DIE HÜPFENDE SCHLAFHAUBE

Vor langer Zeit lebte ein König, der hatte drei Söhne und drei Königreiche, und er gedachte, jedem seiner Söhne ein Reich zu hinterlassen. Eines Tages kam ein reisender Krämer an seinen Hof und hielt seine Waren feil. Dabei zeigte er dem König ein wunderschönes Halstuch, wie man ein solches weit und breit nicht finden konnte. Er pries das Tuch über die Maßen und prahlte: "Ich gebe gern meinen Kopf dafür, wenn in deinen drei Reichen ein gleiches aufzutreiben ist."

"Gut", sagte der König, "ich will mit dir eine Wette eingehen. Du setzt deinen Kopf ein und ich das größte meiner Königreiche. Verliere ich, so gehört es dir, und du wirst König. Wenn ich gewinne, fällt dein Kopf!"

Damit war der Krämer einverstanden und ging frohgemut fort, denn er meinte, niemand würde ein so prächtiges Halstuch wie seines beschaffen können.

Nun ließ der König seine drei Söhne rufen und erzählte ihnen von der Wette mit dem Krämer. Zuletzt sagte er: "Wenn ihr nicht wollt, daß euer Erbteil geschmälert wird, so müßt ihr trachten, ein Halstuch zu finden, das an Schönheit und Wert das des Krämers übertrifft. Wem von euch das gelingt, der soll mein größtes Königreich erhalten."

Da zogen denn die drei Brüder miteinander fort und gingen auf die Suche nach dem Halstuch. Weil aber die beiden älteren den jüngeren nicht leiden konnten, verabredeten sie, ihn in einem finsteren
Wald zurückzulassen. Wie gesagt, so getan! Als er einmal ein Stück Weges zurückgeblieben war, liefen sie ihm davon.

Er war nun mutterseelenallein in dem finsteren Wald und wußte nicht aus noch ein. Da fing er bitterlich zu weinen an und klagte den Bäumen sein Leid. Und weil er von dem langen Weg müd und matt war, legte er sich unter eine hohe Tanne, konnte sich aber vor Schmerz kaum fassen. Als er nun wieder jammerte, hüpfte auf einmal ein seltsames Ding vom Baum herab. Es war eine schneeweiße Schlafhaube mit blauen Bändern, und der junge Königssohn meinte, sie wäre vom Himmel gefallen. Als er nach ihr greifen wollte, begann sie zu sprechen und fragte ihn, warum er denn weine.

Da sagte er: "Ich bin mit meinen Brüdern ausgezogen, um das schönste Halstuch der Welt zu suchen. Meine Brüder aber haben mich hier in dem finsteren Wald allein zurückgelassen."

"Tröste dich, mein guter Junge", lispelte die Schlafhaube. "Ich will dir gern helfen, wenn du mir folgst."

Und siehe, sie tupfte mit einem ihrer himmelblauen Bänder an den hohen Baum, und plötzlich stand ein herrliches Schloß an seiner Stelle. Es war aus weißem Marmor und glänzte und funkelte so hell, daß es die Augen blendete.

Nun flog die Schlafhaube vor dem Königssohn einher und geleitete ihn durch die Räume. Alle Zimmer waren wie ausgestorben, und seltsam, in den wundervollen Sälen standen steinerne Figuren, die wie verzauberte Menschen aussahen. Da staunte der Königssohn nicht wenig, aber noch mehr wunderte er sich, als er in den letzten Saal gelangte. Dort öffnete die Schlafhaube den prächtigsten Eichenschrank und zeigte ihm die kostbarsten Tücher, und eines war immer schöner als das andere. Von diesen Tüchern durfte er sich eines aussuchen. Doch weil ihm die Wahl schwerfiel, brauchte er lange Zeit dazu. Endlich nahm er eines, dankte der Schlafhaube dafür und lief hinter ihr her aus dem Schloß. Als sie aus dem Tor getreten waren, tupfte die Haube mit den Bändern daran. Im selben Augenblick verschwand das prächtige Gebäude, und an seiner Stelle stand wieder die hohe Tanne wie zuvor. Aber die Schlafhaube war nicht mehr zu sehen.

Mit viel Mühe und Not gelangte der Königssohn aus dem Wald heraus und zog heim. Kaum war er eine kleine Weile im Schloß des Vaters, kamen auch seine Brüder zurück. Nun ließ der König den Krämer rufen und versammelte seine drei Söhne und die Großen seines Reiches um den Thron, damit die Wette entschieden werde. Nachdem er Krone und Zepter des gewetteten Reiches auf einen Sessel gelegt hatte, mußte der älteste Sohn sein Tuch vorzeigen. Doch das war bei weitem nicht so schön wie das des Händlers. Sobald es der Krämer erblickte, hüpfte er voll Freude in die Höhe und schrie: "Juchhe, jetzt werde ich König und in einem herrlichen Schloß wohnen!" Und er griff nach der funkelnden Krone.

