Die Pestjungfrau.
Einmal war die Pest im Lande. Da standen alle Dörfer öde, und
alle Hähne waren heiser, kein einziger konnte krähen. Die Hunde
konnten nicht mehr bellen wie früher; aber sie rochen und sahen das
Gespenst von weitem. Sie knurrten und suchten es zu packen, und die Pestjungfrau
neckte und reizte sie mit wahrer Schadenfreude.
Ein Bursche schlief auf einem hohen Heuschober, und neben ihm stand eine
Leiter. Die Nacht war still und mondhell. Plötzlich entsteht in der
Ferne ein mächtiges Brausen, wütiges Geknurre und Geheul der
Hunde schallt herüber. Der Bursche steht auf und sieht zu seinem
Schrecken, wie eine hohe weibliche Gestalt in weißem Gewande und
mit fliegenden Haaren auf ihn zujagt. Ein langer hoher Zaun ist auf dem
Wege: das Weibsbild springt mit einem Satz hinüber und klettert die
Leiter hinauf. Hier, auf diesem sichern Platze, hält sie neckend
ihren Fuß den Hunden hin. So reizt sie die wütende Meute und
ruft beständig: "Huß, huß - den Fuß! Huß,
huß - den Fuß!"
Der Knecht erkannte sogleich die furchtbare Jungfrau. Drum ging er leise
zu der Leiter hin und stieß das obere Ende mit aller Gewalt ab.
Das Weibsbild fiel hinunter, die Hunde packten sie: da drohte sie noch
mit ihrer Rache und verschwand.
Der junge Bursche starb zwar nicht, aber sein Lebenlang hielt er den einen
Fuß vor und konnte nichts anderes sagen, als die Worte der Jungfrau:
"Huß, huß - den Fuß! Huß, huß - den
Fuß!"
Quelle: Kasimir Wladislaw Woycicki, Polnische Volkssagen und Märchen. Friedrich Heinrich Lewestam, Berlin, 1839