603. Die drei Proben

Ein Ritter, welcher ein kühner Jäger war, hatte seinem Jägerburschen die strenge Weisung erteilt, den Hunden ihr Futter nie in der Pfanne, sondern in ihrer Schüssel vorzusetzen. Einmal aber kam der Ritter

gerade dazu, wie die Hunde aus der Pfanne fraßen. Voll Zorn über diesen Ungehorsam entließ der gestrenge Schloßherr den Burschen sofort aus dem Dienst; erst wenn er ein Handwerk gelernt habe, könne er wieder kommen. Nach kurzer Zeit meldete sich der Jägerbursche wieder beim Ritter. „Was hast Du gelernt?" fragte ihn dieser. „Stehlen, Herr Ritter!" war die Antwort. „Wollen sehen", sagte der Ritter; „ich fordere von Dir drei Proben, ob Du Dein Handwerk auch wirklich verstehst. Die erste lautet: Du mußt diese Nacht mein Leibroß aus dem Stalle führen, ohne daß es jemand bemerkt, und am Morgen muß es vor dem Schloßtor stehen. Als zweite Probe mußt Du mir vom Dorf herauf den Pfarrer und den Mesner, jeden in einem Sack, aufs Schloß bringen. Die dritte Probe ist, daß Du mir den Ehering meiner Gemahlin überreichst. Führst Du diese drei Proben zu meiner Zufriedenheit aus, dann alle Anerkennung, da kannst Du meine Tochter zur Frau haben."

Der Jägerbursche, voll Freude, daß er nun Aussicht hatte, das schöne Ritterfräulein zur Frau zu bekommen, ging und machte sich sogleich an die Ausführung der drei Proben. Er verkleidete sich als Bettler und stieg bei Einbruch der Nacht zum Schloß hinauf, wo er um ein Heulager im Pferdestall bat, welches ihm auch, da man ihn nicht erkannte, gewährt wurde. Als er den Pferdestall betrat, sah er, daß auf des Ritters Leibroß ein Reiter saß. „Was sitzt Ihr denn da im Stall auf einem Pferd oben?" redete er diesen an. Der Reiter antwortete, das sei des Ritters Leibroß, und damit es nicht heute nacht unbemerkt aus dem Stall geführt werde, müsse er bis am Morgen darauf sitzen. In der Nacht zog der vermeintliche Bettler aus der Tasche seines zerlumpten Rockes eine Schnapsflasche hervor, welche aber einen starken Schlaftrunk enthielt, tat als ob er daraus trinke und bot sie dann dem Reiter an. Dieser nahm erfreut die Flasche und tat einen guten Zug aus ihr. Alsbald machte sich die Wirkung des Trankes geltend und der Mann versank in einen tiefen Schlaf. Nun befestigte der Bettler den Sattel, auf dem der Reiter saß, mit Stricken an der Stalldecke, so daß er ihm das Pferd unter demselben wegnehmen konnte und der Reiter auf seinem Sattel in der Luft schwebte. Dann führte er das Roß aus dem Stall und band es vor dem Schloßtor an, wo es in der Früh der erstaunte Ritter vorfand. Nun ging's an die zweite Probe. Der Jägerbursche ging zu einem Teich und fing eine Anzahl Frösche. Als es dunkelte, ging er mit zwei Säcken und den Fröschen auf den Friedhof, klebte jedem ein Wachskerzlein auf den Rücken, zündete es an und ließ einen nach dem ändern laufen. Jetzt weckte der Bursche den Pfarrer und den Mesner, sie sollten doch schleunig auf den Friedhof kommen, da würden sie etwas sehen. Die beiden gingen sogleich mit ihm und waren sprachlos vor Erstaunen, als sie die Lichtlein auf den Gräbern herumhüpfen sahen. Diese Lichtlein, sagte der Jägerbursche zum Pfarrer, seien arme Seelen, die er als frommer Priester erlöst habe, und er selbst sei ein Abgesandter Gottes, welcher den Auftrag habe, ihn und den Mesner in den Himmel zu holen, sie brauchten nur in die mitgebrachten Säcke zu schliefen. Die beiden befolgten die Weisung, und der Bursche nahm den Sack, in welchem sich der Pfarrer befand, auf den Rücken, während er den Sack mit dem Mesner nachzog. Bald wurde ihm aber der Pfarrer zu schwer und er mußte auch ihn im Sack nachziehen. Jetzt jammerte der Pfarrer über den rauhen, steinigen Weg, worauf der Bursche sagte, er habe ja selbst oft gepredigt, daß der Weg in den Himmel rauh sei. Endlich kam der Jägerbursche mit den beiden auf dem Schlosse an und meldete dem Ritter, daß er nun auch die zweite Probe ausgeführt habe. Darauf entfernte sich der Bursche wieder und rüstete sich zur dritten und letzten Probe. Er verfertigte heimlich einen Strohmann und in der Nacht schlich er mit demselben zum Schloß hinauf. Dort lehnte er eine Leiter unter einem Fenster des Schlafgemaches des Ritters und seiner Gemahlin an die Mauer und stellte den Strohmann hinauf, so daß der Kopf desselben von innen sichtbar war. Alsbald wurde der Ritter des Kopfes vor dem Fenster gewahr und glaubte, es sei der Jägerbursche, welcher von dort ins Zimmer gelangen wollte, um seiner Frau den Ehering wegzunehmen. Sofort stürmte der Ritter hinaus, um dem Burschen das Handwerk zu legen und ihm einen Denkzettel zu geben. Kaum hatte jedoch der Ritter das Schlafgemach verlassen, trat der Bursche, welcher sich in der Nähe versteckt hatte, in dasselbe ein und sagte zur Schloßfrau, indem er die Stimme des Ritters annahm, sie solle ihm den Ehering geben. Da die Burgherrin in der Dunkelheit glaubte, ihr Gemahl spreche zu ihr und verlange den Ring, streifte sie ihn vom Finger und reichte ihn dem vermeintlichen Eheherrn, worauf sich dieser mit seiner Beute schleunig davonmachte. Am Morgen brachte der Jägerbursche dem Ritter auch den Ehering seiner Gemahlin und hatte somit die drei Proben glänzend bestanden. Bald auch wurde die Hochzeit des Ritterfräuleins mit dem Jägerburschen mit großem Pomp gefeiert.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 603, S. 336ff