Die Pest.
Es saß einmal ein Bauer draußen auf dem freien Felde. Die
Sonne glühte wie Feuer. Sieht er von weitem, daß etwas herankommt;
sieht nochmal hin - und es ist ein Weibsbild! Es war ganz in ein weißes
Gewand gehüllt und schritt wie auf langen Stelzen einher. Der Mann
erschrak und wollte fliehen; aber das Gespenst hielt ihn mit seinen dürren
Armen auf.
"Kennst Du die Pest? Ich bin's! Nimm mich denn auf Deine Schultern
und trage mich durch's Land; und laß kein Dorf und keine Stadt mir
aus; denn überall will ich hin. Du selbst aber befürchte nichts:
Du bleibst gesund inmitten all der Toten."
Und es schlingt seine langen Arme um den Hals des furchtsamen Knechtes.
Der Mann geht nun vorwärts, doch blickt er verwundert bald hinter
sich, weil er gar keine Last spürt: und immer noch sitzt das Gespenst
auf seinem Rücken.
Kam zuerst nach einem Städtchen. Freude war auf allen Gassen, Tanz
und Lustigkeit und Frohsinn. Blieb kaum auf dem Markte stehen, weht das
Weibsbild mit dem Tuche; gleich ist's vorbei mit Tanz und Freude, und
der Frohsinn flieht von dannen. Wo er hinschaut, sieht er bebend: Särge
trägt man, Glocken läuten, voll von Menschen ist der Kirchhof;
ist kein Platz mehr zum Begraben!
Auf dem Markte liegen haufenweise die Leichen der Menschen nackt und unbeerdigt!
Dann ging er weiter. Wo er durch ein Dorf kam, da wurden die Häuser
öde und leer, und die Menschen flohen mit blassen Wangen, zitternd
vor Furcht; und auf den Landstraßen, in den Wäldern und auf
freiem Felde hörte man herzzerreißendes Geschrei der Sterbenden.
Auf hohem Berge stand ein Dorf; hier wohnte der arme Bursche, auf dessen
Rücken die Pest sich gehängt hatte; dort waren sein Weib und
seine Kinder und seine alten Eltern.
Fängt das Herz ihm an zu bluten. Drum umgehet er sein Dorf, hält
mit kräft'ger Hand das Weibsbild, daß es ihm nicht springt
herunter.
Und er schaut vor sich hin, und vor ihm fließt der blaue Pruth,
hinter ihm erheben sich immer höhere, grün belaubte Berge, weiterhin
schwarze, und die höchsten sind mit Schnee bedeckt.
Läuft nun geradehin zum Flusse; springt hinein und taucht sich unter,
will das Weibsbild auch ertränken, um sein Land vor Unglück
und Pestluft zu bewahren!
Er selbst ertrank; doch die Pest, welche federleicht war und die er auch
auf seinen Schultern nicht gefühlt hatte, konnte nicht untersinken
und floh, durch diesen Mut erschreckt, in die Wälder auf dem Gebirge.
- So hat der Mann sein Dorf gerettet und seine Eltern, seine Frau und
seine kleinen Kinder.
Quelle: Kasimir Wladislaw Woycicki, Polnische Volkssagen und Märchen. Friedrich Heinrich Lewestam, Berlin, 1839