Goldig Betheli und Harzebabi

Lebte einst, niemand weiß vor wie langer Zeit, eine Frau, die dem Betheli, ihrem Stiefkinde, recht bös war, dagegen ihrem eigenen, dem Babi, alles nachsah, selbst das Gröbste. Babi hatte immer recht, Betheli immer unrecht; Babi behielt immer den Vorzug, bekam die Haut voll zu essen, was es nur wollte, und ging hoffärtig gekleidet daher, während Betheli oft hungerte, daß ihm fast die Ohren abfielen und es in Lumpen armselig dastand. Babi hatte immer Feiertag, Betheli mußte Mühsal und hartes Leben erdauern. Tag und Nacht sollte Bethelis Spinnrädchen schnurren, und so wohl ihm's auch dabei ausfiel, Stiefmutter war nie, nie zufrieden.

Einmal fiel sein Wirtli zu Boden, trollte und trollte in ein Mauseloch hinunter. Stiefmutter beharrte durchaus darauf, Betheli müsse jetzt in das Mauseloch hinabschlüpfen und das Wirtli selber wieder holen. Arm Betheli weiß nun nichts anderes, als zu gehorchen; es probiert, und Mauslöchlein macht ihm Platz. Und es ist, als ob es von unsichtbaren Händen unaussprechlich weit hinunter in eine ganz andere Welt getragen würde. So geschah es. O wie herrlich sah es da unten aus, welch ein prächtiges Schloß glitzerte ihm entgegen!

Wie es nahe davorstand, sah Betheli vor den Pforten spielende Hündchen, gar liebe, gescheite Tierchen, die reden konnten wie Menschen. Sie grüßten das erstaunte Mädchen freundlich und wußten sogar seinen Namen, indem sie riefen: Wau, wau, 's goldig Betheli kommt! Bald erschienen und traten Betheli entgegen mehrere Kinder; sie waren so hold und klug, ich kann nicht beschreiben wie. Betheli machte große schüchterne Augen; aber es fühlte sich von den wunderbaren Kindern so wohltätig angeblickt, daß ihm ganz heimelig wurde, zumal, da es sich wieder als das goldig Betheli begrüßen hörte.

Die Kinderlein sahen ihm indessen wohl an, wie sehr es hungerte, und fragten gleich: "Goldig Betheli, mit wem willst du essen, mit uns oder mit den Hündchen?"

"Setzt mich nur zu den Hündchen, 's ist lang gut genug für mich", sagte demütig das Mädchen.

"Nein, du sollst mit uns zu Tische gehen", riefen einstimmig die holden Kinder, welche ihm sofort zweierlei Gewänder zur Auswahl vorhielten, ein hölziges und ein goldenes.

Betheli langte nach dem hölzigen, indem es sagte: "Das ist gut genug für mich."

Es geschah jedoch dem bescheidenen Kinde zum Lohn das Gegenteil, sie zogen ihm das Goldkleid an und führten's in einen glänzenden Saal des Schlosses, wo ein goldener Tisch mit den allerbesten und süßesten Speisen und Getränken bedeckt stand. Hungrig Betheli bekam es jetzt einmal so gut, fast wie des lieben Herrgotts Engelchen bei der himmlischen Mahlzeit. Die lieblichen Kinder spendeten Betheli von allen guten Sachen, lobten und küßten es, so daß ihm war wie im Paradies. Zum Abschied schenkten sie ihm obendrein vielen kostbaren Schmuck und unter anderem einen goldenen Wirtel. Dann schoben und hoben sie's wieder durch jenes Mauslöchlein hinauf in der bösen Stiefmutter Stube. Da stand Betheli wie ein lichter Engel strahlend im Goldkleid.

Kaum hatten sich Mutter und Babi vom größten Erstaunen erholt und Betheli über alles haarklein ausgefragt, als beschlossen wurde, Babi müsse ebenfalls in die andere Welt hinunter und zum mindesten ebenso schöne Sachen wie Betheli heraufholen. Mutter und Tochter zweifelten gar nicht daran, daß, wenn dem verachteten einfältigen Betheli solche Aufnahme zuteil ward, dem Babi natürlich noch weit mehr Ehre widerfahren würde. Und sie ließen einen Wirtel durch das Mausloch hinab, und Babi setzte ihm nach. Da wirklich das Löchlein wieder Platz machte und Babi verschwand, hoffte die Mutter oben und hoffte das Meitli unten während der Fahrt in die andere Welt das Allerbeste.

Babi, dort angelangt, ging die gleichen Wege, wie Betheli sie beschrieben hatte, bis es zu den Hündchen und dem Schloß gelangte. Schon lachte ihm das Herz im Leib. Die Hündchen bellten sogleich: Wau, wau, 's Harzebabi kommt! Wau, wau, 's Harzebabi kommt! Und das riefen sie in mürrischem Tone, machten trübe Augen und ließen die Schwänzchen hängen.

Wohl eilten auch jene holden Kinder herbei, allein ihr Blick leuchtete nicht so sonnig in Babis Herz wie in Bethelis. Sie fragten das Babi, mit wem es essen wolle.

"Mit euch", sagte es, "das Betheli hat auch mit euch gegessen."

Dann legten sie ihm zwei Paar Kleider vor, ein hölziges und ein goldiges. Babi sprach, es wolle das goldige; Betheli habe auch ein goldiges, und es wolle einen goldigen Wirtel und ändern Goldschmuck. Allein sie ließen's ihm nicht, es mußte das hölzige anziehen, sofort mit den Hündchen auf dem Boden zu Gast essen, Abfall und Treber.

Zum Abschied ward sein Holzgewand mit Pech und Harz überstrichen, und es wurde dabei immer nur Harzebabi geheißen. Einen Wirtel bekam es, aber einen alten, hölzigen. Sie waren froh, es bald loszuwerden, und machten, daß Harzebabi schnell durch das Mausloch in die Oberwelt stieg. Hier oben blieb Betheli zeitlebens in Ehre und Ansehen und hieß immer Goldig Betheli, während Babi verachtet blieb und oft hören mußte: Wau, wau, 's Harzebabi kommt!

Quelle: Otto Sutermeister, Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz. Aarau 1873. Nr. 2.
(Willisau, Kt. Luzern). AaTh 480.