Mitschabu
oder das große Licht *

Mitschabu war der Gott des Wassers. Er hatte alle lebenden Kreaturen geschaffen und diese oft merkwürdig ausgestattet. Einige hatten zwanzig Füße, andere nur einen; viele hatten hundert Augen und einige wieder gar keins. Er selbst hatte vier Beine, ebenso auch seine mißgestalte Frau, die eben nahe daran war, mit dem tausendsten Kind niederzukommen.

Dieses Kind wollte sich aber nicht eher gebären lassen, als bis die Welt einen festen Boden habe, auf dem man sicher stehen könne; denn alle bis jetzt geschaffenen Tiere und Menschen mußten auf dem schwankenden Wasser sitzen.

Der alte Mitschabu kam darüber in keine kleine Verlegenheit; er sann hin und her und kam dann endlich auf die glückliche Idee, ein großes Land zu schaffen, auf dem sich jeder gefahrlos und trockenen Fußes bewegen könne. Das Wasser war sehr tief, aber Mitschabu tauchte doch bis auf den Boden und holte ein dünnes Sandkörnchen herauf, das er so lange anblies, bis es sich zuletzt zu einer kleinen Erde ausdehnte.

Nun kam das erwartete Kind, ein Knabe, der in kurzer Zeit zum größten Mann emporwuchs und daher den Namen Atokan oder Stammvater erhielt. Trotzdem ihm die Erde alles an Speise und Trank bot, was er sich nur wünschen konnte, war er doch nicht zufrieden; er war ja einsam und allein und hatte niemanden, mit dem er sich unterhalten und sich die Zeit verkürzen konnte.

Mitschabu sah ein, daß er seinem Sohn ein Weib werben mußte. Da auf der Erde kein passendes zu finden war, so sah er sich beim Volk des Himmels um und wurde da auf die liebliche Atahensie aufmerksam. Als er ihre Zustimmung hatte, flocht er aus den Sehnen vieler Tiere eine lange Schnur und ließ sie daran hinunter auf den Schoß seines Sohnes, der sich nun überglücklich fühlte. Bald erfreute sich das junge Ehepaar eines munteren Söhnleins und eines reizenden Töchterleins, die beide bei ihrer Geburt so groß waren, daß sie sich gleich verheiraten konnten.

Aber dem alten Mitschabu dauerte dieser Weg der Erdbevölkerung doch ein wenig zu lange; er sagte daher zu Atokan, er solle jedem toten Tier die Haut abziehen und auf das Fleisch einen Tropfen seines eigenen Blutes fallen lassen. Danach solle er es mit Laub bedecken, und nach vier Sonnenuntergängen werde er ein schlafendes Kind darunter finden.

Atokan tat das auch und bevölkerte so in ungemein kurzer Zeit die ganze Erde. Doch man merkte jedem Menschen gleich seine Abstammung an; der Fuchsmensch war listig und schlau, der Wolfsmensch grausam, der Schafmensch geduldig, der Bibermensch geschickt, der Büffelmensch stark usw.

* Schoolcraft übersetzt dieses Wort fälschlich mit "großer Hase".

Quelle: Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas, Jena 1871, Nr 63