Der alte Tierfriedhof

Im Wald zwischen Wasenbach und Steinsberg befindet sich ein lichter Buchenbestand, den man erreicht, wenn man von Wasenbach aus am Friedhof vorbei über den asphaltierten Weg die Waldhochebene Richtung Steinsberg erklimmt. Ungefähr siebenhundert Meter vor dem Waldesrand hin zu den Steinsberger Feldern ragen mächtige alte Buchen zum Himmel. Unter ihren Laubdächern bleibt den meisten Wanderern verborgen, dass der Waldboden hier ein sagenhaftes Geheimnis birgt. Im Gegensatz zu dem üblicher Weise in Wasenbachs Wäldern anzutreffenden flachen Humusboden gibt es hier etliche tiefe Bodenlöcher. Noch in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichneten die alten Wasenbacher dieses Waldstück nur als Tierfriedhof. Seit Jahrhunderten wurde hier aber kein Tier mehr begraben. Es gibt auch keinerlei Quellen, aus denen hervorgeht, dass dieses Waldstück jemals derartig genutzt wurde. Der Grund für diese volkstümliche Bezeichnung des Flurstückes hat einen recht sagenhaften Charakter. Im Mittelalter strebten viele Bauern - so auch die Wasenbacher - nach schnellem Reichtum. Viele von ihnen waren aber unfreie Leibeigene, die nur das Vieh ihrer herrschenden Reichsritter zu versorgen und zu betreuen hatten. Auch die Felder, die sie bestellten, gehörten den Herren von Kronberg. Die leibeigenen Bauern versuchten, ihre Herren zu betrügen, um auch in den Genuss von etwas Wohlstand zu gelangen. Heimlich unterschlugen sie jedes zweite neugeborene Kalb und Schwein und versteckten die Tiere in einem verborgenen Stall im Wald. Die Reichsritter von Kronberg wunderten sich schon bald über den plötzlichen Rückgang der Tierbestandszahlen. Da es hierfür keine natürliche Ursache zu geben schien, beschlossen sie, das Dorf gründlich zu revidieren. Groß war die Angst unter den Bauern. Sie überlegten hin und her. Schließlich beschlossen sie, alle unterschlagenen Tiere zu töten und im Wald an besagter Stelle zu begraben. Gesagt, getan. Die Bauern führten ihren Plan aus, und die Herren zu Boos konnten bei ihrer Revision keine Unregelmäßigkeiten entdecken. So blieb alles wie früher. Die Bauern waren weiterhin arm. Die Tierbestandszahlen stiegen wieder an. Die Reichsritter waren mit den Erträgen aus ihrem Dorf zufrieden. Nur die Begräbnisstätte der unterschlagenen und dann getöteten Tiere hatte einen neuen heimlichen Flurnamen.

Quelle: Die Sagen aus der Wasenbacher Gegend (Rheinland-Pfalz), Reinhard Güll, E-Mail-Zusendung vom 21. Februar 2005