Das Märchen vom Goldenen Herzen

Es lebte einst in einem kleinen Dorf ein Mädchen, dass bekannt war für sein gutes Herz, seine Hilfsbereitschaft, Barmherzigkeit und Güte. Wenn die Dorfbewohner über es sprachen, nannten sie es das Mädchen mit dem goldenen Herzen! Das Mädchen hatte eine derart warmherzige Ausstrahlung, dass sich
selbst die größten Gauner verstohlen dabei ertappten, wie sie in Anwesenheit des Mädchens eine gute Tat vollbrachten. Sie schämten sich dann zwar vor ihren Kumpanen, denen es allerdings auch nicht besser
erging, doch irgendwie waren sie auch stolz, einmal etwas Gutes getan zu haben. Das Mädchen half wo es nur konnte, ohne sich auch nur den geringsten Dank dafür zu erwarten - die glücklichen, freudestrahlenden
Gesichter waren ihr Belohnung genug.

Doch an einem ganz bestimmten Wintertag, und hier beginnt unser eigentliches Märchen, sollte sich das Leben der jungen Wohltäterin entscheidend verändern. An jenem besagten Schicksalstag, stapfte das
Mädchen, wie jeden Wintertag, in den Wald um Brennholz für ihre armen, frierenden Großeltern zu sammeln. Zur Zeit in der die Märchen spielen, gab es noch ganz besonders bitterkalte Winter! Als es schon seinen Korb mit genügend Brennmaterial gefüllt hatte, hörte es vom Weg her, aus der Ferne, einen Riesenradau. Neugierig lugte das junge Fräulein durch das Dickicht und sah drei junge, wilde, aber auch elegante Reiter auf ihren prächtigen Rossen, laut schreiend, ihre Pferde antreibend und voll des jugendlichen Übermutes, an ihr vorbei galoppieren. Es schien so als ob diese drei edlen Herren, zumindest nach ihrem Gewand zu schließen, Söhne von noch edleren Herren waren, die sich auf ihren Pferden einen packenden Wettkampf lieferten!

Einer von den Dreien bog bei der nächsten Weggabelung rechts ab, vielleicht wusste er ja eine Abkürzung? So schnell wie die drei tollkühnen Burschen aufgetaucht waren, so schnell waren sie auch wieder in der
Weltgeschichte verschwunden. Das brave Mädchen machte sich nun auf den Heimweg. Kurz entschlossen, besser gesagt seiner weiblichen Intuition folgend, nahm es ebenfalls, wie der eine junge Reiter, die Biegung nach rechts, wo es eigentlich bis zu diesem Tag noch nie gegangen war! Hier war der Wald noch dunkler und dichter, denn hier war ausschließlich ein Nadelwald. Das Mädchen fürchtete sich ein wenig, fing ein bisschen zu pfeifen an und ihre Schritte wurden etwas länger und schneller!

Ab und zu jedoch musste es ob seiner schweren Last ein Weilchen rasten um wieder so richtig durchzuatmen. Plötzlich stampfte etwas hinter dem Mädchen, worauf dieses den Korb hastig packte und lief, so schnell es nur konnte, ohne sich auch nur einmal umzusehen. Doch das Getrampel kam immer näher, das Untier, dass sich das Mädchen ausmalte, schnaubte hinter ihrem Rücken und war nun schon fast auf gleicher Höhe, sodass das Mädchen schon seinen kalten Atem im Nacken spüren konnte. Das Mädchen stolperte, fasste
geistesgegenwärtig einen dicken Ast und wollte sich mutig dem Ungeheuer entgegenstellen, dass sich seinerseits verängstigt und schweißgetränkt mit einem „WIEHER“ als Pferd vorstellte. Das Mädchen, ebenfalls
schweißgebadet, beruhigte sanft das vermeintliche Monster: „Ich glaube fast, da haben wir zwei uns gegenseitig einen ziemlichen Schrecken eingejagt, tut mir wirklich Leid, aber du weißt ja, in so einsamen
Gegenden kann man nicht genug auf der Hut sein. Aber wo ist denn dein Reiter abgeblieben? Willst du vielleicht Hilfe für ihn holen? Du Braver, komm führe mich zu ihm!“

