Kosmogonie der Winnebagos

Als der Große Geist einst aus einem süßen Traum erwachte, fand er sich auf einem hohen Stuhl sitzen. Da er sich ganz einsam fühlte und gern Gesellschaft um sich gesehen hätte, so schnitt er sich in der Nähe seines Herzens ein Stück Fleisch ab, tat etwas Erde dazu und formte dann vier Männer daraus. Nachdem er sich einige Tage recht gemütlich mit diesen unterhalten hatte, schuf er auch eine dicke Frau dazu - die Erde nämlich, die seit jener Zeit von allen Indianern Großmutter genannt wird.

Diese vier Männer waren die vier Winde, Nord, Süd, West und Ost und hielten die Erde in ständiger Bewegung, was dem Großen Geist aber nicht recht gefiel, weshalb er gleich vier große Tiere und vier mächtige Riesenschlangen darunterstellte, die sie festhalten mußten. Da jedoch die Erde immerwährend wuchs, so wurde jenen Tieren die Last mit der Zeit ein wenig zu schwer, und sie waren zuletzt nicht mehr imstande, sie bei heftigen Stürmen in Ruhe zu halten. Als dies der Schöpfer merkte, schickte er ihnen noch schnell einen riesigen Büffel zu Hilfe, und von nun an stand sie unbeweglich fest.

Nun schnitt der Große Geist abermals in der Nähe des Herzens ein Stück von seinem Körper und machte einen Mann und eine Frau daraus. Ersterer wußte sehr viel, letztere aber sehr wenig. Dem Mann gab er recht viel Tabak und Tabaksamen und sagte ihm, wenn er von den Winden, den Vögeln oder den Tieren verstanden sein wolle, so solle er vorher etwas von diesem Rauchkraut ins Feuer werfen.

Der Frau gab er allerlei Früchte und zeigte ihr die eßbaren Kräuter und Wurzeln. Dann winkte er ihnen, einmal unter sich zu sehen, und sie fanden ein wunderschönes Kind zwischen sich, das lächelte so süß, daß es die Frau gleich auf den Arm nahm und säugte. Danach schuf der Große Geist noch von jedem Stamm ein Paar sowie eine Menge Tiere, Fische und Vögel, so daß alle Menschen vollkommen zu leben hatten. Dann nahm er Abschied von der Erde und kam erst nach hundert Jahren wieder. Da fand er denn nun, daß die zuerst geschaffenen Menschen alt und krumm geworden waren und sich fast gar nicht mehr bewegen konnten; auch war die Erde bereits so dicht bevölkert, daß die jungen Leute gar keinen Raum mehr hatten, um ihre Wigwams aufzuschlagen.

"Ach", sagte da der Große Geist zu sich, "die Leute leben zu lange und vermehren sich zu rasch; ich will meine mächtigen Diener, die vier Donner, schicken, damit sie ihnen das Kriegshandwerk beibringen und zeigen, wie man sich gegenseitig totschlägt."

Als dies geschehen war, bekamen sie wieder Platz. Diejenigen, die im Krieg gefallen waren und einen unbescholtenen Lebenswandel geführt hatten, nahm der Große Geist in seinen Himmel auf; die Schlechten aber mußten sich weit im Westen ein Unterkommen suchen.
Als so das menschliche Leben geregelt war, kam plötzlich ein böser Manitu auf die Erde und wollte ebenfalls einen Indianer schaffen; doch als er ihn fertig hatte und ihn recht betrachtete, war es ein Neger. Dann versuchte er auch Schlangen zu machen, aber sie waren alle giftig; die Bäume, die aus seiner Hand hervorgingen, trugen keine Früchte, und das Feuer, das er mitgebracht hatte, heizte nicht. Er predigte die Kunst des Stehlens und des Lügens und führte die Seele eines jeden, der ihm Gehör geschenkt hatte, hinab in die kalte Hölle.

Seit jener Zeit bereitete sich der Große Geist zu einem furchtbaren Kampf gegen seinen Widersacher vor, und dieser soll, wie zuverlässige Leute sagen, vier Tage und vier Nächte gedauert und mit der Ausrottung aller Schlechten und Bösen geendet haben.

Quelle: Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas, Jena 1871, Nr 76