Der verschwundene Schatz...

Lange, lange, vor der Zeit, als der Silberbergbau in Schwaz so richtig begann, so erzählt man sich, waren bereits eine Handvoll Bergleute hoch oben am Kellerjoch mit dem Abbau von edlen Erzen beschäftigt.

Niemand weiss, woher sie kamen, niemand weiss, wohin sie gingen. Die älteren Leute haben immer gewusst, dass die Bergknappen dort nicht nur Blei und Silber, sondern auch Gold gefunden haben.....

Und sie haben auch von Stollen erzählt, die ich als Kind noch befahren habe, die aber heute verfallen sind. Sie haben auch von Stollen und Schächten gewusst, die ich nie gefunden habe, so sehr ich auch danach gesucht ...

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Nachdem der Abbau am Kellerjoch weit entfernt war von jeder menschlichen Behausung, hatten sich die Bergknappen in den Stollen eingerichtet und mit Vorräten eingedeckt. Die Arbeit war hart und gefährlich und zu dieser Zeit gab es wieder einmal eine Reihe von besonders strengen und schneereichen Wintern, so dass die armen Teufel einmal sogar den ganzen Winter in den Bergen verbringen mussten... Nach vielen Jahren der Strapazen und Entbehrungen aber hatten die Bergleute endlich Glück.

Neben einer reichen Silberader hatten sie auch noch eine grosse Menge Blei, Kupfer, ja sogar Gold gefunden. Der Abbau der Bodenschätze ging recht zügig voran, und als die Knappen ungefähr ein Viertel der Schätze gehoben hatten, erscholl aus einem tiefen Schacht eine dunkle Stimme, die sagte:

"Den vierten Teil, den lasst ihr steh`n,
sonst werdet ihr kein Licht mehr seh`n!"

Die Bergleute erschraken mordsmässig und verliessen in Windeseile den tiefen Schacht.

Am nächsten Tag jedoch machten sie sich wieder an die Arbeit und schlugen glänzendes Erz aus dem Fels, Erz von einer Güte, wie sie es noch nie gesehen hatten.

Gegen Ende ihrer Schicht ertönte wieder die geheimnisvolle Stimme:

"Den vierten Teil, den lasst ihr steh`n, sonst werdet ihr
kein Licht mehr seh`n!"

Den Knappen war zwar nicht besonders wohl, aber die Gier hatte sie gepackt, und so schlugen sie wie wild auf die Felsen ein, um ja soviel Erz wie möglich zutage zu fördern.

Total erschöpft legten sie sich auf ihre Lager im Stollen und versanken sofort in einen tiefen Schlaf.

Mitten in der Nacht erwachten sie alle gleichzeitig, ohne zu wissen, warum.
Da hörten sie zu ihrem Entsetzen wieder diese Stimme, diesmal noch drohender und eindringlicher:

"Den vierten Teil, den lasst ihr steh`n, sonst werdet ihr kein Licht mehr seh`n! "

Da bekamen sie es endgü ltig mit der Angst zu tun, sie packten schnell ihre Habseligkeiten und die grossen Sauhäute mit dem Erz und verliessen den Stollen.
So schnell sie nur konnten, rannten sie den steilen Hang hinunter, rutschten über Schneefelder und Rinnen und Latschen, überschlugen sich mitsamt ihren Sachen, rappelten sich wieder auf und liefen....liefen....liefen, als wäre der Leibhaftige höchstpersönlich hinter ihnen her.

Völlig ausser Atem, blieben sie dort steh`n, wo sich heute die Proxenalm befindet. Da hörten sie ein schauriges Gelächter und plötzlich bebte die Erde unter ihren Fü ssen. Oben am Kellerjoch krachte und donnerte es, tief aus dem Bauch des Berges, und im hellen Mondenschein konnten sie noch erkennen, dass die Stollen, die sie im Lauf der Jahre geschlagen hatten, in sich zusammenstürzten....

Nun war es still geworden im Proxental, und ehrfürchtig schlugen die Knappen ein Kreuz.
Dann machten sie sich schweigend auf den Weg ins Tal hinunter, und man hat von ihnen nichts mehr geseh`n und auch nichts mehr gehört.

Jaja, so war das, damals.

Von den Stollen und Schächten am Kellerjoch gibt es keine Spur mehr, dort wurde auch nie wieder Erz geschürft, und angeblich soll tief unter dem Kellerjoch noch ein sagenhafter Reichtum schlummern.

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Und die Alten haben mir auch erzählt, dass man in mondhellen Nächten am Kellerjoch noch manchmal diese unheimliche Stimme gehört hat.....

Die Alten sind heute auch nicht mehr unter uns, und diese Geschichte hat nie jemand niedergeschrieben,
und so habe ich es getan....

Wer weiss, vielleicht ist diese Geschichte wahr....
Und wer weiss, vielleicht gibt es ihn wirklich,
den verschwundenen Schatz......

Glück Auf!

Quelle: Günter Rieder, Schwaz, Dezember 2003, E-Mailzusendung vom 12. September 2005