Das Pferd brachte das Mädchen wieder ein Stück des Weges zurück und bei einer Kreuzung zu einem anderen unbekannten Weg, wo sie schon bald den vermissten Reiter fanden, den das Mädchen sofort beim Vorbeigaloppieren in ihr Herz geschlossen hatte. Er lag ganz ruhig da, mit einer klaffenden Schramme an der Stirn - ein zu tiefer Ast hatte ihn wohl aus seinen tollkühnen Träumen gerissen und ihn unversehens ins Land der Träume befördert. Das Mädchen stellte erleichtert fest, dass er noch atmete und strich mit klopfendem Herzen und sanften Händen durch sein Haar! Etwas traurig flüsterte es in sein Ohr: „Schade, dass du sicher vor einem Mauerblümchen wie mir die Augen und dein Herz verschließen würdest!“ Das Mädchen versorgte seine Wunde, nahm all seine Kraft zusammen und zerrte den noch immer weggetretenen Jüngling auf dessen Pferd, um ihn zum Schloss zu geleiten - denn von dort, vermutete unsere Heldin, musste er ob seines
vornehmen Gewandes wohl her sein. Von weitem hörte die Retterin schon einen Tumult vor dem Schloss. Es wartete schon der ganze Hofstaat verzweifelt auf die Rückkehr des jungen Herrn - da gab das Mädchen, das
bescheiden lieber unerkannt bleiben wollte, dem Pferd einen freundschaftlichen Klaps auf das heutzutage so wichtige, knackige Hinterteil, und das Pferd trabte brav schnurstracks zur königlichen Familie!

Der königliche Leibarzt untersuchte den Prinzen sofort, denn um niemand anderen handelte es sich bei dem Geretteten, und konnte schon bald den Gesundheitszustand des nämlichen entscheidend verbessern. Auf die Frage was ihm denn passiert sei, konnte der Prinz beim besten Willen nicht antworten, da er sich an gar nichts mehr erinnern konnte! Nur die Worte die ihm das Mädchen ins Ohr geflüstert hatte, schwirrten ihm ständig durch den Kopf. Doch dort und in seinem Herzen behielt er diese auch für sich geheim. Der Prinz war der festen Überzeugung, dass die Flüsterin dieser Worte mit seiner Rettung zu tun haben musste, und diesen Schutzengel wollte er nun unbedingt heiraten. Seine königlichen Eltern, die er nach anfänglichem Bedenken in seinen Plan einweihte, waren hingegen fest überzeugt, dass ihrem Sohn der Schlag gegen den Kopf und der Sturz vom Pferd sehr hart getroffen haben musste, denn sonst war er einer der Letzten der dem Heiraten etwas abgewinnen konnte. Der Wandel an sich freute sie sogar, aber sie hätten doch lieber eine standesgemäße Prinzessin an seiner Seite gesehen. Aber sie beugten sich seinem Starrsinn, überhaupt da er auf einmal sehr vernünftig, ja sogar sehr um- und weitsichtig dachte und agierte, fast eines Königs würdig, und wenn die Unbekannte es in so kurzer Zeit geschafft hatte, aus dem Hallodri einen richtigen Thronfolger zu formen, vielleicht war sie ja tatsächlich die Richtige für ihn und für das Land. Man ließ nunmehr im ganzen Land verkünden, dass der Prinz seine Lebensretterin finden und sogar heiraten wollte. Sofern sie das natürlich auch wollte, doch davon ging man in der damaligen Zeit noch aus. Sie musste sich lediglich noch bei ihm melden und ihm dieselben Worte ins Ohr flüstern, wie damals bei der Rettung!

