterlein war gestorben. Da ließen die Metzger dem König melden, sie seien imstande, seine Tochter ins Leben zurückzurufen. Der König ließ sie sogleich rufen und zum Bett führen, auf dem die Prinzessin in schneeweißem Kleid lag. Alle Zuschauer wurden nun entfernt, und der älteste der Metzger ergriff den Zauberstab.

Er schlug ganz sanft dreimal auf den Leichnam, aber dieser blieb leblos wie zuvor; da ergriff der zweite und nach diesem der dritte den Stock, aber keiner brachte die Prinzessin ins Leben zurück. Jetzt schlug bald der eine, bald der andere, bald stärker, bald schwächer, bis der König merkte, daß sie bloß Betrüger seien, weshalb er sie ins Gefängnis abführen ließ, wo sie etliche Wochen nachdenken konnten, wie sie sich an Hans für den neuen Betrug rächen wollten.

Aus dem Gefängnis entlassen und vor Rache dürstend überfielen sie heimlich in der Nacht das Haus, nahmen den Hans gefangen und banden ihn in einen großen Sack, um ihn in einen Fluß zu werfen. Um dem Hans die Todesängste recht fühlen zu lassen, ließen sie den Sack, worin er sich befand, auf der Brücke des Flusses stehen und gingen auf einige Zeit ins Wirtshaus, um dort ihre Hitze ein wenig abzukühlen.

Unterdessen schrie Hans im Sack in einem fort: "I will nit, i mag nit."

Wie er so schrie, kam ein Sautreiber mit einer großen Schweineherde über die Brücke und fragte: "Was willst du nit?"

"Ja", sagte Hans, "i soll die Königstochter heiraten, und das mag i nit."

"I möcht schoan", meinte der Sautreiber.

"Dann mußt du mi auslassen und dich in den Sack einbinden lassen."

Der Sautreiber war damit einverstanden, öffnete den Sack, ließ den Hans heraus, schenkte ihm die ganze Schweineherde, ließ sich in den Sack hineinbinden und schrie in einem fort: "I will schoan, i mag schoan", während Hans nichts Eiligeres zu tun hatte, als die Schweine nach Hause zu treiben.

Wie die Metzger aus dem Wirtshaus kamen und den im Sack schreien hörten: "I will schoan, i mag schoan", lachten sie hellauf und sagten: "Du magst wollen oder nicht, du mußt", hoben den Sack vom Boden auf und warfen ihn über das Geländer in den Fluß, der ihn sogleich davontrug. "Jetzt hat der Kerl seinen Lohn", sagten sie zueinander, "jetzt hat er Feiertag mit seinem Foppen."

Hans aber hütete unterdessen ganz wohlgemut seine Schweineherde.

Als nun nach einigen Tagen wieder ein Metzger an Hansens Haus vorbeiging und im Anger die große Schweineherde, den Hans selbst aber vor der Tür sich sonnen sah, da wußte er gar nicht, wie das zugehe, und fragte deshalb den Hans, ob er denn nicht im Wasser ertrunken sei.

"Gar nicht", erwiderte der Gefragte, "sondern ich wurde lange fortgetragen, bis endlich der Sack aufging und ich mich an einem Ort befand, wo sich sehr viele Schweine befanden, aber keine Menschen, und damit ich den Weg dahin nicht umsonst gemacht hätte, trieb ich einige Schweine mit mir."

Der Metzger blieb nicht lange beim Hans, sondern eilte zu seinen Genossen und erzählte ihnen, wie sie wider ihren Willen dem Hans zu einem so großen Glück verholfen hätten. "Da müssen wir schon auch nach dieser Gegend hin, um Schweine zu holen, und mit diesen einen großen, profitablen Handel anfangen", meinten sie.

Gesagt, getan; sie legten ihre bessere Kleidung an und machten sich sogleich auf den Weg, schnurgerade auf den Fluß zu. Auf dem Weg machten sie aus, daß derjenige, der zuerst hineinspringen würde, den andern zurufen solle: "Kummt", wenn nämlich das Wasser nicht gar zu tief wäre. Wie sie auf der Brücke angekommen waren, sprang einer ganz beherzt ins Wasser, so daß ein lautes Plump erhallte. Die andern glaubten, er rufe "kummt!" und sprangen insgesamt nach, schluckten aber zuviel Wasser und ertranken.

Hans hatte aber seit dieser Zeit vor ihnen Ruhe, und er konnte ganz gemächlich seine Schweinlein verzehren, wovon er gar fett wurde.

(mündlich im Zillertal)

Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854