Doch der König wehrte ihn ab und sagte: "Du hast noch nicht gewonnen!"

Nun mußte der zweite Sohn sein Halstuch herzeigen, das war aber auch nicht schöner als das des Händlers. Jetzt sprang der Krämer noch närrischer umher und war ganz außer sich vor Freude.

Nun öffnete der jüngste Sohn sein Bündel und zog daraus ein Tuch hervor, das an Schönheit und Kostbarkeit das Halstuch des Krämers weit übertraf. Da fiel der Händler vor Schreck in Ohnmacht.

Der Herrscher nahm nun die Krone, setzte sie seinem jüngsten Sohn aufs Haupt, gab ihm das Zepter in die Hand und machte ihn damit zum König seines größten Reiches. Den Krämer aber ließ man laufen, doch gab man ihm vorher eine Tracht Prügel mit auf den Weg.

Nach einem Jahr kam wieder ein wandernder Kaufmann zum König und zeigte ihm einen kostbaren Ring. Der war so herrlich, daß selbst der Herrscher verwundert war, als er ihn sah.

Der Krämer aber sagte: "Ich will mein Leben am Galgen enden, wenn jemand einen noch schöneren Ring zur Stelle bringen kann."

Der König schloß auch mit ihm eine Wette ab und setzte sein zweites Königreich ein. Damit war der Krämer einverstanden und ging ohne Sorge fort, denn er war sicher, daß nirgendwo ein so prächtiger Ring aufzufinden sei.

Darauf ließ der König neuerdings seine Söhne rufen und sprach zu ihnen: "Ich habe abermals eine Wette abgeschlossen und das zweite Königreich eingesetzt. Wenn ihr nicht wollt, daß es verlorengeht, macht euch auf und sucht einen Ring, der den des Krämers an Glanz und Wert übertrifft."

Wieder zogen die Brüder fort, doch der jüngste überlegte nicht lang und wanderte allein in den Wald, in dem ihm vor einem Jahr die Schlafhaube begegnet war. Dort hüpfte sie ihm gleich entgegen, und er, nicht faul, grüßte sie und sagte: "Liebe Schlafhaube, ich bitte dich, hilf mir auch diesmal aus der Not. Ich werde dir stets dankbar sein. Heute brauche ich einen prächtigen Ring."

Die Haube freute sich über sein Zutrauen und entgegnete: "Wenn du nicht mehr willst, einen Ring kann ich dir leicht geben. Komm mit mir in mein Schloß!"

Sie führte ihn hierauf wieder zu dem großen Baum und tupfte mit einem ihrer himmelblauen Bänder an den Stamm. Im nächsten Augenblick stand an seiner Stelle abermals das herrliche Schloß, die Haube geleitete den Königssohn in den letzten Saal, öffnete dort einen Schrank und nahm eine Kiste heraus. Darinnen funkelten Tausende von prächtigen Ringen, und es war nicht schwer, den schönsten herauszufinden, denn dieser strahlte mit seinen Edelsteinen wie die Sonne.

Und nun geschah alles so wie das erstemal. Sie verließen das Schloß, die Schlafhaube verwandelte es wieder in einen Tannenbaum, und der Königssohn nahm dankend Abschied und zog freudig heim.

Zu Hause wartete man schon auf ihn, weil seine Brüder bereits heimgekehrt waren. Jetzt wurde der Krämer gerufen, und der König versammelte seine Großen um den Thron, damit die Wette entschieden werde. Diesmal legte er Krone und Zepter des zweiten Reiches zur Seite.

Zuerst zeigten die älteren Brüder ihre Ringe, die wohl schön waren, jedoch an Glanz und Wert dem des Krämers bei weitem nicht gleichkamen. Schon jubelte der Handelsmann und glaubte, die Königskrone nehmen zu können, da trat der jüngste Bruder heran und wies seinen Ring vor. Dieser aber leuchtete so hell und war so kostbar, daß alle ringsum erschrocken zu Boden fielen. Der Krämer jammerte und flehte um sein Leben. Man ließ ihn auch laufen, gab ihm jedoch vorher eine Tracht Prügel mit auf den Weg.

Das zweite Königreich fiel also auch dem Jüngsten zu, der nun Herrscher über zwei Reiche war. Darüber entrüsteten sich die beiden anderen Brüder, sie haßten ihn von nun an und verlangten bald darauf von ihrem Vater, ihnen noch ein Probestück aufzutragen, damit auch sie sich ein Königreich verdienen könnten.