Diese Schlagzeilen aus dem Schloss machten in Windeseile die Runde und riefen auch die schwarze Fee Rafagurle auf den Plan. Sie sah nicht so aus wie ihr jetzt sicher denkt liebe Leser, nein sie hatte blondes (wer weiß das schon genau, vielleicht auch nur blond gefärbt), langes Haar, blaue Augen, ein puppengleiches Gesicht und ein strahlendes, gewinnendes Lächeln, kurzum sie sah einfach zauberhaft, fast wie ein Engel aus. Sie war in ihrer Kindheit ein ähnlich zauberhaftes Wesen wie unsere Titelheldin gewesen, doch leider hatte sie sehr schlechte Kindheitserfahrungen zu erleben, vor denen sie flüchtend in den verderblichen Umgang mit Hexen und Zauberern der übleren Sorte geriet, welche ihr gebrochenes Herz verdarben und dieses in den Dienst der schwarzen Magie stellten. Rafagurles Herz war fast wie abgestorben, nur noch materiell eingestellt und hart wie Stein. Sie hatte immer schon ein Auge auf den Prinzen und vor allem auf seinen Reichtum geworfen, und solch eine Gelegenheit musste sie natürlich am Schopfe packen! Sie war sich ja ihres Liebreizes sehr sicher, mit dem sie jeden Mann betören und um den Verstand bringen konnte. Doch dieser Tölpel wollte nun mal unbedingt die besagten Worte hören. Natürlich musste es einer schwarzen Fee ein Leichtes sein, diese Worte herauszufinden - sie brauchte ja nur ihren Zauberstab zu fragen! Als intelligente, berechnende Frau tat dies Rafagurle auch sofort, doch der Zauberstab musste sie enttäuschen: „Herrin - du weißt, es gibt Worte die jedes bösen Zaubers erhaben sind!“ Rafagurle fluchte: „Ja ich weiß, die Worte zwischen zwei sich zugeneigter Menschen sind außerhalb unserer schwarzen Macht. GRRRR! Sag mir wenigstens wer diese Kröte ist!“

Der Zauberstab sagte: „Die Leute im Dorf vor dem Schloss nennen es das Mädchen mit dem goldenen Herzen! Sie hat das Pferd des Prinzen herrenlos im Wald entdeckt und sodann den edlen Herren auf dem Waldboden verletzt gefunden und aufgelesen!“

Rafagurle dachte nicht lange nach, verwandelte sich hinterlistig in das Pferd des Prinzen und machte sich auf in des Mädchens Dorf. Dort hielt sie Ausschau nach dem goldenen Herzen und schon bald kam freudestrahlend ein Mädchen auf das vermeintliche Pferd zu: „Hallo, wie geht es dir und deinem Reiter - ich habe oft an ihn gedacht! Hast du ihn schon wieder abgeworfen?“ Die schwarze Fee dachte bei sich: „Das soll seine Auserwählte sein? Braunes Haar, ungeschminkt, blasses Gesicht, Sommersprossen, zugegebenermaßen sehr hübsch, aber ein Styling und Outfit wie Aschenputtel beim Linsenauslesen!“ Zu dem staunenden Mädchen sagte sie aber: „Nein, nein, beruhige dich, ich bin von ganz alleine hier. Du warst so gut zu
meinem Herrn - doch er konnte sich leider an nichts mehr erinnern - aber ich fand dich ja so furchtbar sympathisch und möchte ihm gerne ein wenig von dir und seiner Errettung erzählen - vielleicht möchte er dich ja dann ein wenig kennen lernen! Und wer weiß ... ?“ Das Mädchen war etwas verdutzt: „Du kannst ja sprechen! Ich erzähle dir schon gerne alles von mir - was immer du willst, denn ich habe ja nichts zu verbergen!“ So kam es, dass das Mädchen auf das „falsche Pferd“ setzte und einiges über sich erzählte, aber ihr müsst zur Verteidigung des Mädchens wissen, dass es zur damaligen Märchenzeit für unsere heutige Generation gesehen oft sehr merkwürdige Dinge gab, sodass das Mädchen nur auf Grund eines sprechenden
Pferdes noch lange nicht auf eine Hinterlist schließen konnte oder Grund für Misstrauen gehabt hätte! Die Menschen damals mussten sich immerhin mit Drachen, Zauberei, Hexen und Feen und dergleichen herumschlagen, da war ein sprechendes Pferd zwar ungewöhnlich, aber wie gesagt auch nicht
ausgeschlossen.

