DIE EWIGE GEIGE


Ein armer Handwerksbursch, der Arbeit suchte, wanderte von Ort zu Ort. Er trug in seinem Ranzen nur ein Stück kaltes Fleisch und ein hartes Laiblein Brot. Heiß brannte die Sonne vom Himmel und machte ihn müd. Als er gegen Mittag in einen großen Wald kam, setzte er sich unter einen hohen Tannenbaum und aß das Fleisch und das Brot.

Da kam auf einmal ein Mann daher, dem der Hunger schon aus den Augen sah. Es war Unser Herr Jesus, der damals oft unerkannt auf Erden wandelte. Er trat zu dem Handwerksburschen und bat um ein wenig Fleisch und Brot.

"Setz dich nur zu mir und iß mit!" rief der Bursche. "Ist es auch nicht viel, was ich habe, so reicht es doch für uns beide."

Dies freute Unsern Herrn, er ließ sich unter der Tanne nieder und griff zu. Als er satt war, stand er auf, bedankte sich für den Imbiß und sagte: "Weißt du, mit wem du jetzt gegessen hast?"

Da sagte der Bursche: "Ich weiß nur, daß du ein armer Mann bist!"

Aber der Heiland sprach: "Ich bin Christus, der Herr, und bin auf der Reise."

Dem Burschen fuhr der Schreck in die Glieder, und er begann zu stammeln.

Doch Unser Herr sah ihm liebevoll in die Augen und sagte: "Wünsche dir, was du willst, aber wünsche dir nichts, was dir Unglück bringen kann."

Da meinte der Bursche: "Ich hätte gern eine Zaubergeige, die alle Leute zum Tanzen zwingt, wenn ich auf ihr spiele."

"Weißt du denn nichts anderes? Überlege nur!" entgegnete der Heiland.

Jedoch der Bursche beharrte auf seinem Wunsch, denn er meinte, eine Fiedel könnte ihm niemals Unglück bringen.

Da sagte Unser Herr: "Weil du darauf bestehst, so sei dein Wunsch erfüllt. Hier, nimm diese Geige, aber spiele niemals zu lange darauf!"

Und schon hielt der Bursche eine Fiedel in der Hand und freute sich über alle Maßen. Während er sie aber noch bewunderte, war der Heiland verschwunden.

Der Handwerksbursche ging weiter und kam am Abend in eine Dorfschenke, in welcher viele Gäste saßen und sich an Speise und Trank gütlich taten. Der Bursche setzte sich still und bescheiden an einen Tisch in der Ecke. Er ließ nicht viel für sich auftragen, da er kein Geld in der Tasche hatte, doch er hoffte, daß ihm die Geige heute vielleicht schon helfen würde.

Als er sich ein wenig gestärkt hatte, fing er zu geigen an. Da riß es die Leute von den Sesseln, alle Gäste und der Wirt begannen zu tanzen und hörten erst auf, als die Geige wieder schwieg. Nun liefen alle auf den Burschen zu und fragten ihn, wo er die Wunderfiedel herhabe, doch er sagte nur: "Das ist meine Geige, sie heißt die ewige Geige."

Für sein Spiel warfen ihm die Leute viel Geld in den Hut.

Der Bursche zog nun zu jedem Kirchweihfest und wurde reich und angesehen.

Als er einmal in eine große Stadt kam, in der just Markttag gehalten wurde, stellte er sich in die Mitte des Hauptplatzes und begann zu geigen, jedoch so geschwind und wild, daß alle Leute, ob jung, ob alt, in einem tollen Wirbel herumfegten und vielen der Atem auszugehen drohte. Einige erfaßte starker Schwindel, sie stürzten zu Boden und wurden von anderen zu Tode getreten. Nun erst hielt der Handwerksbursche inne, wurde aber festgenommen und vor Gericht gestellt. Man legte ihm zur Last, er habe die Leute durch sein Spiel so toll zum Tanzen gebracht, daß etliche ihr Leben einbüßen mußten. Seine Hexerei habe das Unglück verschuldet, darum werde er zum Tode durch das Beil verurteilt.

Nach drei Tagen führte man ihn zur Hinrichtung. Die Gerichtsherren und der Bürgermeister fuhren hinaus zur Richtstätte, wo bereits Tausende von Menschen standen, um das grausige Schauspiel zu sehen. Als man nun den Geiger binden wollte, kniete er vor dem Henker nieder und sprach: "Ich weiß, daß ich sterben muß und dem Tod nicht mehr entrinnen kann, doch hätte ich einen letzten Wunsch. Reicht mir noch einmal meine geliebte Geige!"

Die Richter konnten seiner Bitte nicht widerstehen, sondern gewährten ihm diese letzte Gnade. Kaum aber hatte er die Geige im Arm, so spielte er auch schon darauf. Und sogleich fingen die Leute auf dem Platz zu tanzen an, auch der Henkersknecht, der Geistliche, der Bürgermeister und die Richter. Sie tanzten immer toller und toller, bis sie alle erschöpft niederfielen und sich nicht mehr rühren konnten. Diese Zeit benützte der Handwerksbursche und machte sich schnell aus dem Staub. Die Geige aber zerbrach er in Stücke.

Quelle: Österreichische Volksmärchen, gesammelt von Josef Pöttinger, Wien 1957