Da sprach der Vater: "Meine lieben Söhne, ich will euch den Wunsch gewähren. Das dritte Königreich will ich dem übergeben, der binnen einem Jahr die schönste Braut heimführt."

Die Brüder waren damit zufrieden und machten sich auf, die fremden Königreiche zu besuchen, um sich eine Braut zu erringen. Der jüngste aber dachte: ‚Geht nur hin, ich suche meine Schlafhaube auf !' und schritt munter in den Wald.

Dort traf er die Haube auch wieder und redete sie an: "Liebe Schlafhaube, sei nicht böse, daß ich schon wieder deinen Rat brauche - kannst du mir sagen, wo die schönste Braut zu finden ist?"

Die Schlafhaube entgegnete: "Komm mit mir in mein Schloß, dort werde ich dir den gewünschten Rat geben!"

Als sie vor dem großen Baum anlangten, zauberte die Schlafhaube abermals das Schloß hervor, beide traten ein, und die Haube sagte: "Jetzt geh in die Küche, dort steht ein großer Kessel. Den trag zum Brunnen in den Hof hinaus und fülle ihn mit Wasser. Ist das geschehen, bring ihn in die Küche zurück und stelle ihn auf den Ofen, damit das Wasser sieden kann. Begegnet dir unterwegs jemand, so sprich ja kein Wort, sonst könnte es dir und mir gar übel ergehen!"

Er schritt nun in die Küche und holte den Kessel. Wie er zur Tür kam, stand ein fürchterlicher Riese davor. Der packte ihn beim Kragen, hielt ihm ein Schwert an die Brust und rief: "Wer bist du?" Er aber gab keine Antwort.

"Wer bist du?" rief der Riese abermals und fuchtelte dem Königssohn mit seinem Schwert vor der Nase herum, doch bekam er wieder keine Antwort. Als der Prinz nach dem dritten Ruf immer noch schwieg, schleuderte ihn der Riese in den Hof hinab. Dort blieb der Prinz erschöpft liegen und konnte sich eine geraume Weile nicht rühren. Dann ermannte er sich aber und stand auf, um Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen.

Da tauchte aus dem Wasser ein altes Weib auf, das ihn packte und festhielt. Die Alte war so häßlich, daß ihn das Grauen schüttelte. Sie schrie ihn böse an: "Was hast du hier zu tun?" Doch er gab keine Antwort. Hierauf drohte sie, ihn zu sich ins Wasser zu ziehen, aber vergebens. Er schwieg und stand aufrecht vor ihr.

Als sie ihn zum drittenmal ansprach und er wieder keine Antwort gab, spritzte sie ihn vor Zorn recht kräftig an, dann verschwand sie. Nun konnte er ungestört Wasser schöpfen.

Er trug den gefüllten Kessel in die Küche und ließ das Wasser sieden. Da hüpfte auch schon die Schlafhaube herbei und befahl ihm: "Jetzt zerhacke mich in kleine Stücke und wirf diese in den Kessel. Du darfst ihn aber vor einer Stunde nicht aufmachen!"

"Nein", rief der Prinz, "das tue ich nicht, eher stürze ich mich selber hinein!"

Doch sie bat ihn dann so lang, bis er endlich nachgab und folgte. Er legte sie auf den Hackstock, zerhackte sie in kleine Teile und warf diese in den Kessel. Als das geschehen war, hörte er die Schlafhaube immerfort schreien: "Mach auf und laß mich heraus!" Doch er hatte nicht vergessen, was ihm aufgetragen worden war, und wartete eine volle Stunde. Da gab es auf einmal einen fürchterlichen Knall, das ganze Schloß erbebte, und der Prinz fiel wie betäubt zu Boden.

Aber wie groß war sein Erstaunen, als sich der Deckel des Kessels hob und eine wunderschöne Jungfrau herausstieg. Sie lachte ihn überaus lieb an und sagte: "Ich bin die Schlafhaube gewesen. Ein Riese und eine Hexe haben mich bewacht, bis du mich endlich erlöst hast!"

Im Schloß wurde es auf einmal lebendig, von allen Seiten rannten
Diener herbei und huldigten der schönen Jungfrau, die ihr Reich glücklich wieder in Besitz nahm. Der Königssohn führte dann die Prinzessin zu seinem Vater und sprach: "Dies ist meine liebe Braut!" Und da die Prinzessin so wunderschön war, trug er auch diesmal den Sieg über seine Brüder davon.

Doch er schloß Frieden mit ihnen und schenkte ihnen sogar einen Teil seines großen Reiches.

Dann heiratete er die Prinzessin und lebte glücklich und zufrieden noch viele, viele Jahre als mächtiger König.

Quelle: Österreichische Volksmärchen, gesammelt von Josef Pöttinger, Wien 1957