Schließlich stellte die raffinierte und inzwischen schon gelangweilte Rafagurle die für sie alles entscheidende Frage: „Was hast du damals meinem Herrn ins Ohr geflüstert?“ Das Mädchen wurde verlegen und ihre
Wangen färbten sich tiefrot. Doch dann sagte sie: „Dir Pferdchen kann ich es ja sagen - ich sagte, schade, dass er sicher vor einem Mauerblümchen wie mir die Augen und sein Herz verschließen würde!“ Rafagurle wusste nun genug, und enttarnte sich triumphierend als schwarze Fee! Das Mädchen stockte: „Wer bist du? Und wieso führst du mich so an der Nase herum?“ Rafagurle erhob ein schallendes Gelächter: „Ha, ha du goldiges Herzchen - tja, meine Liebe, in unserer egoistischen Welt kommen eben nur die ganz
Harten zu etwas im Leben - da bist du süßes Wesen ein klein wenig fehl am Platz, und damit du hübsches Ding mir bei meinen Absichten nicht in die Quere kommst, werde ich dich mit einem Fluch belegen, der dir zugleich Lehre für deine Zukunft und gleichzeitig saftige Strafe für deine Torheit sein soll, dass du in dieser bösen Welt so viel Gutes tust! Für jede gute Tat die du begehst, und für die du keinen Dank erntest, soll dein Herz, entsprechend Deinem Spitznamen „GOLDHERZ“, ein Stückchen zu Gold werden. Und glaube mir, ich habe die Welt und die Menschen am eigenen Leibe kennen gelernt - bald schon wird dein Herz ein einziger Goldklumpen sein und du wirst nichts mehr empfinden können, du wirst hart wie Stein, ganz so wie ich! Das eine kannst du mir glauben, du wirst deinem Spitznamen bald schon alle Ehre machen - und kein Mensch wird dich dann mehr mögen wie bisher - selbst Freude und Liebe wird für dich nie mehr so sein wie bisher, und
doch wirst du Freude und Liebe mehr brauchen denn je, aber nur noch bekommen, indem du andere Menschen in die Irre führst, sie täuscht, betrügst, ihnen etwas vorspielst - eben so wie ich. Ha, ha! Du meine Güte, mein Fluch ist ja ganz besonders durchtrieben. Mich schaudert ja direkt vor mir selbst, ha, ha!“

Kaum war der Fluch ausgesprochen, warf sich die kesse Rafagurle auch schon in Schale und machte sich siegesbewusst auf den Weg ins Schloss. Dort hauchte sie gekonnt mit erotischer Stimme, dem von ihrer Schönheit überwältigten Prinzen, die Worte für ihren beabsichtigten Erfolg, jedoch da sie ja doch etwas sehr eingebildet war, in einer etwas zu ihren Gunsten abgewandelten Form, ins Ohr: „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du vor einem Rosengarten wie mir deine Augen und dein Herz verschließen wirst!“

Der Prinz war leicht verunsichert ob dieser Abänderung, denn er wusste der Teufel saß oft im Detail - war sie nun seine Retterin oder nicht? Wenn er in ihre Augen sah, wollte er nichts anderes auf der Welt mehr glauben, als dass sie sein Rettungsengel war - doch andererseits machten ihn ihre Worte doch etwas stutzig. Auch die Stimme traf nicht so geradeaus in sein Herz wie damals! War diese Schönheit vielleicht nur eine Schwindlerin? Da er sich nun so völlig unsicher war, entschloss er sich mit der Heirat noch bis nach dem Jahrestag seines Unglückes zuzuwarten, ob sich vielleicht doch noch eine andere Bewerberin melden und ihr Glück versuchen würde. Sollte sich allerdings keine mehr finden, so wollte er die schöne Rafagurle zum Traualtar führen! Die stets ungeduldige und jähzornige Rafagurle war alles andere als begeistert von diesem Kompromiss, doch sie umgarnte ihn trotzdem etwas sauer aber doch zuckersüß: „All die Könige werden dich um mich beneiden - du wirst sehen, es wird keine mehr wagen mir den Platz an deiner Seite streitig zu machen! Mein Liebster du vergeudest nur unnötig eines deiner besten Jahre! Ich hoffe, dass du das nicht einmal bereuen wirst!“

