Der Windreiter.
Ein Zauberer zürnte einem jungen Knechte. Voll Wut ging er in des
Knechts Hütte und steckte ein neues, scharfes Messer in die Schwelle.
Dabei sprach er die Zauberworte: "Sieben Jahre soll der Bursche auf
dem schnellen Sturmwind reiten, durch die weite Welt getragen."
Geht der Bursche auf die Wiese, legt das frische Heu in Haufen. Da erhebt
sich plötzlich ein Sturmwind, reißet die Haufen auseinander,
reißet mit sich fort den Burschen. Der sucht vergebens sich zu halten,
packt vergebens mit den Händen bald den Zaun und bald die Bäume.
Vorwärts treibt ihn eine unsichtbare Macht.
Auf den Flügeln des Windes fliegt er wie eine Taube, seine Füße
berühren nicht mehr die heimische Erde. Die Sonne geht schon unter.
Der Knecht blickt mit Heißhunger hinunter auf sein Dorf, wo duftender
Rauch aus den Schornsteinen aufsteigt. Er kann sie beinah mit den Füßen
berühren; doch vergebens schreit und ruft er, und vergebens klagt
und weint er. Niemand sieht ihn, niemand hört ihn.
Und so reitet er zwölf Wochen, ewig Durst und Hunger leidend, trocken
wie ein Fichtenapfel. Manches Land hat er durchflogen, immer aber trägt
der Wind ihn zu dem Dorf hin, wo er wohnte.
Traurig sieht er seine Hütte. Gerade kommt sein Liebchen aus der
Haustür, Mittagbrot trägt sie im Korbe. Und er streckt die dürren
Hände flehend aus nach der Geliebten. Ruft vergebens ihren Namen;
matt verhallt die schwache Stimme, und das Mädchen blickt nicht mal
nach oben.
Er fliegt weiter: steht der Zauberer vor der Tür seiner Hütte,
blickt hinauf und ruft voll Spott: "Sieben Jahre wirst Du reiten,
über diesem Dorfe fliegen, wirst Du leiden und nicht sterben."
"O mein Vater, alter Falke! Wenn ich jemals Dich erzürnte, so
vergib mir! Schau, die Lippen sind mir schon ganz hart geworden. Mein
Gesicht, meine Hände, - sieh her: lauter Knochen. O hab Erbarmen
mit meiner Qual!"
Und der Zauberer flüstert leise. Hört der Bursche auf zu fliegen;
bleibt an einem Orte stehen, doch berührt er nicht die Erde.
Sprach der Zauberer: "Gut, daß Du mich reuig anflehst. Doch
was willst Du mir wohl geben, wenn ich Dir die Qual erlasse?"
"Alles, was Du nur verlangst," antwortete der Bursche, und er
faltete die Hände, kniete nieder in den Lüften.
"Überlasse mir Dein Mädchen, denn zur Frau will ich sie
haben. Wenn Du sie gutwillig abgibst, kommst Du wieder auf die Erde."
Der Knecht verstummte. Endlich dacht' er bei sich selber: wenn ich erst
wieder auf der Erde bin, werd' ich mir schon zu helfen wissen. Er sagte
also zu dem Zaubrer: "Führwahr, Ihr verlangt ein großes
Opfer von mir; aber weil's denn nicht anders sein kann, so sei's!"
Fing der Zauberer an zu blasen, und der Knecht kam herunter auf die Erde.
Wer war glücklicher als er, als er den festen Grund unter seinen
Füßen fühlte und nicht mehr in der Gewalt des Windes war!
So schnell wie möglich lief er nach seiner Hütte. An der Schwelle
begegnete er der Geliebten. Sie schrie laut auf vor Erstaunen, als sie
den verschwundenen Knecht erblickte, den sie schon so lange beweint und
betrauert hatte. Der Knecht stieß sie kräftig mit den dürren
Händen zurück und trat eilig in das Wohnzimmer. Hier saß
auf seinem Stuhle der Bauer, bei dem der Bursche gedient hatte, und halb
in Tränen redete er ihn an:
"Ich werde nicht mehr bei Euch dienen, und Eure Tochter kann ich
auch nicht heiraten. Zwar lieb ich sie noch immer und habe sie wohl noch
mehr lieb als meine eigenen Augen, aber heiraten werd ich sie doch nicht."
Der Bauer sah ihn verwundert an, und da er auf seinem bleichen und abgemagerten
Gesichte die Spur von Leiden erblickte, so fragte er, weshalb er denn
die Tochter jetzt nicht wolle.
Da erzählte ihm der Bursche alles. Der Bauer aber sagte zu ihm, er
solle nur keine Angst haben, steckte sich einen vollen Geldbeutel ein
und ging zur Wahrsagerin. Abends kehrte er munter zurück. Er nahm
den Burschen beiseite und tröstete ihn: "Morgen früh, sobald
es Tag wird, geh zur Wahrsagerin. Du wirst sehen, es wird noch alles gut."
Der Knecht schlief zum ersten Male seit zwölf Wochen wieder auf dem
gewohnten Lager. Dennoch erwachte er noch vor der Morgenröte und
ging sogleich zur Wahrsagerin. Er traf sie am Herde, damit beschäftigt,
verschiedene Kräuter ins Feuer zu werfen. Auf ihren Befehl mußte
er im Winkel stehen bleiben, bis plötzlich sich ein heftiger Sturm
erhob, daß das ganze Haus zitterte.
Da führte ihn die Wahrsagerin in den Hof und sagte, er möchte
in die Höhe sehen. Er erhob seine Augen und ah - o Wunder! - den
bösen Zauberer, der hatte nur ein Hemde an und drehte sich immerfort
im Kreise.
"Das ist Dein Feind," sagte die Frau. "Wenn Du willst,
daß er Deine Hochzeit mit ansehen soll, so tue, was ich Dir gesagt
habe; und er wird dieselben Leiden erdulden, die er Dir zugefügt
hat."
Voll Freude lief der Knecht nach Hause, und einen Monat darauf hielt er
schon fröhliche Hochzeit. Als die Gäste tanzten, ging er hinaus
in den Hof, blickte in die Höhe, - und siehe, über der Hütte
drehte sich wieder der böse Zauberer im Kreise. Da nahm er ein neues
Messer, zielte lange und schleuderte es mit voller Kraft gerade in seinen
Fuß.
Der Zauberer fiel herab, denn das Messer heftete ihn an die Erde. Die
ganze Nacht stand er vor dem Fenster und mußte die Freude des Brautpaares
und der Gäste mit ansehn.
Am folgenden Morgen war der Zauberer verschwunden, aber einige Leute sahen
ihn noch über den See fliegen. Vor ihm und hinter ihm schwärmte
eine Schar von Krähen und Raben; diese schwarzen Vögel begleiten
den endlosen Ritt des Zauberes mit ihrem abscheulichen Geschrei.
Quelle: Kasimir Wladislaw Woycicki, Polnische Volkssagen und Märchen. Friedrich Heinrich Lewestam, Berlin, 1839