Dem armen Mädchen mit dem goldenen Herzen erging es in der Zwischenzeit tatsächlich so, wie von der bösen Fee prophezeit. Sie wollte zwar den gemeinen Fluch nicht wahrhaben und half den Menschen auch weiterhin wo sie nur konnte und wo man sie benötigte. Doch leider zeigten die Leute denen sie geholfen hatte, nur allzu oft nicht die geringste Spur von Dankbarkeit, auf die sie aber aufgrund des Fluches angewiesen war. Auch verstand es die neue Thronanwärterin Rafagurle gekonnt, dass ihr lästige Mädchen überall negativ anzuschwärzen, was die Dankbarkeit der Leute auch nicht gerade schürte. Ihre uneigennützige Hilfe wurde nunmehr eher als Wiedergutmachung und als Selbstverständlichkeit aufgefasst. Manche glaubten sogar, dass Mädchen müsste Ihnen dankbar sein, dass man sich überhaupt noch von ihm helfen ließ. Das wackere Herz des lieben Mädchens wurde so unweigerlich immer mehr zu Gold und schmerzte fürchterlich. Das Mädchen kämpfte verzweifelt dagegen an, indem sie zu den Menschen die sie immer weniger verstehen konnte, noch netter zu sein versuchte, auch wenn es ihm angesichts seines immer mehr zu Stein verklumpenden Herzens und der Unfreundlichkeiten die es sich gefallen lassen musste, immer schwerer
fiel, hilfsbereit zu sein. Doch alles half nichts - im Gegenteil, das Mädchen spürte den Goldklumpen in ihrer Brust immer schneller und schneller wachsen, je mehr sie sich gegen ihn wehrte. Gar nichts bereitete
ihr inzwischen mehr Freude und Spaß! Doch dank seines, für ein so junges Mädchen außergewöhnlich starken Willens, pochte im Kern des Goldklumpens stets ein unantastbarer Rest ihres guten Herzens, der unwiderstehlich an eine Besserung der Zeiten hoffte. Auch dieser Rest war tieftraurig, ob ihrer von dem Prinzen anscheinend so schändlich verschmähten Liebe. Denn auf Grund des Auftritts von Rafagurle blieb ihr ja wirklich nichts anderes übrig, als zu glauben, dass hinter dem Fluch auch der Prinz stecken
musste.

Im Winter musste das Mädchen wieder im Wald Brennholz für den Kamin ihrer Großeltern sammeln. Am Jahrestag der Errettung des Prinzen nahm sie trotz ihres fast erkalteten Herzens beim Nachhauseweg wieder einmal die Gabelung nach rechts in den Nadelwald. Es schmerzte das Goldherz zwar furchtbar an den Reiter und an das Pferd zu denken, doch sie musste einfach öfters an der Unglücksstelle vorbeischauen, an die Stelle wo sie einst das Glück zu finden glaubte, schon ihres Herzens zuliebe. Doch als sie dieses mal dort
ankam, war sie nicht alleine. Der Prinz und das Pferd waren ebenfalls dort. Wütend und zornig, wie es sich selber noch gar nicht gekannt hatte, suchte das junge Mädchen das Weite, denn es drohte ihr Herz in tausend Stücke zu zerspringen!

Der Prinz sprang ihr sofort nach, packte sie fest am Arm und fragte: „Was ist los mit dir? Was suchst du ausgerechnet hier an dieser Stelle? Wieso läufst du vor mir weg?“ Das Mädchen schrie ihn verzweifelt an: „Wieso quälst du mich so - ich habe dich doch an dieser Stelle verletzt aufgelesen, und du und dein böses Pferd, dass in Wirklichkeit eine wunderschöne blonde, aber böse Fee und wohl noch dazu deine Geliebte ist,
habt mich aus Dankbarkeit mit einem unheilvollen Fluch belegt, der mein Herz zu einem kalten Goldklumpen werden lässt - wenn du auch nur einen Funken Anstand in dir hast, dann lass mich los du Bösewicht!“

Der Prinz musste erstmals tief durchatmen und schwer nachdenken: „Du hast mich gerettet? Mein Pferd ist blond und eine Fee? Dein Herz ist aus Gold? Mädchen du scheinst mir ein wenig verwirrt zu sein oder aber bist du vielleicht tatsächlich mein Rettungsengel?“ Er ließ den Arm des Mädchens nicht los und sagte bestimmt: „Heute ist der Jahrestag meiner Errettung - wenn mich damals nicht ein Mädchen gefunden hätte, wäre ich bestimmt erfroren - und dieses Mädchen hat mir so schöne Worte ins Ohr geflüstert, die mich seither nie mehr losgelassen haben!“

Traurig sagte das junge Mädchen: „Ich weiß, schade, dass du sicher vor einem Mauerblümchen wie mir die Augen und dein Herz verschließen würdest! Ja das sagte ich dummes Ding, aber dass du so gemein sein würdest, mein Herz so in den Dreck zu ziehen und mich noch dazu mit einem Fluch belegen könntest, daran hätte ich im Traum nie gedacht!“ Der Prinz hingegen frohlockte: „Du bist meine Lebensretterin! Ich will dich heiraten - glaub mir ich habe dir nie etwas Böses gewollt, dass muss Rafagurle gewesen sein, die sich als Retterin ausgegeben hat! Na warte, die werde ich vom Hof jagen und ich werde alles auf der Welt versuchen, um dich wieder glücklich zu machen! Ich bin dir ja so dankbar, ach was sage ich, ich liebe dich!“ Er drückte das Mädchen wild entschlossen an sich und gab ihm einen innigen Kuss. Das überraschte Mädchen musste erst einmal tief Luft holen, dann spürte es dass ihm förmlich ein Stein vom Herzen fiel, wahrscheinlich sogar ein Goldklumpen, und ihr Herz mit dieser Zuneigungsbekundung mit einem Schlag wieder frei war! Sofort war des Mädchens verloren geglaubtes Lächeln wieder im Gesicht und auch die warmherzige Ausstrahlung war wieder ganz die alte. Der Prinz strahlte: „Komm auf mein Pferd du entzückendes Wesen, ich will dich gleich morgen heiraten, sofern du das auch willst!“ Des Mädchens Herz quoll vor Freude beinahe über und es jubelte: „Ja ich will, von ganzem Herzen!“ Doch im selben Atemzug fügte es verschmitzt hinzu: „Das Pferd ist sicher keine böse Fee?“ Der Prinz lachte: „Keine Angst, ganz sicher nicht! Gerade mein Pferd wollte heute unbedingt an diesen Ort zurückkehren - ich weiß eigentlich gar nicht warum - ich wollte gar nicht mehr hierher, aber anscheinend hat mir mein Pferd einiges voraus! Nun bin ich jedenfalls überglücklich!“ Das Mädchen streichelte gut gelaunt die Mähne des Pferdes und stimmte zu: „Ich auch!“

Tja, und wenn die beiden heute nicht mehr glücklich sind, dann sind sie wohl schon überglücklich! Wie ihr lieben Leser gesehen habt, kann wahrer Liebe nicht einmal der faulste Zauber etwas anhaben! Schön nicht? Was? Ihr wollt jetzt nach diesem Happyend auch noch wissen was aus der schönen, bösen Rafagurle geworden ist? Nun ja, wenn es unbedingt sein muss! Angesichts der großen, wahren Liebe unserer beiden Turteltäubchen, war sie natürlich mit all ihren raffinierten Liebes- und Zauberkünsten völlig fehl am Platz und ohnmächtig, und es blieb ihr natürlich nichts anderes übrig, als in Schimpf und Schande den königlichen Hof zu verlassen und ihr Glück woanders zu versuchen. Doch liebe Leser, euer Mitleid für Rafagurle kann sich durchaus in Grenzen halten, ihr braucht euch doch wirklich keine Sorgen um sie zu machen, denn wie ihr wahrscheinlich schon wisst, heißt es ja bekanntlich, dass böse Mädchen überall hinkommen, halt stimmt nicht
wirklich wie dieses Märchen eindrucksvoll bewiesen hat, fast überall hinkommen, aber immerhin!

In diesem Sinne dämpfet aus die Kerzen - das war das Märchen vom goldenen Herzen!


Quelle: E-Mail-Zusendung von Florian Mayr; 14. Dezember 2003